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|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
JURE100065101
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BGH
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3. Strafsenat
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20100518
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3 StR 140/10
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Beschluss
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§ 354 Abs 1a S 1 StPO
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vorgehend LG Düsseldorf, 21. Januar 2010, Az: 12 KLs 60 Js 1635/09 - 46/09, Beschluss vorgehend LG Düsseldorf, 19. November 2009, Az: 12 KLs 60 Js 1635/09 - 46/09, Urteil
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DEU
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Entscheidung des Revisionsgerichts: Strafzumessung auf der Grundlage eines falschen Strafrahmens
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1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2009 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Januar 2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht bei der Bemessung der Strafe gegen das Rückwirkungsverbot (§ 2 Abs. 1 StGB) verstoßen hat.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte am 2. April 2009 auf Veranlassung eines Bestellers 798 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 114,7 Gramm THC zu einem Preis von 2.550 Euro. Für die geplante Weitergabe war ihm eine Provision in Höhe von 300 bis 400 Euro zugesagt worden, von der er 200 Euro erhielt. Bei der Anfahrt zum Übergabeort und dem Abtransport des Rauschgifts mit seinem PKW führte er in den Seitenfächern von Fahrer- und Beifahrertüre zwei Teleskopschlagstöcke und ein Reizgasspray griffbereit mit sich.
b) Dieses Tatgeschehen hat das Landgericht unter Berücksichtigung des Milderungsgrundes aus § 31 BtMG und einer Vielzahl weiterer für den Angeklagten sprechender Tatsachen rechtsfehlerfrei als minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 30 a Abs. 3 BtMG bewertet.
Bei der Bestimmung der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren ist das Landgericht indes von einem unzutreffenden Strafrahmen ("von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe") ausgegangen.
Nach § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich die Strafe grundsätzlich nach dem zur Tatzeit geltenden Gesetz; ändert sich dieses vor der Entscheidung, ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 2 Abs. 3 StGB).
Die zur Tatzeit im April 2009 geltende Fassung des § 30 a Abs. 3 BtMG sah für minder schwere Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln noch eine Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren vor.Erst durch Art. 5 Nr. 7 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl I 1990, 2010), in Kraft seit 23. Juli 2009, wurde die Strafandrohung auf bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe erhöht. Daher hätte das Landgericht seiner Strafzumessung weiterhin eine Strafrahmenobergrenze von lediglich fünf Jahren zugrunde legen müssen.
2. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO kam im Hinblick darauf, dass der Strafzumessung ein anderer Strafrahmen zugrunde zu legen ist, nicht in Betracht (BGH StV 2008, 176; StraFo 2010, 159). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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|||||||||
JURE100065102
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BGH
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3. Strafsenat
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20100615
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3 StR 157/10
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Beschluss
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Art 6 Abs 3 Buchst d MRK
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vorgehend LG Kleve, 29. Dezember 2009, Az: 170 KLs 10/09, Urteil
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DEU
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Fair trial im Strafverfahren: Mitangeklagter als Belastungszeuge
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 29. Dezember 2009 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat zu der vom Angeklagten H. erhobenen Verfahrensrüge einer Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK):
Wer als Belastungszeuge im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK anzusehen ist, ist in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten eigenständig bestimmt. Die Vorschrift erfasst auch die Aussagen eines Mitangeklagten im Ermittlungsverfahren, der - wie hier der Mitangeklagte S. - in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat (BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 3; EGMR NStZ 2007, 103, 104). Dass der Angeklagte H. den Mitangeklagten S., dessen Aussagen im Ermittlungsverfahren die wesentliche Grundlage für seine Verurteilung waren, zu keinem Zeitpunkt befragen oder befragen lassen konnte, führt jedoch hier nicht zu einem Konventionsverstoß, weil seine Verteidigungsrechte insgesamt angemessen gewahrt wurden und das Verfahren in seiner Gesamtheit fair war. Das Tatgericht hat besonders sorgfältig und kritisch die Angaben des Mitangeklagten S. auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft und ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass dessen Bekundungen durch andere wichtige Indizien außerhalb der Aussage selbst bestätigt wurden (BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5). Dazu gehören der am Tatort aufgefundene Knopf von der Jacke des Angeklagten H. mit Anhaftungen vom Blut des Tatopfers, die Erkenntnisse aus dem Einsatz von Spürhunden und aus Telekommunikationsverbindungsdaten sowie die Übereinstimmung einer an der linken Hand des Tatopfers vorgefundenen männlichen genetischen Spur mit den DYS-Merkmalen des Angeklagten.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065105
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BGH
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3. Strafsenat
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20100520
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3 StR 78/10
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Urteil
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§ 24 Abs 1 S 1 Halbs 2 StGB, § 24 Abs 1 S 2 StGB, § 212 StGB
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vorgehend LG Düsseldorf, 13. November 2009, Az: 18 Ks 9/09 - 10 Js 204/09, Urteil
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DEU
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Versuchter Totschlag: Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts; ernsthaftes Bemühen bei Einschaltung von Hilfspersonen
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, die Verletzung sachlichen Rechts. Nach ihrer Auffassung hat das Landgericht zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch sowie eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der nicht vorbestrafte Angeklagte lebte seit Februar 2009 wieder im Haushalt seiner 74jährigen Mutter, dem späteren Tatopfer. Diese litt an einer schweren Lungenerkrankung und war darauf angewiesen, sich täglich für mehrere Stunden über einen Nasenschlauch ergänzend Sauerstoff zuzuführen. Zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter kam es alsbald vermehrt zu Streitigkeiten. In der Wahrnehmung des Angeklagten, die möglicherweise durch seinen regelmäßigen Cannabis-Konsum beeinträchtigt war, beruhten die Auseinandersetzungen darauf, dass seine Mutter ihn ständig grundlos kritisierte und ihn als Versager darstellte. Infolge dieses vom Angeklagten als kränkende Zurückweisung empfundenen Verhaltens, entwickelte sich bei ihm zunehmend ein Gefühl der Unzulänglichkeit und Verärgerung, aus dem heraus er drei Tage vor der Tat anlässlich einer erneuten Meinungsverschiedenheit mit seiner Mutter gegenüber seinem Schwager äußerte "die blöde Kuh wär´ sowieso besser tot".
Am Tattag war er nach einer aus seiner Sicht missbilligenden Äußerung seiner Mutter über seine Freundin niedergeschlagen und zog sich in sein Zimmer zurück. Nach dem Konsum von Haschisch und Alkohol sprang er gegen 21 Uhr einem plötzlichen Entschluss folgend aus dem Fenster seines im ersten Stock gelegenen Zimmers, um sich das Leben zu nehmen. Er zog sich durch den Sturz jedoch lediglich leichte Verletzungen zu und wurde auf seine Hilferufe von seiner Mutter wieder in das Haus eingelassen, wo er sich auf deren Bett legte. Währendessen forderte seine Mutter telefonisch einen Notarzt für den Angeklagten an. Nach Beendigung des Telefonats stürzte sich der Angeklagte plötzlich in Wut auf seine Mutter, die er für seine Lage verantwortlich machte, riss ihr den Bademantel herunter, warf sie auf das Bett und hielt ihr mit den Worten "jetzt bist Du dran", "Verreck´ doch endlich, Du Miststück" Mund und Nase zu in der Absicht, sie zu töten. Die Geschädigte, die Todesangst hatte, stellte sich tot. Als sich die von dem Tatopfer zuvor alarmierten Rettungskräfte mit Signalton dem Tatort näherten, ließ der Angeklagte von seiner Mutter ab, lief zur Wohnung der Nachbarn und rief um Hilfe, weil seine Mutter sterbe. Sodann ließ er die mittlerweile eingetroffenen Rettungskräfte in die Wohnung seiner Mutter ein. Das Tatopfer erlitt durch den Verschluss der Atemwege lebensbedrohliche Verletzungen und konnte nur mit Mühe gerettet werden.
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei strafbefreiend vom (tateinheitlich begangenen) Totschlagsversuch zurückgetreten, hält auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Totschlagsversuch beendet war; denn der Angeklagte glaubte, dass seine Mutter an den ihr zugefügten Verletzungen versterben konnte. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch sind hingegen nicht ausreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen sind insoweit lückenhaft und erlauben nicht den Schluss, dass der Angeklagte entweder die Vollendung der Tat freiwillig verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. StGB) oder sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).
a) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB kommt zwar auch in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder "optimale" gewählt hat (BGHSt 48, 147). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird (BGHSt 33, 295, 301; BGH NStZ 2008, 508).
Mit den Voraussetzungen dieser Rücktrittsregelung hat sich das Landgericht nicht ausdrücklich befasst. Es hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die aus anderen Gründen herbeigerufenen Rettungskräfte in die Wohnung der Geschädigten einließ. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verhalten im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB für die Erfolgsverhinderung kausal oder zumindest mitursächlich wurde, enthält das Urteil indes nicht. Es verhält sich insbesondere nicht dazu, ob der Angeklagte den Notarzt und die Sanitäter, die nicht zur Rettung seiner Mutter herbeigerufen, sondern von dieser wegen seines Selbstmordversuchs alarmiert worden waren, über die veränderte Sachlage in Kenntnis setzte und ihnen den Weg zu seiner verletzten Mutter wies und auf diese Weise deren Rettung erleichterte oder beschleunigte - was in Anbetracht der konkreten Umstände für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB ausgereicht hätte -, oder ob der Notarzt die Wohnung der Verletzten auch ohne Zutun des Angeklagten ohne wesentliche Verzögerung betreten, das Tatopfer finden und dieses damit auch ohne Mitwirkung des Angeklagten retten konnte (BGH NJW 1990, 3219; BGH NStZ aaO).
b) Dass sich der Angeklagte - wovon das Landgericht ausgegangen ist - im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern, ist durch die Feststellungen ebenfalls nicht hinreichend belegt.
§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann (BGHSt 33, 295, 301 f.; BGH NStZ 2008, 329). Allerdings sind, wenn - wie hier - ein Menschenleben auf dem Spiel steht, insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Der Täter muss sich um die bestmögliche Maßnahme bemühen. Hilft er nicht selbst, so muss er sich zumindest vergewissern, ob die Hilfspersonen das Notwendige und Erforderliche veranlassen (BGHSt aaO).
Auch insoweit lässt das Urteil ausreichende Feststellungen vermissen. Das Herbeirufen eines Krankenwagens oder Arztes war hier die am ehesten zur Rettung des Tatopfers geeignete Maßnahme. Entsprechende Bemühungen entfaltete der Angeklagte jedoch nicht selbst; denn seine Mutter hatte die Rettungskräfte bereits vor der Tat verständigt. Ob sich das bloße Einlassen des aus anderen Gründen herbeigerufenen Notarztes in die Wohnung des Tatopfers in der konkreten Situation objektiv und aus Sicht des Angeklagten als die bestmögliche Maßnahme zur Rettung des Tatopfers darstellte, ist in Anbetracht der fehlenden Feststellungen zu den Umständen des Zusammentreffens des Angeklagten mit den Rettungskräften, deren Kenntnisstand und dem diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten nicht ausreichend dargelegt. Gleiches gilt, soweit sich der Angeklagte durch Hilferufe und mit dem Hinweis, seine Mutter sterbe, an die Wohnungsnachbarn wandte; denn die Urteilsgründe ergeben bereits nicht, welche Vorstellungen der Angeklagte mit diesem Vorgehen verband (BGH NStZ 2000, 41 f.).
3. Da das Urteil schon wegen der rechtsfehlerhaften Bejahung eines strafbefreienden Rücktritts vom tateinheitlich begangenen Totschlagsversuchs der Aufhebung unterliegt, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die knappen Darlegungen des Landgerichts zum Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 StGB eine noch ausreichende revisionsrechtliche Nachprüfung ermöglichen. Der Senat sieht jedoch Anlass, darauf hinzuweisen, dass der Tatrichter, wenn er sich darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist (BGH NStZ-RR 2003, 232). Der neue Tatrichter wird darüber hinaus Gelegenheit haben, die von der Revision vermissten Umstände bei der Prüfung der Schuldfähigkeit im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Er wird ferner in den Blick zu nehmen haben, ob möglicherweise ein Zusammenwirken mehrerer Ursachen zu einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat (BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3 und 4).
4. Das Urteil weist - was gemäß § 301 StPO auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft zu prüfen ist - hingegen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065106
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BGH
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4. Strafsenat
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20100511
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4 StR 117/10
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Beschluss
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Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
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vorgehend LG Zweibrücken, 8. Dezember 2009, Az: 4142 Js 8905/09 - 1 KLs, Urteil
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DEU
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Revision in Strafsachen: Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bei Provokation zu einer Betäubungsmitteltat ohne deliktspezifisches Verhältnis zum Tatverdacht
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1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 8. Dezember 2009 wird verworfen; jedoch wird die Verfallsanordnung zur Klarstellung dahin gefasst, dass der Verfall (statt: "erweiterte Verfall von Wertersatz") eines Geldbetrages von 5.750 Euro angeordnet wird.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten zur Anbringung einer Verfahrensrüge ist unzulässig. Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Pflichtverteidiger mit der Sachrüge und einer - allerdings nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden - Verfahrensrüge fristgerecht begründet worden ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge kommt grundsätzlich nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08, StV 2008, 394 m.N.). Sie kommt nur ausnahmsweise in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör unerlässlich erscheint (vgl. BGH aaO). Eine solche Ausnahmesituation liegt hier nicht vor.
2. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend bemerkt der Senat:
a) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die Urteilsfeststellungen nicht die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in der Form einer unzulässigen Tatprovokation. Insbesondere lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass eines der Drogengeschäfte nicht mehr in einem angemessenen, deliktspezifischen Verhältnis zu dem gegen den Angeklagten stehenden Tatverdacht steht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44). Ergeben sich die tatsächlichen Voraussetzungen eines geltend gemachten Konventionsverstoßes - wie hier - nicht schon aus den Urteilsfeststellungen, muss ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens mit Hilfe einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2000 - 3 StR 245/00, NStZ 2001, 53). Soweit mit der Revisionsbegründungsschrift vom 23. Februar 2010 die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK gerügt wird, genügt die Rüge jedoch nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dies gilt im Übrigen auch für die nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 29. März 2010 erhobene Verfahrensrüge, weil Umstände, die gegen eine Überschreitung des erlaubten tatprovozierenden Verhaltens sprechen, nicht mitgeteilt werden. Der Mitteilung bedurft hätte insbesondere der Inhalt der Angaben der Vertrauensperson bei der Vernehmung am 5. August 2009, wonach der Angeklagte von sich aus angeboten hat, "das Ganze" auf 500 g zu erhöhen, damit sich das auch mit der Fahrerei lohnen würde (SA Bd. I Bl. 13).
b) Die vom Landgericht auf § 33 BtMG, §§ 73, 73 a und 73 d StGB gestützte Verfallsentscheidung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand, da nach den Feststellungen die Voraussetzungen des § 73 a StGB vorliegen (zum Verhältnis zwischen § 73 StGB [Verfall], § 73 a StGB [Verfall des Wertersatzes] und 73 d StGB [erweiterter Verfall] vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Dezember 2008 - 4 StR 368/08, BGHR StGB § 73 a Anwendungsbereich 2 und vom 20. April 2010 - 4 StR 119/10 Rdn. 7 ff.). Zur Klarstellung ändert der Senat die Verfallsanordnung entsprechend.
Athing Solin-Stojanović Ernemann
Cierniak Franke
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065122
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BGH
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2. Zivilsenat
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20100621
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II ZR 133/09
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Beschluss
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§ 723 Abs 3 BGB, § 738 BGB
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vorgehend OLG München, 12. Mai 2009, Az: 18 U 5218/08, Urteil vorgehend LG München I, 15. Oktober 2008, Az: 20 O 9306/05, Urteil
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DEU
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Freiberufler-Sozietätsvertrag: Wirksamkeitskontrolle für Versorgungs- und Abfindungsregelungen für ausscheidende Sozien
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2009 wird zurückgewiesen, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zulassen darf. Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es spricht viel für die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Versorgungsregelung in der von der Klägerin befürworteten Auslegung eine unzulässige Kündigungsbeschränkung i.S.v. § 723 Abs. 3 BGB darstellt.
Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 ZPO).
Streitwert: 378.670,65 €
Goette Strohn Caliebe
Reichart Drescher
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065123
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BGH
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4. Strafsenat
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20100518
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4 StR 182/10
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Beschluss
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§ 52 StGB, § 266 StGB
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vorgehend LG Essen, 14. Januar 2010, Az: 56 KLs 19/09, Urteil
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DEU
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Untreuetaten in natürlicher Handlungseinheit: Mehrere Abhebungen zum persönlichen Verbrauch von Fremdgeldkonto am selben Tag
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. Januar 2010 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Untreue in 107 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird.
Die Einzelstrafe von einem Jahr (Fall 19 der Urteilsgründe) sowie die beiden Einzelstrafen von je acht Monaten (Fälle 22 sowie 68 der Urteilsgründe) entfallen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 110 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, ihm die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts für die Dauer von drei Jahren verboten und ihn auf sein Anerkenntnis hin verurteilt, an die Adhäsionsklägerin einen Betrag in Höhe von 172.301,68 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachbeschwerde den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Die Verfahrensrüge hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. April 2010 keinen Erfolg.
II.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehen die Fälle 18 und 19, 21 und 22 sowie 67 und 68 nicht in Realkonkurrenz.
a) Nach den Feststellungen überwies der Angeklagte am 10. Oktober 2006 von demselben Girokonto bei der Sparkasse E. zweimal jeweils 8.000 € auf sein eigenes Konto und verbrauchte das Geld für sich (Taten 18 und 19). Am 25. Oktober 2006 sowie am 15. Juni 2007 hob er von diesem Konto jeweils Geld zum persönlichen Verbrauch ab und veranlasste zugleich je eine Überweisung zu eigenen Zwecken (Taten 21 und 22 sowie 67 und 68).
b) Danach stehen die jeweils am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Barabhebungen jedenfalls in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 1. September 1994 – 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Barabhebungen bzw. Überweisungen erfolgten jeweils am selben Tag und betrafen auch jeweils dasselbe Girokonto der Geschädigten bei der Sparkasse E., was nahe legt, dass der Angeklagte die Verfügungen jeweils zusammen erledigte und nicht auf Grund eines neuen Tatentschlusses handelte.
2. Auch unter Berücksichtigung von § 265 StPO kann der Senat die erforderliche Änderung des Schuldspruchs selbst vornehmen; der Angeklagte ist in vollem Umfang geständig.
Drei Einzelstrafen von einem Jahr bzw. zweimal acht Monaten müssen entfallen; die drei weiteren Einzelstrafen in jeweils gleicher Höhe hat der Senat aufrechterhalten. Angesichts der Zahl und der Summe der Einzelstrafen kann sicher ausgeschlossen werden, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses der betreffenden Einzeltaten niedriger ausgefallen wäre.
III.
Wegen des lediglich geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065125
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BGH
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4. Strafsenat
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20100316
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4 StR 497/09
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Beschluss
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§ 244 Abs 1 Nr 2 StGB, § 244a StGB
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vorgehend LG Bielefeld, 19. Februar 2009, Az: 2 KLs 46 Js 54/08 - 35/08, Urteil
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DEU
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Bandendiebstahl: Begriff der Bande
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1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Februar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls verurteilt worden sind,
b) bezüglich des Angeklagten L. in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Anordnung des erweiterten Verfalls.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten L. wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, davon in zwei Fällen in Form des Versuchs, sowie wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den erweiterten Verfall von Bargeldbeträgen angeordnet, die bei diesem Angeklagten sichergestellt wurden. Den Angeklagten Le. hat es des schweren Bandendiebstahls in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Form des Versuchs, schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; die weiter gehende Revision des Angeklagten L. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Die Verurteilung der Angeklagten wegen schweren bzw. versuchten schweren Bandendiebstahls hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bande in den Urteilsgründen nicht hinreichend belegt.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Bande im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich zur fortgesetzten Begehung einer noch unbestimmten Zahl von Diebstählen verbunden haben (BGHSt [GS] 46, 321, 325). Erforderlich ist ferner eine – ausdrücklich oder konkludent getroffene – Bandenabrede, bei der das einzelne Mitglied den Willen hat, sich mit mindestens zwei anderen Personen zur Begehung von Straftaten in der Zukunft für eine gewisse Dauer zusammenzutun (BGHSt 50, 160, 164). Als Bandenmitglied ist anzusehen, wer in die Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den Straftaten als Täter oder Teilnehmer beteiligt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich alle Bandenmitglieder persönlich miteinander verabreden oder einander kennen (BGH aaO; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 244 Rdn. 36).
a) Gemessen daran begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Angeklagten und den gesondert verfolgten B. einerseits sowie die Mitangeklagten K., Bl. und Be. andererseits als Mitglieder einer Bande im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen hat. Denn insoweit ist in den Urteilsgründen lediglich festgestellt, dass diese „Gruppen“ untereinander kooperierten, indem sie sich auf der Grundlage der vorgesehenen arbeitsteiligen Beschaffung von Kraftfahrzeugen „austauschten und unterstützten“, in ihren Bereichen jedoch „jeweils eigenständig“ tätig waren. Nähere Feststellungen zur Art der Kooperation, insbesondere zu Einzelheiten der gegenseitigen Unterstützung, hat die Strafkammer nicht getroffen. Schon im Hinblick darauf, dass die beiden, vom Landgericht als „Gruppen“ bezeichneten Teile des Zusammenschlusses ihre jeweilige Tätigkeit eigenständig entfalteten und auf unterschiedliche Fahrzeugarten spezialisiert waren, hätte es aber genauerer Feststellungen dazu bedurft, ob alle Beteiligten organisatorisch in eine (einheitliche) Bande eingebunden waren. Einen bandenmäßigen Zusammenschluss der Angeklagten L. und Le. allein mit dem gesondert verfolgten B. belegen die Urteilsgründe ebenfalls nicht. Zwar legen die zu den Absprachen unter den Angeklagten getroffenen Feststellungen (UA 9) eine Bandenmitgliedschaft des B. nahe. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der rechtlichen Würdigung (UA 30). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Verurteilung des Angeklagten L. wegen schweren Bandendiebstahls im Fall II. 3 sowie die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchten schweren Bandendiebstahls im Fall II. 17 der Urteilsgründe auch aus anderen Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die im Fall II. 3 getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte L. die Tat unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds beging. Das betreffende Fahrzeug wurde „von dem Angeklagten L. selbst oder mit dessen Wissen und Wollen von einem anderen Mitglied seiner Tätergruppe entwendet“. Danach ist in Anwendung des Zweifelssatzes zu Gunsten des Angeklagten L. von dessen Alleintäterschaft auszugehen. In Fall II. 17 der Urteilsgründe waren die Aktivitäten der Angeklagten sowie des gesondert verfolgten B. am Abend des 9. März 2008 noch nicht bis zum Stadium des Versuchs einer Diebstahlstat gediehen, soweit sie lediglich in Bi. umherfuhren und nach stehlenswerten Fahrzeugen Ausschau hielten. Bezüglich des anschließenden Tatgeschehens in P. lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen, dass der Angeklagte Le. einen konkreten Tatbeitrag – gleichgültig, ob am Tatort oder nicht – erbracht hat. Allein die Bandenmitgliedschaft des Angeklagten reicht für eine Verurteilung wegen dieser Tat im vorliegenden Fall nicht (BGHSt 46, 321, 333 f.).
II.
Die Anordnung des erweiterten Verfalls der bei dem Angeklagten L. sichergestellten Bargeldbeträge hat keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat die Anordnung darauf gestützt, dass “sich eine deliktische Herkunft oder Verwendung des bei dem Angeklagten L. sichergestellten Bargeldes“ aufdränge. Damit ist nicht belegt, dass die Gelder für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind. Vielmehr hat das Landgericht offen gelassen, ob die Gelder durch Veräußerung gestohlener Fahrzeuge erlöst bzw. für die Begehung von Diebstahlstaten bezahlt worden sind oder ob die Gelder lediglich - gleichsam als instrumenta sceleris - dazu dienen sollten, die Bandentätigkeit zu fördern. In diesem Falle kommt aber eine Verfallsanordnung, die beim Täter “Gewinne“ abschöpfen soll, nicht in Betracht.
b) Zudem hat das Landgericht nicht bedacht, dass die den Verletzten aus den Diebstählen erwachsenen Ansprüche der Anordnung des erweiterten Verfalls der sichergestellten Geldbeträge gemäß §§ 73d Abs. 1 Satz 3, 73 Abs. 1 Satz 2 StGB insoweit entgegenstehen, als die Erfüllung der Ansprüche dem Angeklagten den Wert des aus den Taten Erlangten entziehen würde. Die Anordnung ist deshalb aufzuheben.
c) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass vorrangig zu klären ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Voraussetzungen für die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz gegeben sind, weil dann für die Anordnung eines erweiterten Verfalls nach § 73d StGB kein Raum ist (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 4 StR 386/08, BGHR StGB § 73a Anwendungsbereich 2; Fischer aaO § 73d Rdn. 9). Scheidet die Anordnung des Verfalls nach diesen Vorschriften nur deshalb aus, weil Ansprüche von Verletzten entgegenstehen, wird das Landgericht § 111i Abs. 2 StPO zu prüfen haben.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065126
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BGH
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4. Strafsenat
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20100601
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4 StR 79/10
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Beschluss
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§ 44 S 1 StPO, § 145a Abs 3 S 1 StPO, § 333 StPO, §§ 333ff StPO
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vorgehend LG Schwerin, 2. Februar 2009, Az: 31 KLs 5/06 - 161 Js 31356/05, Urteil
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DEU
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Zustellung des Urteils an den Pflichtverteidiger: Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist
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1. Die Anträge des Angeklagten und seiner Verteidiger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 2. Februar 2009 werden verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen Betruges" in 18 Fällen unter Einbeziehung der in einem amtsgerichtlichen Urteil verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und bestimmt, dass "zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer … ein Teil von sechs Monaten der verhängten Strafe als vollstreckt" gilt. Ferner hat es den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen Betruges" in weiteren 42 Fällen unter Einbeziehung der Strafen eines anderen amtsgerichtlichen Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist haben der Verurteilte und seine Verteidiger mehrere Wiedereinsetzungsanträge gestellt; zudem hat der Verurteilte Revision eingelegt. Keiner der Wiedereinsetzungsanträge hat Erfolg. Die Revision ist unzulässig.
1. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist haben keinen Erfolg.
a) Das Wiedereinsetzungsgesuch des Verurteilten vom 13. Dezember 2009 ist jedenfalls unbegründet.
Die am 16. April 2009 bewirkte Zustellung des am 2. Februar 2009 verkündeten Urteils durfte nach § 145a Abs. 1 StPO an den Pflichtverteidiger des Angeklagten erfolgen, obwohl dieses Urteil in Abwesenheit des Angeklagten - der sich während der laufenden Hauptverhandlung in die Dominikanische Republik abgesetzt hatte - verkündet worden war (vgl. KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 341 Rdn. 19 m.w.N.). Die erfolgreiche formlose Übersendung einer Abschrift des Urteils an den Angeklagten nach § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Zustellung (vgl. KK-Laufhütte aaO § 145a Rdn. 6 m.w.N.). Darin, dass der Angeklagte die Urteilsabschrift trotz des Übersendungsversuchs an seine letzte bekannte Anschrift in Deutschland nach seinen Angaben nicht erhalten haben will, liegt ungeachtet der fehlenden Glaubhaftmachung im Hinblick darauf, dass der Angeklagte bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung ab dem 3. November 2008 eigenmächtig ausgeblieben ist, er erfolglos zum Strafantritt in anderer Sache geladen worden war und er ab dem 10. November 2008 mit Haftbefehl gesucht wurde, kein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 44 Satz 1 StPO.
Auch soweit der Verurteilte in seinem Schreiben vom 13. Dezember 2010 in anderem Zusammenhang geltend macht, dass dem Urteil keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen sei, vermag dies die Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist nicht zu rechtfertigen. Denn es fehlt insofern jedenfalls an dem erforderlichen Vortrag, dass er diese Frist infolge des Fehlens der Belehrung nach § 35a StPO versäumt hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 44 Rdn. 22 m.w.N.). Dies liegt nach seinem eigenen Vortrag und Verhalten auch nicht nahe; denn er hat - trotz der nach seinen Angaben fehlenden Rechtsmittelbelehrung - nach der Aushändigung des Urteils am 12. Dezember 2009 bereits mit Schreiben vom 13. Dezember 2009 sowohl Revision eingelegt als auch einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.
Sonstige Gründe, die geeignet sind, eine Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist zu rechtfertigen, wurden vom Verurteilten in seinem Schreiben vom 13. Dezember 2009 nicht vorgebracht.
b) Auch die später gestellten Wiedereinsetzungsanträge haben keinen Erfolg. Sie sind bereits unzulässig.
Da der Angeklagte - wie die von ihm im Schreiben vom 13. Dezember 2009 eingelegte Revision und der dort gestellte Wiedereinsetzungsantrag belegen - spätestens seit diesem Tag Kenntnis davon hatte, dass sein Pflichtverteidiger gegen das Urteil vom 2. Februar 2009 kein Rechtsmittel eingelegt hatte, ist bei allen ab Mitte Januar 2010 gestellten und hierauf gestützten Wiedereinsetzungsanträgen die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gewahrt.
2. Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 2. Februar 2009 ist mithin verspätet eingelegt (§ 341 Abs. 1, 2 StPO) und daher unzulässig. Sie ist nach § 349 Abs. 1 StPO kostenpflichtig zu verwerfen.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Mutzbauer Bender
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065127
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BGH
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12. Zivilsenat
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20100609
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XII ZB 133/09
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Beschluss
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§ 317 Abs 1 ZPO, § 317 Abs 4 ZPO, § 517 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO
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vorgehend OLG Hamm, 1. Juli 2009, Az: II-8 UF 82/09, Beschluss vorgehend AG Dülmen, 5. Februar 2009, Az: 6 F 272/07
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DEU
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Beginn der Berufungsfrist bei unterbliebener Zustellung der Urteilsausfertigung
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Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 1. Juli 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.044 €
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I.
Die Parteien streiten um Abänderung eines Urteils zum nachehelichen Unterhalt aus der geschiedenen zweiten Ehe des Klägers. Das Urteil des Amtsgerichts vom 5. Februar 2009 ist dem Kläger nicht in Ausfertigung, sondern in beglaubigter Abschrift am 27. März 2009 zugestellt worden. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ist am (Mittwoch) 29. April 2009 beim Oberlandesgericht eingegangen, die Berufungsbegründung am 27. Mai 2009.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingegangen sei. Die Berufungsfrist habe mit Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils begonnen.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begehrt.
II.
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 Tz. 7 m.w.N.).
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Sie ist auch begründet.
1. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung beginnt nach § 517 ZPO mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Die Zustellung erfolgt nach § 317 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen. Freilich bleibt das Original des Urteils stets bei den Akten. Stattdessen ist eine Ausfertigung zuzustellen (Wieczorek/Schütze/Rensen ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7).
a) Eine Ausfertigung ist eine in gesetzlich bestimmter Form gefertigte Abschrift, die dem Zweck dient, die bei den Akten verbleibende Urschrift nach außen zu vertreten (Senatsbeschluss vom 30. Mai 1990 - XII ZB 33/90 - FamRZ 1990, 1227). Durch die Ausfertigung soll dem Zustellungsempfänger die Gewähr der Übereinstimmung mit der bei den Akten verbleibenden Urteilsurschrift geboten werden (BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N. sowie BGH Beschlüsse vom 20. Juni 1989 - X ZB 12/87 und vom 28. November 2006 - VIII ZB 116/05 – jeweils veröffentlicht bei juris). Der Ausfertigungsvermerk bezeugt als eine besondere Art der Beurkundung, dass die Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils übereinstimmt. Wegen dieser Besonderheit verlangt das Gesetz, dass die Ausfertigung von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist (§ 317 Abs. 4 ZPO).
Mit der Unterschrift erklärt der Urkundsbeamte, dass die in der Ausfertigung wiedergegebenen Teile des Urteils gleich lautend mit denen der Urschrift sind. Diese Erklärung braucht nicht wörtlich in dem Ausfertigungsvermerk enthalten zu sein. Das Gesetz sieht eine bestimmte äußere Form für den Ausfertigungsvermerk nicht vor (BGH Urteil vom 13. März 1969 - III ZR 178/67 - VersR 1969, 709, 710). Die Urteilsabschrift muss aber zumindest durch die Unterschrift des Urkundsbeamten, das Gerichtssiegel oder den Dienststempel und Worte wie "Ausfertigung" oder "ausgefertigt" erkennen lassen, dass es sich um eine Ausfertigung im Sinne des § 317 Abs. 4 ZPO handeln soll (BGH Urteil vom 18. Mai 1994 - IV ZR 8/94 - VersR 1994, 1495). Der Bundesgerichtshof hat deswegen bereits mehrfach die Zustellung beglaubigter Abschriften, die den Beglaubigungsvermerk nicht enthielten oder ihn unvollständig wiedergaben, für unwirksam gehalten, weil es damit für den Zustellungsempfänger an der Gewähr fehle, dass das ihm zugestellte Schriftstück der Urschrift entsprach (vgl. BGHZ 100, 234, 237 f. = NJW 1987, 2868).
b) Ob an Stelle einer Urteilsausfertigung auch eine beglaubigte Urteilsabschrift die Zustellungswirkung des § 517 ZPO begründen kann, ist in der Literatur umstritten (vgl. BGH Urteil vom 18. Mai 1994 - IV ZR 8/94 - VersR 1994, 1495).
aa) Teilweise wird vertreten, dass die in § 517 ZPO vorausgesetzte Amtszustellung statt in der Form einer vollständigen Urteilsausfertigung auch durch eine beglaubigte Abschrift des Urteils erfolgen kann (Thomas/Putzo/Reichold ZPO 30. Aufl. § 517 Rdn. 2; Hk-ZPO/Wöstmann 3. Aufl. § 517 Rdn. 2 und MünchKommZPO/Rimmelspacher 3. Aufl. § 517 Rdn. 9).
Überwiegend wird allerdings unter Hinweis auf die Bedeutung einer Ausfertigung und die Vorschrift des § 317 Abs. 1 und 4 ZPO vertreten, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung die Berufungsfrist nach § 517 ZPO in Lauf setzen kann (Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 317 Rdn. 4; Musielak/Musielak ZPO 7. Aufl. § 317 Rdn. 3; Wieczorek/Schütze/Rensen ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7 und Prütting/Gehrlein/Lemke ZPO § 517 Rdn. 5).
bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dabei ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält (Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 166 Rdn. 5). Denn eine besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen materiell- oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten (BT-Drucks. 14/4554 S. 15). Eine solche spezielle Vorschrift enthält das Gesetz in § 317 ZPO für die Zustellung von Urteilen.
Dass die Übergabe einer bloßen Abschrift des Urteils nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße und wirksame Zustellung erfüllt, hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (BGH Beschluss vom 20. Juni 1989 - X ZB 12/87 - veröffentlicht bei juris). Soweit die Zustellung einer beglaubigten Abschrift für ausreichend erachtet wird, geht dies auf das frühere Recht zurück, das bis Juni 1977 eine Zustellung im Parteibetrieb vorsah. Die darauf beruhende Rechtsprechung beschränkt sich deswegen auf Fälle, in denen eine beglaubigte Abschrift einer bereits vorliegenden Urteilsausfertigung zugestellt wurde (BGH Urteil vom 10. Juni 1964 - VIII ZR 286/63 - MDR 1964, 916 und Beschlüsse vom 1. Juli 1974 - VIII ZB 17/74 - BGHWarn 1974, 475 und vom 29. September 1959 - VIII ZB 5/59 - NJW 1959, 2117, 2118 m.w.N.). Auf die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils ohne vorliegende Ausfertigung des Urteils ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar. Solange keine Ausfertigung der in den Akten verbleibenden Urschrift des Urteils erstellt ist, ist der Zweck, das Urteil nach außen zu vertreten, nicht erreicht (vgl. BGH Beschluss vom 28. November 2006 - VIII ZB 116/05 - veröffentlicht bei juris). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht die Form der Ausfertigung der besonderen Bedeutung und Wichtigkeit der kundzugebenden Entscheidung. Erst der Ausfertigungsvermerk verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt deren Übereinstimmung mit der in den Akten verbleibenden Urschrift (BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N.; vgl. auch § 47 BeurkG). Entsprechend lautet die amtliche Überschrift des § 317 ZPO auch "Urteilszustellung und -ausfertigung" und für schriftlich vorliegende Urteile sieht § 317 Abs. 4 ZPO lediglich die Erstellung von Ausfertigungen und Auszügen vor.
Für die Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist kommt es entscheidend auf äußere Form und Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung ist allein die Ausfertigung maßgeblich, weil allein sie nach außen in Erscheinung tritt und die Beschwerdepartei ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2001 - XII ZB 75/00 - NJW 2001, 1653, 1654 und BGH Beschluss vom 25. Mai 2006 - IV ZB 47/05 - FamRZ 2006, 1114, 1115).
2. Die danach für den Beginn der Berufungsfrist nach §§ 517, 317 ZPO notwendige Ausfertigung des angefochtenen Urteils ist dem Kläger nicht bereits am 27. März 2009 zugestellt worden.
a) Allerdings mangelt es nicht schon deshalb an einer wirksamen Zustellung des Urteils, weil - wie die Rechtsbeschwerde meint - die Unterschrift der mitwirkenden Richterin in der zugestellten beglaubigten Abschrift nicht ordnungsgemäß wiedergegeben sei. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Fall, wenn die Unterschrift in Klammern gesetzt und kein weiterer Hinweis (etwa „gez.“) hinzugefügt ist, dass der Richter das Urteil unterschrieben hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es allerdings aus, wenn in der Ausfertigung die Namen der beteiligten Richter in Maschinenschrift ohne Klammern angegeben sind. Dann ist im Allgemeinen ein weiterer auf die Unterzeichnung hinweisender Zusatz nicht erforderlich (Senatsbeschluss vom 30. Mai 1990 - XII ZB 33/90 - FamRZ 1990, 1227; BGH Urteil vom 18. Mai 1994 - IV ZR 8/94 - VersR 1994, 1495 und Beschluss vom 1. April 1981 - VIII ZB 24/81 - VersR 1981, 576).
b) Bei der dem Kläger zugestellten Abschrift handelt es sich jedoch nicht um eine Ausfertigung des Urteils. Denn dieser Abschrift fehlt ein Ausfertigungsvermerk, der - wie ausgeführt - nicht durch den vorhandenen Beglaubigungsvermerk ersetzt werden kann.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnt der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist aus § 517 ZPO nicht, wenn den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Ausfertigung und Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu stellen sind, nicht Genüge getan ist (BGH Urteil vom 18. Mai 1994 - IV ZR 8/94 - VersR 1994, 1495). Das ist auch hier der Fall.
Im Zeitpunkt der Zustellung am 27. März 2009 war entgegen der zwingenden Vorschrift des § 317 ZPO noch keine Ausfertigung des angefochtenen Urteils erteilt. Die Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils hat die Berufungsfrist deswegen noch nicht in Lauf gesetzt. Der Kläger hat folglich mit der am 29. April 2009 eingegangenen Berufungsschrift die Berufungsfrist des § 517 ZPO und mit der am 27. Mai 2009 eingegangenen Berufungsbegründung die Begründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO gewahrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung deswegen zu Unrecht verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur weiteren Veranlassung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Hahne Wagenitz Vézina
Dose Klinkhammer
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100065129
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BGH
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1. Zivilsenat
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20100114
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I ZR 153/08
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Beschluss
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§ 543 Abs 2 S 1 ZPO, § 985 BGB
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vorgehend OLG München, 10. Juli 2008, Az: 29 U 3316/03, Urteil vorgehend BGH, 4. Oktober 2007, Az: I ZR 34/04, Beschluss vorgehend BGH, 14. Dezember 2006, Az: I ZR 34/04, Urteil vorgehend LG München II, 30. April 2003, Az: 1 O 5650/00, Urteil nachgehend BGH, 17. August 2010, Az: I ZR 153/08, Beschluss
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DEU
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Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache: Individualisierung des Antrags auf Herausgabe von einer Zeitschrift übersandten Fotos; Nachweis des Eingangs der Fotos bei der Zeitschrift; Erheblichkeit des Vorbringens zur Üblichkeit des Verlustes von Fotos im Arbeitsalltag - Herausgabe von Fotos
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Streitwert: 66.000 €
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
1. Die herausverlangten 437 Fotos sind durch die vom Kläger angegebenen Merkmale hinreichend individualisiert. Hierzu hat der Kläger die Beschaffenheit der Fotos (Schwarz-Weiß-Fotos, Barytabzug, DIN-A4-Format und Größe 30 bis 40 cm), die Thematik sowie die genaue Kennzeichnung der Abzüge mit Namen und Anschrift des Klägers, Lieferscheinnummer und näher eingegrenzter Negativnummer so angegeben, wie sie in der Urteilsformel des Landgerichts angeführt sind. Dies reichte zur Konkretisierung des Herausgabeantrags und zur Individualisierung der einzelnen Fotos im Rahmen des Vorbringens zur Besitzübergabe aus. Unschädlich ist, dass der Kläger die herausverlangten Fotos nicht nach dem Bildmotiv bezeichnen konnte.
2. Entgegen der Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde hat das Berufungsgericht nicht den Vortrag des Klägers genügen lassen, die Beklagte habe den Besitz an den 437 Fotos erlangt. Es hat vielmehr zur Besitzerlangung auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommenen und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
a) Das Landgericht hat aufgrund der vorgelegten Unterlagen und der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeuginnen T., H. und F. die Überzeugung gewonnen, dass die 437 Fotos bei der Beklagten angekommen sind. Dazu hat das Landgericht die vorgelegten Unterlagen ausgewertet. Es hat die Absendung der Fotos an die Beklagte und - soweit der Eingang der Fotos nicht ohnehin unstreitig war- anhand von Unterlagen festgestellt, dass die Fotos bei der Beklagten eingegangen sind. Es hat zudem die Mitarbeiterinnen des Klägers zu dem Versand der Fotos und der Dokumentation der Versendung beim Kläger vernommen und daraus ebenfalls die Überzeugung gewonnen, dass die Beklagte in den Besitz der streitgegenständlichen Fotos gelangt ist.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es an diese Feststellungen gebunden ist, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Solche Zweifel hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, nach der Auflistung der Anlage K 146 ergebe sich in 217 Fällen, dass keine Bestätigung über den Eingang bei der Wirtschaftswoche vorgelegen habe, begründet dies keine Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen. Das Landgericht hat den Eingang in diesen Fällen aus anderen Umständen als Eingangsbestätigungen der Wirtschaftswoche gefolgert, und zwar im Wesentlichen aus den Rechnungen und der Bezahlung der Archiv- oder Veröffentlichungsgebühren. Diese Zahlungen lassen in Verbindung mit den Lieferscheinen des Klägers und den Aussagen der Zeuginnen den Schluss zu, dass mit den Sendungen die in den Lieferscheinen angegebenen Fotos bei der Beklagten angekommen sind. Denn in den Bestätigungen wird im Regelfall auf die Lieferscheine Bezug genommen. Deshalb vermögen die Angriffe der Beklagten anhand einer isolierten Betrachtung einzelner Bestätigungen auch keine Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Tatsachenfeststellungen zu begründen. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass der Kläger sich den Erhalt der Fotos nicht hat auf den Lieferscheinen quittieren lassen.
b) Die Beklagte hat mit der Berufungsbegründung gerügt, die Zeugin T. habe nicht bekunden können, dass die eingeklagten 437 Fotos versandt und nicht zurückgekommen seien. Das vermag die landgerichtlichen Feststellungen nicht zu erschüttern, weil das Landgericht und das Berufungsgericht den Eingang der 437 Fotos bei der Beklagten nicht aufgrund eines einzelnen Beweismittels, sondern aus der Gesamtschau der Beweise gefolgert haben (Lieferscheine über die Fotos, Eingangsbestätigungen der Beklagten oder Zahlung von Archiv- oder Veröffentlichungsgebühren, Aussagen der Zeuginnen über die Versendung und Dokumentation ausgehender und zurückgesandter Fotos).
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Fortdauer ihres Besitzes an den Fotos nicht rechtserheblich bestritten. Mit dem von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Vortrag hat die Beklagte geltend gemacht, seit Oktober 2000 seien keine Fotoabzüge des Klägers mehr aufgefunden worden. Aus der Aussage der Zeugin S. ergebe sich, dass das Archiv regelmäßig durchgesehen werde.
In Anbetracht der Größe des Archivs der Beklagten mit mehr als 600.000 Fotos konnte das Berufungsgericht zu Recht ihren Vortrag als unerheblich ansehen, dass seit Oktober 2000 bei der Nutzung des Archivs keine Abzüge des Klägers mehr aufgefunden worden waren. Die Zeugin S. brauchte das Berufungsgericht entgegen der Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde schon deshalb nicht zu vernehmen.
Im Übrigen legt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht dar, dass die Zeugin S. zu der Frage hätte Angaben machen können, ob seit Oktober 2000 bei der Nutzung des Archivs keine Abzüge des Klägers mehr aufgefunden worden waren. Nach den Feststellungen des Landgerichts fallen die hier in Rede stehenden Fotolieferungen in die Zeit der siebziger und achtziger Jahre. Nach der Aussage der Zeugin S. ist das Archiv des Handelsblatts und der Wirtschaftswoche Mitte der neunziger Jahre getrennt worden. Alles was zu diesem Zeitpunkt vorhanden war, hat das Archiv des Handelsblatts übernommen. Die Zeugin war zum Zeitpunkt ihrer Aussage aber nicht Archivarin des Archivs des Handelsblatts, sondern desjenigen der Wirtschaftswoche. Aktuelle Angaben zum Archiv des Handelsblatts konnte sie aus eigener Kenntnis nicht machen.
In dem weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Vortrag hat die Beklagte geltend gemacht, es sei durch die Zeugin S. unter Beweis gestellt, dass im Rahmen der regelmäßigen Durchsicht des Fotoarchivs der Beklagten darauf geachtet werde, ob noch Abzüge des Klägers vorhanden seien. Seit dem Jahr 2000 sei das gesamte Archiv regelmäßig erfolglos durchgesehen worden.
Diesen Vortrag konnte das Berufungsgericht in Anbetracht der Aussage der Zeugin S. zu einer Tätigkeit nur für das Archiv der Wirtschaftswoche und der Übernahme des Altbestands durch das Archiv des Handelsblatts sowie der früheren Weigerung der Beklagten, ohne Erstattung der Kosten ihr Archiv durchzusehen, als unsubstantiiert ansehen.
4. Der weitere Vortrag der Beklagten zum üblichen Umgang mit den Fotoabzügen im Redaktionsalltag (stetiger Schwund, keine ordnungsgemäße Aufbewahrung, Beschädigung und Verlust bei der journalistischen Arbeit) ist zum Herausgabeanspruch ebenfalls nicht erheblich. Hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten, im Zeitpunkt der Klageerhebung im Besitz der Fotos gewesen zu sein, und ist deshalb von einem Besitz der Beklagten an den Fotos zu diesem Zeitpunkt auszugehen, muss die Beklagte die Fotografien an den Kläger herausgeben. Die Frage, ob Beschädigungen oder Verluste im Arbeitsalltag üblich und vom Kläger, der die Redaktionsarbeit kannte, hinzunehmen sind, kann gegebenenfalls in einem Schadensersatzprozess wegen nicht herausgegebener Fotos Bedeutung gewinnen, ist im vorliegenden Verfahren aber nicht erheblich.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz ZPO abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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public
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JURE100065130
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BGH
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2. Zivilsenat
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20100621
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II ZR 113/09
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Beschluss
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§ 242 BGB, § 488 Abs 1 S 2 BGB, § 774 BGB, § 29 GmbHG, § 35 GmbHG
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vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 31. März 2009, Az: 6 U 4/08, Urteil vorgehend LG Potsdam, 2. November 2007, Az: 1 O 83/06
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DEU
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GmbH: Inanspruchnahme eines Minderheitsgesellschafters auf Rückzahlung eines Darlehens; Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen permanenter Thesaurierung; Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 31. März 2009 wird zurückgewiesen, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zulassen darf. Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der Senat hat die Verfahrensrügen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
Der Beklagte kann im Hinblick auf das Berufungsurteil die Rückzahlung des Darlehens nicht auf Dauer verweigern. Er muss sich vielmehr um eine andere bezahlte Tätigkeit bemühen und/oder die Anfechtungsverfahren gegen die Thesaurierungsbeschlüsse fortsetzen bzw. durchführen; ggfl. hat er die aufgrund der Einziehung zu zahlende Abfindung zur Rückführung des Darlehens zu verwenden.
Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 ZPO).
Streitwert: 53.600,00 €
Goette Strohn Caliebe
Reichart Drescher
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Deutschland
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public
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JURE100065133
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100520
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IX ZB 202/08
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Beschluss
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§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 Abs 1 ZPO, § 234 Abs 1 ZPO, § 7 InsO
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vorgehend LG München I, 9. Juni 2008, Az: 14 T 6633/08, Beschluss vorgehend AG München, 19. März 2008, Az: 1506 IN 934/02
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DEU
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Ablehnung eines Verfahrenskostenstundungsantrages im Insolvenzverfahren: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Einlegung eines ehemals zulässigen Rechtsbehelfs bei dem ehemals zuständigen Gericht
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Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 9. Juni 2008 wird abgelehnt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 9. Juni 2008 - 14 T 6633/08 - wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.800 € festgesetzt.
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I.
Das Insolvenzgericht hat den Antrag der Schuldnerin, ihr die Kosten des am 12. März 2003 eröffneten Insolvenzverfahrens zu stunden, mit Beschluss vom 19. März 2008 wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten abgelehnt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin mit Beschluss vom 9. Juni 2008 zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin am 25. Juni 2008 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2008 hat der Verfahrensbevollmächtigte beim Oberlandesgericht München Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde gestellt und diesen mit Schriftsatz vom 10. Juli 2008 näher begründet. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Zivilsenats des Oberlandesgerichts hat den Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 4. August 2008 darauf hingewiesen, dass die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde in § 7 InsO nicht mehr vorgesehen sei. Der angeführte Beschluss unterliege vielmehr der innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof einzulegenden Rechtsbeschwerde. Da die Akten zunächst nicht vorgelegen hätten, habe die Unzulässigkeit des Antrags erst jetzt festgestellt werden können. Die Schuldnerin hat daraufhin den Antrag beim Oberlandesgericht zurückgenommen. Mit Schriftsatz eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts hat sie am 1. September 2008 beim Bundesgerichtshof Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts eingelegt und wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
II.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Er wurde insbesondere rechtzeitig innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt, weil der zweitinstanzliche Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin glaubhaft gemacht hat, erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 18. August 2008 Kenntnis von dem Schreiben des Oberlandesgerichts vom 4. August 2008 erlangt zu haben.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Schuldnerin war nicht ohne Verschulden gehindert, die Notfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde einzuhalten (§ 233 Abs. 1 ZPO). Sie muss sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen, der nicht beachtet hat, dass nach der zum 1. Januar 2002 erfolgten Änderung des § 7 InsO an die Stelle des beim Oberlandesgericht zu stellenden Antrags auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde die beim Bundesgerichtshof einzulegende Rechtsbeschwerde getreten ist.
a) Vergeblich beruft sich die Schuldnerin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs in Fällen, in denen die Rechtsmittelschrift an ein unzuständiges Gericht gerichtet war. Nach dieser Rechtsprechung hat ein Gericht, das erstinstanzlich mit der Sache befasst war, einen bei ihm eingereichten fristgebundenen Schriftsatz für das Rechtsmittelverfahren aufgrund seiner aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Pflicht zu einer fairen Verfahrensgestaltung im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so zeitig bei dem Ausgangsgericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im üblichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Ein Verschulden der Partei oder ihres Bevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (BVerfGE 93, 99, 115 f; BVerfG NJW 2001, 1343; NJW 2005, 2137, 2138; BGHZ 151, 42, 44). Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Rechtsbehelfsschrift bei einem bisher nicht befasst gewesenen Gericht eingeht und dessen Unzuständigkeit deshalb offensichtlich ist (BVerfG NJW 2006, 1579 Rn. 9).
b) Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
aa) Der zweitinstanzliche Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin hat nicht den gesetzlich statthaften Rechtsbehelf bei einem dafür offensichtlich unzuständigen Gericht eingereicht, sondern einen gesetzlich nicht mehr vorgesehenen Rechtsbehelf bei dem Gericht, das für einen solchen Rechtsbehelf früher zuständig gewesen ist. Eine rechtzeitige Weiterleitung des Schriftsatzes allein hätte nicht genügt, um die Frist zu wahren. Selbst wenn der Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde in eine Rechtsbeschwerde hätte umgedeutet werden können, hätte der Schriftsatz von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein müssen. Es hätte daher eines Hinweises an den Verfahrensbevollmächtigten auf die geänderte Rechtslage bedurft. Zu einem frühzeitigen Hinweis dieser Art war das Oberlandesgericht unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet. Neben der verfassungsrechtlich gebotenen fairen Verfahrensgestaltung ist zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht werden überspannt, wenn den Parteien und ihren Bevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen wird. Regelmäßig sind unzuständige Gerichte daher nicht verpflichtet, die Partei oder ihren Bevollmächtigten telefonisch oder per Telefax innerhalb der laufenden Frist davon zu unterrichten, dass ein fristgebundener Schriftsatz beim unzuständigen Gericht eingereicht wurde (BVerfG NJW 2001, 1343; BGH, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - IX ZB 138/05, AnwBl 2006, 213; v. 15. Dezember 2005 - VI ZB 15/05, AnwBl 2006, 212; Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. § 233 Rn. 22c).
bb) Eine Verpflichtung des Gerichts zu einem unverzüglichen Hinweis kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn ein fristgebundener Schriftsatz an einem leicht erkennbaren, offensichtlichen Formmangel, etwa an einer fehlenden Unterschrift, leidet (BGH, Beschl. v. 14. Oktober 2008 - VI ZB 37/08, NJW-RR 2009, 564, 565 Rn. 10). Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Die Rechtsbehelfsschrift litt nicht an einem Formmangel. Eine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit beim Eingang einer Rechtsmittelschrift lässt sich aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte nicht ableiten (BVerfG NJW 2006, 1579; BGH, Beschl. v. 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, NJW 2008, 1890, 1891 Rn. 11). Dass der die Sache bearbeitende Richter des Oberlandesgerichts zunächst den Eingang der mit dem Vermerk "Eilt sehr!" beim Beschwerdegericht angeforderten Akten abwartete, bevor er die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs prüfte, ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
III.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Schuldnerin hat die Fristen zu ihrer Einlegung (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und Begründung (§ 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO) versäumt.
Kayser Raebel Gehrlein
Pape Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065135
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100512
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IV ZB 18/08
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Beschluss
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§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 238 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO
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vorgehend KG Berlin, 1. April 2008, Az: 6 U 18/08, Beschluss vorgehend LG Berlin, 4. Dezember 2007, Az: 7 O 232/05
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DEU
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftstücke per Telefax und Berücksichtigung des Vortrags einer Gegenvorstellung im Rechtsbeschwerdeverfahren
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Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 1. April 2008 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Klägerin an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
Beschwerdewert: bis 45.000 €.
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I. Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung. Sie hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am Montag, den 3. März 2008 ab. Die Berufungsbegründung vom 29. Februar 2008 ging am selben Tag per Telefax bei dem Landgericht Berlin und nach Weiterleitung am 4. März 2008 sowie im Original am 6. März 2008 bei dem Kammergericht ein. Ein entsprechender Hinweis des Gerichts ging der Klägerin nach Angaben ihres Prozessbevollmächtigten am 12. März 2098 zu. Am 19. März 2008 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie ausgeführt und glaubhaft gemacht: Der zuverlässig arbeitende Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfe ihres Prozessbevollmächtigten habe bei Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax versehentlich nicht die Telefaxnummer des Kammergerichts, sondern die des Landgerichts verwendet. Diesen Irrtum hätten weder er noch der sachbearbeitende Rechtsanwalt bei der nachfolgenden Kontrolle bemerkt.
Das Kammergericht hat durch Beschluss vom 1. April 2008 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle bei Telefaxschreiben angenommen. Erforderlich für eine wirksame Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze sei das Vorliegen einer allgemeinen Anweisung, wonach anhand des Sendeprotokolls durch den Vergleich mit einem Verzeichnis zu überprüfen sei, ob die richtige Empfängernummer eingegeben worden sei. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich nicht, dass eine entsprechende Anweisung erteilt worden sei. Allein die vorgetragene Nachfrage des Rechtsanwalts, ob die Frist eingehalten sei, reiche zur wirksamen Ausgangskontrolle nicht aus.
Mit Gegendarstellung vom 9. April 2008 hat die Klägerin angegeben und glaubhaft gemacht, im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten habe allgemein die ausdrückliche Anweisung bestanden, dass bei Versendung eines fristwahrenden Telefaxes die auf der Sendebestätigung aufgeführte Nummer auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sei. Konkret habe der mit der Übermittlung der Schriftsätze beauftragte Mitarbeiter die Faxnummer des betreffenden Gerichts unmittelbar der Website dieses Gerichts, einem elektronischen Gerichtsverzeichnis oder der Handakte zu entnehmen; werde die Telefaxnummer anhand eines gerichtlichen Schreibens aus der Handakte entnommen, müsse darauf geachtet werden, dass es sich um ein Schreiben des richtigen Gerichts handele, was stets zu überprüfen sei. Nach Erhalt der schriftlichen Sendebestätigung mit dem ok-Vermerk und der Überprüfung der vollständigen Übermittlung durch Abgleich der Seitenzahl müsse die auf dem Sendebericht angegebene Telefaxnummer überprüft werden, und zwar durch unmittelbaren Vergleich dieser Nummer mit derjenigen Nummer des Schreibens des Gerichts aus der Handakte oder des anderen Verzeichnisses, aus dem die Telefaxnummer ermittelt worden sei. Diese Anweisung sei von dem fraglichen Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten seit Erteilung im Jahre 2004 sorgfältig beachtet worden; im konkreten Fall habe er jedoch durch ein Versehen das Schreiben des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2007 aufgeschlagen und sich dessen Telefaxnummer notiert. Bei der Nachkontrolle der Nummer sei ihm dieser Fehler nicht aufgefallen.
Durch Beschluss vom 7. Mai 2008 hat das Kammergericht die Gegenvorstellung der Klägerin als unzulässig zurückgewiesen. Noch vor Erlass dieses Beschlusses hat die Klägerin gegen die angefochtene Entscheidung am 30. April 2008 Rechtsbeschwerde eingelegt.
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.
a) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte die Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax seinem Büroangestellten überlassen. Ein Rechtsanwalt darf die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen und braucht die Ausführung eines solchen Auftrags nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2009 - IV ZB 30/09- Tz. 9 m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte sich darauf verlassen, dass der Mitarbeiter, dessen Arbeitsweise bislang bei Kontrollen keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben hatte, die Versendung des Schriftsatzes per Telefax korrekt vornehmen werde.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin kein Organisationsverschulden hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle anzulasten.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senat aaO Tz. 11 m.w.N.). Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, z.B. bereits in den Schriftsatz eingefügten, Faxnummer zu vergleichen, sondern der Abgleich hat anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um auch Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer aufdecken zu können (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09- juris Tz. 14; vom 19. März 2008 - III ZB 80/07 - NJW-RR 2008, 1379 Tz. 5; vom 17. April 2007 - XI ZB 39/06 - FamRZ 2007, 1095 Tz. 5; vom 26. September 2006 - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996 Tz. 8).
bb) Dazu hat die Klägerin in der Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuches nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie hat aber mit ihrer Gegendarstellung vom 9. April 2008 dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigten den Mitarbeitern die klare und unmissverständliche generelle Weisung erteilt hätten, nach Versendung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax nochmals die ordnungsgemäße Kontrolle der Empfängernummer, der Seitenzahlen und des ok-Vermerks auf dem Sendebericht vorzunehmen, und dass erst danach die Frist gelöscht werde. Dabei habe die Kontrolle der Empfängernummer wiederum durch unmittelbaren Vergleich der aus dem Sendebericht ersichtlichen Nummer mit derjenigen Quelle, aus der zuvor die Faxnummer ermittelt worden sei (gerichtliches Schreiben, Website des Gerichts oder elektronisches Gerichtsverzeichnis), zu erfolgen. Dieser nach Erlass des angefochtenen Beschlusses nachgeholte Vortrag der Klägerin war im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
Der Vortrag ist noch innerhalb der Antragsfrist gemäß §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 234 Abs. 1 ZPO erfolgt, innerhalb der grundsätzlich alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, vorgetragen werden müssen (Senat aaO Tz. 13 m.w.N.). Die Berücksichtigung des Vortrags im Rechtsbeschwerdeverfahren hat deshalb unabhängig davon zu erfolgen, ob die Antragsbegründung erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben enthielt, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, und die deshalb sogar noch nach Fristablauf und auch noch mit der Rechtsbeschwerde erläutert oder vervollständigt werden dürfen (vgl. hierzu Senat aaO m.w.N.). Wenn schon in jenem Falle der nachgeholte Vortrag zu berücksichtigen ist, gilt das erst recht, wenn der Vortrag rechtzeitig erfolgt, bei der angegriffenen Entscheidung aber nicht mehr berücksichtigt worden ist.
c) Danach ist der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin begründet, weil ihre Prozessbevollmächtigten für eine den anerkannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax Sorge getragen haben. Die Anweisung, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten Faxnummer zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist, ist ausreichend; es ist nicht erforderlich, diese Nummer nach Absenden des Schriftsatzes noch ein weiteres Mal anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 aaO Tz. 18). Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn die Nummer aus dem Sendebericht mit der aus einem gerichtlichen Schreiben entnommenen Nummer verglichen wird, sofern nur die generelle Anweisung besteht, diese erste Ermittlung der richtigen Nummer ordnungsgemäß zu überprüfen. Das ist hier der Fall gewesen. Dies kann der Senat nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr in der Sache mit der Berufung der Klägerin zu befassen haben.
Terno Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Lehmann
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100615
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IV ZR 21/09
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Beschluss
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§ 2229 BGB, § 2270 BGB, § 2281 BGB, Art 103 Abs 1 GG
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vorgehend OLG Düsseldorf, 19. Dezember 2008, Az: I-7 U 120/07, Urteil vorgehend LG Düsseldorf, 10. Mai 2007, Az: 3 O 145/06
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DEU
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Streit um die Erbenstellung: Verletzung rechtlichen Gehörs durch unterlassene Prüfung der Frage der Testierfähigkeit des Erblassers; Verweisung in einem Testament auf eine frühere letztwillige Verfügung
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2008 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 250.000 €
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I. Die Parteien streiten darum, wer von ihnen Erbe des am 28. April 2003 verstorbenen Ü. geworden ist. Die Klägerin ist die dritte Ehefrau des Erblassers, der in zweiter Ehe mit M.-P. verheiratet war. In notariellen Erbverträgen vom 17. Dezember 1996 und 23. Oktober 1997 setzten der Erblasser und seine zweite Ehefrau sich gegenseitig zu Erben und im zweiten Erbvertrag den Beklagten als Schlusserben ein. In einem mit "Unser letzter Wille" bezeichneten privatschriftlichen Schriftstück vom 3. November 1997 bestimmten der Erblasser und seine zweite Ehefrau, dass der Letztlebende nicht zu einer Abänderung der Schlusserbeneinsetzung befugt sein sollte. Nachdem der Erblasser am 21. Mai 2001 die Klägerin geheiratet hatte, setzte er diese testamentarisch als Alleinerbin ein. Die Klägerin erklärte am 5. August 2003 die Anfechtung des Erbvertrages vom 23. Oktober 1997 sowie des Testaments vom 3. November 1997 "wegen Übergehung meiner Person als Pflichtteilsberechtigte".
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Beklagte Alleinerbe des Erblassers geworden ist.
II. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Revision zuzulassen, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Die Zulassung der Revision folgt aus einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. BGHZ 159, 135, 139 f.; 154, 288, 296). Die Klägerin hatte vorgetragen, dass die zweite Ehefrau des Erblassers an fortschreitender Demenz vom Typ Alzheimer erkrankt und bereits seit Mitte des Jahres 1996 zeitlich und örtlich desorientiert mit der Folge der Testierunfähigkeit gewesen sei. Hierzu hat die Klägerin sich nicht nur auf ein Sachverständigengutachten berufen, sondern zugleich den Bericht des Internisten Dr. B. vom 11. Februar 1999 (Anlage K 19) vorgelegt, in dem es heißt:
"Insbesondere bestehen deutliche Einschränkungen des Denkvermögens mit zeitlicher, teilweise örtlicher Desorientiertheit, herabgesetzten Kurzzeitgedächtnis. Die kognitiven Einschränkungen haben sich seit etwa Mitte 1996 deutlich verschlimmert. Frau M.-P. ist es jetzt nicht mehr möglich, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, wie sie zur eigenständigen Bewältigung notwendig sind; sie bedarf darüber hinaus der kontinuierlichen Beaufsichtigung."
Auf dieser Grundlage war das Berufungsgericht verpflichtet, die Testierunfähigkeit der zweiten Ehefrau des Erblassers nach § 2229 Abs. 4 BGB zu klären, gegebenenfalls Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Die Testierunfähigkeit der zweiten Ehefrau des Erblassers hätte die Nichtigkeit ihrer letztwilligen Verfügung und damit gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch derjenigen des Erblassers vom 23. Oktober 1997 und vom 3. November 1997 zur Folge gehabt. Maßgebend wäre dann allein der notarielle Erbvertrag vom 17. Dezember 1996 gewesen, in dem der Erblasser und seine zweite Ehefrau sich gegenseitig als Erben eingesetzt hatten. Selbst wenn auch dieser wegen Testierunfähigkeit nichtig wäre, wäre der Erblasser zumindest als gesetzlicher Erbe Miterbe nach seiner zweiten Ehefrau geworden, und die Klägerin ihrerseits Erbin des Erblassers aufgrund seiner letztwilligen Verfügung vom 5. September 2001.
Auf diese Frage der Testierunfähigkeit ist das Berufungsgericht nicht eingegangen und hat damit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
2. Im Übrigen ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Insbesondere macht die Klägerin ohne Erfolg geltend, dass ihr Anfechtungsrecht nach § 2281 i.V. mit § 2079 BGB nicht ausgeschlossen sei. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Ausschluss des Anfechtungsrechts wegen Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 2285 BGB sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Weiter gebietet auch die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Formunwirksamkeit des handschriftlichen Testaments vom 3. November 1997 keine Zulassung der Revision. Vielmehr ist es zulässig, dass in einem Testament auf eine andere wirksame letztwillige Verfügung, insbesondere auf ein notarielles Testament, verwiesen wird (BGH, Beschluss vom 29. Mai 1980 - IVa ZR 26/80- Rpfleger 1980, 337 unter 2 b bb; Urteil vom 25. Oktober 1965 - III ZR 47/64 - NJW 1966, 201 unter I). In einem solchen Fall der Bezugnahme auf eine andere formwirksame letztwillige Verfügung von Todes wegen ist es auch nicht erforderlich, dass das verweisende Testament selbst isoliert verständlich bleibt und die Bezugnahme lediglich der Erläuterung dient. Da die Testamentsform sowohl des verweisenden als auch des in Bezug genommenen Testaments in jedem Fall gewahrt ist, reicht es auch aus, wenn sich die Gesamtverständlichkeit erst aus beiden Urkunden ergibt, wie das hier für das handschriftliche Testament vom 3. November 1997 und das notarielle Testament vom 23. Oktober 1997 der Fall ist.
Terno Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Lehmann
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Deutschland
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deutsch
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public
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JURE100065138
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100414
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IV ZR 90/09
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Beschluss
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§ 44 Abs 1 S 1 VBLSa, § 307 Abs 1 BGB, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG
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vorgehend LG Karlsruhe, 28. November 2008, Az: 6 S 37/08, Urteil vorgehend AG Karlsruhe, 28. März 2008, Az: 2 C 27/08
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DEU
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Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes: Ausschluss der Hinterbliebenen vom Antragsrecht der beitragsfrei Versicherten auf Beitragserstattung bei Nichterfüllung der Wartezeit
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Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 28. November 2008 durch Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen
vier Wochen .
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I. Die Klägerin begehrt von der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder die Erstattung von Beitragszahlungen ihres am 25. September 2005 verstorbenen Ehemannes, der in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis zu seinem Tod 27 Monate bei der Beklagten pflichtversichert war.
Den Antrag der Klägerin, ihr eine Betriebsrente für Hinterbliebene zu gewähren, lehnte die Beklagte ab, weil der Ehemann der Beklagten die Wartezeit von 60 Umlagemonaten gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 VBLS nicht erfüllt hatte. Die sodann von der Klägerin beantragte Erstattung der von ihrem Ehemann geleisteten Beiträge lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS eine Beitragserstattung nur vom Versicherten selbst beantragt werden könne und das Antragsrecht nicht auf die Hinterbliebenen übergehe.
Die auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die von ihrem Ehemann gezahlten Beiträge zu erstatten, gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
II. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Revision im Beschlusswege nach § 552a Satz 1 ZPO liegen vor.
1. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Der Rechtssache kommt vor allem nicht die vom Berufungsgericht angenommene grundsätzliche Bedeutung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Diese ist dann gegeben, wenn eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291; 152, 182, 191; 151, 221, 223, jeweils m.w.N.). Klärungsbedürftig ist eine Frage, wenn sie in der Rechtsprechung und/oder der Literatur und/oder den beteiligten Verkehrskreisen kontrovers diskutiert wird und die Rechtsprechung noch keine Klärung herbeigeführt hat (vgl. BGHZ 154 aaO; Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02- VersR 2004, 225 unter 2 a).
Die vom Berufungsgericht für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen, ob es ein eigenes Antragsrecht des Hinterbliebenen auf Beitragserstattung gibt und ob § 44 VBLS in seiner jetzigen Fassung verfassungskonform ist, sind zwar noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Jedoch hat weder das Berufungsgericht noch die Revision aufgezeigt, dass diese Problematik umstritten ist und über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Mit Blick darauf ist auch eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO nicht geboten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 - IX ZB 50/09- WM 2010, 237 Tz. 4).
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht die begehrte Erstattung der von ihrem verstorbenen Ehemann gezahlten Beiträge verwehrt.
a) Ein Anspruch der Klägerin auf Beitragserstattung ergibt sich nicht aus der Bestimmung des § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS. Danach können die beitragsfrei Versicherten, die die Wartezeit (§ 34 VBLS) nicht erfüllt haben, bis zur Vollendung ihres 69. Lebensjahres die Erstattung der von ihnen geleisteten Beiträge beantragen. Das Antragsrecht steht demzufolge ausschließlich den Versicherten selbst, nicht aber ihren Hinterbliebenen zu. Nur wenn Versicherte nach Antragstellung, aber vor Beitragserstattung sterben, gehen gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 VBLS die Ansprüche auf die Hinterbliebenen über, die betriebsrentenberechtigt wären, wenn die Wartezeit erfüllt wäre. Anders als nach § 60 Abs. 6 VBLS a.F. (in der Fassung bis zur 41. Satzungsänderung), wonach auch die natürlichen Personen, die die Kosten der Bestattung getragen haben, nach dem Tode eines freiwillig Weiterversicherten oder eines beitragsfrei Versicherten die Erstattung der Beiträge bis zur Höhe ihrer Aufwendungen beantragen konnten, sieht § 44 VBLS ein eigenes Antragsrecht der Hinterbliebenen gerade nicht vor. Im Übrigen ist hier bereits die Voraussetzung der beitragsfreien Versicherung nicht erfüllt. Der Ehemann der Klägerin war bis zu seinem Tod nicht beitragsfrei versichert, sondern pflichtversichert. Schon deshalb scheidet eine Beitragserstattung aus.
b) Das Berufungsgericht hat die Beschränkung des Antragsrechts auf die beitragsfrei Versicherten in § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS zutreffend für wirksam erachtet.
aa) Die Bestimmungen der VBLS finden als Allgemeine Versicherungsbedingungen auf die Gruppenversicherungsverträge Anwendung, die von den beteiligten Arbeitgebern als Versicherungsnehmer mit der Beklagten als Versicherer zugunsten der bezugsberechtigten Versicherten, der Arbeitnehmer abgeschlossen sind (st. Rspr., BGHZ 142, 103, 105 ff. m.w.N.). Sie unterliegen grundsätzlich der richterlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB (BGHZ 174, 127 Tz. 30, 142 aaO, jeweils m.w.N.).
bb) Dass § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS nur die beitragsfrei Versicherten, die die Wartezeit nicht erfüllt haben, berechtigt, die Erstattung der geleisteten Beiträge zu beantragen, hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand. Dabei auch zu berücksichtigende Grundrechte der Versicherten und ihrer Hinterbliebenen (vgl. BGHZ 103, 370, 383; BVerfG NJW 2000, 3341 unter II 2 c) sind nicht verletzt.
(1) Insbesondere liegt kein Eingriff in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition vor. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber bloße Chancen und Erwartungen (BGHZ 174 aaO Tz. 41; BAGE 124, 1 Tz. 34; 101, 186, 194, jeweils m.w.N.). Demgemäß unterstellt der Senat die mit Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalles bestehenden Rentenansprüche aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (BGHZ 155, 132, 140; so auch OLG Karlsruhe VersR 2005, 253, 254) - ebenso wie das BAG die Rentenansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung (vgl. BAGE 101 aaO; DB 2004, 2590, 2591). Nach der früheren Satzung der Beklagten erworbene Anwartschaften stellen, soweit sie über gesetzlich begründete, unverfallbare Rechte (§§ 1, 18 Abs. 2 BetrAVG a.F.) hinausgehen sollen, vor dem Versicherungsfall noch keine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition des Versicherten dar (BGHZ 174 aaO Tz. 51).
Der Ehemann der Klägerin hatte noch nicht einmal eine Anwartschaft auf eine Versorgungsrente erlangt, weil er die 60-monatige Wartezeit (§ 34 Abs. 1 Satz 1 VBLS) noch nicht erfüllt hatte (vgl. BGHZ 84, 158, 173; Senatsurteil vom 28. März 2007 - IV ZR 145/06- VersR 2007, 1214 Tz. 11). Die Möglichkeit, im Falle einer beitragsfreien Versicherung gezahlte Beiträge zurückzuerhalten, ist keine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition, sondern eine bloße Chance, die zudem nicht der Versorgung des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen zugute kommt.
(2) Der Ausschluss der Hinterbliebenen von der Antragsberechtigung in § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BGHZ 174 aaO Tz. 59; BVerfGE 117, 272, 300 f.; 105, 73, 110; 87, 234, 255; BVerfG, VersR 2000, 835, 837, jeweils m.w.N.).
Gemessen daran ist die Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS nicht willkürlich. Ein sachlicher Grund für die Antragsberechtigung allein des beitragsfrei Versicherten liegt zum einen darin, dass er selbst am besten entscheiden kann, ob eine Beitragserstattung sinnvoll ist oder nicht. Insbesondere muss er bedenken, ob er erneut bei der Beklagten pflichtversichert sein wird oder die Versicherung zu einer anderen Zusatzversorgungseinrichtung übergeleitet werden kann und er infolgedessen doch noch eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente erlangen kann. Diese Abwägung ist naturgemäß nach dem Tod des Versicherten ausgeschlossen.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach versicherungsmathematischen Grundsätzen die Risiken kalkulieren muss, weil die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes eine Versicherung darstellt. Dies erfordert eine angemessene Verteilung der Risiken zwischen der Beklagten einerseits und den Versicherten und ihren Arbeitgebern andererseits. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte trage in der Phase, in der die Wartezeit noch nicht erfüllt ist, kein Risiko, übersieht sie, dass die Beklagte schon in der Zeit bis zur Erfüllung der Wartezeit das Risiko einer Verpflichtung zur Rentenzahlung bei einem Arbeitsunfall trägt (§ 34 Abs. 2 Satz 1 VBLS). In Anbetracht dieser Risikoverteilung ist es nicht willkürlich, wenn die Beklagte eine Beitragserstattung nur unter engen Voraussetzungen vorsieht und Hinterbliebene nicht in den Kreis der Antragsberechtigten einbezieht. Das Risiko, bei Nichterfüllung der zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen den Versicherungsanspruch ersatzlos zu verlieren, gehört zum Wesen einer Rentenversicherung. Dies gilt umso mehr, wenn der Versicherungsträger schon vor Erfüllung der Wartezeit unter bestimmten Voraussetzungen, etwa nach einem Arbeitsunfall, eintrittspflichtig ist. Wenn der Versicherer nicht nur dem Versicherten selbst, der die Beiträge aus seinem Einkommen entrichtet hat, sondern auch den Hinterbliebenen einen Anspruch auf Beitragserstattung einräumt, handelt es sich um eine zusätzliche Billigkeitsmaßnahme, für die ein besonders weiter Ermessensspielraum besteht (BVerfGE 22, 349, 367). Dass die Satzung der Beklagten eine solche zusätzliche Billigkeitsmaßnahme für die Hinterbliebenen von Pflichtversicherten nicht vorsieht, ist nicht willkürlich. Allein der Umstand, dass § 210 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI für die gesetzliche Rentenversicherung ein eigenes Antragsrecht der Hinterbliebenen vorsieht, wenn wegen nicht erfüllter allgemeiner Wartezeit ein Anspruch auf Rente wegen Todes nicht besteht, zwingt die Beklagte nicht zu einer entsprechenden Regelung.
(3) Auch der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Grundsatz des Vertrauensschutzes führt zu keinem anderen Ergebnis. Als der Ehemann der Klägerin am 1. Juli 2003 bei der Beklagten versicherungspflichtig wurde, war bereits in § 44 Abs. 1 Satz 1 VBLS das Recht, eine Beitragserstattung zu beantragen, nur Versicherten einge-räumt. Auf die abweichende, damals bereits außer Kraft gesetzte Regelung in § 60 Abs. 6 VBLS a.F., konnten seinerzeit weder Versicherte noch deren Angehörige vertrauen.
Terno Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Lehmann
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100616
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IV ZR 92/09
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Beschluss
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§ 1 Nr 3 AHB 1995, § 4 Abs 1 Nr 6 S 3 AHB 1995, § 1 Abs 1 S 1 VVG, § 149 VVG
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vorgehend OLG Hamm, 27. März 2009, Az: 20 U 87/08, Urteil vorgehend LG Dortmund, 10. April 2008, Az: 2 O 57/07
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DEU
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Deckungsklage gegen die Betriebshaftpflichtversicherung: Ersatzpflicht für Freilegungskosten anlässlich der Mängelbeseitigung an einem Gewerk; ersatzfähige Kosten eines Haftpflichtprozesses
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. März 2009 wird zurückgewiesen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der von ihr geltend gemachten Hochbaukosten aus der Regelung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Vermögensschäden ergebe sich aus B. 2.01 (1) der Besonderen Bedingungen, Risikobeschreibungen und Zusatzbedingungen, begegnet durchgreifenden Bedenken. Das angefochtene Urteil erweist sich aber als richtig (§ 561 ZPO), weil die Klage auf der Grundlage der Regelung über die Mitversicherung von Nebenrisiken in B. 1.22 der Besonderen Bedingungen, Risikobeschreibungen und Zusatzbedingungen begründet ist. Mitversichert ist hiernach "die gesetzliche Haftpflicht aus Sachschäden, die als Folge eines mangelhaften Werkes auftreten und erfasst insoweit auch die Kosten, die erforderlich sind, um die mangelhafte Werkleistung zum Zwecke der Schadenbeseitigung zugänglich zu machen und um den vorherigen Zustand wieder herzustellen. Nicht gedeckt sind diese Kosten, wenn sie nur zur Nachbesserung aufgewendet werden, ohne dass ein Folgeschaden aufgetreten ist. Ferner sind in jedem Fall nicht gedeckt die Kosten des Versicherungsnehmers für die Beseitigung des Mangels an der Werkleistung selbst".
Zu dieser auch hier einschlägigen Klausel wird auf das Senatsurteil vom 20. November 1990 - IV ZR 229/89 - VersR 1991, 293 unter 2 verwiesen. Folgeschaden ist hier die durch die Rohrbrüche verursachte Durchfeuchtung der Wände. Zur Wiederherstellung fachgerechter Wasserleitungen ist es erforderlich, die im Sachverständigengutachten F. aufgeführten Arbeiten (Wand- und Deckendurchbrüche, Wandschlitze, Verlegung von Fliesen, Maler- und Tapezierarbeiten) durchzuführen, um an die schadhaften Leitungen zu gelangen und Wände sowie Decken anschließend wieder ordnungsgemäß zu verschließen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: bis 140.000 €
Terno Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
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BGH
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8. Zivilsenat
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20100420
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VIII ZR 254/09
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Beschluss
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§ 553 BGB, § 563 BGB, § 573 BGB, § 1922 BGB, § 286 ZPO, § 543 ZPO, § 552a ZPO
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vorgehend LG Hamburg, 28. August 2009, Az: 311 S 17/09, Urteil vorgehend AG Hamburg-Barmbek, 15. Januar 2009, Az: 822 C 456/07, Urteil
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DEU
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Genossenschaftswohnung: Fortsetzung des Nutzungsverhältnisses mit dem Sohn des verstorbenen Genossenschaftsmitglieds
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Der Senat beabsichtigt, die Revision durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.
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1. Der Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt einer der anderen in § 543 Abs. 2 ZPO genannten Gründe für die Zulassung der Revision vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291; 153, 254, 256; 152, 182, 190 f.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist oder wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (BVerfG, NJW 2009, 572, Tz. 19; MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rdnr. 7).
Das Berufungsgericht hat die Revision wegen der von ihm als klärungsbedürftig erachteten Frage zugelassen, ob eine Genossenschaft (grundsätzlich) ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 BGB) an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, wenn die Mitgliedschaft bei ihr durch Tod endete und Nichtmitglieder die Wohnung mitgenutzt haben. Auf diese (möglicherweise) grundsätzliche Frage kommt es angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Rechtsstreits nicht an. Denn der Beklagte hat angeboten, den von seiner Mutter ererbten Geschäftsanteil bei der Klägerin zu belassen, und sie gebeten, ihn als Mitglied aufzunehmen. Die zunächst auf den Beklagten übergegangene Mitgliedschaft ist im Übrigen nur deshalb zum Ende des Jahres 2007 erloschen, weil das in § 9 der Satzung der Klägerin für den Fall des Todes eines Mitglieds so vorgesehen und die Klägerin zur Aufnahme des Beklagten nicht bereit ist. Die dem Tatrichter obliegende Würdigung, ob die Klägerin in dieser speziellen Situation im Hinblick auf Wohnbedarf ihrer Mitglieder ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des im Jahr 1969 mit der Mutter des Beklagten eingegangenen Mietverhältnisses hat, wirft keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist.
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass der Klägerin ein Räumungsanspruch aus § 546 BGB nicht zusteht, weil das gemäß § 563 Abs. 2 BGB auf den Beklagten übergegangene Mietverhältnis weder nach § 563 Abs. 4 BGB noch nach § 573 Abs. 1 BGB beendet worden ist.
Das Berufungsgericht hat einen wichtigen Grund in der Person des Beklagten im Sinne des § 563 Abs. 4 BGB verneint. Diese tatrichterliche Würdigung kann in der Revisionsinstanz nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt, wesentliche Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder Verfahrensfehler begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1990 - I ZR 2/89, NJW 1990, 2889, unter I 2 b, zu § 89a HGB; Senatsurteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 129/92, NJW 1994, 443, unter II 1 b, zu § 628 Abs. 2 BGB). Derartige Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf.
Zu Unrecht beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, ob die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten der Klägerin zumutbar ist. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Zumutbarkeit für den Vermieter Maßstab sowohl für § 563 Abs. 4 BGB als auch im Rahmen der von der Revision herangezogenen weiteren Vorschrift des § 553 Abs. 1 Satz 2 BGB, in der die Zumutbarkeit ausdrücklich als Maßstab genannt ist. Dass das Berufungsgericht dem Umstand, dass der Beklagte mehrere Jahre in der streitigen Wohnung gelebt und sich in die dortige Gemeinschaft beanstandungsfrei eingefügt hat, größeres Gewicht beigemessen hat als seinen Verurteilungen zu Strafhaft sowie einer bestehenden Drogenabhängigkeit, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Revision setzt lediglich ihre eigene Abwägung an die Stelle der Würdigung des Berufungsgerichts. Dies ist revisionsrechtlich unbeachtlich.
Auch die weitere Würdigung des Berufungsgerichts, dass ein wichtiger Grund in der Person des Beklagten angesichts der Regelung in § 9 der Satzung der Klägerin und ihrer Weigerung, den Beklagten als Mitglied aufzunehmen, nicht bereits im Fehlen der Mitgliedschaft gesehen werden kann, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Dem Berufungsgericht ist ferner darin beizupflichten, dass auch die ordentliche Kündigung der Klägerin unbegründet ist. Die Klägerin beruft sich für ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses auf dieselben Umstände, die sie dafür anführt, dass in der Person des Beklagten für sie ein wichtiger Grund gegen den Eintritt in das Mietverhältnis gegeben sei. Aus der hierzu vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei vorgenommenen Würdigung ergibt sich zugleich, dass die von der Klägerin hierzu vorgebrachten Umstände kein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses begründen. Auch der Wunsch der Klägerin, die Hausgemeinschaft zu "verjüngen" und bei der Mieterstruktur Familien mit Kindern zu bevorzugen, hat keinen Vorrang gegenüber dem sozialen Kündigungsschutz des § 573 Abs. 1 BGB.
3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Ball Dr. Milger Dr. Achilles
Dr. Schneider Dr. Fetzer
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
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BMJV
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JURE100065718
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BGH
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12. Zivilsenat
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20100623
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XII ZB 58/10
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Beschluss
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§ 15a RVG, Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV
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vorgehend OLG Celle, 15. Januar 2010, Az: 10 WF 14/10, Beschluss vorgehend AG Hannover, 6. Oktober 2009, Az: 606 F 2550/09, Kostenfestsetzungsbeschluss vorgehend AG Hannover, 28. Juli 2009, Az: 606 F 2550/09, Versäumnisurteil
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DEU
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Rechtsanwaltsvergütung: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in Altfällen
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1. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 15. Januar 2010 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Hannover vom 6. Oktober 2009 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die auf Grund des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Hannover - 606 F 2550/09 UE - vom 28. Juli 2009 von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 1.261,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 19. August 2009.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
3. Beschwerdewert: bis 600 Euro
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I.
Der Kläger begehrt im Kostenfestsetzungsverfahren gegen die Beklagte den Ansatz der ungeminderten Verfahrensgebühr.
Rechtspflegerin und Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in RVGreport 2010, 149, veröffentlicht ist, haben - wie zunächst auch der Kläger - die von dem Kläger für seine erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) nicht in voller Höhe berücksichtigt. Denn gemäß Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei hier auf die Verfahrensgebühr die halbe vorgerichtlich entstandene 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) anzurechnen. Mangels Anwendbarkeit auf Altfälle habe an dieser Rechtslage auch die zwischenzeitlich erfolgte Einführung des § 15 a RVG nichts geändert.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft und auch sonst zulässig. An ihre Zulassung durch das Oberlandesgericht ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
III.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, denn das Oberlandesgericht hat die geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) zu Unrecht nicht in voller Höhe berücksichtigt.
1. Der erkennende Senat hat in Übereinstimmung mit dem II. Zivilsenat (vgl. BGH-Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 - ZIP 2009, 1927, 1928) wiederholt entschieden, dass die Vorschrift des § 15 a RVG eine bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage darstellt. Folglich findet diese - gemäß Art. 10 des am 4. August 2009 verkündeten Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) am Tag nach der Verkündung in Kraft getretene - Bestimmung auch Anwendung, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5. August 2009 erfolgt war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07 - FamRZ 2010, 456 Tz. 15 ff. m.w.N., vom 3. Februar 2010 - XII ZB 177/09 - FamRZ 2010, 806 Tz. 10 ff.; vom 31. März 2010 - XII ZB 230/09 - AGS 2010, 256 und vom 31. März 2010 - XII ZB 20/10 - zur Veröffentlichung bestimmt). Dieser Auffassung hat sich zwischenzeitlich auch der IX. Zivilsenat angeschlossen (vgl. BGH Beschluss vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08 - AGS 2010, 159).
Der vorliegende Sachverhalt gibt keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Mit den vom Oberlandesgericht für seine gegenteilige Rechtsauffassung angeführten Argumenten hat sich der Senat bereits in seinen vorstehend genannten Beschlüssen ausführlich befasst.
2. Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden.
Nachdem keiner der Ausnahmefälle des § 15 a Abs. 2 RVG ersichtlich ist, ist die Verfahrensgebühr antragsgemäß in voller Höhe zu berücksichtigen. Aufgrund der bereits erfolgten Nachfestsetzung der Terminsgebühr sind die weiteren von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten unter Berücksichtigung der verauslagten Gerichtskosten auf 1.261,40 Euro festzusetzen. Zinsen hieraus waren in vollem Umfang ab Eingang des ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrags - dem 19. August 2009; nicht wie aufgrund eines offenkundigen Schreibversehens im Kostenfestsetzungsbeschluss dem 19. August 2007 - zuzuerkennen. Zwar ging der Kläger zunächst ebenfalls von einer teilweisen Anrechung der Geschäftsgebühr aus. Jedoch hatte er im Gegenzug zugleich die Festsetzung der Geschäftsgebühr beantragt, wodurch die Gesamtsumme den festzusetzenden Betrag überstieg.
Hahne Weber-Monecke Dose
Klinkhammer Günter
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065721
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BGH
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1. Strafsenat
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20100525
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1 StR 59/10
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Beschluss
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§ 30a Abs 2 Nr 2 BtMG
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vorgehend LG Bayreuth, 2. November 2009, Az: 1 KLs 113 Js 1649/09, Urteil
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DEU
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Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Zweckbestimmung eines Gegenstandes zur Verletzung von Personen
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 2. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Die Strafkammer hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte verkaufte aus einem Vorrat von etwas mehr als einem Kilogramm Haschisch, den er, wie er angibt, von einem inzwischen verstorbenen und aus "Pietätsgründen" nicht benannten Lieferanten erhalten hatte, an B. zwischen Ende November und kurz vor Weihnachten 2008 zweimal je 100 Gramm Haschisch und einmal 200 Gramm Haschisch. Bei der dritten Lieferung erklärte er, er könne erst wieder im Januar liefern. Am 13. Februar 2009 wollte er dann vereinbarungsgemäß 300 Gramm Haschisch liefern, wurde aber vor der Übergabe festgenommen. Er hatte drei Haschischplatten mit einem Gewicht von zusammen 291,3 Gramm dabei, außerdem in seiner Hosentasche ein Springmesser. Bei diesem springt die Klinge seitlich aus dem Griff heraus, der aus dem Griff herausragende Klingenteil ist nicht länger als 8,5 cm. Es ist nicht zweiseitig geschliffen, aus "starkem" Material und spitz zulaufend. Der Angeklagte erklärte hierzu, er habe das Messer nicht einsetzen wollen, sondern es wegen seiner Tätigkeit als Hausmeister in der Hosentasche gehabt. In seiner Wohnung wurden vier Haschischplatten mit einem Gesamtgewicht von 387,50 Gramm gefunden. Diese hatten etwa den gleichen Wirkstoffgehalt wie das bei der Festnahme sichergestellte Rauschgift.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) in drei Fällen sowie bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) zu vier Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag wurde für verfallen erklärt. Für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wurden zweimal je ein Jahr und sechs Monate und einmal zwei Jahre Freiheitsstrafe verhängt; das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wurde als minder schwerer Fall (§ 30a Abs. 3 BtMG) bewertet, die Strafe von drei Jahren und drei Monaten jedoch dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, wobei eine Gesamtschau der Revisionsbegründungen vom 2. und 11. Dezember 2009 ergibt, dass auch der Schuldspruch angefochten sein soll.
Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Möglicherweise sind sämtliche Taten im Blick auf eine Bewertungseinheit tateinheitlich verbunden (1.a), eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs durch den Senat ist jedoch nicht möglich (1.b). Außerdem ist die für eine Verurteilung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erforderliche Feststellung, dass das Messer zur Verletzung von Personen bestimmt war, bisher nicht rechtsfehlerfrei getroffen (2.). Auf der Grundlage der Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 30a Abs. 3 BtMG ist die Strafkammer von einer unzutreffenden Höchststrafe ausgegangen (3.). Sollte von einer Bewertungseinheit auszugehen sein, hätte die Bewertung eines Teilaktes des Geschehens als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Einfluss auf den Schuldspruch insgesamt, die Bewertung als minder schwerer Fall Einfluss auf den insgesamt anzuwendenden Strafrahmen (4.).
1. Mehrere Rauschgiftgeschäfte sind dann im Sinne von Tateinheit in einer Bewertungseinheit verbunden, wenn sie in ein und demselben Güterumsatz in einem Handlungsteil, etwa bei Erwerb, Lieferung oder Bezahlung des Kaufpreises in einer Gesamtmenge oder in einem Geldbetrag zusammentreffen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 846 f. m.w.N.). Die Strafkammer hat diesen hier möglicherweise einschlägigen Gesichtspunkt nicht erörtert.
a) Die Menge von verkauftem und sichergestelltem Rauschgift entspricht der von dem Unbekannten gelieferten Menge. Zudem hatte sowohl das bei der Festnahme als auch das in der Wohnung sichergestellte Rauschgift etwa den gleichen Wirkstoffgehalt. Daher ergeben die Urteilsgründe die Auffassung der Strafkammer, der Angeklagte habe sämtliches Rauschgift, mit dem er Handel getrieben hat, in einer Lieferung bezogen.
b) Dennoch kann der Senat nicht, wie beantragt, den Schuldspruch (entsprechend § 354 Abs. 1 StPO) auf Tateinheit umstellen. Dies setzte - abgesehen von der nach Maßgabe des Einzelfalles zu beurteilenden Frage nach der Vereinbarkeit mit § 265 StPO - klare, erschöpfende und eindeutige Feststellungen voraus; es ist dagegen nicht möglich, wenn eine neue Hauptverhandlung andere oder ergänzende Feststellungen erwarten lässt, oder wenn eine dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der Feststellungen erforderlich ist (vgl. BVerfG NStZ 2001, 187, 188; BGH, Urt. vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09 <Rdn. 20>; BGH NStZ 2008, 213; NJW 1973, 1511, 1512; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 354 Rdn. 18; Temming in HK-StPO 4. Aufl. § 354 Rdn. 12 jew. m.w.N.). Hier sagte der Angeklagte im Dezember 2008 zu B. , er könne erst im Januar 2009 wieder liefern. Dies spricht dagegen, dass er zum Zeitpunkt der Äußerung weiteres Rauschgift besaß.
Einige Feststellungen sprechen also für eine Bewertungseinheit, andere dagegen. Eine zusammenfassende Würdigung dieser Erkenntnisse (§ 261 StPO) ist nicht vorgenommen, da die Strafkammer die Möglichkeit einer Bewertungseinheit nicht erwogen hat. Auf dieser Grundlage kommt eine Schuldspruchänderung durch den Senat nicht in Betracht. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass im Hinblick auf den Zweifelssatz getroffene Feststellungen keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer Bewertungseinheit sein können (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; zusammenfassend Körner aaO § 29 Rdn. 855 m.w.N.).
2. Während alle sonstigen Voraussetzungen von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler bejaht sind, geht die Strafkammer ohne weiteres davon aus, die Bestimmung des geschilderten Messers zur Verletzung von Personen folge aus seiner Beschaffenheit. Dies trifft so nicht zu.
a) Eine Bestrafung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter bei der Tat eine Schusswaffe - hier nicht einschlägig - oder einen Gegen-stand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist. Daran, dass das in Rede stehende Messer seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet ist, besteht kein Zweifel. Hinzukommen muss eine subjektive Zweckbestimmung durch denjenigen, der den Gewahrsam an dem Gegenstand hat, hier also den Angeklagten. Diese Zweckbestimmung, die von dem Bewusstsein, den Gegenstand gebrauchsbereit mit sich zu führen, zu unterscheiden ist, braucht nicht im Hinblick auf die konkret beabsichtigte Straftat getroffen worden zu sein, da § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG insoweit keine Verwendungsabsicht erfordert; es reicht aus, wenn die genannte Zweckbestimmung zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Tatbegehung erfolgt ist (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Franke/Wienroeder BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 16 m.w.N.).
b) Vielfach ergibt sich diese Zweckbestimmung ohne weiteres aus den äußeren Umständen; hierzu können etwa die Beschaffenheit des Gegenstandes ebenso zählen, wie seine sonstigen Verwendungsmöglichkeiten oder Ort und Art seiner Aufbewahrung (vgl. zusammenfassend Weber BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 116 m.w.N.). Fehlt ein nachvollziehbarer Grund dafür, dass der Täter einen objektiv gefährlichen Gegenstand griffbereit mit sich führt, ohne dass er ihn je zur Verletzung von Menschen bestimmt hätte, bedarf die Annahme einer entsprechenden Zweckbestimmung durch ihn regelmäßig keiner besonderen Begründung (vgl. BGHSt 43, 266, 269; BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 5; Körner aaO § 30a Rdn. 57, 58; Weber aaO Rdn. 117, 124 jew. m.w.N.). Kommt dagegen bei einem gängigen Gebrauchsgegenstand (vgl. die Beispiele bei Weber aaO Rdn. 118) nach den Umständen des Falles die Möglichkeit in Betracht, dass ihn der Täter aus sonstigen Gründen mit sich führte, so ist die Annahme, er habe ihn zur Verletzung von Menschen bestimmt, konkret zu begründen; der Hinweis, dass dieser Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit zur Verletzung von Menschen geeignet sei, genügt dann nicht (st. Rspr.; vgl. d. N. bei Weber aaO Rdn. 118).
c) So verhält es sich hier. Der Angeklagte war zur Tatzeit als Hausmeister tätig. Er hat erklärt, er habe das Messer - keinen unter § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG fallenden verbotenen Gegenstand (vgl. Anlage 2 zum WaffG Abschnitt 1 Unterpunkt 1. 4. 1, Satz 2) - deswegen bei sich gehabt. Die Unrichtigkeit dieser Einlassung versteht sich weder von selbst, noch hat die Strafkammer hierzu Ausführungen gemacht. Es fehlt daher an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, der Angeklagte habe das Messer (auch) zur Verletzung von Menschen bestimmt.
3. Die Strafkammer nimmt mit eingehender Begründung einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an, § 30a Abs. 3 BtMG.
a) Zutreffend führt sie unter Hinweis auf BGH NJW 2003, 1679, 1680 aus, der zugleich erfüllte § 29a Abs. 1 BtMG trete zwar hinter § 30a BtMG zurück, entfalte aber im Falle des § 30a Abs. 3 BtMG hinsichtlich der Mindeststrafe eine Sperrwirkung. Darüber hinaus ist die Strafkammer der Auffassung, hier sei insgesamt der Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG anzuwenden, sodass die Mindeststrafe ein Jahr, die Höchststrafe 15 Jahre betrage. Die Bejahung eines minder schweren Falles gemäß § 30a Abs. 3 BtMG dürfe (auch hinsichtlich der Höchststrafe) nicht dazu führen, dass dem bewaffneten Täter eine geringere Strafe drohe, als dem unbewaffneten Täter.
b) Diese Auffassung entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2003, 1679, 1680; vgl. auch BGHSt 30, 166, 167 f.). Danach gilt vielmehr in derartigen Fällen die Höchststrafe der für den Schuldspruch maßgeblichen Bestimmung, mag dies auch (wie, nach der Bejahung eines minder schweren Falles, hier) "als systemwidrig und unbefriedigend empfunden" (BGH NJW 2003, 1679, 1680) werden, was "auf die wenig geglückte Harmonie der Strafrahmen des Betäubungsmittelstrafrechts zurückzuführen" ist (BGH aaO). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Im Übrigen wurde inzwischen die Höchststrafe des § 30a Abs. 3 BtMG von fünf Jahren auf zehn Jahre erhöht (Art. 5 Nr. 7 AMG ua ÄndG <Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften> vom 17. Juli 2009, BGBl. I 1990, 2010). Dies ist in den Gesetzesmaterialien damit begründet, dass der vom Bundesgerichtshof (aaO) aufgezeigte Wertungswiderspruch beseitigt werden soll (BT-Drucks. 16/ 12256 S. 61; BR-Drucks. 171/09 S. 102 f.). Die verschärfte Neufassung von § 30a Abs. 3 BtMG ist allerdings hier nicht anwendbar, weil sie zur Tatzeit noch nicht galt, § 2 Abs. 1 und 3 StGB.
4. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt von einer Bewertungseinheit ausgehen (vgl. oben 1.) und das Geschehen vom 13. Februar 2009 als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ansehen (vgl. oben 2), würde diese Bewertung eines Teilaktes eines im Rechtssinne einheitlichen Geschehens (vgl. Franke/Wienroeder aaO § 29 Rdn. 68) dazu führen, dass es sich bei der Tat insgesamt um bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handeln würde (vgl. Körner aaO § 30a BtMG Rdn. 73 m.w.N.). Würde die Strafkammer insgesamt von einem minder schweren Fall ausgehen, wäre die Strafe dem aufgezeigten, zur Tatzeit geltenden Strafrahmen zu entnehmen (vgl. oben 3.), wobei die im aufgehobenen Urteil gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO) nicht überschritten werden dürfte. Hinsichtlich der Strafhöhe würde entsprechendes gelten, wenn ein minder schwerer Fall verneint würde, sodass die an sich in § 30a Abs.1 BtMG vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren unterschritten werden müsste.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065724
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BGH
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2. Strafsenat
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20100609
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2 StR 554/09
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Beschluss
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§ 52 StGB, § 299 StGB, § 332 StGB
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vorgehend LG Frankfurt, 30. Juni 2009, Az: 5/12 KLs 12/09 - 7710 Js 203734/06, Urteil
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DEU
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Bestechlichkeit: Tateinheit bei mehreren Vorteilsannahmen
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 2009 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Hinsichtlich der Anklagevorwürfe 1, 2 und 4 hat das Landgericht zu Recht Tateinheit bejaht, weil die Gegenleistungen auf alle drei Unrechtsvereinbarungen teilweise zusammengefasst erbracht worden sind (vgl. BGHR StGB § 332 Abs. 1 Konkurrenzen 5; BGHSt 47, 22, 29; BGH wistra 2004, 29, 30; wistra 2004, 99, 102).
Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Appl Bender
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100065727
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BGH
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1. Zivilsenat
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20100114
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I ZR 82/08
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Urteil
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§ 14 Abs 2 Nr 2 MarkenG, § 14 Abs 5 MarkenG, § 64a MarkenG, § 6 Abs 2 PatKostG
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vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 10. April 2008, Az: 3 U 280/06, Urteil vorgehend LG Hamburg, 17. November 2006, Az: 406 O 133/06
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DEU
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Markenrecht: Markenmäßige Verwendung von Symbolen ehemaliger Ostblockstaaten auf Bekleidungsstücken; Wegfall der durch die Markenanmeldung begründeten Erstbegehungsgefahr
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Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 10. April 2008 wird auf Kosten der Klägerin, mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die dieser selbst zu tragen hat, zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Der Streithelfer der Klägerin ist Inhaber der Wortmarke Nr. 30421978 "CCCP". Diese ist mit Priorität vom 16. April 2004 unter anderem eingetragen für "Schlafanzüge, Badeanzüge, Halstücher, Schals, Krawatten, Hosen, Overalls". Die Eintragung für "Bekleidungsstücke, Sportbekleidungsstücke, T-Shirts, Trikots, Sweatshirts, Jacken, Hemden, Mäntel" ist während des Revisionsverfahrens gelöscht worden.
Die Klägerin handelt mit Bekleidungsstücken einschließlich T-Shirts. Ihr steht an der Marke des Streithelfers eine Lizenz zu, die sich auf alle Arten von Oberbekleidung erstreckt. Sie ist nach dem Lizenzvertrag berechtigt, im eigenen Namen Unterlassungsansprüche geltend zu machen.
Die Beklagte vertreibt über das Internet bedruckte Kleidungsstücke. Der Käufer kann den Aufdruck selbst bestimmen oder auf vorgegebene Motive zurückgreifen. Zu der von der Beklagten bereitgehaltenen Auswahl zählt auch ein Motiv, das aus dem Bild von Hammer und Sichel und der Buchstabenfolge "CCCP" besteht. Die Buchstabenfolge "CCCP" steht als Abkürzung der kyrillischen Schreibweise der früheren Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Abbildung eines T-Shirts mit dem Motiv auf der Internetseite der Beklagten ist im Klageantrag wiedergegeben.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin beantragt,
der Beklagten zu verbieten,
im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin oder deren Lizenzgeber Bekleidungsstücke mit der Kennzeichnung "CCCP" wie nachstehend abgebildet
a) zu bedrucken oder bedrucken zu lassen,
b) anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder
c) das Zeichen im Geschäftsverkehr oder in der Werbung für Bekleidungsstücke zu benutzen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (OLG Hamburg GRUR-RR 2009, 22).
Mit der (vom Senat zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 30 Abs. 3 MarkenG verneint und zur Begründung ausgeführt:
Die Beklagte habe die Klagemarke nicht verletzt, weil sie die beanstandete Bezeichnung nicht markenmäßig benutzt habe. Dem Aufdruck des Kürzels "CCCP" mit Hammer-und-Sichel-Symbol entnehme der Verkehr keinen Herkunftshinweis. Der durchschnittlich informierte verständige Verbraucher werde die Bedeutung von "CCCP" mit vorangestelltem Hammer-und-Sichel-Symbol als ursprünglich staatliches Symbol der UdSSR aufgrund der langjährigen und intensiven Benutzung erkennen. Hierzu trage auch der rege Handel mit Produkten und staatlichen Symbolen des früheren Ostblocks bei. Dass der Verkehr trotz der ihm bekannten Bedeutung als staatliches Hoheitssymbol das beanstandete Motiv als Marke ansehe, sei nicht ersichtlich. Dem Verkehr sei bekannt, dass auf der Vorderseite von T-Shirts nicht nur Marken, sondern auch Botschaften in Form von Sprüchen, Bekenntnissen oder Verballhornungen von Symbolen gezeigt würden. Im Interesse der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit müsse das Tatbestandsmerkmal der markenmäßigen Benutzung ohnehin einschränkend ausgelegt werden.
Eine Verwechslungsgefahr i.S. von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sei ebenfalls nicht gegeben. Zwischen der Klagemarke "CCCP" und dem zusammengesetzten Zeichen bestehe keine für eine Verwechslungsgefahr hinreichende Zeichenähnlichkeit.
II. Die Revision ist nicht begründet.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Unterlassungsantrag hinreichend bestimmt ist.
a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag - und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung - nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, der Beklagte sich deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist. Der Mangel der Bestimmtheit des Klageantrags ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (BGHZ 144, 255, 263 - Abgasemissionen).
b) Nach dem Unterlassungsantrag soll der Beklagten untersagt werden, Bekleidungsstücke mit der Kennzeichnung "CCCP" zu versehen, anzubieten oder in Verkehr zu bringen oder das Zeichen im Geschäftsverkehr zu benutzen. Ob die Beklagte die angegriffene Bezeichnung als Kennzeichen benutzt, ist zwischen den Parteien aber gerade umstritten. Dies ist vorliegend jedoch unschädlich, weil die Klägerin den Unterlassungsantrag - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - auf die konkrete Verletzungsform beschränkt hat (vgl. BGHZ 156, 126, 131 f. - Farbmarkenverletzung I).
2. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 30 Abs. 3 MarkenG nicht zu.
Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die beanstandete Bezeichnung nicht markenmäßig verwandt hat.
a) Eine Verletzungshandlung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG kann grundsätzlich nur angenommen werden, wenn die angegriffene Bezeichnung markenmäßig verwendet wird. Eine markenmäßige Benutzung oder - was dem entspricht - eine Verwendung als Marke setzt voraus, dass die Bezeichnung im Rahmen des Produkt- oder Leistungsabsatzes jedenfalls auch der Unterscheidung der Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen dient (vgl. EuGH, Urt. v. 12.11.2002 - C-206/01, Slg. 2002, I-10273 = GRUR 2003, 55 Tz. 51 ff. - Arsenal Football Club; BGH, Urt. v. 30.4.2008 - I ZR 123/05, GRUR 2008, 793 Tz. 15 = WRP 2008, 1196 - Rillenkoffer). Die Rechte aus der Marke nach der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, deren Anwendung das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr voraussetzt, sind daher auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Hauptfunktion, das heißt die Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung gegenüber dem Verbraucher, beeinträchtigt oder immerhin beeinträchtigen könnte (zu Art. 5 Abs. 1 lit. b MarkenRL EuGH, Urt. v. 12.6.2008 - C-533/06, Slg. 2008, I-4231 = GRUR 2008, 698 Tz. 57 - O 2 /Hutchison; Urt. v. 18.6.2009 - C-487/07, GRUR 2009, 756 Tz. 59 = WRP 2009, 930 - L'Oréal/Bellure; zu § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG BGHZ 171, 89 Tz. 22 - Pralinenform; BGH, Urt. v. 5.2.2009 - I ZR 167/06, GRUR 2009, 484 Tz. 60 = WRP 2009, 616 - METROBUS).
b) Die Beurteilung, ob eine Bezeichnung vom Verkehr als Herkunftshinweis verstanden wird, obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter (BGH, Urt. v. 3.2.2005 - I ZR 45/03, GRUR 2005, 414, 415 = WRP 2005, 610 - Russisches Schaumgebäck). Dem Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung kein Rechtsfehler unterlaufen.
aa) Das Berufungsgericht hat eine markenmäßige Verwendung mit der Begründung verneint, der Verkehr entnehme dem Kürzel "CCCP" mit Hammer-und-Sichel-Symbol keinen Herkunftshinweis. Der durchschnittlich informierte und verständige, angemessen aufmerksame Verbraucher werde die Bedeutung des von der Beklagten verwandten Motivs erkennen und es nicht als Produktkennzeichen ansehen.
bb) Die Revision macht dagegen geltend, die Wahrnehmung des Zeichens als produktbezogener Herkunftshinweis setze nicht voraus, dass der Verkehr von einem Wandel der ursprünglichen Bedeutung zu einem markenmäßigen Herkunftshinweis ausgehe. Die Klägerin habe deshalb hierzu auch nichts vortragen müssen. Ausreichend sei vielmehr, dass der Verkehr die angegriffene Bezeichnung als Herkunftshinweis auf einen bestimmten Betrieb auffasse, weil die Angabe nach Art einer Marke auf der Ware herausgestellt oder die Aufmerksamkeit vorrangig auf sie gerichtet sei. Davon sei vorliegend bei dem großflächigen Aufdruck auf der Brustseite von T-Shirts, Sweatshirts oder Pullovern auszugehen. Wegen der Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem in Rede stehenden Warensektor dränge sich dem Verkehr im vorliegenden Fall der Schluss auf, dass das Zeichen "CCCP" mit Hammer-und-Sichel-Symbol nach Art einer Marke verwendet werde. Dem kann nicht beigetreten werden.
cc) Das Berufungsgericht hat zutreffend auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor abgestellt (vgl. BGH, Urt. v. 22.7.2004 - I ZR 204/01, GRUR 2004, 865, 866 = WRP 2004, 1281 - Mustang), in dem der Verkehr in unterschiedlicher Größe angebrachte Aufdrucke markenrechtlich geschützter Zeichen auf der Vorderseite von Bekleidungsstücken vorfindet. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf der Vorderseite eines Bekleidungsstücks angebrachtes Motiv als produktbezogenen Hinweis auf die Herkunft oder als bloßes dekoratives Element auffasst, kann jedoch nach der Art und der Platzierung des Motivs variieren. Denn anders als bei eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken (hierzu BGH, Beschl. v. 24.4.2008 - I ZB 21/06, GRUR 2008, 1093 Tz. 22 = WRP 2008, 1428 - Marlene-Dietrich-Bildnis I) geht der Verkehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei Wörtern und Symbolen, die auf der Vorderseite von Bekleidungsstücken angebracht sind, nicht generell davon aus, es handele sich um einen Herkunftshinweis. Ob dies der Fall ist, bedarf vielmehr einer Beurteilung im jeweiligen Einzelfall. Der Verkehr wird Zeichen, die ihm als Produkthinweis für Bekleidungsstücke bekannt sind, ebenfalls als Herkunftshinweis auffassen, auch wenn sie auf der Außenseite der Kleidung angebracht sind (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.2000 - I ZR 21/98, GRUR 2001, 158, 160 = WRP 2001, 44 - Drei-Streifen-Kennzeichnung). Zeichen, die dem Verkehr, wenn auch in anderem Zusammenhang bekannt sind, wird er häufig ebenso als Kennzeichen ansehen (vgl. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 258, 260). Entsprechendes gilt für Phantasiebezeichnungen oder Bildzeichen, wie sie vielfach von Unternehmen zur Kennzeichnung von Bekleidungsstücken außen auf der Kleidung verwandt werden. Diese Maßstäbe lassen sich auf die angegriffene Bezeichnung aber nicht übertragen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Verkehr den Wortbestandteil "CCCP" jedenfalls im Zusammenhang mit dem Hammer-und-Sichel-Symbol als Abkürzung der kyrillischen Schreibweise der früheren Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken erkennt. Der durchschnittlich informierte situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher hat danach bei der Wiedergabe auf der Vorderseite von Bekleidungsstücken keine Veranlassung, der Bezeichnung statt dieser ihm bekannten Bedeutung nunmehr auch einen Herkunftshinweis zu entnehmen. Aber selbst diejenigen Teile des angesprochenen Publikums, die die Bedeutung der Buchstabenfolge "CCCP" nicht kennen, haben keine Veranlassung, in der angegriffenen Bezeichnung in Kombination mit dem Hammer-und-Sichel-Symbol mehr als ein dekoratives Element zu sehen.
Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die von der Klägerin in Bezug genommene Medienberichterstattung über die Verwendung staatlicher Symbole des ehemaligen Ostblocks für Markenanmeldungen keinen Anhalt für eine Änderung des Verkehrsverständnisses ergeben hat.
Entgegen der Ansicht der Revision kommt es nicht darauf an, dass das Berufungsgericht in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die isolierte Verwendung der Bezeichnung "CCCP" auf Bekleidungsstücken verboten hat. Die Beklagte hat die Buchstabenfolge nur im Zusammenhang mit dem Hammer-und-Sichel-Symbol verwendet. Dementsprechend beschränkt sich der im Hauptsacheverfahren gestellte Antrag auf diese Verletzungsform. Jedenfalls in dieser Kombination fasst der Verkehr den beanstandeten Aufdruck auf T-Shirts nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht als Herkunftshinweis auf.
Das Berufungsgericht konnte die Feststellungen zum Verkehrsverständnis selbst treffen, weil die Richter zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2006 - I ZR 110/03, GRUR 2006, 937 Tz. 27 = WRP 2006, 1133 - Ichthyol II). Der Einholung eines Verkehrsgutachtens hierzu bedurfte es entgegen der Rüge der Revision auch nicht im Hinblick darauf, dass das Berufungsgericht für die isolierte Verwendung der Bezeichnung "CCCP" eine markenmäßige Verwendung in einem anderen Verfahren bejaht hat. Davon unterscheidet sich das vorliegende Verfahren dadurch, dass der Verbraucher durch das Hammer-und-Sichel-Symbol in besonderem Maße auf die hinter dem Buchstabenkürzel stehende Bedeutung hingelenkt wird.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann Kirchhoff
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065731
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BGH
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3. Zivilsenat
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20100624
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III ZR 245/09
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Beschluss
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§ 276 BGB, § 280 BGB, § 328 BGB
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vorgehend OLG München, 15. September 2009, Az: 13 U 1724/06, Urteil vorgehend BGH, 6. März 2008, Az: III ZR 256/06, Urteil vorgehend BGH, 20. Dezember 2007, Az: III ZR 256/06, Beschluss vorgehend OLG München, 10. Oktober 2006, Az: 13 U 1724/06, Urteil vorgehend LG München I, 26. Oktober 2005, Az: 29 O 15277/04
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DEU
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Prospekthaftung des Hintermanns oder Initiators
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. September 2009 - 13 U 1724/06 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: bis 65.000 Euro.
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Das Berufungsgericht hat unter Heranziehung der Grundsätze des in dieser Sache ergangenen Senatsurteils vom 6. März 2008 (III ZR 256/06 - juris und BeckRS 2008, 05037) und des in ihm in Bezug genommenen Senatsurteils vom 14. Juni 2007 (III ZR 125/06 - WM 2007, 1503, 1505 f Rn. 17-22) die erhobenen Beweise dahin gewürdigt, dass die Beklagte im Hinblick auf die Herstellung des Verkaufsprospekts und die wirtschaftliche Initiierung des Projekts einen - sich aus dem Prospekt und bei der Vermittlung der Anleger nicht unmittelbar ergebenden - bestimmenden Einfluss genommen hat, der ihre Prospektverantwortlichkeit und, da der Prospekt nur unzureichende Hinweise auf ein Totalverlustrisiko enthält, eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Klägerin nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinn begründet.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet, weil die Zulassungsvoraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
1. Die Beschwerde hält die Zulassung der Revision zur Rechtsfortbildung für erforderlich, weil es an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe fehle, unter welchen Voraussetzungen eine Prospektverantwortlichkeit wegen einer sogenannten Hintermanneigenschaft zu bejahen sei, wenn zwischen der Fondsgesellschaft und dem angeblichen Hintermann keine gesellschaftsrechtlichen Verbindungen bestünden und der angebliche Hintermann auch keine Geschäftsführerstellung bei der Fondsgesellschaft innehabe, sondern ausschließlich auf der Grundlage von Dienstleistungsverträgen für die Fondsgesellschaft und die - eigentliche - Prospektherausgeberin tätig werde.
Diese Frage entzieht sich einer abstrakten Klärung. Ob jemandem bei der Initiierung eines in Frage stehenden Projekts wegen der von ihm wahrgenommenen Schlüsselfunktionen die Stellung eines Hintermannes oder eines - für bestimmte Bereiche des Projekts verantwortlichen - Mitinitiators zukommt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter festzustellen und zu gewichten hat (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni 2007 - III ZR 125/06 - aaO S. 1505 Rn. 19). Fehlt es - wie hier - an gesellschaftsrechtlichen Verbindungen, kann eine entsprechende Einflussnahme auch auf tatsächlichen Verhältnissen beruhen, wobei der Tatrichter zu prüfen hat, welche Schlüsse er aufgrund einer Regelung wechselseitiger Pflichten aus Dienstleistungsverträgen zu ziehen hat. Hierfür lassen sich in einem Revisionsverfahren keine allgemein gültigen Kriterien formulieren.
2. Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
a) Zu Unrecht sieht die Beschwerde einen symptomatischen Fehler des Berufungsgerichts darin, dass es im Rahmen seiner Beweiswürdigung besonderes Gewicht auf den maßgeblichen Einfluss der Beklagten auf die Erstellung des Prospektinhalts gelegt hat. Vielmehr befasst sich das Berufungsgericht insoweit, ohne sich mit dem in dieser Sache ergangenen Senatsurteil in Widerspruch zu setzen, mit einem wesentlichen Gesichtspunkt, der im Rahmen einer Mitinitiatoreneigenschaft für den vom Senat für erforderlich gehaltenen bestimmenden Einfluss auf die Initiierung des Projekts von Bedeutung ist. Dass den Arbeiten der Beklagten ein Dienstleistungsvertrag mit der V. GmbH zugrunde lag, hat das Berufungsgericht gesehen. Wenn es aufgrund einer – willkürfreien und die Rechte der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG wahrenden - Würdigung der Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe bestimmenden Einfluss gehabt, ist dies revisionsrechtlich hinzunehmen. Dass die Beklagte eine andere Würdigung der Beweisaufnahme für richtig hält und dass die Beweise möglicherweise auch in anderer Weise hätten gewürdigt werden können, ist zulassungsrechtlich nicht beachtlich.
b) Die Revision ist ferner nicht im Hinblick auf den Umstand zuzulassen, dass das Berufungsgericht im Rahmen der Würdigung der Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen auch deren Angaben berücksichtigt hat, die sich aus ihm vorgelegten und den Parteien bekannten Vernehmungsniederschriften in Parallelverfahren mit dem im wesentlichen selben Beweisthema ergaben. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.
3. Auch im Übrigen sind keine zulassungsrelevanten Rechtsfehler erkennbar. Von einer näheren Begründung wird insoweit nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
Schlick Dörr Wöstmann
Seiters Tombrink
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065732
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BGH
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3. Zivilsenat
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20100624
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III ZR 262/09
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Beschluss
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§ 276 BGB, § 280 BGB, § 328 BGB
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vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 7. Oktober 2009, Az: 7 U 176/05, Urteil vorgehend BGH, 22. November 2007, Az: III ZR 210/06, Urteil vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. August 2006, Az: 7 U 176/05, Urteil vorgehend LG Potsdam, 2. September 2005, Az: 1 O 728/02
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DEU
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Prospekthaftung des Hintermanns oder Initiators
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Auf die Beschwerde der Beklagten zu 5 wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2009 - 7 U 176/05 - zugelassen.
Auf das Rechtsmittel der Beklagten zu 5 wird das genannte Urteil insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil und über die den Kläger zu 6 und die Beklagte zu 5 treffenden Kosten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsrechtszüge, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 102.258,38 Euro.
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I.
Der Kläger zu 6 zeichnete am 4. November 2000 - unter Einschaltung der D. GmbH, der früheren Beklagten zu 6, als Treuhänderin - eine Kommanditeinlage von 200.000 DM an dem Filmfonds V. Dritte KG, der früheren Beklagten zu 1 (im Folgenden Fondsgesellschaft). Die Fondsgesellschaft geriet im Jahr 2002 im Zusammenhang mit der Insolvenz der T. GmbH, der Produktionsdienstleisterin der V. und V. -Fondsgesellschaften, in eine wirtschaftliche Schieflage. Es stellte sich heraus, dass an die Produktionsdienstleisterin überwiesene Gelder nicht zurückzuerlangen waren und Erlösausfallversicherungen für aufgenommene Produktionen nicht abgeschlossen waren. In der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Fondsgesellschaft vom 5. September 2002 stimmten die Gesellschafter für ein Vergleichsangebot des britischen Versicherungsunternehmens R. , das eine Freistellung des Versicherers von allen tatsächlich und möglicherweise bestehenden Ansprüchen gegen Zahlung von 6,171 Mio. Euro für vier verschiedene Fonds, darunter die Fondsgesellschaft, vorsah. Im Zuge der genannten Schwierigkeiten wurde in die Fondsgesellschaft anstelle der Beklagten zu 2 eine neue Komplementärin, die V. GmbH, aufgenommen.
Wegen behaupteter Mängel des Prospekts begehrten in der ersten Instanz insgesamt 17 Kläger Zug um Zug gegen Abtretung aller Ansprüche aus ihrer Beteiligung Rückzahlung der von ihnen eingezahlten Beträge nebst Zinsen. Insoweit nahmen sie die Herausgeberin des Prospekts, die Beklagte zu 7, die Fondsgesellschaft (Beklagte zu 1), deren frühere Komplementärin (Beklagte zu 2) und den Beklagten zu 3 als Gründungskommanditisten der Beklagten zu 1 und geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten zu 2 in Anspruch. Sie hielten auch den Beklagten zu 4, Geschäftsführer der Prospektherausgeberin, aufgrund seiner im Prospekt herausgestellten Sachkenntnis und die Beklagte zu 5 - Tochtergesellschaft einer international tätigen Großbank - als (Mit-)Initiatorin und Hintermann für prospektverantwortlich. Diese war von der Fondsgesellschaft mit der Beratung bei der Auswahl und Heranziehung potentieller Vertragspartner und der Optimierung des gesamten Vertragswerks sowie der gesamten Koordination des Eigenkapitalvertriebs und von der Beklagten zu 7, der Herausgeberin des Prospekts, mit der Erstellung eines Prospektentwurfs beauftragt worden und nahm als Einzahlungstreuhänderin für die Fondsgesellschaft die Gelder der Anleger entgegen. Schließlich hielten die Kläger die Beklagte zu 6 als Treuhandkommanditistin aufgrund eigener Prüfungspflicht für die Abläufe in der Fondsgesellschaft für verantwortlich.
Das Landgericht hat die Klagen insgesamt abgewiesen. In der Berufungsinstanz haben nur noch der Kläger zu 6 gegen die Beklagten zu 2 bis 5 und 7 und der Kläger zu 8 gegen die Beklagte zu 5 ihre Klagen weiterverfolgt. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen zurückgewiesen. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Klägers zu 6 durch Urteil vom 22. November 2007 (III ZR 210/06 - juris und BeckRS 2008, 00230) aufgehoben, soweit die Klage des Klägers zu 6 gegen die Beklagten zu 2 bis 5 und 7 abgewiesen worden ist. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das Oberlandesgericht der Klage des Klägers zu 6 (im Folgenden: Kläger) auf Zahlung von 102.258,38 Euro nebst Zinsen entsprochen. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beklagte zu 5 (im Folgenden: Beklagte) die Zulassung der Revision.
II.
Die Beschwerde der Beklagten ist begründet. Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen.
1. Das Berufungsgericht, das gegenüber der Beklagten nach Lage der Akten entschieden hat, ist der Auffassung, dass die Beklagte als (Mit-)Initiator beziehungsweise Hintermann für den im laufenden Verfahren festgestellten Prospektfehler (vgl. Senatsurteil vom 22. November 2007 aaO Rn. 8; eingehend hierzu Senatsurteil vom 14. Juni 2007 - III ZR 125/06 - WM 2007, 1503, 1504 f Rn. 14 f) verantwortlich sei. Zwar reichten die Prospektangaben für die Annahme einer solchen Haftung nicht aus. Sie ergebe sich aber aus weiteren Umständen, die der Beklagten zuzurechnen seien. Der Kläger habe vorgetragen, vor seiner Beteiligung über seinen Steuerberater ein Anschreiben des Bankhauses L. erhalten zu haben, in dem es bezogen auf den Filmproduktionsfonds heiße, das Konzept zeichne sich durch eine "hervorragende Bonität des Initiators (die I. ist eine der weltweit führenden Banken- und Versicherungsgruppen)" aus, und dem eine von der Beklagten herrührende Kurzübersicht über die Beteiligung beigefügt gewesen sei. Angesichts der Schreiben der Beklagten vom 29. Juni 2000 und 3. Juli 2000, in denen von dem "von uns aufgelegte(n) Filmfonds" die Rede sei, sei für die Entscheidung zugrunde zu legen, dass auch das Anschreiben des Bankhauses L. mit Wissen und Wollen der Beklagten geschehen sei. Nach allem habe sich die Beklagte als "Initiator" des Fonds bezeichnet und Aktivitäten entfaltet, die ihre Prospektverantwortlichkeit begründeten. Der Kläger habe seine Anlageentscheidung getroffen, nachdem ihm zuvor die "hervorragende Bonität" der Beklagten als "Initiator des Konzepts" zur Kenntnis gebracht worden sei. Dass die Beklagte den Erhalt des Anschreibens des Bankhauses L. mit Schriftsatz vom 30. Juni 2009 bestritten habe, sei nach §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen, da sie die ihr mit Beschluss vom 5. November 2008 gesetzte Frist nicht beachtet habe.
2. Diese Beurteilung hält den Rügen der Beschwerde nicht stand und verletzt in einem entscheidenden Punkt die Rechte der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) In seinem ersten Revisionsurteil (III ZR 210/06 aaO Rn. 11) hat der Senat wegen der in den Vorinstanzen noch nicht behandelten Frage einer möglichen Prospektverantwortlichkeit der Beklagten als (Mit-)Initiator oder Hintermann auf seine Urteile vom 14. Juni 2007 (III ZR 125/06 aaO S. 1505 f Rn. 17-22; III ZR 185/05 - NJW-RR 2007, 1479 f Rn. 9-13) Bezug genommen. In diesen und weiteren Urteilen hat der Senat zum einen befunden, dass die Beklagte im Rahmen dieser Fondsbeteiligung mit verschiedenen Aufgaben betraut gewesen sei, die auf eine erhebliche Einwirkung in tatsächlicher Hinsicht hinwiesen, dass zum anderen aber aus der Schilderung der Einbindung der Beklagten in das Projekt kein Vertrauen der Anleger begründet werde, sie stünde für die Richtigkeit aller oder auch nur bestimmter Prospektaussagen ein. Da es im Prospekt an eigenen Erklärungen der Beklagten fehle, komme ihre Prospektverantwortlichkeit nur in Betracht, wenn sie in eigener Verantwortlichkeit wichtige Schlüsselfunktionen bei der Gestaltung des konkreten Projekts wahrgenommen habe (Urteile vom 28. Februar 2008 - III ZR 149/07 - juris und BeckRS 2008, 04773 Rn. 15 f; vom 6. März 2008 - III ZR 298/05 - NJW-RR 2008, 1365, 1367 f Rn. 17, 19; III ZR 256/06 - juris und BeckRS 2008, 05037 Rn. 15 f). In jüngeren Entscheidungen hat er es revisionsrechtlich gebilligt, wenn der Tatrichter den vom Senat für eine Stellung und Verantwortung als (Mit-)Initiator erforderlich gehaltenen bestimmenden Einfluss auf die Initiierung des Projekts in einem maßgeblichen Einfluss auf die Erstellung des Prospektinhalts gesehen hat (vgl. Beschlüsse vom 19. Februar 2009 - III ZR 154/08 - juris und BeckRS 2009, 08039 Rn. 2; vom 20. Mai 2010 - III ZR 137/09 - juris und BeckRS 2010, 14038 Rn. 1, 6).
b) Das Berufungsgericht geht im Anschluss an die Senatsurteile vom 14. Juni 2007 im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass den Prospektangaben für sich genommen keine Prospektverantwortlichkeit der Beklagten zu entnehmen ist. Es ist daher der Auffassung, dass weitere Gesichtspunkte für eine solche Haftung hinzukommen müssen. Soweit es sich dabei auf eigene Erklärungen oder Aktivitäten der Beklagten als (Mit-)Initiator oder Hintermann beziehungsweise auf Kenntnisse des Anlegers bezieht, sind seine Ausführungen jedoch von Rechtsfehlern beeinflusst. Zudem setzt sich das Berufungsgericht bei seiner Würdigung über das Vorbringen der Beklagten in einer deren Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise hinweg.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haften als so genannte Hintermänner alle Personen, die hinter der Gesellschaft stehen und auf ihr Geschäftsgebaren oder die Gestaltung des konkreten Modells besonderen Einfluss ausüben und deshalb Mitverantwortung tragen. Dabei kommt es bei der sog. Prospekthaftung im engeren Sinne - um die es hier allein geht - nicht darauf an, ob sie in dieser Einflussnahme nach außen in Erscheinung getreten sind oder nicht. Anknüpfungspunkt für die Haftung ist, da vertragliche oder persönliche vorvertragliche Beziehungen zur Anbahnung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Anleger und diesem Personenkreis nicht zustande kommen, dessen Einfluss auf die Gesellschaft bei der Initiierung des in Frage stehenden Projekts (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni 2007 - III ZR 125/06 - aaO S. 1505 Rn. 19 m.w.N.). Ebenso wenig kommt es, was das Berufungsgericht verkannt hat, darauf an, ob der Anleger um die Initiatoreneigenschaft der in Anspruch genommenen Person wusste und ob diese Initiatoreneigenschaft bei seiner Anlageentscheidung irgendeine Rolle spielte. Kausalitätserwägungen sind nur hinsichtlich der Frage anzustellen, ob der vorliegende Prospektfehler, für den der Initiator oder Hintermann einzustehen hat, die Anlageentscheidung beeinflusst hat.
bb) Ungeachtet dessen ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, dass bei der Beurteilung, ob die Beklagte Initiator des Fonds sei, dem Schreiben des Bankhauses L. eine wesentliche Indizwirkung zukommen könnte. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht näher begründet, weshalb seiner Entscheidung "zugrunde zu legen" ist, dass die Versendung dieses Anschreibens mit Wissen und Wollen der Beklagten geschehen sei. Soweit es sich dabei auf die Schreiben der Beklagten vom 29. Juni 2000 und 3. Juli 2000 bezieht, ist ein Zusammenhang mit dem Anschreiben des Bankhauses Lampe nicht ersichtlich. Denn die Schreiben sind an den Beklagten zu 4 als Geschäftsführer der S. GmbH und zugleich der Beklagten zu 7, der eigentlichen Prospektherausgeberin, gerichtet und müssten daher zunächst einmal aus der Sicht des Adressaten interpretiert werden. Mit der vom Beklagten zu 4 vertretenen Beklagten zu 7 bestand aber gerade ein Vertragsverhältnis, nach welchem die Beklagte nur einen Prospektentwurf zu erstellen hatte, so dass der Bedeutungsinhalt dieser Schreiben entsprechend zu relativieren wäre. Bezogen auf das Schreiben des Bankhauses L. hatte die Beklagte in erster und zweiter Instanz unter Beweisantritt vorgetragen, es sei ohne Kenntnis und Zustimmung der Beklagten versandt worden und das Bankhaus sei nicht bevollmächtigt gewesen, Erklärungen für die Beklagte abzugeben. Dieses Vorbringen und den damit verbundenen - bloß vorsorglichen, weil die Beweislast für Umstände, aus denen sich eine Prospekthaftung der Beklagten ergeben soll, der Kläger trägt - Beweisantritt hat das Berufungsgericht ersichtlich nicht zur Kenntnis genommen.
c) Zur Aktenlageentscheidung rügt die Beschwerde mit Recht, dass das Berufungsgericht auf den rechtzeitig gestellten Antrag der Beklagten vom 22. September 2009 verpflichtet war, nach § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen. Denn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat durch seine anwaltliche Versicherung, die das Berufungsgericht gänzlich unerwähnt lässt, glaubhaft gemacht, dass er den am 1. Juli 2009 anberaumten Termin wegen einer Überbuchung des Flugzeugs und eines Fieberanfalls auf dem Flughafen, der ihn außer Stande setzte, eine Flugmöglichkeit bei einer anderen Fluggesellschaft zu buchen, ohne sein Verschulden nicht wahrnehmen konnte. Die Beschwerde rügt weiter mit Recht, dass das Vorbringen der Beklagten nicht nach § 530 in Verbindung mit § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden durfte. Das Berufungsgericht hatte zwar mit Beschluss vom 5. November 2008 Gelegenheit gegeben, zu dem neuen Vorbringen des Klägers bis zum 5. Dezember 2008 Stellung zu nehmen, dieser mit Empfangsbekenntnis zugestellte Beschluss ist der Beklagten jedoch nicht zugegangen, so dass es an einer wirksamen Fristsetzung im Sinne des § 521 Abs. 2 ZPO fehlt. Vielmehr sind die Prozessbevollmächtigten mehrerer Parteien, die am Verfahren nicht mehr beteiligt waren, nicht aber der Prozessbevollmächtigte der Beklagten von diesem Beschluss in Kenntnis gesetzt worden.
Ob in dieser prozessordnungswidrigen Verfahrensweise ein (weiterer) entscheidungserheblicher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu sehen ist, kann offen bleiben, da das Berufungsgericht bereits dadurch das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt hat, dass es das unter b, bb angeführte Vorbringen unberücksichtigt gelassen hat.
d) Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, mit der Zulassung der Revision zugleich das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO).
Schlick Dörr Wöstmann
Seiters Tombrink
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100065734
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BGH
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3. Zivilsenat
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20100624
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III ZR 48/10
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Beschluss
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§ 116 S 1 Nr 2 ZPO
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vorgehend OLG München, 10. Februar 2010, Az: 7 U 1629/09, Urteil vorgehend LG München I, 25. November 2008, Az: 3 O 8701/04
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DEU
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Prozesskostenhilfe für die Zahlungsklage einer eingestellten GmbH
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Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2010 - 7 U 1629/09 - wird zurückgewiesen.
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1. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt nicht in Betracht. Dass der Klägerin durch Beschluss des Registergerichts vom 6. Oktober 2008 ein Notgeschäftsführer mit dem Wirkungskreis ihrer Vertretung im anhängigen Rechtsstreit und zur Feststellung ihrer Steuerverbindlichkeiten und zu deren Ausgleich bestellt worden ist, macht diesen nicht zur Partei kraft Amtes, die nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beanspruchen könnte.
2. Nach § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO kann einer inländischen juristischen Person Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
Die Unterlassung der Durchführung der Rechtsverfolgung läuft allgemeinen Interessen regelmäßig nur dann zuwider, wenn es sich um eine Entscheidung handelt, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspricht und soziale Wirkungen nach sich ziehen kann (vgl. nur BGHZ 25, 183, 185; BGH, Beschlüsse vom 5. November 1985 - X ZR 23/85 - NJW 1986, 2058, 2059; 20. Dezember 1989 - VIII ZR 139/89 - NJW-RR 1990, 474). Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Partei anderenfalls gehindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, oder wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer ein allgemeines Interesse besteht (BGHZ 25, 183, 184 f; BT-Drucks. 8/3068, S. 26 f). Gegebenenfalls kann auch genügen, wenn der wirtschaftliche Gegenwert einer Forderung, deren Realisierung die Befriedigung einer Vielzahl von Gläubigern des Forderungsinhabers ermöglichen würde, deren Interessen an der Durchsetzung der Forderung sich aber nur mit Schwierigkeiten bündeln ließen, anderenfalls beim Schuldner verbliebe (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1990 - VIII ZR 87/90 - NJW 1991, 703; siehe auch Beschluss vom 5. November 1985, aaO). Demgegenüber reicht das allgemeine Interesse an einer richtigen Entscheidung eines Prozesses grundsätzlich ebenso wenig aus wie der Umstand, dass im Rahmen eines Revisionsverfahrens Rechtsfragen von allgemeinem Interesse zu beantworten wären (BGHZ 25, 183, 185; Beschluss vom 20. Dezember 1989, aaO; Senatsbeschluss vom 20. Mai 2010 - III ZR 56/10 - BeckRS 2010, 14151 Rn. 2).
Vor diesem Hintergrund kann der Klägerin Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden. Sie hat Ende des Jahres 2007 ihren Geschäftsbetrieb vollständig eingestellt, hat keine weiteren Einkünfte mehr und unterhält nach Angaben ihres Notgeschäftsführers keine Geschäftsräume, Büroeinrichtung oder Ähnliches mehr. Sie hat erhebliche Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt, dem Kassen- und Steueramt der Landeshauptstadt M., der Landesjustizkasse B. und der Rechtsanwaltsgesellschaft, die sie in erster Instanz vertreten hat. Mit der begehrten Zahlung sollen vornehmlich die genannten Verbindlichkeiten beglichen werden. Damit ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Ausgang des Verfahrens wirtschaftlich eine Vielzahl von Personen betrifft.
Schlick Dörr Herrmann
Hucke Tombrink
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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JURE100065737
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100518
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IX ZA 17/10
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Beschluss
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§ 114 ZPO, § 117 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO
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vorgehend LG Detmold, 12. Februar 2010, Az: 3 T 249/09, Beschluss vorgehend AG Detmold, 29. Juli 2009, Az: 10 IK 243/07
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DEU
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vertrauensschutz für bedürftige Partei trotz unvollständiger Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Prozesskostenhilfeantrag
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Der Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer III des Landgerichts Detmold vom 12. Februar 2010 wird abgelehnt.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 4 InsO, § 114 Satz 1 ZPO).
1. Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde des Schuldners ist statthaft (§§ 6, 7, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO), jedoch verfristet. Innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (§ 4 InsO, § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist keine Rechtsbeschwerde durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt (§ 4 InsO, § 575 Abs. 1 Satz 1, § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO) eingelegt worden.
2. Ein Gesuch des Schuldners auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde (§ 233 ZPO) verspricht keinen Erfolg.
a) Zwar wird einer Partei, welche nicht über die finanziellen Mittel zur Einlegung eines Rechtsmittels verfügt, auf Antrag Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist gewährt, wenn die Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist ein Prozesskostenhilfegesuch bei Gericht eingereicht und alles in ihren Kräften Stehende getan hat, damit über diesen Antrag ohne Verzögerung entschieden werden kann. Diesem Erfordernis ist jedoch nur genügt, wenn mit dem Prozesskostenhilfeantrag auch eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Partei nebst der erforderlichen Belege (§ 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO) vorgelegt wird (BGH, Beschl. v. 31. August 2005 - XII ZB 116/05, NJW-RR 2006, 140, 141; v. 13. April 2006 - IX ZA 3/06, FamRZ 2006, 1028 f; v. 6. Juli 2006 - IX ZA 10/06, FamRZ 2006, 1522, 1523; v. 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07, NJW-RR 2008, 942, 943 Rn. 10).
Da Prozesskostenhilfe nur gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen in der Person des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag vorliegen, ist die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich für jeden Rechtszug, in welchem Prozesskostenhilfe beantragt wird, gesondert vorzulegen. Entbehrlich ist eine gesonderte Vorlage der Erklärung nur dann, wenn der Antragsteller auf eine bereits früher vorgelegte Erklärung Bezug nimmt und dabei unmissverständlich mitteilt, dass seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seitdem unverändert geblieben sind (BGHZ 148, 66, 69; BGH, Beschl. v. 27. November 1996 - XII ZB 84/96, NJW 1997, 1078; v. 9. Februar 2005 - XII ZB 118/04, NJW 2005, 1194, 1195).
Weisen die Darlegungen des Antragstellers zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Lücken auf, so kann Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nur gewährt werden, wenn der Antragsteller darauf vertrauen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichend dargetan zu haben; dies kommt in Betracht, wenn die Lücken auf andere Weise geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa aufgrund der beigefügten Unterlagen (BGH, Beschl. v. 13. Februar 2008 aaO S. 943 Rn. 11; v. 19. November 2008 - IV ZB 38/08, NJW-RR 2009, 563, 564 Rn. 10).
b) Das Prozesskostenhilfegesuch des Schuldners ist zwar noch innerhalb der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde und damit rechtzeitig beim Bundesgerichtshof eingegangen, wegen der unzureichenden Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung sowie fehlender Belege kann über den Antrag jedoch nicht ohne weitere Darlegungen entschieden werden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist verspricht daher keine Aussicht auf Erfolg.
Der Schuldner hat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausreichend dargelegt, indem er lediglich die beglaubigte Kopie eines mit Datum vom 4. November 2009 ausgefüllten Vordrucks vorgelegt hat. Eine Erklärung, dass die dort angegebenen Verhältnisse zu dem gut fünf Monate später erfolgten Zeitpunkt des hier gegenständlichen Antrags unverändert fortbestehen, hat der Schuldner nicht abgegeben. Auch aus den vom Schuldner beigefügten Unterlagen lassen sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erschließen. Der vorgelegte Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 15. Juli 2009, eine Bescheinigung über seine gegenwärtig erzielten Einkünfte liegt nicht vor.
Kayser Raebel Vill
Lohmann Pape
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065738
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100624
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IX ZR 199/09
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Urteil
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§ 41 InsO, § 115 InsO, § 116 Abs 1 InsO, § 305c Abs 2 BGB
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vorgehend OLG Koblenz, 30. Oktober 2009, Az: 10 U 1118/08, Urteil vorgehend LG Mainz, 26. August 2008, Az: 6 O 71/07
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DEU
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Kautionsversicherungsvertrag: Rückzahlungsanspruch von für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlter Avalprovisionen
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. Oktober 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. April 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Er begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von Avalprovisionen, die die Schuldnerin für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt hat.
Die Beklagte gewährte der Schuldnerin im Rahmen eines Kautionsversicherungsvertrages vom 8. April 1994 eine Avalkreditlinie von zunächst 50 Mio. DM, die schließlich, nachdem sich die Beklagte an einem Sicherheitenpoolvertrag mit Banken und Kreditversicherern beteiligt hatte, auf 87.569.983 Euro erhöht wurde. Gemäß § 6 der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kautionsversicherung wurde die Prämie jeweils aus dem Avalbetrag vom Einbuchungs- bis zum Ausbuchungstag des Avals berechnet, und zwar zuletzt in Höhe von 1,1 % der jeweiligen Bürgschaftssumme. Sie wurde für ein Jahr im Voraus abgerechnet. Bei vorzeitiger Rückgabe oder Reduzierung des Avals waren überzahlte Prämien zu vergüten.
Für übernommene Bürgschaften wurden vor Insolvenzeröffnung von der Schuldnerin an die Beklagte Prämienzahlungen erbracht, von denen ein Betrag von 288.882,85 Euro auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung entfiel. Der Kläger begehrt Rückzahlung dieses Betrages. Die Beklagte rechnet hilfsweise mit Gegenforderungen auf.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Aufrechnung der Beklagten für nicht durchgreifend erachtet. Das Berufungsgericht hat schon die Klage abgewiesen (veröffentlicht in ZIP 2010, 440). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung; das Berufungsgericht hat noch über die Aufrechnung der Beklagten zu entscheiden.
I.
Das Berufungsgericht hat gemeint, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Teilrückzahlung der geleisteten Prämien nicht zu. Ob der Kautionsversicherungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag anzusehen sei, könne dahinstehen. Die Einräumung eines Avalrahmens durch die Beklagte sei jedenfalls mit der Insolvenzeröffnung beendet gewesen.
Ein Anspruch auf Erstattung derjenigen Prämienteile, welche die Insolvenzschuldnerin im Voraus für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezahlt gehabt habe, bestehe jedoch nicht. Aus § 6 der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kautionsversicherung ergebe sich, dass die Schuldnerin nur für die konkrete Übernahme einer Bürgschaft ein Entgelt in Form einer Prämie habe zahlen müssen. Dafür spreche, dass die Höhe der Prämie an der jeweiligen Bürgschaftssumme ausgerichtet, der Prämienbezug an die Laufzeit der jeweiligen Bürgschaft gekoppelt und bereits gezahlte Prämienanteile bei vorzeitiger Ausbuchung des Avals zurückzuerstatten gewesen seien. Hieraus ergebe sich, dass die Prämien nicht das Entgelt für den Rahmenvertrag, sondern für die konkrete Übernahme der einzelnen Bürgschaften habe darstellen sollen. Der Umstand, dass der Vertrag auf Regress angelegt sei, stehe dem nicht entgegen. Die Prämie decke Geschäftskosten und Gewinn, diene aber auch der Vorsorge für die übernommenen Risiken, weil eine vollständige Befriedigung der Regressansprüche eher die Ausnahme darstelle.
Anders als in dem vom Bundesgerichtshof am 18. Januar 2007 entschiedenen Fall (IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543) seien die Prämienansprüche vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgerechnet und bezahlt gewesen, so dass es auf die Frage, ob die Prämienansprüche hätten insolvenzfest gesichert werden können, nicht ankomme. Bezüglich der vor Verfahrenseröffnung übernommenen Bürgschaften liege eine von beiden Vertragsparteien erfüllte Teilleistung vor. Diese könne nur unter den Voraussetzungen der §§ 129 ff InsO zurückverlangt werden.
II.
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beklagte hat Prämien nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin ohne Rechtsgrund vereinnahmt.
1. Der zwischen der Beklagten und der Schuldnerin geschlossene Kautionsversicherungsvertrag ist rechtlich als Geschäftsbesorgungsvertrag zu qualifizieren. Er erlosch gemäß § 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zukunft ohne Einschränkung (BGHZ 168, 276, 279 Rn. 9 f; BGH, Urt. v. 18. Januar 2007 aaO S. 543 Rn. 7).
2. Die Prämien für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Beklagte ohne rechtlichen Grund erhalten, weil der Kautionsversicherungsvertrag ab diesem Zeitpunkt erloschen ist. Ab dem Zeitpunkt des Erlöschens des Vertrages konnte die Beklagte keine Rechte mehr gegen die Masse erlangen (BGHZ 168, 276, 279 Rn. 9).
3. Für die von der Schuldnerin bezahlten Prämien würde nur dann für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsgrund bestehen, wenn sie als Gegenleistung für die von der Beklagten eingeräumten einzelnen Avale bezahlt worden wären.
Die Beklagte hätte allerdings das Risiko, nach der Insolvenz des Versicherungsnehmers keine Prämie zu erhalten, durch Vereinbarung einer Einmalprämie für einzelne ausgereichte Bürgschaften vermeiden können (BGHZ 168, 276, 283 Rn 19; BGH, Urt. v. 18. Januar 2007 aaO S. 545 Rn. 18). Denn soweit der Geschäftsbesorger den Vertrag vor Insolvenzeröffnung erfüllt hat, muss der Verwalter dies für und gegen die Masse gelten lassen (BGHZ 168, 276, 281 Rn. 12). Soweit der Kautionsversicherer die Bürgschaft bereits übernommen hat, hat er seine Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer vollständig erbracht. Für eine vom Versicherungsnehmer vertragsgemäß erbrachte Gegenleistung besteht deshalb der rechtliche Grund fort. Dies gilt, wenn zwar nicht eine Einmalprämie bezahlt werden musste, wohl aber eine Prämie für eine bestimmte Zeit im Voraus, auch für diese Teilzahlung. Weitere Prämienansprüche für spätere Zeitabschnitte wären dann lediglich Insolvenzforderungen.
4. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die Avale von der Schuldnerin für die einzelnen von der Beklagten herausgegebenen Bürgschaften zu bezahlen waren.
a) Die seiner Auffassung zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten werden ersichtlich über den Bereich des Berufungsgerichts hinaus verwendet und können deshalb durch das Revisionsgericht selbst ausgelegt werden (BGHZ 163, 321, 323). Das Revisionsgericht ist nicht an die Auslegung des Berufungsgerichts gebunden.
b) Die Auslegung der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kautionsversicherung ergibt - entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Senats -, dass die von der Schuldnerin zu zahlenden Prämien zwar nach den konkret ausgereichten Avalbeträgen berechnet wurden, sich dies aber bei der gebotenen wertenden Betrachtung als Prämie für die Bereitstellung des zur Verfügung gestellten Avalrahmens für Kreditversicherungen darstellt. Die Prämienansprüche für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind danach bei Verfahrenseröffnung noch nicht begründet gewesen.
aa) § 6 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Kautionsversicherung ist nicht eindeutig. Die Bestimmung bringt nicht zum Ausdruck, dass die Prämie als Gegenleistung für die einzelnen Avale bezahlt wird. Vielmehr verhält sie sich zur Berechnung der Höhe der Prämie. Gemäß § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders.
bb) Danach hat die Beklagte der Schuldnerin nicht im Einzelfall Avale für Kautionsversicherungen zur Verfügung gestellt, sondern auf der Grundlage der Allgemeinen Bedingungen für die Kautionsversicherung einen Avalkredit in Höhe von zunächst 50 Mio. DM. Hierfür sollten anfangs die Prämien je nach Höhe der einzelnen in Anspruch genommenen Abschnitte 0,25 % oder 0,3 % im Jahr betragen, wobei die Mindestprämie pro Bürgschaftsurkunde und Abrechnungsperiode 50 DM betrug (Avalkreditzusage der Beklagten vom 8. April 1994). Die einzelnen Bürgschaften konnten in einem vereinfachten Verfahren abgerufen werden (Avalkreditzusage Seite 2).
Auch der Vertrag über die Fortschreibung des Sicherheitenpoolvertrages (Seite 3) geht davon aus, dass die beteiligten Banken und Versicherungen, auch die Beklagte, der Schuldnerin durch gesonderte Vereinbarungen jeweils Avalkreditrahmen zur Verfügung stellten.
Inhalt der vertraglichen Vereinbarung der Vertragsparteien war die Zurverfügungstellung eines Kredits gegen Entgelt, der in Teilbeträgen vereinfacht abgerufen werden konnte. Die Prämie wurde damit für den Kreditrahmen insgesamt geschuldet, wenn sich auch die jeweilige Höhe nach den ausgereichten Avalen berechnete.
cc) Prämienansprüche des Kautionsversicherers für die Zeit nach Insolvenzeröffnung lassen sich nicht damit rechtfertigen, er hafte als Bürge nach Beendigung des Valutaverhältnisses den Begünstigten gegenüber weiter und sei daher gezwungen für diese Position Risikovorsorge zu betreiben. Der Bundesgerichtshof hat das Argument von der Äquivalenz von Risikovorsorge und Prämienanspruch mit der Begründung als nicht durchgreifend angesehen, dass der Versicherungsvertrag auf Regress gegenüber dem Versicherungsnehmer angelegt ist und die laufende Versicherungsprämie für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens und die Abgabe der Bürgschaftserklärungen berechnet wird. Mit der Ausreichung der Bürgschaften vor Insolvenzeröffnung hat der Versicherer im Verhältnis zum Versicherungsnehmer (Schuldner) seine Leistungspflichten erfüllt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen und Erlöschen des Geschäftsbesorgungsvertrages ist die Verpflichtung zur Übernahme weiterer Bürgschaften entfallen. Die Aufrechterhaltung der von der Beklagten im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erteilten Bürgschaften folgt aus der bürgschaftsvertraglichen Verpflichtung der Beklagten gegenüber den Vertragspartnern der Schuldnerin, die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin nicht beendet worden ist (BGHZ 168, 276, 285). Damit beruht die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Bürgschaftshaftung des Versicherers im Verhältnis zum Schuldner auf der Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens vor Insolvenzeröffnung (BGHZ 168, 276, 281 Rn. 13 ff; Urt. v. 18. Januar 2007 aaO S. 544 Rn. 13 ff).
dd) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung gelten diese Grundsätze auch im Streitfall. Die von der Beklagten übernommene Kautionsversicherung ist ebenfalls auf einen Regress gegenüber der Schuldnerin angelegt.
Nach § 5 der Allgemeinen Bedingungen für die Kautionsversicherung hat sich die Schuldnerin unter anderem dazu verpflichtet, dem Versicherer die von ihm gezahlten Beträge nebst Kosten und Gebühren zurückzuerstatten und bis zur Zurückerstattung zu verzinsen. Auf Einreden und Einwendungen jeglicher Art musste die Schuldnerin gegenüber der Beklagten gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. b der Bedingungen verzichten. Es sollte dann ihre Sache sein, ob sie den Betrag nach erfolgter Zahlung an den Versicherer vom Empfänger der Bürgschaftsleistung zurückforderte.
Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist deshalb auch im Streitfall die laufende Prämie für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens bedungen, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin endete, so dass danach kein Prämienanspruch mehr entstehen konnte.
ee) Dem Berufungsgericht und der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die von der Schuldnerin für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens zu entrichtende Prämie - abgesehen von der stets geschuldeten Grundgebühr - an die Höhe der ausgereichten Bürgschaften anknüpft. In den von dem Senat bereits entschiedenen Fällen IX ZR 202/05 und IX ZR 228/08 war dies jedoch nicht anders. Schon dort hat der Senat entschieden, dass die verfeinerte Berechnungsweise der Versicherungsprämie dem Geschäftsbesorgungsvertrag nicht den Charakter eines auf Regress angelegten Vertrages nimmt. Dies verdeutlichen neben der scharfen Rückgriffshaftung, die sich auch auf den Ersatz der angefallenen Kosten erstreckt, die gestellten Sicherheiten nach dem fortgeschriebenen Sicherheitenpoolvertrag (BGH, Urt. v. 18. Januar 2007 aaO).
ff) Nach Erlöschen des Kautionsversicherungsvertrages war die Beklagte zwar gegenüber den Gläubigern der Bürgschaftsverträge an die bürgschaftsvertraglichen Verpflichtungen gebunden. Gemäß § 8 der Allgemeinen Bedingungen für die Kreditversicherung hatte sie jedoch gegen die Schuldnerin einen Anspruch, von der Haftung aus den Avalen befreit zu werden, und auf Hinterlegung einer Barsicherheit oder Zurverfügungstellung anderer genehmer Sicherheiten. Die Schuldnerin musste außerdem bis zur vollständigen Sicherheitsleistung oder der endgültigen Erledigung der Avale eine erhöhte Prämie entrichten (§ 8 Buchst. c der Allgemeinen Bedingungen). Der einzelne Bürgschaftsvertrag gegenüber dem Kunden der Schuldnerin sollte also keineswegs nach Erlöschen des Kautionsversicherungsvertrages weiter ungestört fortgeführt werden, sondern musste auf Verlangen der Beklagten abgewickelt und beendet werden.
gg) Die laufenden Prämienzahlungen, die von etwaigen nicht streitgegenständlichen Regressforderungen des Versicherers zu unterscheiden sind, stellen sich deshalb auch im Streitfall als Gegenleistung dafür dar, dass für den Versicherungsnehmer abrufbare Sicherheiten bereitgehalten wurden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen gegenüber dem vom Senat im Urteil vom 18. Januar 2007 entschiedenen Fall keine erheblichen Unterschiede vor. Denn auch in jener Entscheidung hat der Senat - allerdings bezogen auf die Sicherbarkeit der Ansprüche - darauf abgestellt, dass die Forderungen auf Prämienzahlung noch nicht vor Verfahrenseröffnung begründet waren (Urteil vom 18. Januar 2007 aaO S. 544 Rn. 14 ff).
hh) Schließlich handelte es sich bei den Prämienansprüchen der Beklagten für den Berechnungszeitraum nach Verfahrenseröffnung nicht nur um betagte (noch nicht fällige) Forderungen im Sinne von § 41 InsO. Die Forderungen waren vielmehr abhängig von dem Fortbestand des Geschäftsbesorgungsvertrages, für den die Prämien zu zahlen waren.
§ 41 InsO erfasst aber nur betagte Forderungen. Eine Analogie für befristete und bedingte Forderungen ist nicht möglich, weil es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. § 41 InsO will nur dem Mangel an Fälligkeit einer sicheren Forderung abhelfen, nicht aber dem Mangel an der Entstehung einer sicheren Forderung (BGHZ 168, 276, 283 f Rn. 21).
III.
Der Rechtsstreit ist jedoch noch nicht zur Endentscheidung reif. Er ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit dem zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten zu befassen haben.
Ganter Raebel Vill
Lohmann Pape
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BMJV
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JURE100065743
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100617
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IX ZB 37/10
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Beschluss
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§ 4 InsO, § 114 ZPO, § 233 ZPO
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vorgehend LG Tübingen, 1. Februar 2010, Az: 5 T 8/10, Beschluss vorgehend AG Tübingen, 14. Dezember 2009, Az: 2 IN 180/07
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DEU
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Antrag der bedürftigen Partei auf Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist: Lückenhafter Prozesskostenhilfeantrag
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Der Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 1. Februar 2010 wird abgelehnt.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 4 InsO, § 114 Satz 1 ZPO).
1. Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde des Schuldners ist zwar statthaft (§§ 6, 7, 204 Abs. 2 Satz 2 InsO), jedoch unzulässig, weil sie nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet worden ist, § 575 Abs. 2, § 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO.
2. Ein Gesuch des Schuldners auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 233 ZPO) verspricht keinen Erfolg.
a) Zwar wird einer Partei, welche nicht über die finanziellen Mittel zur Begründung eines Rechtsmittels verfügt, auf Antrag Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist gewährt, wenn die Partei innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist ein Prozesskostenhilfegesuch bei Gericht einreicht und alles in ihren Kräften stehende getan hat, damit über diesen Antrag ohne Verzögerung entschieden werden kann. Diesem Erfordernis ist jedoch nur genügt, wenn mit dem Prozesskostenhilfeantrag auch eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Partei nebst der erforderlichen Belege (§ 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO) vorgelegt wird (BGH, Beschl. v. 31. August 2005 - XII ZB 116/05, NJW-RR 2006, 140, 141; v. 13. April 2006 - IX ZA 3/06, FamRZ 2006, 1028 ff; v. 6. Juli 2006 - IX ZA 10/06, FamRZ 2006, 1522, 1523; v. 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07, NJW-RR 2008, 952, 953 Rn. 10; v. 18. Mai 2010 - IX ZA 17/10).
Weisen die Darlegungen des Antragstellers zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Lücken auf, so kann die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nur gewährt werden, wenn der Antragsteller darauf vertrauen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichend dargetan zu haben; dies kommt in Betracht, wenn die Lücken auf andere Weise geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa aufgrund der beigefügten Unterlagen (BGH, Beschl. v. 13. Februar 2008 aaO S. 943 Rn. 11; v. 19. November 2008 - IV ZB 38/08, NJW-RR 2009, 563, 564 Rn. 10; v. 18. Mai 2010 aaO).
b) Das Prozesskostenhilfegesuch des Schuldners ist zwar noch innerhalb der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde und damit rechtzeitig beim Bundesgerichtshof eingegangen. Wegen der unzureichenden Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung kann über den Antrag jedoch nicht ohne weitere Darlegungen entschieden werden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist verspricht daher keine Aussicht auf Erfolg.
Der Schuldner hat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausreichend dargelegt. In dem entsprechenden Formblatt sind eine Reihe von Fragen unbeantwortet geblieben, nämlich die Frage nach dem Erhalt von Unterhaltsleistungen, nach Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, nach anderen Einnahmen und schließlich nach Einnahmen des Ehegatten. Beigefügt sind lediglich ein Mietvertrag sowie ein Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 7. April 2010 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Aus letzterem kann sich zwar ein Hinweis ergeben, dass der Schuldner keine Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt. Sicher ist dies jedoch nicht. Jedenfalls ergibt sich aus den Anlagen nichts hinsichtlich der anderen nicht beantworteten Fragen. Diese zu beantworten, wäre dem Schuldner aber ohne weiteres möglich gewesen. Wenn er hiervon gleichwohl absieht, hat er die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht ausreichend dargelegt. Aus den eingereichten Unterlagen lassen sich die offen gebliebenen Fragen nicht beantworten.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Pape
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065744
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100617
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IX ZR 134/09
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Urteil
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§ 129 Abs 1 InsO, § 131 Abs 1 InsO, § 140 Abs 1 InsO
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vorgehend LG Bochum, 9. Juni 2009, Az: I-9 S 174/08, Urteil vorgehend AG Bochum, 30. Oktober 2008, Az: 83 C 179/08, Urteil
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DEU
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Insolvenzanfechtung: Zur Inkongruenz führender Vollstreckungsdruck
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 9. Juni 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der am 22. November 2007 und am 2. Januar 2008 erfolgten Zahlungen zuzüglich Zinsen abgewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 30. Oktober 2008 wie folgt geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 838,58 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2008 zu zahlen.
Die weitergehenden Rechtsmittel des Klägers werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 53 vom Hundert und die Beklagte 47 vom Hundert zu tragen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 1.769 Euro festgesetzt.
Von Rechts wegen
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 9. Januar 2008 am 1. Februar 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin). Ab Oktober 2007 war die Schuldnerin zahlungsunfähig. Bereits seit Januar 2007 zahlte sie die der Beklagten geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge verspätet. Diese werden jeweils am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Kalendermonats fällig. Den Beitrag für den Monat Oktober 2007 überwies die Schuldnerin, nachdem ihr am 15. November 2007 eine Rückstandsanzeige der Beklagten nebst Androhung der Zwangsvollstreckung zugegangen war, am 22. November 2007. Den Betrag für den Monat November erbrachte sie nach Eingang einer entsprechenden Mahnung vom 19. Dezember 2007 am 2. Januar 2008. Am 4. Januar 2008 überwies die Schuldnerin den Betrag für den Monat Dezember 2007, ohne zuvor besonders gemahnt worden zu sein.
Der Kläger hat die drei Zahlungen angefochten. Die Beklagte hat die Arbeitgeberanteile aus den Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 erstattet. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Rückgewähr der Arbeitnehmeranteile aus den ersten beiden Zahlungen (838,58 Euro) sowie Rückgewähr der Zahlung vom 4. Januar 2008 über 930,42 Euro, insgesamt 1.769 Euro zuzüglich Zinsen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
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Die Revision ist bezüglich der ersten beiden Zahlungen begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat gemeint: Hinsichtlich der Zahlungen der Arbeitnehmeranteile für die Monate Oktober und November 2007 in Höhe von insgesamt 838,58 Euro scheitere die Insolvenzanfechtung an der fehlenden objektiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO). Insoweit greife schon die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Neuregelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein, wonach die Zahlung des vom Beschäftigen zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus seinem Vermögen erbracht gelte. Hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile in der Zahlung vom 4. Januar 2008 gelte dasselbe. Bezüglich des Arbeitgeberanteils der letzten Zahlung scheide eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus, weil der Zahlung keine Mahnung vorausgegangen sei und die Schuldnerin ohne Vollstreckungsdruck eine fällige Forderung ausgeglichen, mithin kongruent gehandelt habe. Die Zahlung vom 4. Januar 2008 sei auch nicht als kongruente Deckung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO anfechtbar. Die Schuldnerin habe in den Vormonaten zwar häufig verspätet und erst nach Mahnung unter Vollstreckungsankündigung geleistet. Daraus sei aus Sicht der Beklagten jedoch nicht zwingend auf deren Zahlungsunfähigkeit zu schließen gewesen, weil es zu keinem dauerhaften Rückstand gekommen sei. Andere Umstände, die auf eine Kenntnis der Beklagten hätten schließen lassen, habe der Kläger nicht vorgetragen.
II.
Dies hält rechtlicher Prüfung nur teilweise stand.
1. Nach der erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Grundsatzentscheidung des Senats vom 5. November 2009 (IX ZR 233/08, ZIP 2009, 2301 f Rn. 8 ff, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ) kann die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen als Rechtshandlung des Arbeitgebers im Insolvenzverfahren über dessen Vermögen als mittelbare Zuwendung an die Einzugsstelle angefochten werden (siehe hierzu auch BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - IX ZR 66/09, Rn. 1, zitiert nach juris). Danach kann die objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) auch hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile nicht verneint werden. Die Schuldnerin hat die Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 auf den durch die vorausgegangenen Schreiben der Beklagten erzeugten Druck hin erbracht, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstehe (vgl. BGH, Urt. v. 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304, 1305; v. 20. November 2008 - IX ZR 130/07, ZIP 2009, 83, 84 Rn. 13). Beide Zahlungen sind deshalb als inkongruente Deckungen gemäß § 131 Abs. 1 InsO anfechtbar. Die erste Zahlung fällt in den von § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO geschützten Zeitraum; die Anfechtung greift durch, weil die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 Abs. 1 InsO) zahlungsunfähig war. Die zweite Zahlung aus dem letzten Monat vor Insolvenzantragstellung ist auch nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf.
2. Die Zahlung vom 4. Januar 2008, durch welche die Schuldnerin den Sozialversicherungsbeitrag für den Monat Dezember 2007 ausgeglichen hat, kann als kongruente Deckung nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO angefochten werden. Zu ihnen gehört die Kenntnis zumindest von den Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen lassen. Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
a) Entgegen der Auffassung der Revision kann der zur Inkongruenz führende Vollstreckungsdruck nicht durch Rückstandsanzeigen bezüglich der vorausgegangenen Monatsbeiträge erzeugt werden. Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet (BGHZ 136, 309, 311; 157, 242, 248). Der Schuldner leistet unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung nur dann, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Zwangsvollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Dies beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners (BGH, Urt. v. 7. Dezember 2006 - IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 8). Die Schuldnerin hätte deshalb zur Zeit ihrer Leistung damit rechnen müssen, dass ohne sie die Beklagte nach dem kurz bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung sofort beginne (vgl. BGHZ 157, 242, 248; BGH, Urt. v. 7. Dezember 2006, aaO S. 137 Rn. 9). Dies war hier nicht der Fall. Die Beklagte hatte der Schuldnerin Anfang Januar 2008 noch nicht angekündigt, dass sie unmittelbar zur Zwangsvollstreckung schreiten werde, wenn der Beitrag für den Monat Dezember 2007 nicht unverzüglich ausgeglichen werde. Die Forderung war frühestens am 21. Dezember 2007 (Freitag vor den Weihnachtsfeiertagen) fällig geworden. Bereits am dritten Bankarbeitstag im Neuen Jahr hatte die Schuldnerin für den Ausgleich gesorgt. Zu diesem Zeitpunkt war aus objektiver Sicht allenfalls mit einer Rückstandsanzeige, aber noch nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen.
b) Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung - hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit (§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO) - obliegt zuvörderst dem Tatrichter (vgl. BGHZ 180, 63, 68 Rn. 15). Allerdings deutet gerade die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, gemäß § 130 Abs. 2 InsO auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin (BGHZ 149, 178, 187; 180, 63, 68 Rn. 16; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222, 2224 Rn. 24). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Es hat indes gemeint, der Umstand, dass die Rückstände auf die Rückstandsanzeigen hin immer wieder kurzfristig ausgeglichen worden seien und daher in keinem Fall Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung tatsächlich eingeleitet werden mussten, lasse die schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin trotz der teilweisen Strafbewehrung der Forderungen noch nicht als derart gewichtig erscheinen, dass daraus zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden müsse. Die Verspätungen könnten ebenso gut als "Schlendrian" oder als Zeichen eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses verstanden werden. Diese Würdigung, welche Ausmaß und Entwicklung des Rückstandes im Verhältnis zum späteren Anfechtungsgegner mit in den Blick nimmt, kann sich auf die Rechtsprechung des Senats stützen (vgl. BGHZ 149, 178, 187). Das Revisionsgericht hat sie als Tatfrage hinzunehmen.
Kayser Raebel Gehrlein
Pape Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065746
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100617
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IX ZR 187/08
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Beschluss
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§ 543 Abs 2 S 1 Nr 2 ZPO
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vorgehend OLG Köln, 2. September 2008, Az: 25 U 7/08, Urteil vorgehend LG Köln, 15. Februar 2008, Az: 17 O 251/07, Urteil
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DEU
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Zulassungsrevision: Fehlerhafte Rechtsanwendung als Zulassungsgrund
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. September 2008 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 45.027,77 Euro festgesetzt.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil sie keinen Zulassungsgrund aufdeckt.
1. Die Revision ist nicht zur Einheitlichkeitssicherung wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten geboten. Hinsichtlich der vom Berufungsgericht festgestellten Pflichtverletzung des Beklagten im Vertragsverhältnis zwischen ihm und dem Zedenten F. hat das Berufungsgericht den Sachvortrag des Beklagten ersichtlich umfassend zur Kenntnis genommen. Der Beklagte mag die Umstände anders würdigen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt aber nicht die Pflicht des Gerichts, der von der Partei gewünschten Beweiswürdigung zu folgen (BVerfGE 80, 269, 286; 87, 1, 33; BVerfG NJW 2005, 3345, 3346).
2. Eine Zulassung ist nicht wegen des vom Berufungsgericht angenommenen Schadens des Zedenten geboten.
Der Ursachenzusammenhang zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und Schaden des Mandanten bemisst sich danach, wie sich der Mandant verhalten hätte, wenn er pflichtgemäß beraten worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 6. Dezember 2001 - IX ZR 124/00, NJW 2002, 593, 594; Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch für Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 991 m.w.N.).
Insoweit hat das Berufungsgericht, ohne einen Rechtssatz aufzustellen, lediglich eine fehlerhafte, die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht beachtende Rechtsanwendung vorgenommen, was eine Divergenz nicht begründet (BGHZ 154, 288, 293). Diese wird von der Beschwerde auch nicht geltend gemacht.
Auch Willkür liegt insoweit nicht vor. Hierfür reicht eine fehlerhafte Rechtsanwendung nicht aus; selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass eine fehlerhafte Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht; die Rechtsfolge muss mithin in krasser Weise verkannt worden sein (BGHZ 154, 288, 299 f).
Hierfür liegen Anhaltspunkte nicht vor. Solche werden von der Beschwerde auch nicht aufgezeigt. Es liegt ein schlichter Rechtsanwendungsfehler vor.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Pape
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065748
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100610
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V ZB 42/10
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Beschluss
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§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO
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vorgehend LG Dessau-Roßlau, 17. Dezember 2009, Az: 5 S 132/09, Beschluss vorgehend AG Wittenberg, 28. Juli 2009, Az: 8 C 931/06, Urteil
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DEU
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Begründung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen Arbeitsüberlastung
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Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Rosslau vom 17. Dezember 2009 aufgehoben.
Den Klägern wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 28. Juli 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
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I.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 28. Juli 2009 zum Nachteil der Kläger entschieden. Das Urteil ist den Klägern am 31. Juli 2009 zugestellt worden. Mit am 6. August 2009 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt.
Mit Schriftsatz vom 29. September 2009 haben sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. Oktober 2009 beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, aufgrund der starken Arbeitsbelastung ihres Prozessbevollmächtigten habe eine Besprechung mit diesem nicht stattfinden und die Berufung nicht begründet werden können. Mit Verfügung vom 1. Oktober 2009 hat der Vorsitzende der Kammer des Landgerichts die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt und die Kläger darauf hingewiesen, dass die Verwerfung ihrer Berufung beabsichtigt sei. Hiergegen haben sich die Kläger mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2009 gewandt und Ausführungen zur Begründung der Berufung gemacht. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2009 hat das Landgericht die Berufung verworfen.
Mit am 13. Oktober 2009 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger die Berufung ausführlich begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 hat das Landgericht die beantragte Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO) und begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Kläger in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verbürgten Recht auf eine faire Verfahrensgestaltung.
Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verweigert. Die Kläger waren ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten; denn dem Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte stattgegeben werden müssen.
1. Das Berufungsgericht meint, den Klägern sei die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorzuwerfen, weil sie nicht darauf hätten vertrauen dürfen, dass ihrem Fristverlängerungsantrag stattgegeben werde. Sie hätten keine erheblichen Gründe für eine Verlängerung der Frist vorgetragen. Die Sache sei einfach gelagert. Der formelhafte, nicht durch Einzelheiten untersetzte Verweis auf die Überlastung ihres Prozessbevollmächtigten reiche nicht aus, einen erheblichen Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist darzutun, zumal die Kläger schon im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach mit ähnlicher oder gleichlautender Begründung Fristverlängerungsanträge gestellt hätten.
2. Das ist mit den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof an die Begründung eines erstmaligen Antrags auf Fristverlängerung stellen, nicht vereinbar.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichthofs sind bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen an die erforderliche Darlegung der erheblichen Gründe für die Notwendigkeit der Fristverlängerung zu stellen. Der Anwalt kann vielmehr grundsätzlich erwarten, dass dem Antrag entsprochen wird, wenn einer der im Gesetz genannten Gründe vorgebracht wird (BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, VersR 1993, 771 f.; v. 7. Juni 1999, II ZB 25/98, NJW 1999, 3051 f.; v. 13. Dezember 2005, VI ZB 52/05, VersR 2006, 568; v. 15. August 2007, XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 ff.). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. BVerfG, NJW 1998, 3703 f.; NJW 2001, 812 ff.; NJW 2007, 3342 f.).
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht in entscheidungserheblicher Weise von dieser Rechtsprechung ab.
aa) Zu dem als "erheblich" anzusehenden Verlängerungsgrund der beruflichen Überlastung ist anerkannt, dass eine ins Einzelne gehende Darlegung dieser Überlastungsgründe nicht zu verlangen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Juli 1985, III ZB 13/85, VersR 1985, 972; v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, VersR 1993, 771 f.; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.). Der bloße Hinweis auf eine solche Arbeitsüberlastung reicht zur Feststellung eines erheblichen Grundes aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, aaO m.w.N.; ferner BVerfGE 79, 372, 377; BVerfG, NJW 2001, 812, 813; NJW-RR 2002, 1007, 1008; NJW 2007, 3342).
bb) Ein Prozessbevollmächtigter darf mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung auch dann rechnen, wenn die von ihm für notwendig erachtete Rücksprache mit seiner Partei wegen seiner Arbeitsbelastung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgen kann. Dass das Berufungsgericht die Sache für rechtlich einfach gelagert und eine Rücksprache des Prozessbevollmächtigten mit seiner Partei daher für nicht notwendig hält, ändert hieran weder etwas, noch führt dies dazu, dass der Fristverlängerungsantrag weiter substantiiert oder glaubhaft gemacht werden müsste (vgl. BGH, Beschl. v. 23. Juni 1994, VII ZB 5/94, NJW 1994, 2957, 2958; v. 19. Januar 2000, XII ZB 22/99, NJW-RR 2000, 799 f.; v. 1. August 2001, VIII ZB 24/01, VersR 2002, 1576, 1577; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.)
cc) Im Ergebnis ohne Bedeutung ist auch, ob in dem Verfahren schon mehrfach mit gleicher oder ähnlicher Begründung die Verlängerung von Fristen beantragt worden ist. Dies ändert an der Notwendigkeit der neuerlichen Fristverlängerung nichts, sondern ist allenfalls geeignet, die Glaubhaftigkeit des angegebenen Grundes in Frage zu stellen. Hierum geht es vorliegend jedoch nicht. Das Berufungsgericht hat die in dem Antrag der Kläger vom 29. September 2009 als Verlängerungsgrund angegebenen Tatsachen nicht in Zweifel gezogen. Auch der Senat sieht hierzu keinen Anlass.
3. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte mithin auf eine positive Bescheidung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist deshalb ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt.
Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Wiedereinsetzungsantrag form- und fristgerecht gestellt worden ist, hat der Senat die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt. Der die Berufung der Kläger als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Oktober 2009 ist damit hinfällig (vgl. BGH, 45, 380, 384; 98, 325, 328).
Krüger Schmidt-Räntsch Stresemann
Czub Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065749
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100520
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V ZR 201/09
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Beschluss
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§ 439 Abs 2 BGB, Art 103 Abs 1 GG
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vorgehend OLG München, 7. Oktober 2009, Az: 3 U 2259/07, Urteil vorgehend LG Traunstein, 6. Februar 2007, Az: 1 O 4666/05
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DEU
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Schadensersatzanspruch des Grundstückskäufers bei Mängeln eines bebauten Grundstücks: Notwendiger Umfang der vorprozessualen Ermittlung der darzulegenden Mängelbeseitigungskosten
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. Oktober 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 58.334,87 Euro.
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I.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 23. September 2003 erwarben die Kläger von dem Beklagten unter Ausschluss der Sachmängelhaftung ein mit einer Pension bebautes Grundstück. Der Beklagte verschwieg arglistig, dass das Landratsamt wegen Fehlens eines zweiten Rettungsweges die Nutzung der im zweiten Stock gelegenen Räume als Personalzimmer untersagt hatte.
Der Beklagte betreibt wegen des noch offenen Restkaufpreises die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde. Die Kläger haben die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen der arglistigen Täuschung erklärt. Diesen haben sie, soweit hier von Interesse, auf einen Kostenvoranschlag der Firma K. T. gestützt, welcher Kosten in Höhe von 89.088 Euro ausweist. Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckungsgegenklage abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat über die Höhe der Umbaukosten Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige sollte zunächst klären, ob die in dem Kostenvoranschlag T. niedergelegten Maßnahmen erforderlich seien, um den Vorgaben des öffentlichen Baurechts für die Nutzung der Räume als Betriebsräume des Beherbergungsgewerbes zu genügen. Nachdem er darauf hingewiesen hatte, dass die dem Kostenvoranschlag zugrundeliegende Planung diesen Vorgaben nicht entspreche, hat das Berufungsgericht die Kläger darauf hingewiesen, dass sie bislang keinen geeigneten Beweis für eine konkret zu bestimmende Schadenshöhe erbracht hätten. Die Kläger haben darauf hin ein Privatgutachten vorgelegt, welches von dem Berufungsgericht jedoch als unbrauchbar angesehen worden ist. Anschließend hat das Berufungsgericht den Beweisbeschluss geändert; der Sachverständige sollte nunmehr dazu Stellung nehmen, ob die fünf von den Klägern in der Klageschrift angeführten baulichen Maßnahmen erforderlich seien, um die öffentlich-rechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Der Sachverständige bestätigte, dass vier dieser fünf Maßnahmen erforderlich seien. Aus seinem Gutachten von Ende Januar 2009 ergibt sich ferner, dass diverse weitere, von den Klägern aber nicht angeführte Maßnahmen erforderlich sind. Die Kosten ermittelte der Gutachter nur für die von den Klägern genannten Maßnahmen.
Auf dieser Grundlage hat das Oberlandesgericht einen Schadensersatzanspruch in Höhe von (nur) 30.753,13 Euro für begründet erachtet. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihren darüber hinausgehenden Klageantrag weiter.
II.
Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, da das Berufungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach die Ablehnung eines Beweises für eine erhebliche Tatsache nur zulässig ist, wenn diese so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist (vgl. BVerfG ZIP 1996, 1761, 1762; Senat, Beschl. v. 2. April 2009, V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236; Urt. v. 13. Dezember 2002, V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491). Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (Senat, Beschl. v. 12. Juni 2008, V ZR 221/07, WM 2008, 2068; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 1565).
So liegt es hier in Bezug auf den von den Klägern bereits erstinstanzlich angebotenen Sachverständigenbeweis für ihre Behauptung, die Kosten der notwendigen Umbaumaßnahmen beliefen sich auf 89.088 Euro. Dieses Vorbringen durfte das Berufungsgericht nicht als unsubstantiiert und damit unerheblich ansehen.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Bauherr nicht verpflichtet ist, Mängelbeseitigungskosten vorprozessual durch ein Privatgutachten zu ermitteln. Es genügt, wenn er die Kosten schätzt und für den Fall, dass der Schuldner die Kosten bestreitet, ein Sachverständigengutachten als Beweismittel anbietet. Ins Einzelne gehende Sanierungspläne oder Kostenvoranschläge können von ihm nicht verlangt werden (vgl. Urt. v. 8. Mai 2003, VII ZR 407/01, NJW-RR 2003, 1239, 1240; Urt. v. 28. November 2002, VII ZR 136/00, NJW 2003, 1038; Urt. v. 14. Januar 1999, VII ZR 19/98, WM 1999, 1177 f.). Für einen Schadensersatzanspruch, der - wie hier - nach den Kosten für die Beseitigung eines Mangels bemessen werden kann, gilt nichts anderes.
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Berufungsgerichts unzutreffend, es sei nicht seine Aufgabe bzw. die des Sachverständigen, den Klägern die für eine Schadensbestimmung notwendigen detaillierten Angaben quasi von Amts wegen zu beschaffen. Richtigerweise hätte es dem Sachverständigen - unabhängig davon, ob der von den Klägern vorgelegte Kostenvoranschlag brauchbar war oder nicht - aufgeben müssen, die baulichen Maßnahmen zusammenzustellen, die erforderlich sind, um die Räume im zweiten Stock in einen Zustand zu versetzen, welcher den öffentlich-rechtlichen Anforderungen für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch der Räume im zweiten Stock genügt, sowie die Kosten dieser Maßnahmen zu ermitteln. Schon deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben.
2. Darüber hinaus rügt die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass das Vorbringen der Kläger in ihrem Schriftsatz vom 23. März 2009 unberücksichtigt geblieben ist. Darin haben sich die Kläger den Inhalt des Sachverständigengutachtens der Sache nach zu Eigen gemacht (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8. Januar 1991, VI ZR 102/90, NJW 1991, 1541, 1542 li.Sp. unten) und sich zum Beweis der Kosten für die von dem Sachverständigen zusätzlich als erforderlich angesehenen Maßnahmen auf eine Ergänzung des Gutachtens berufen. Auch dieser Vortrag war erheblich.
Allerdings kann nicht angenommen werden, dass er von dem Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Den Ausführungen auf Seite 11 des angefochtenen Urteils lässt sich vielmehr entnehmen, dass das Berufungsgericht gemeint hat, jeglichen Vortrag, der nicht in angemessener Zeit nach der Zuleitung des Schreibens des Sachverständigen vom 23. April 2008 erfolgte, wegen Verspätung zurückweisen zu können. Eine solche Handhabung der Präklusionsvorschriften ist indes offenkundig unrichtig und verletzt die Kläger erneut in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfG NJW 2000, 945, 946).
Das Berufungsgericht lässt außer Acht, dass die Zurückweisung verspäteten Vorbringens wegen Verstoßes gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht (§ 296 Abs. 2 i.V.m. § 525 ZPO; vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 530 Rdn. 4) die Überzeugung des Gerichts voraussetzt, die Zulassung des Vorbringens würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Eine solche Feststellung ist von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden. Sie war auch nicht wegen Offenkundigkeit der Verzögerung entbehrlich, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Sachverständige, der zu der für den 27. Mai 2009 anberaumten mündlichen Verhandlung ohnehin geladen war, die Kosten für die von ihm bereits spezifizierten Baumaßnahmen noch so rechtzeitig ermittelt hätte, dass eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht eingetreten wäre.
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth
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Deutschland
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BMJV
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JURE100065752
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BGH
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8. Zivilsenat
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20100511
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VIII ZR 212/07
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Beschluss
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Art 27 BGBEG, Art 1 Abs 1 Buchst b UNWaVtrÜbk, Art 5 Nr 1 Buchst b Ss 1 EGV 44/2001
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vorgehend OLG Köln, 21. Juni 2007, Az: 12 U 16/07, Urteil vorgehend LG Köln, 11. Januar 2007, Az: 83 O 238/05, Urteil
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DEU
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Internationaler Warenkaufvertrag: Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Ansprüchen aus Werklieferungsvertrag; Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts bei Wahl deutschen Rechts
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Juni 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 99.479,50 € festgesetzt.
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I.
Die Parteien - die Klägerin hat ihren Sitz in Deutschland, die Beklagte in Großbritannien - sind auf dem Gebiet der Fertigung und Lieferung von Getränkearmaturen und Schankanlagen tätig. Sie streiten darum, ob im Februar und Juni 2004 zwischen ihnen zwei Verträge zustande gekommen sind, nach denen die Beklagte eine größere Menge an Alu-Ringen und an Edelstahl-Schankhahn-Gehäusen an die Klägerin zu liefern hatte. Diese jeweils nach Zeichnung und Bemusterung herzustellenden Waren wurden von der Klägerin als Zulieferteile benötigt, um sie in Zapfsäulen und Schankhähne einbauen zu können, die sie an eigene Kunden zu liefern hatte. Nachdem Lieferungen der Beklagten ausgeblieben waren, tätigte die Klägerin Deckungskäufe, deren Mehrkosten sie mit ihrer Klage in erster Linie ersetzt verlangt. Dabei geht der Streit der Parteien neben der von der Beklagten gerügten internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und dem auf die erhobenen Ansprüche anwendbaren Recht vor allem um die Frage, ob die Beklagte die jeweiligen Bestellungen zumindest durch eine teilweise Ausführung und/oder ein sachliches Eingehen auf mehrfache Ausführungsanfragen und Mahnungen der Klägerin konkludent angenommen hat.
Das von der Klägerin angerufene Landgericht Köln hat den mit dem Hauptantrag geltend gemachten Schadensersatzanspruch, der auf einen Ersatz der durch Deckungsgeschäfte entstandenen Mehrkosten gerichtet ist, auf der Grundlage einer von denen von Parteien "für diesen Rechtsstreit … [vereinbarten] Anwendung deutschen Rechts" nach Maßgabe der Bestimmungen des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Widerklage der Beklagten auf Feststellung, dass eine von der Klägerin mit Hilfsantrag verfolgte Vertragsstrafenverpflichtung nicht besteht, hat das Landgericht abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestehe gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. a und b erster Spiegelstrich EuGVVO, weil es um Ansprüche aus Werklieferungsverträgen gehe, auf die die Vorschriften über den Kauf Anwendung fänden. Erfüllungsort sei nicht der in Großbritannien liegende Ort der Herstellung der zu liefernden Waren, sondern der Sitz der Klägerin in Deutschland, an den die Waren vertragsgemäß hätten geliefert werden müssen. Ebenso seien die in Rede stehenden Ansprüche aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht getroffenen Abrede, die sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur in einer Abrede über das anzuwendende Prozessrecht erschöpfe, in materieller Hinsicht nach deutschem Recht zu beurteilen.
Der vom Landgericht zuerkannte Schadensersatzanspruch ergebe sich aus §§ 280 f. BGB, weil die Beklagte hinsichtlich der Alu-Ringe ihre Lieferpflichten trotz Nachfristsetzung nicht vollständig erfüllt und hinsichtlich der Schankhahn-Gehäuse die Lieferung sogar verweigert habe. Sie müsse deshalb die Mehrkosten tragen, die bei der Klägerin durch die zur Herstellung ihrer Lieferfähigkeit getätigten Deckungsgeschäfte angefallen seien. Da nach dem Beweisergebnis auch die im Juni 2004 aufgegebene zweite Bestellung von der Beklagten angenommen worden sei, schulde sie zugleich die hierin vereinbarte Konventionalstrafe, so dass das widerklagend erhobene negative Feststellungsbegehren der Beklagten unbegründet sei. Dass die betreffenden beiden Verträge zumindest aufgrund konkludenten Verhaltens der Beklagten zustande gekommen seien, ergebe sich neben den ausgeführten Teillieferungen insbesondere aus den Reaktionen der Beklagten auf die Schreiben der Klägerin, mit denen diese eine restliche Lieferung der bestellten Alu-Ringe angemahnt habe. Diese Reaktionen, der insoweit unwidersprochen gebliebene Inhalt einer Besprechung der Parteien vom 30. Juni 2004, die von dem damaligen Mitarbeiter O. der Beklagten bekundete abschlussreife Vorbereitung der Bestellungen sowie die Produktionsvorbereitungen und Lieferankündigungen ließen den sicheren Schluss zu, dass die Parteien dabei nicht mehr über einen noch ausstehenden Abschluss von Verträgen oder die Annahme der beiden Bestellungen verhandelt hätten, sondern nur noch über die Abwicklung der bereits geschlossenen Verträge beziehungsweise die Bewältigung der nach Vertragsschluss aufgetretenen Schwierigkeiten. Ebenso wenig seien die umfangreichen Verhandlungen und die geführte Korrespondenz lediglich Vorbereitung für weitere Vertragsabschlüsse gewesen. Der von der Beklagten insoweit gegenbeweislich als Zeuge benannte Mitarbeiter H. habe nicht mehr vernommen werden müssen. Denn das Landgericht habe das erst in einem zum Beweisergebnis nachgelassenen Schriftsatz in dessen Wissen gestellte Vorbringen mit Recht als verspätet angesehen und unbeachtet gelassen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
a) Die Zulassung der Revision ist allerdings nicht mehr wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) geboten. Denn die von der Nichtzulassungsbeschwerde als zulassungsrelevant erörterte Rechtsfrage, ob bei dem hier gegebenen Werklieferungsvertrag ein die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründender Erfüllungsort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO vorliegt, ist zwischenzeitlich durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25. Februar 2010 (Rs. C - 381/08, NJW 2010, 1059 - Car Trim GmbH/KeySafety Systems Srl) geklärt worden. Danach ist ein Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware auch dann als Verkauf beweglicher Sachen im Sinne der genannten Vorschrift einzustufen, wenn der Auftraggeber bestimmte Vorgaben zur Beschaffung, Verarbeitung und Lieferung der Ware macht und der Lieferant - wie hier - die zu verarbeitenden Stoffe zu beschaffen und für die Qualität und die Vertragsgemäßheit der Ware einzustehen hat (EuGH, aaO, Rdnr. 43). Ebenso ist durch dieses Urteil geklärt, dass bei einem Fehlen vertraglicher Regelungen der Parteien zum Lieferort derjenige Ort zuständigkeitsbegründend im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO ist, an dem die körperliche Übergabe der Waren an den Käufer erfolgt ist oder hätte erfolgen müssen (EuGH, aaO, Rdnr. 62). Das ist nach den von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Ort des inländischen Sitzes der Klägerin.
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch deshalb begründet, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, dass es dem von der Beklagten für ihre Behauptung, die beiden Bestellungen der Klägerin nicht angenommen zu haben, rechtzeitig angetretenen Gegenbeweis auf Vernehmung des Zeugen H. nicht nachgegangen ist. Wegen der verfassungsrechtlichen Relevanz dieses Verfahrensfehlers ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).
aa) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, WM 2009, 671, 672; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 223/07, juris, Tz. 5; Urteil vom 2. April 2009 - I ZR 16/07, TranspR 2009, 410, Tz. 23; jeweils m.w.N.). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach ein Beweisantritt für erhebliche, nicht willkürlich ins Blaue hinein aufgestellte Tatsachen nur dann unberücksichtigt bleiben darf, wenn das angebotene Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann, oder wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BVerfG, aaO; BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710, unter II 2 a; vom 12. Juni 2008, aaO; jeweils m.w.N.). Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt die Nichterhebung eines Beweises wegen mangelnder Substantiierung der unter Beweis gestellten Tatsache Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn dies - wie hier - in offenkundig unrichtiger Weise geschieht (BVerfG, NJW 2001, 1565; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008, aaO).
bb) Eine Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortag weiterer Einzeltatsachen, die etwa den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, nicht verlangt werden (BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2007 - IV ZR 112/05, juris, Tz. 6; vom 12. Juni 2008, aaO, Tz. 7 f.). Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen (BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, WM 2007, 1569, Tz. 8; vom 11. Juli 2007, aaO; Urteil vom 2. April 2009, aaO, Tz. 26). Der Pflicht zur Substantiierung ist mithin nur dann nicht genügt, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass das Gericht aufgrund ihrer Darstellung nicht beurteilen kann, ob die Behauptung überhaupt erheblich ist, also die gesetzlichen Voraussetzungen der daran geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2005, aaO; vom 11. Juli 2007, aaO m.w.N.). Nach diesen Maßstäben durfte der Beweisantritt auf Vernehmung des Zeugen H. nicht unberücksichtigt bleiben.
Das Berufungsgericht hat zwar nicht übersehen, dass die Beklagte den Zeugen H. bereits in seinem lange vor der erstinstanzlichen Beweisaufnahme eingereichten Schriftsatz vom 27. April 2006 gegenbeweislich zu der Tatsache benannt hatte, dass sie die beiden Bestellungen der Klägerin nicht zu den genannten Bedingungen angenommen habe. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte bei ihrem (Gegen-)Beweisantritt auch nicht gehalten, Angaben zu machen, "wer genau, wann, wo, bei welcher Gelegenheit und auf welchem Wege (telefonisch, schriftlich, Fax, E-Mail?) gegenüber dem Zeugen O. eine Erklärung" dahingehend abgegeben hat, dass die von der Klägerin aufgegebenen Bestellungen vorläufig noch nicht angenommen werden könnten. Denn die Angabe von Einzelheiten zum Zeitpunkt und zum Ablauf bestimmter Ereignisse ist - wie vorstehend dargestellt - nicht erforderlich, wenn diese Einzelheiten für die Rechtsfolge der unter Beweis gestellten Haupttatsache, nämlich das Fehlen einer nach §§ 146 ff. BGB erforderlichen Annahmeerklärung der Beklagten, nicht entscheidend sind. Misst das Gericht diesen Einzelheiten für die Zuverlässigkeit oder die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Behauptung Bedeutung zu, sind sie durch entsprechende Nachfrage bei der Beweisaufnahme zu klären (BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2007, aaO, und vom 11. Juli 2007, aaO; Urteil vom 2. April 2009, aaO).
cc) Damit hat das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs in dem entscheidenden Punkt ihres Verteidigungsvorbringens verletzt. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Grundrechtsverletzung. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der von ihm für erwiesen erachteten Vertragsannahme zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es den von der Beklagten angetretenen Gegenbeweis auf Vernehmung des Zeugen H. erhoben hätte.
III.
Die Verletzung der Beklagten in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht auch zu prüfen haben wird, ob die zwischen den Parteien vereinbarte Wahl deutschen Rechts nicht zur Anwendbarkeit des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 5. Juli 1989 (BGBl. II S. 588 - im folgenden: CISG) führt. Denn die von den Parteien gemäß dem damals noch geltenden Art. 27 EGBGB (vgl. Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung [EG] Nr. 593/2008 vom 25. Juni 2009 [BGBl. I S. 1574]) wirksam vorgenommene Wahl deutschen Rechts ist, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Verweisung auf das unvereinheitlichte deutsche Recht fehlt, grundsätzlich dahin zu verstehen, dass das nach dem Recht dieses Staates für grenzüberschreitende Warenkäufe anwendbare Kaufvertragsrecht und damit das Recht des insoweit nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b CISG vorrangig anwendbaren Übereinkommens gewählt ist. Angesichts dieser bei vorbehaltloser Rechtswahl unmittelbar eintretenden Rechtsfolge hätte es deshalb zusätzlicher, über den bloßen Text der Rechtswahlklausel hinausgehender Anhaltspunkte bedurft, um auf einen Willen der Parteien zu schließen, nicht nur deutsches Recht allgemein, sondern darüber hinaus dessen unvereinheitlichtes Kaufrecht zu wählen (Senatsurteil vom 25. November 1998 - VIII ZR 259/97, WM 1999, 868, unter III 1; Ferrari in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), 5. Aufl., Art. 6 Rdn. 22 f. m.w.N.; vgl. ferner BGHZ 96, 313, 319 ff. [zu Art. 3 EKG]).
Ball Dr. Milger Dr. Hessel
Dr. Achilles Dr. Schneider
<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Berichtigungsbeschluss vom 12. August 2010 wurde in den Beschlusstext eingearbeitet.>
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065871
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BVerwG
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4. Senat
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20100611
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4 B 75/09
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Beschluss
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§ 34 Abs 3 BauGB
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 2. September 2009, Az: 8 A 11057/08, Urteil
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DEU
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Geschossflächenüberschreitung als Indiz für schädliche Auswirkungen
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. September 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 24 491,25 Euro festgesetzt.
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Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht sei von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - (BVerwGE 129, 307) abgewichen. Während das Bundesverwaltungsgericht schädliche Auswirkungen auf Versorgungsbereiche im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB erst bejahe, wenn ein Vorhaben deren Funktionsfähigkeit so nachhaltig störe, dass sie ihren Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr substantiell wahrnehmen können, setze das Oberverwaltungsgericht eine erheblich niedrigere Schwelle an und lasse eine Schwächung der Versorgungssituation ausreichen.
Dieses Vorbringen lässt eine Divergenz nicht erkennen. Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Auslegung des Begriffs der "schädlichen Auswirkungen" ausdrücklich auf die genannte Entscheidung Bezug genommen und sich auf den von der Beschwerde zitierten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts gestützt. Eine fehlerhafte Anwendung dieses Rechtssatzes könnte eine Divergenz nicht begründen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Einen ihm widersprechenden Rechtssatz hat das Oberverwaltungsgericht hierbei nicht aufgestellt. Das ist schon deswegen ausgeschlossen, weil das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 11. Oktober 2007 den Begriff der "schädlichen Auswirkungen" nicht abschließend definiert, sondern durch Verwendung des Wortes "jedenfalls" offengelassen hat, ob eine niedrigere Schädlichkeitsschwelle als die durch den Rechtssatz bezeichnete in Betracht kommt. Unabhängig davon geht das Oberverwaltungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht davon aus, dass bereits jede "Schwächung" vorhandener Lebensmittelmärkte im zentralen Versorgungsbereich den Tatbestand der "schädlichen Auswirkungen" erfüllt. Vielmehr trifft diese Entwicklung nach Ansicht der Vorinstanz auf eine bereits "eher eingeschränkte Versorgungssituation mit Lebensmitteln" und bezieht sich vor allem auf einen Lebensmittelmarkt, dem für den zentralen Versorgungsbereich in quantitativer und qualitativer Hinsicht eine besondere Versorgungsfunktion (UA S. 14) und im nördlichen Teil des Gebietes sogar eine Einzelstellung zukomme (UA S. 16). Die Kritik der Beschwerde an den zugrunde liegenden Annahmen des Oberverwaltungsgerichts betrifft Tatsachenfragen, die mangels durchgreifender Verfahrensrüge der revisionsgerichtlichen Klärung entzogen sind und deswegen die Zulassung der Revision nicht begründen können.
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu.
a) Die Frage
ob bereits eine "Verschlechterung der Versorgungssituation" die Annahme von schädlichen Auswirkungen i.S.v. § 34 Abs. 3 BauGB rechtfertigen kann, selbst wenn nicht zu befürchten ist, dass das Einzelhandelsvorhaben die Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereiches so nachhaltig stört, dass dieser seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr wahrnehmen kann,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat weder - wie unter 1. ausgeführt - eine Verschlechterung der Versorgungssituation ausreichen lassen noch festgestellt, dass die weiteren in der Frage genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
b) Auch die auf die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO abzielende, in der Rechtsprechung des Senats bislang offengebliebene Frage,
ob eine Überschreitung von 1 200 m² Geschossfläche als Indiz dafür gewertet werden kann, dass schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten sind,
wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht schon jede Überschreitung als Indiz angesehen, sondern eine "deutliche" Überschreitung als "weiteren" Beleg für die Schädlichkeit des Vorhabens gewertet (UA S. 21), der das bereits aus dem Verkaufsflächenvergleich gewonnene Bild lediglich "bestätige". Die Klärungsbedürftigkeit einer hierauf eingeengten Frage legt die Beschwerde entgegen § 133 Abs. 3 Abs. 3 VwGO nicht dar, wenn sie lediglich darauf hinweist, die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts habe zur Konsequenz, dass einem Vorhaben schon bei einer geringfügigen Überschreitung der Geschossfläche von 1 200 m² aufgrund umsatzneutraler Erweiterungen der Verkaufsfläche (Pfandraum) oder des Sozialraums der Mitarbeiter § 34 Abs. 3 BauGB entgegenstehe.
c) Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde der Rechtssache auch deswegen bei, weil sie nach ihrer Ansicht die Möglichkeit eröffnet, für die Fälle der Erweiterung bestehender Einzelhandelsbetriebe zu klären, welche Maßstäbe bei den gebotenen Verkaufsflächenvergleichsbetrachtungen heranzuziehen sind. Eine solche Klärung würde sich in einem Revisionsverfahren jedoch nicht als entscheidungserheblich erweisen, weil alle vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen, von der Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht nicht angegriffenen Vergleichsbetrachtungen zum - selben - Ergebnis geführt haben, dass die beabsichtigte Erweiterung nicht geringfügig ist (UA S. 20).
d) Darüber hinaus will die Beschwerde geklärt wissen, wie im Falle einer Verkaufsflächenerweiterung Attraktivitätssteigerungen durch Sortimentsveränderungen zu bewerten sind. Sie meint der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen zu der Frage entnehmen zu können, ob insoweit nur auf beabsichtigte oder auch auf "potentiell mögliche" Sortimentserweiterungen abzustellen ist. Auch damit legt die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dar. Es liegt auf der Hand und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass sich die Prognose, ob im genannten Fall attraktivitätssteigernde Sortimentsveränderungen zu erwarten sind, nicht allein auf die mit der Erweiterung beabsichtigten Veränderungen beschränken kann, sondern insoweit alle mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintretenden Entwicklungen einzubeziehen hat. Die Frage, ob solche Umstände vorliegen, hat das Tatsachengericht zu beantworten; sie ist einer Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich.
e) Schließlich begründet auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob mit dem Begriff "Arten der nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zulässigen baulichen Anlagen" im Sinne von § 9 Abs. 2a BauGB nur die ausdrücklich in den Baugebietskatalogen der BauNVO aufgelisteten Nutzungsarten (Einzelhandel) gemeint sind oder auch Unterarten (Einzelhandel mit bestimmten Sortimenten) hiervon, wie sie nach § 1 Abs. 9 BauNVO festsetzungsfähig sind,
nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil es zu ihrer Beantwortung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Wie das Oberverwaltungsgericht (UA S. 10) zutreffend ausführt, entspricht es nicht nur dem Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 16/2496 S. 11), sondern auch der wohl einhelligen Meinung in der Literatur, dass sich der Inhalt der Festsetzungen von Nutzungsarten an Abs. 5 und Abs. 9 des § 1 BauNVO anlehnen können soll. Gesichtspunkte, die diese Auffassung in Frage stellen und einen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf begründen könnten, zeigt die Beschwerde nicht auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100065874
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BVerwG
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8. Senat
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20100615
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8 B 8/10
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Beschluss
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§ 133 VwGO, § 132 Abs 2 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. November 2009, Az: 4 A 2698/04, Urteil
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DEU
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Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde
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Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. November 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 Euro festgesetzt.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dem Oberverwaltungsgericht ist kein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Klägerinnen erheben diesen Vorwurf insoweit, als das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung hinsichtlich einer bestehenden Wiederholungsgefahr auf eine Mutmaßung gestützt haben soll, die nicht auf Tatsachen basiere. Entscheidend sei nicht, wie sich die Rechtslage verändert habe, sondern wie sich die Beklagte in Zukunft tatsächlich verhalten werde. Das tatsächliche Verhalten werde nicht durch eine Gesetzesänderung bestimmt. Die Beklagte verfolge das Ziel, die Steuerberatung "rein" zu halten und eine zu enge Zusammenarbeit der Steuerberater mit Buchhaltern zu verhindern. Das Gericht gehe in rechtlich unzulässiger Weise davon aus, dass die Beklagte ihr Verhalten und ihre Äußerungen gegenüber ihren Mitgliedern der gesetzlichen Lage anpasse. Die Beklage habe sich aber stets geweigert, eine entsprechende Erklärung abzugeben.
Soweit in diesem Vorbringen der Vorwurf unzureichender Sachverhaltsaufklärung enthalten sein sollte, fehlt es bereits an einer hinreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Das ist deshalb nicht der Fall, weil die Beschwerde nicht darlegt, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Tatsachengericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches mutmaßliche Ergebnis die Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Beschwerdeführerinnen günstigeren Entscheidung hätte führen können.
Auf einem Verfahrensfehler könnte die Auslegung des Schriftsatzes der Beklagten vom 30. April 2009 allerdings dann beruhen, wenn das Gericht entgegen dem in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Gebot, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, den tatsächlichen Prozessstoff verkannt, etwa schriftliche oder mündliche Äußerungen falsch gelesen oder sprachlich falsch verstanden hat (Beschluss vom 6. November 2001 - BVerwG 9 B 46.01 - juris Rn. 4). Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat seinen Überlegungen die Aussage der Beklagten im Schriftsatz vom 30. April 2009 zugrunde gelegt, wonach die Beschäftigung von Kontierern durch einen Steuerberater auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages möglich ist oder im Rahmen einer freien Mitarbeit unter den Voraussetzungen des § 7 BOStB erfolgen kann. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 5. November 2009 wurde der Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 30. April 2009 ausführlich diskutiert und das Oberverwaltungsgericht hat den Erklärungsinhalt dieses Schreibens im Protokoll festgehalten. Dem hat sich die Beklagte nicht widersetzt. Ob das Oberverwaltungsgericht dabei die rechtlichen Auslegungsgrundsätze, wie sie insbesondere in den §§ 133, 157 BGB ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden haben, hinreichend gerecht geworden ist, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern eine Verletzung materiellen Rechts (Beschluss vom 30. April 2008 - BVerwG 7 B 6.08 - juris Rn. 7).
Im Übrigen haben die Klägerinnen die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts dazu nicht angegriffen. Sie wenden sich im Grunde gegen die rechtliche Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts, aufgrund der Äußerung der Beklagten im Schriftsatz vom 30. April 2009 sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte Franchisenehmer der Klägerin zu 1 von dieser Erklärung ausnehmen wolle, und dass deshalb keine Wiederholungsgefahr bestehe.
Dem Oberverwaltungsgericht ist kein Verstoß gegen Denkgesetze unterlaufen, weil es von der Änderung der Rechtslage darauf schließt, dass die Beklagte ihr Verhalten und ihre Äußerungen ändern werde. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat. Ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen Schluss handeln, der aus Gründen der Logik schlechthin unmöglich ist (Beschluss vom 8. Juli 2008 - BVerwG 8 B 29.08 - juris). Davon kann hier keine Rede sein. Es ist nicht aus Gründen der Logik schlechthin ausgeschlossen, dass die Beklagte ihr zukünftiges Verhalten der geänderten Rechtslage anpassen wird. Dies folgt schon erkennbar aus dem Schriftsatz vom 30. April 2009. Unter den Voraussetzungen des § 7 BOStB ist für die Beklagte die freie Mitarbeit von Kontierern bei einem Steuerberater denkbar. Nichts anderes hat das Oberverwaltungsgericht aus dem Schriftsatz gefolgert.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Beschwerde ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066296
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BGH
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Kartellsenat
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20100608
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KVZ 46/09
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Beschluss
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§ 21 Abs 1 GWB, § 74 Abs 2 Nr 1 GWB, Art 20 GG
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vorgehend OLG Düsseldorf, 9. September 2009, Az: VI-Kart 13/08 (V), Beschluss
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DEU
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Nichtzulassungsbeschwerde gegen Verfügung des Bundeskartellamtes: Feststellung eines Verstoßes des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter gegen das Boykottverbot - Boykott der Milchbauern
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. September 2009 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens und der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 500.000 € festgesetzt.
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I. Der Beteiligte ist eine Interessenvertretung der deutschen Milchviehhalter mit rund 30.000 Mitgliedern, auf die derzeit gut 45% der bundesweiten Rohmilch-Liefermenge entfällt.
Nachdem der Lebensmitteleinzelhandel Anfang 2008 bei den Molkereien Preiszugeständnisse hatte durchsetzen können, sank auch der von diesen gezahlte Rohmilchpreis teilweise bis auf 30 Cent je Kilogramm Milch. Daraufhin forderte der Beteiligte unter anderem die Einführung eines die Vollkosten der Milcherzeuger deckenden bundesweiten Basismilchpreises für 2008 in Höhe von 43 Cent/kg. Nachdem Gespräche mit Vertretern von Molkereien ergebnislos geblieben waren, führte der Beteiligte Anfang April 2008 eine Mitgliederbefragung zu einem Milchlieferstopp durch. 88% der abgegebenen Stimmzettel waren mit "Ja" angekreuzt. In einem Mitgliederrundschreiben vom 26. Mai 2008 und einer inhaltsgleichen Presseerklärung teilte der Beteiligte unter den Überschriften "Hintergrundinformation zum Milchlieferstopp" und "Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) sieht keine Alternative zum Milchlieferstopp" mit, dass man sich gegen den Erzeugerpreisverfall nunmehr mit einer "Milchpreisoffensive 2008" zur Wehr setzen müsse. Die Aktion starte am 26. Mai 2008 mit einer Kundgebung vor einer Freisinger Molkerei, auf der weitere Maßnahmen bis hin zu einem Lieferstopp bekanntgegeben werden sollten. Eine weitere Veröffentlichung des Beteiligten vom 26. Mai 2008 unter der Überschrift "Milchviehhalter lassen ab morgen ihre Milch zu Hause" lautet auszugsweise:
"Die Aussage von BDM-Vorstandsvorsitzenden R. S. "Ich lasse ab morgen meine Milch zu Hause und ich gehe davon aus, dass es viele Milcherzeuger genauso machen werden" fand jubelnde Zustimmung unter den Kundgebungsteilnehmern. Es ist daher davon auszugehen, dass alle Milcherzeuger, die sich im April für einen unbefristeten Milchlieferstopp ausgesprochen haben, ab morgen ebenfalls ihre Milchlieferung einstellen werden."
Nach Schätzung des Beteiligten haben sich 90% seiner Mitglieder und viele Nichtmitglieder an dem Lieferstopp beteiligt, was schon in den ersten Tagen dazu geführt habe, dass bis zu 85% der gesamten Milchmenge nicht mehr an die Molkereien geliefert worden sei.
Am 5. Juni 2008 wurde der Lieferstopp beendet, nachdem einige große Lebensmitteleinzelhandelsketten ihre Preise für Trinkmilch und Butter angehoben hatten, um einen höheren Abnahmepreis für Rohmilch zu ermöglichen. Der Vorstandsvorsitzende des Beteiligten äußerte dazu auf einer Großkundgebung in Berlin:
"Ich fordere dazu auf, den Milchlieferstopp einzustellen und ab heute wieder Milch zu liefern."
Mit Verfügung vom 12. November 2008 hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass der Beteiligte im Rahmen der Milchpreisoffensive 2008 unter Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB zum Boykott der Molkereien aufgerufen habe, die von den Milchviehhaltern in Deutschland mit Rohmilch beliefert würden.
Die gegen diese Verfügung von dem Beteiligten eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beteiligte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der das Bundeskartellamt entgegentritt.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, weil weder eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 74 Abs. 2 GWB).
1. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung stützen will, legt sie dessen Voraussetzungen nicht substantiiert dar. Insbesondere trägt sie keine Entscheidungen anderer Gerichte vor, von denen der angegriffene Beschluss abweicht.
2. Der Beteiligte zeigt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf.
a) Der Umstand, dass eine Vielzahl von Betrieben und Personen von der angegriffenen Verfügung betroffen sind, reicht zur Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht aus. Ebenso wenig ergibt sich eine Grundsätzlichkeit schon aus der Notwendigkeit, bei der Lösung des Streitfalls verfassungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.
b) Soweit es der Beteiligte als Grundsatzproblem bezeichnet, ob die Milcherzeuger ein "Notwehrrecht" haben, wenn ihnen durch die geballte Nachfragemacht des Handels die Existenzgrundlage entzogen wird, formuliert er keine abstrakt klärungsbedürftige Rechtsfrage. Denn durch die Gegenüberstellung von Milcherzeugern und Nachfragemacht des Handels ist die Frage allein auf den Streitfall bezogen.
Aus demselben Grund fehlt es auch an einem Zulassungsgrund im Zusammenhang mit dem behaupteten Selbsthilferecht des Beteiligten. Soweit sich der Beteiligte auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen beruft, gilt nichts anderes.
c) Mit Recht hat das Beschwerdegericht ferner angenommen, dass ein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG zur Rechtfertigung des Verhaltens des Beteiligten schon auf den ersten Blick ausscheidet. Dementsprechend kann sich dazu auch keine grundsätzliche Rechtsfrage stellen.
3. Mit der Rüge, das Beschwerdegericht habe den Vortrag des Bundeskartellamts unbeachtet gelassen, 70% der Molkereien seien genossenschaftlich organisiert, legt der Beteiligte keine zulassungsrelevante Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Er zeigt schon nicht auf, dass er sich diesen Vortrag zu eigen gemacht hat.
4. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 konnte der Beteiligte keine weiteren Zulassungsgründe geltend machen. Die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 3, 66 Abs. 3 GWB ist am 16. November 2009 abgelaufen. Ein Nachschieben von Zulassungsgründen ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1995 – KVZ 23/95, WuW/E BGH 3035 f. – Nichtzulassungsbeschwerde; KVZ 41/05, juris, Tz. 6; Nothdurft in MünchKomm.GWB, § 75 Rdn. 8).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 GWB.
Tolksdorf Raum Strohn
Kirchhoff Bacher
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066297
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BGH
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2. Strafsenat
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20100623
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2 StR 243/10
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Beschluss
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§ 52 StGB, § 152a StGB, § 263a StGB
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vorgehend LG Aachen, 18. Dezember 2009, Az: 66 KLs 903 Js 404/09 - 18/09, Urteil
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DEU
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Konkurrenzverhältnisse beim Herstellen von Zahlungskarten, Computerbetrug und Verschaffung von gefälschten Karten
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1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Dezember 2009 dahin geändert, dass
a) der Angeklagte M. schuldig ist der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 15 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug in 15 tateinheitlichen Fällen, der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 28 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug in 28 tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall versucht, und der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 16 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug in 16 tateinheitlichen Fällen,
b) die Angeklagten C. und Ch. jeweils wegen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 16 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug in 16 tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verurteilt sind.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten M. wird verworfen.
3. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 59 Fällen, davon in 58 Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die nicht revidierenden Mitangeklagten C. und Ch. hat es wegen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit Computerbetrug in 16 Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten M. mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel führt - auch bezüglich der nicht revidierenden Mitangeklagten - zu einer Änderung des Schuldspruchs (§ 357 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Herstellen zahlreicher Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist nur eine Tat im Sinne des § 152a StGB, wenn es jeweils in einem durchgehenden Arbeitsgang im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erfolgt (BGH NStZ 2005, 566). Werden die Dubletten in der Absicht hergestellt, sie später zu gebrauchen, werden das Nachmachen und das Gebrauchmachen zu einer deliktischen Einheit verbunden. Zu dieser Tat steht der Computerbetrug in Tateinheit. Gleiches gilt, wenn der Täter sich in einem Vorbereitungsakt mehrere gefälschte Karten in der Absicht verschafft, diese alsbald einzusetzen (BGH NStZ 2008, 568, 569; 2005, 329 m.w.N.).
Der Angeklagte M. hat unwiderlegt die Kartendubletten mit den am 9. Mai 2009 ausgespähten Daten am 10. Mai 2009 ausgehändigt erhalten und davon 16 Karten gemeinsam mit den Mitangeklagten erfolgreich zu Bargeldabhebungen in den Niederlanden eingesetzt. Danach liegt in den Fällen 44 bis 59 (Tatkomplex 3) nur eine Tat im Rechtssinne vor.
Hinsichtlich der Fälle 1 bis 43 beurteilt sich das Konkurrenzverhältnis entsprechend wie folgt: Die im April ausgespähten Daten wurden zu Kartendubletten verarbeitet, die ab dem 26. April 2009 an Geldautomaten in den Niederlanden eingesetzt wurden. Kartendubletten mit den am 2. Mai 2009 ausgespähten Daten wurden ab dem Folgetag zu Bargeldabhebungen in den Niederlanden benutzt. Es ist deshalb zugunsten des Angeklagten M. davon auszugehen, dass die im April und die im Mai ausgespähten Daten jeweils in einem Arbeitsgang zu Kartendubletten verarbeitet wurden. Daher treffen einerseits die Fälle 1 bis 6, 12 bis 14, 17, 19, 27, 30, 32 und 37 (insgesamt: 15; Tatkomplex 1) und andererseits die Fälle 7 bis 11, 15, 16, 18, 20 bis 26, 28, 29, 31, 33 bis 36 und 38 bis 43 (insgesamt: 28; Tatkomplex 2) tateinheitlich zusammen.
Der Senat hat den Schuldspruch - auch hinsichtlich im Tatkomplex 3 beteiligten, aber nicht revidierenden Mitangeklagten C. und Ch. - entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich die geständigen Angeklagten nicht anders hätten verteidigen können.
2. Der Senat hat davon abgesehen, das Urteil im Strafausspruch aufzuheben. Die Änderung des Schuldspruchs führt hier für den Angeklagten M. dazu, dass hinsichtlich jeden Tatkomplexes nur die jeweils höchste Einzelstrafe bestehen bleibt, und zwar für den Tatkomplex 1 ein Jahr zehn Monate Freiheitsstrafe, für den Tatkomplex 2 ein Jahr neun Monate Freiheitsstrafe und für den Tatkomplex 3 ein Jahr sieben Monate Freiheitsstrafe. Die milde Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren kann dennoch angesichts des unveränderten Schuldgehalts bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses eine noch mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Bei den Mitangeklagten C. und Ch. kann die vom Landgericht gebildete Gesamtstrafe als Einzelstrafe bestehen bleiben. Auch bei diesen Angeklagten schließt der Senat angesichts des unveränderten Schuldgehalts der Tat aus, dass der Tatrichter bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses eine noch mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Rissing-van Saan Roggenbuck Appl
Schmitt Krehl
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066302
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BGH
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4. Strafsenat
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20100601
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4 StR 208/10
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Beschluss
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§ 31 Abs 2 JGG, § 31 Abs 3 S 1 JGG
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vorgehend LG Rostock, 18. Dezember 2009, Az: 12 KLs 21/09 - 422 Js 27194/08, Urteil
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DEU
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Jugendstrafrecht: Absehen von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung bei Verhängung einer Jugendstrafe
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 18. Dezember 2009 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
1. Die gegen den Angeklagten verhängte Einheitsjugendstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht § 31 Abs. 2 und 3 JGG nicht beachtet hat.
a) Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten nach Jugendstrafrecht, wenn eine anderweitig bereits rechtskräftig verhängte Jugendstrafe noch nicht erledigt ist, grundsätzlich auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen. Von der Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Ein Absehen von der Einbeziehung erfordert Gründe, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGHSt 36, 37, 42 ff.; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04, StraFo 2004, 394 m.w.N.).
b) Der Angeklagte wurde durch Urteil des Landgerichts Rostock vom 16. September 2009 rechtskräftig der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung für schuldig befunden (§ 27 JGG). Dieses Urteil ist noch nicht erledigt im Sinne des § 31 Abs. 2 JGG, so dass das Landgericht hätte prüfen müssen, ob es in die neue Verurteilung einzubeziehen oder ob - ausnahmsweise - aus erzieherischen Gründen nach § 31 Abs. 3 JGG von einer Einbeziehung abzusehen war. Da diese Prüfung rechtsfehlerhaft unterblieben ist, muss über die Frage der Einbeziehung und die Bildung einer Einheitsjugendstrafe neu entschieden werden.
2. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die zur neuen Entscheidung berufene Jugendkammer des Landgerichts auch zu prüfen haben wird, ob die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 1. September 2008 bereits erledigt ist. Anderenfalls wäre insoweit eine Entscheidung gemäß § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG zu treffen. Sollte die Verurteilung inzwischen erledigt sein, wäre zu prüfen, ob die Zahlung einer Geldstrafe nach der hier zu ahndenden Tat bei der nach erzieherischen Gründen zu bemessenden Jugendstrafe zu berücksichtigen ist.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066303
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BGH
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1. Strafsenat
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20100609
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1 StR 187/10
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Beschluss
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§ 260 Abs 1 StPO, § 265 StPO, § 337 StPO
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vorgehend LG Stuttgart, 8. Dezember 2009, Az: 1 Ks 112 Js 9400/09, Urteil
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DEU
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Hauptverhandlung in Strafsachen. Urteilsberatung nach Wiedereintritt in die Verhandlung
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
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Der Angeklagte hat innerhalb von drei Monaten vier bewaffnete Raubdelikte, einen Mordversuch und zwei versuchte Totschlagsdelikte begangen. Das Landgericht hat ihn deshalb zu einer aus Einzelfreiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und sechs Monaten und zehn Jahren gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der näheren Ausführungen bedarf nur Folgendes:
Die Revision rügt, dass vor der Verkündung des Urteils unter Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO keine (erneute) Urteilsberatung stattgefunden habe.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
Nachdem die Strafkammer das Urteil umfassend beraten hatte, wurde die Beweisaufnahme wieder eröffnet und ein Hinweis nach § 265 StPO erteilt. Im Anschluss daran wurde die Beweisaufnahme erneut geschlossen. Die Verfahrensbeteiligten machten von der Gelegenheit, weitere Erklärungen zur Sache abzugeben, keinen Gebrauch, sondern nahmen lediglich auf ihre bereits gemachten Ausführungen Bezug. Sodann wurde das Urteil verkündet, ohne dass eine (erneute) Beratung stattgefunden hatte.
b) Die Revision und auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 29. April 2010 halten dieses Vorgehen zutreffend für rechtsfehlerhaft.
Gemäß § 260 Abs. 1 StPO hat das Urteil „auf die Beratung“ zu ergehen; diese muss der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgehen. Tritt das Gericht nach den Schlussvorträgen und der Beratung wieder in die Verhandlung ein, so muss es vor der Verkündung erneut beraten. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Wiedereintritt in die Verhandlung keinen neuen Prozessstoff ergeben hat (BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2; BGH NStZ-RR 1998, 142; BGH NStZ 2001, 106).
c) Der Senat kann jedoch hier ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel ausschließen. Bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll hat die Vorsitzende der Strafkammer in ihrer dienstlichen Äußerung erklärt, dass eine erneute Beratung deshalb unterblieben ist, weil nach dem Wiedereintritt in die Verhandlung von keinem der Verfahrensbeteiligten eine Äußerung erfolgt ist, die - nicht einmal in einem geringen Umfang - über die bloße Bezugnahme auf frühere Ausführungen hinaus inhaltliche Substanz gehabt hätte. Zusätzliche Erkenntnisse, die für den Straf- oder Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung hätten sein können, ergaben sich somit aus dem weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht. Für diesen Fall war nach der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden in der vor der Wiedereröffnung der Hauptverhandlung vorangegangenen Urteilsberatung zwischen den Mitgliedern der Strafkammer dahingehend Einigkeit erzielt worden, dass es bei dem Beratungsergebnis - einer Verurteilung des Angeklagten entsprechend dem erteilten rechtlichen Hinweis - bleiben sollte, ohne dies noch einmal zu beraten. Dementsprechend haben weder die Berufsrichter noch die Schöffen vor der Urteilsverkündung den Wunsch nach einer erneuten Beratung geäußert. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass hier ein Gerichtsmitglied zu einer anderen Entscheidung als zu der bereits umfassend vorberatenen gelangt wäre (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2 und 6; BGH NStZ 2001, 106).
2. Auch im Übrigen hat die aufgrund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils aus den von dem Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Der Senat sieht jedoch Anlass zu folgendem Hinweis:
Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB abgelehnt. Sachverständig beraten hat es bei diesem trotz der „ungewöhnlich schwerwiegenden Tatserie“ wegen des kurzen Tatzeitraumes von drei Monaten einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB „noch“ nicht feststellen können.
Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen eines Hanges verneint hat, ist nicht zutreffend. Liegen wie im vorliegenden Fall die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, kann nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft, ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfter straffällig wurde oder dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07; Urt. vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08 m.w.N.). Vielmehr können gerade zeitlich dicht aufeinander folgende Taten in ihrer Häufung für einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters sprechen, der ihn immer neue Straftaten begehen lässt. Durch die daher nicht tragfähig abgelehnte Anordnung von Sicherungsverwahrung ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
Nack Wahl Rothfuß
Graf Sander
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066307
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BGH
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3. Strafsenat
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20100624
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3 StR 156/10
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Beschluss
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§ 143 StPO, § 397a StPO
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vorgehend LG Wuppertal, 9. Oktober 2009, Az: 24 KLs 323 Js 725/09 - 42/09, Urteil
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DEU
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Beistandsbestellung für den Nebenkläger: Auswechslung des Beistands auf Antrag des Nebenklägers
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Der Antrag der Nebenklägerin Ja. S., gesetzlich vertreten durch die Eltern J. und U. S., ihr für das Revisionsverfahren Rechtsanwalt Jo. aus als Beistand zu bestellen, wird zurückgewiesen.
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Das Landgericht hat die Geschädigte Ja. S., gesetzlich vertreten durch die Eltern J. und U. S., durch Beschluss vom 8. September 2009 als Nebenklägerin zugelassen und ihr gemäß § 397 a Abs. 1 StPO Rechtsanwalt P. beigeordnet. Gegen die Verurteilung des Angeklagten unter Annahme von Tateinheit zwischen mehreren Vergewaltigungen im Verlaufe einer Geiselnahme hat die Nebenklägerin durch Rechtsanwalt P. Revision eingelegt und diese begründet. Nunmehr hat Rechtsanwalt Jo. beantragt, ihn gemäß § 397 a Abs. 1 StPO für das weitere Revisionsverfahren, insbesondere die auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin und des Angeklagten anberaumte Revisionshauptverhandlung vor dem Senat als Beistand der Nebenklägerin zu bestellen.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Die Beistandsbestellung durch das erstinstanzliche Gericht wirkt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz (BGHR StPO § 397 a Abs. 1 Beistand 2 und 3; BGH, Beschl. vom 7. Mai 2003 - 2 StR 88/03). Ein Wechsel in der Person des Beistandes könnte in entsprechender Anwendung des § 143 StPO nur durch Rücknahme der ursprünglichen Beiordnung und Bestellung eines neuen Beistandes in Betracht kommen (BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 63/01). Die Nebenklägerin hat jedoch nichts vorgetragen, was den Wechsel in der Person des Beistands rechtfertigen könnte. Zudem hat Rechtsanwalt P. nicht nur an der mehrtägigen Hauptverhandlung vor dem Landgericht teilgenommen, er hat auch eine ausführliche und die besondere rechtliche Situation (Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers - § 400 StPO - bei Angriffen allein gegen das vom Landgericht angenommene Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren Taten) berücksichtigende Revisionsbegründungsschrift gefertigt. Der Wechsel eines Mitarbeiters aus der Kanzlei von Rechtsanwalt P. in die Kanzlei von Rechtsanwalt Jo. ist kein Grund für die Rücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt P.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066311
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BGH
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12. Zivilsenat
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20100609
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XII ZR 183/08
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Beschluss
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§ 91a ZPO
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vorgehend OLG Stuttgart, 3. November 2008, Az: 5 U 66/08 vorgehend LG Ulm, 16. April 2008, Az: 3 O 225/07
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DEU
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Kostenentscheidung nach Hauptsacheerledigung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
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1. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
2. Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
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Der Kläger hat nach Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte wurde auf die Folgen des § 91 a Abs. 1 Satz 2 ZPO hingewiesen und hat der Erledigungserklärung nicht widersprochen.
Die Erledigung der Hauptsache kann in der Rechtsmittelinstanz, auch noch während des Verfahrens über eine Nichtzulassungsbeschwerde, erklärt werden. Da durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien der Rechtsstreit insgesamt erledigt ist, ist über alle bisher entstandenen Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Vorinstanzen, gemäß der auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geltenden Vorschrift des § 91 a ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes durch Beschluss zu entscheiden. Dabei ist der mutmaßliche Ausgang des Beschwerde- und gegebenenfalls des Revisionsverfahrens zu berücksichtigen (BGH Beschluss vom 1. März 2007 - I ZR 249/02 - NJW-RR 2007, 694, 695).
Danach sind die Kosten in vollem Umfang dem Kläger aufzuerlegen. Eine für den Kläger günstige Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits könnte nur getroffen werden, wenn nach dem Sach- und Streitstand bei Eintritt des erledigenden Ereignisses die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Erfolg gehabt und die Durchführung der Revision zu einer Abweisung der Klage geführt hätte (BGH Beschluss vom 1. März 2007 - I ZR 249/02 - NJW-RR 2007, 694, 695). Dies ist hier nicht der Fall. Die Nichtzulassungsbeschwerde hätte keinen Erfolg gehabt, weil ein Zulassungsgrund nicht gegeben war.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wäre zurückgewiesen worden, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hatte noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert hätte
(§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Hahne Wagenitz Vézina
Dose Klinkhammer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066313
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100628
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IX ZA 26/10
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Beschluss
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§ 78b ZPO
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vorgehend LG Hanau, 18. Mai 2010, Az: 2 S 22/10, Beschluss vorgehend AG Hanau, 8. April 2010, Az: 31 C 788/09
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DEU
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Beiordnung eines Notanwalts für eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
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Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Notanwalts für eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 18. Mai 2010 wird abgelehnt.
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Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts ist unbegründet.Die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 78b ZPO setzt voraus, dass die Partei trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Beide Voraussetzungen hat der Antragsteller nicht dargelegt. Aus seinen Ausführungen ergibt sich nicht, dass er sich erfolglos mit der Bitte um Mandatsübernahme an mindestens fünf beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwälte gewandt hat. Der von ihm in Aussicht genommenen Rechtsbeschwerde fehlen überdies jegliche Erfolgsaussichten. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Antragstellers mit zutreffender Begründung verworfen. Weder im Schreiben vom 28. Mai 2010 noch im Schreiben vom 18. Juni 2010 erläutert der Antragsteller, warum der anzugreifende Beschluss unzutreffend sein könnte.
Der Antragsteller kann nicht damit rechnen, Antwort auf weitere Eingaben zu erhalten.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066314
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100520
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IX ZB 121/07
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Beschluss
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Art 27 Abs 1 Nr 1 VollstrZustÜbk 1988
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vorgehend OLG Stuttgart, 4. Mai 2007, Az: 5 W 18/07, Beschluss vorgehend LG Stuttgart, 20. Februar 2007, Az: 17 O 76/07, Beschluss
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DEU
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Vollstreckbarerklärung einer schweizerischen Entscheidung: Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public durch unzumutbar knapp bemessene Ausschlussfrist
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Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners werden der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Mai 2007 und der Beschluss des Vorsitzenden der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2007 aufgehoben.
Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Bezirksgerichts Oberegg (Schweiz) vom 22. Januar 2004 wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens aller Instanzen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
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Das Bezirksgerichts Oberegg/Schweiz verpflichtete den Antragsgegner durch Urteil vom 22. Januar 2004 (EO 65/03), an der mit den Antragstellern gemeinsamen Grundstücksgrenze stehende Bäume zu entfernen, legte ihm die Kosten des Verfahrens auf und verurteilte ihn zur Zahlung einer außeramtlichen Entschädigung und einer "Motivierung". Eine gegen dieses Urteil fristgerecht eingelegte Berufung des Antragsgegners schrieb das Kantonsgericht Appenzell-Innerrhoden/Schweiz mit Bescheid vom 7. April 2004 (KE 19/04) ab, weil der Antragsgegner einen von ihm mit einem am 8. März 2004 zugestellten Schreiben geforderten Kostenvorschuss für das Berufungsverfahren innerhalb einer Frist bis zum 10. März 2004 nicht eingezahlt hatte. Zuvor hatte es einen Fristverlängerungsantrag des Antragstellers bis zum 26. März 2004 abgelehnt. Dieser hatte den Vorschuss daraufhin bis zum Erlass des Abschreibungsbescheides auch nicht eingezahlt.
Mit Beschluss vom 20. Februar 2007 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts die Entscheidung des Bezirksgerichts Oberegg/Schweiz hinsichtlich der dort festgelegten Zahlungsbeträge für vollstreckbar erklärt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Antragsgegner weiterhin die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung.
II.
Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und begründet.
1. Auf das vorliegende Verfahren findet das Übereinkommen von Lugano Anwendung, da die Schweiz nicht Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ist (Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ).
2. Der von dem Antragsgegner gerügte Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, der gemäß Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 LugÜ die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung hindern könnte, greift durch.Für den Verstoß eines ausländischen Urteils gegen den ordre public ist maßgebend, dass das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und der in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (sogen. ordre public international - BGHZ 50, 370, 375 f; 75, 32, 43; 118, 312, 330; BGH, Urt. v. 21. Januar 1991 - II ZR 50/90, NJW 1991, 1418, 1420; Kropholler, Europäisches Zivilrecht, 8. Aufl. Art. 34 EuGVÜ Rn. 13 ff). Die Beachtung der Grundrechte gehört zum Inhalt der deutschen öffentlichen Ordnung (BGHZ 144, 390, 392 f). Diese ist verletzt, wenn eine Entscheidung unter Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren zustande gekommen ist.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zum Gericht sowie zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl.BVerfGE 40, 88, 91; 41, 23, 26; 67, 208, 212 f; 69, 381, 385; 85, 337, 347; 88, 118, 123 ff). Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG NJW-RR 2004, 1150, 1151).
b) Eine derartige Erschwerung, die im Prozessrecht keine Stütze hat, liegt vor, wenn Ausschlussfristen für die Einzahlung von Vorschüssen derart knapp bemessen werden, dass es unmöglich ist, sie einzuhalten, und innerhalb der laufenden Frist beantragte Fristverlängerungen nicht gewährt werden. Dies ist hier der Fall. Das schweizerische Berufungsgericht hat die Frist für die Einzahlung des Kostenvorschusses für die Berufungsinstanz so knapp angesetzt, dass der Antragsgegner in verfassungsrechtlich erheblicher Weise an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert war. Eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist von zwei Tagen, innerhalb derer der Vorschuss für die Durchführung eines Berufungsverfahrens im Überweisungswege über eine Post- oder Bankverbindung in der Schweiz eingezahlt werden muss, andernfalls das Verfahren "abgeschrieben" wird, ist mit dem deutschen Zivilprozessrecht schlechthin unvereinbar. Es steht deshalb der Vollstreckbarerklärung einer ausländischer Entscheidungen entgegen, wenn es gegen diese Entscheidung im Ausland zwar eine weitere Instanz gibt, der Zugang zu dieser Rechtsmittelinstanz aber durch eine unzumutbar knapp bemessenen Frist für die Einzahlung des Vorschusses so erschwert wird, dass von einer Verletzung tragender rechtsstaatlicher Grundsätze ausgegangen werden muss. Auch wenn gegen den Bescheid des Bezirksgerichts Oberegg für sich gesehen keine durchgreifenden Einwendungen bestehen, die die Nichtanerkennung der Entscheidung rechtfertigen könnten, kann das Urteil wegen des unfairen Rechtsmittelverfahrens gegen diese Entscheidung nicht für vollstreckbar erklärt werden.
IV.
Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.
Kayser Raebel Lohmann
Pape Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066315
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100624
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IX ZB 283/09
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Beschluss
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§ 295 InsO, § 296 Abs 1 S 1 InsO, § 296 Abs 1 S 2 InsO, § 296 Abs 1 S 3 InsO
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vorgehend LG Verden, 18. November 2009, Az: 3a T 210/09, Beschluss vorgehend AG Syke, 29. September 2009, Az: 15 IK 34/03, Beschluss
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DEU
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Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung: Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung einer Gläubigerbeeinträchtigung
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Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 18. November 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 29. September 2009 aufgehoben.
Der Antrag der weiteren Beteiligten zu 1 auf Versagung der Restschuldbefreiung wird als unzulässig zurückgewiesen.
Die weitere Beteiligte zu 1 hat die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
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I.
In dem auf Eigenantrag am 1. Juli 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde diesem mit Beschluss vom 20. Januar 2005 die Restschuldbefreiung angekündigt. Am 27. April 2005 hob das Insolvenzgericht das Verfahren auf. In der Wohlverhaltensphase war der Schuldner bis zum 30. Juni 2005 als angestellter Programmierer beschäftigt. Nach einer sich anschließenden Arbeitslosigkeit nahm er am 1. September 2007 eine selbständige Tätigkeit auf, die bis zum 31. Mai 2008 von der Bundesagentur für Arbeit bezuschusst wurde. Nach einem Bericht des Treuhänders vom 17. Juli 2009 führte der Schuldner nach Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit keine Zahlungen an diesen ab. Unter Bezugnahme auf diesen Bericht beantragte die weitere Beteiligte zu 1 am 4. August 2009, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29. September 2009 die Restschuldbefreiung versagt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Aufhebung dieser Beschlüsse.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. §§ 6, 7, 296 Abs. 3 Satz 1 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückweisung des Gläubigerantrags.
Der Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung ist unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Antrag eines Gläubigers gemäß § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO glaubhaft gemacht worden sind. Der Gläubiger muss in seinem Antrag sowohl die Obliegenheitsverletzung als auch die darauf beruhende Beeinträchtigung der Insolvenzgläubiger glaubhaft machen; letzteres liegt nur vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, ZInsO 2006, 547, 548 Rn. 4; v. 8. Februar 2007 - IX ZB 88/06, ZInsO 2007, 207, 322, 323 Rn. 5; v. 12. Juni 2008 - IX ZB 91/06, VuR 2008, 434 Rn. 3; v. 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391, 392 Rn. 9). Der erforderliche Sachvortrag und die Glaubhaftmachung können zwar auch mittels einer konkreten Bezugnahme auf den Bericht des Treuhänders erfolgen (BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010 aaO Rn. 10). Dies setzt allerdings voraus, dass der Bericht des Treuhänders seinerseits den genannten Anforderungen genügt.
Vorliegend ergibt sich aus dem Bericht des Treuhänders nicht, dass der Schuldner durch die Nichtabführung von Beträgen die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt hat. Der Treuhänder teilt lediglich mit, den Schuldner auf seine Obliegenheiten aus § 295 InsO hingewiesen und von diesem keine Zahlungen erhalten zu haben. Um einen zulässigen Versagungsantrag zu stellen, hätte die Beteiligte zu 1 darlegen und glaubhaft machen müssen, dass der Schuldner während seiner selbständigen Tätigkeit als abhängig Beschäftigter Einkünfte erzielt hätte, die zu einer zumindest teilweisen Befriedigung der Insolvenzgläubiger hätten dienen können. Da die Beteiligte zu 1 dazu keinerlei Ausführungen gemacht hat, fehlt es an der Glaubhaftmachung einer gläubigerbeeinträchtigenden Obliegenheitsverletzung. Eine Versagung der Restschuldbefreiung hätte aufgrund des Antrags der Beteiligten zu 1 nicht erfolgen dürfen. Auf die hypothetischen Erwägungen des Beschwerdegerichts kommt es nicht an.
Ganter Raebel Vill
Lohmann Pape
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100066316
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100624
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IX ZR 125/09
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Urteil
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§ 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 130 Abs 1 Nr 2 InsO
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vorgehend OLG Stuttgart, 17. Juni 2009, Az: 9 U 124/08, Urteil vorgehend LG Tübingen, 1. August 2008, Az: 3 O 305/07
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DEU
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Insolvenzverfahren: Wirksamkeit der Aufrechnung bei Erhalt der Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 95 % und die Beklagte 5 % zu tragen.
Von Rechts wegen
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 16. Februar 2004 über das Vermögen der M., Gesellschaft für GmbH (nachfolgend Schuldnerin) am 1. Mai 2004 eröffneten Insolvenzverfahren.
Der Schuldnerin wurde am 5. Februar 2003 von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erlaubnis für eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung auf die Dauer eines Jahres erteilt; durch Bescheid vom 23. Januar 2004 wurde die Erlaubnis bis zum 7. Februar 2005 verlängert. Im Mai 2003 schlossen die Parteien drei gleichlautende mit "Vertrag über die Einrichtung und den Betrieb einer Personal-Service-Agentur (PSA) auf der Grundlage des § 37c Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)" überschriebene Vereinbarungen. Neben dem eigentlichen Vertragstext waren unter anderem eine Leistungsbeschreibung und ein Preisblatt Gegenstand der vertraglichen Einigung.
Nach dem Inhalt der getroffenen Abreden ist die Schuldnerin verpflichtet, eine Personal-Service-Agentur (PSA) nach § 37c SGB III in Verbindung mit § 434g Abs. 5 SGB III im Bereich des Arbeitsamts R. einzurichten und als organisatorisch eigenständige Einheit zu betreiben. Die Schuldnerin hat vom Arbeitsamt vorgeschlagene Arbeitnehmer auf der Grundlage des Tarifvertrages über Arbeitnehmerüberlassung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzustellen und eine vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung durchzuführen. Sie erhält dafür je Arbeitnehmer eine monatliche Fallpauschale in Höhe von 1.200 €.
Im Januar 2004 stellte die - bereits geraume Zeit zuvor insolvenzreife- Schuldnerin die Lohnzahlungen an die von ihr eingestellten Arbeitnehmer ein. Die Beklagte widerrief am 16. Februar 2004 unter Berufung auf die daraus folgende Unzuverlässigkeit die Erlaubnis für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung gegenüber der Schuldnerin. Der Kläger hat für die Monate ab Januar 2004 von der Beklagten Zahlung von Fall- und Vermittlungspauschalen in Höhe von 282.948,85 € verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von Fallpauschalen von 231.096,85 € und von Vermittlungspauschalen von 13.224 €, also insgesamt 244.320,85 €, verurteilt. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger hat die Klage bezüglich des die Forderung von 13.224 € zuzüglich Zinsen übersteigenden Betrages zurückgenommen und insoweit auf die Rechte aus dem Berufungsurteil verzichtet.
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Die Revision der Beklagten bleibt im Blick auf die nach der Klagerücknahme allein noch den Gegenstand des Rechtsmittels bildende Restforderung über 13.224 € ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass die Hilfsaufrechnung der Beklagten gegen die rechtlich unstreitige Forderung über 13.224 € mit nach der Beantragung von Insolvenzausfallgeld durch die Arbeitnehmer auf sie übergegangenen Lohnforderungen an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO scheitere.
II.
Dies hält rechtlicher Prüfung stand.
1. Zu § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist anerkannt, dass die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden kann. Der Verwalter kann die Wirkungen der Anfechtung auf die Herstellung der Aufrechnungslage beschränken (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009 - IX ZR 147/06, WM 2009, 2394, 2395 Rn. 11).
2. Die Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Regelung ist nicht auf Rechtshandlungen des späteren Insolvenzschuldners beschränkt, sofern der inzident zu prüfende Anfechtungstatbestand - hier (bei zugunsten der Beklagten unterstellter Kongruenz) § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO - eine solche nicht voraussetzt (HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 96 Rn. 32). Als Rechtshandlung kommt grundsätzlich jedes Rechtsgeschäft in Betracht, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 15). Danach liegt eine Rechtshandlung vor, wenn der Aufrechnende als Schuldner im Wege der Abtretung eine Forderung erlangt hat (OLG Köln NJW-RR 2001, 1493, 1494 m.w.N.; HmbKomm-InsO/Jacoby, 3. Aufl. § 96 Rn. 12). Ebenso sind die gläubigerbenachteiligenden Wirkungen von Rechtshandlungen Dritter anfechtbar, die - wie im Streitfall die Beantragung von Insolvenzausfallgeld - kraft eines gesetzlichen Forderungsübergangs dem Aufrechnenden eine Gläubigerstellung verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 16 ff; Beschl. v. 17. Dezember 2009 - IX ZR 215/08, Rn. 4).
3. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte die zur Aufrechnung gestellten Forderungen nach Kenntnis des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin erworben hat. Da die Aufrechnung zu einer vollen Befriedigung der Beklagten führt, liegt auch eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp
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Deutschland
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JURE100066319
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100624
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IX ZR 97/09
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Urteil
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§ 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 129 InsO, § 130 Abs 1 Nr 2 InsO, § 37c SGB 3
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vorgehend OLG Hamm, 27. April 2009, Az: I-5 U 200/08, Urteil vorgehend LG Arnsberg, 23. September 2008, Az: 1 O 69/08
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DEU
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Insolvenzanfechtung: Anfechtbarkeit der Herstellung einer Aufrechnungslage bei Erlangung der Gläubigerstellung durch gesetzlichen Forderungsübergang
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. April 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 16. Februar 2004 über das Vermögen der M., Gesellschaft für mbH (nachfolgend Schuldnerin) am 1. Mai 2004 eröffneten Insolvenzverfahren.
Der Schuldnerin wurde am 5. Februar 2003 von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erlaubnis für eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung auf die Dauer eines Jahres erteilt; durch Bescheid vom 23. Januar 2004 wurde die Erlaubnis bis zum 7. Februar 2005 verlängert. Im Mai 2003 schlossen die Parteien drei gleichlautende mit "Vertrag über die Einrichtung und den Betrieb einer Personal-Service-Agentur (PSA) auf der Grundlage des § 37c Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)" überschriebene Vereinbarungen. Neben dem eigentlichen Vertragstext waren unter anderem eine Leistungsbeschreibung und ein Preisblatt Gegenstand der vertraglichen Einigung.
Nach dem Inhalt der getroffenen Abreden ist die Schuldnerin verpflichtet, eine Personal-Service-Agentur (PSA) nach § 37c SGB III in Verbindung mit § 434g Abs. 5 SGB III im Bereich des Arbeitsamts M. einzurichten und als organisatorisch eigenständige Einheit zu betreiben. Die Schuldnerin hat vom Arbeitsamt vorgeschlagene Arbeitnehmer auf der Grundlage des Tarifvertrages über Arbeitnehmerüberlassung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzustellen und eine vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung durchzuführen. Sie erhält dafür je Arbeitnehmer eine monatliche Fallpauschale in Höhe von 1.200 €.
Im Januar 2004 stellte die - bereits geraume Zeit zuvor insolvenzreife- Schuldnerin die Lohnzahlungen an die von ihr eingestellten Arbeitnehmer ein. Die Beklagte widerrief am 16. Februar 2004 unter Berufung auf die daraus folgende Unzuverlässigkeit die Erlaubnis für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung gegenüber der Schuldnerin. Der Kläger verlangt für die Monate Januar und Februar 2004 von der Beklagten Zahlung von Fallpauschalen in Höhe von 267.164,56 €. Außerdem beansprucht er Zahlung von der Höhe nach unstreitigen Vermittlungsprämien von nunmehr noch 1044 €. Das Berufungsgericht hat der von dem Landgericht abgewiesenen Klage insoweit stattgegeben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger hat die Klage bezüglich des die Forderung von 1044 € zuzüglich Zinsen übersteigenden Betrages zurückgenommen und auf die Rechte aus dem Berufungsurteil verzichtet.
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Die Revision der Beklagten bleibt im Blick auf die nach der Klagerücknahme allein noch den Gegenstand des Rechtsmittels bildende Restforderung über 1044 € ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass die Hilfsaufrechnung der Beklagten gegen die rechtlich unstreitige Forderung über 1044 € mit nach der Beantragung von Insolvenzausfallgeld durch die Arbeitnehmer auf sie übergegangenen Lohnforderungen an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO scheitere.
II.
Dies hält rechtlicher Prüfung stand.
1. Zu § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist anerkannt, dass die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden kann. Der Verwalter kann die Wirkungen der Anfechtung auf die Herstellung der Aufrechnungslage beschränken (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009 - IX ZR 147/06, WM 2009, 2394, 2395 Rn. 11).
2. Die Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Regelung ist nicht auf Rechtshandlungen des späteren Insolvenzschuldners beschränkt, sofern der inzident zu prüfende Anfechtungstatbestand - hier (bei zugunsten der Beklagten unterstellter Kongruenz) § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO - eine solche nicht voraussetzt (HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 96 Rn. 32). Als Rechtshandlung kommt grundsätzlich jedes Rechtsgeschäft in Betracht, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 15). Danach liegt eine Rechtshandlung vor, wenn der Aufrechnende als Schuldner im Wege der Abtretung eine Forderung erlangt hat (OLG Köln NJW-RR 2001, 1493, 1494 m.w.N.; HmbKomm-InsO/Jacoby, 3. Aufl. § 96 Rn. 12). Ebenso sind die gläubigerbenachteiligenden Wirkungen von Rechtshandlungen Dritter anfechtbar, die - wie im Streitfall die Beantragung von Insolvenzausfallgeld - kraft eines gesetzlichen Forderungsübergangs dem Aufrechnenden eine Gläubigerstellung verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 16 ff; Beschl. v. 17. Dezember 2009 - IX ZR 215/08, Rn. 4).
3. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte die zur Aufrechnung gestellten Forderungen nach Kenntnis des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin erworben hat. Da die Aufrechnung zu einer vollen Befriedigung der Beklagten führt, liegt auch eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066321
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100624
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V ZB 170/09
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Beschluss
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§ 72 GVG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 238 ZPO, § 234 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO
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vorgehend LG Rostock, 25. September 2009, Az: 1 S 278/08, Beschluss vorgehend AG Wolgast, 2. Oktober 2008, Az: 1 C 550/07 WEG
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DEU
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der fehlerhaften Abklärung der Rechtsmittelzuständigkeit in Wohnungseigentumssachen
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 25. September 2009 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
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I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger wenden sich gegen verschiedene Beschlüsse, die auf zwei Eigentümerversammlungen gefasst wurden. Das Amtsgericht hat drei der angegriffenen Beschlüsse für ungültig erklärt. Gegen das ihnen spätestens am 14. Oktober 2008 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 3. November 2008 bei dem Landgericht Stralsund Berufung eingelegt. Nach Eingang der Akten am 11. November 2008 hat der Vorsitzende der Berufungszivilkammer die Vorlage der Akten an die Beschwerdezivilkammer zur Prüfung einer Übernahme der Sache verfügt. Deren Vorsitzende hat die Akten am 20. November 2008 an die Berufungskammer unter Hinweis darauf zurückgesandt, zuständig sei nach § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG das Landgericht Rostock. Unter dem 25. November 2008 ist den Beklagten ein entsprechender Hinweis erteilt worden. Am 3. Dezember 2008 haben sie die Abgabe der Sache an das Landgericht Rostock beantragt und am 5. Dezember 2008 nochmals Berufung – nunmehr bei diesem Gericht – eingelegt. Das Rechtsmittel haben sie sogleich begründet und mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden. Das Landgericht Rostock (im Folgenden Berufungsgericht) hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten hängt die Beantwortung der Frage, ob das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt hat, nicht von klärungsbedürftigen Rechtsfragen ab. Die für die Beurteilung des Falles maßgeblichen Obersätze lassen sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres entnehmen (dazu unten 2. b). Für die Aufstellung weiterer sachverhaltsbezogener Leitlinien (dazu Senat, BGHZ 154, 221, 225) zur Fortbildung des Rechts besteht kein Anlass.
2. Es ist auch keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil die Rüge, das Berufungsgericht habe die Beklagten in deren Recht auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens verletzt (Art. 2 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; Art. 19 Abs. 4 GG), nicht durchgreift. Das Berufungsgericht hat die an die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen zu stellenden Anforderungen – auch unter Berücksichtigung der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (dazu Senat, BGHZ 151, 221, 227) – nicht überspannt. Insbesondere hat es den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (zu diesen Kriterien vgl. nur BVerfGE 78, 88, 99; 84, 366, 369 f.; Senat, aaO, 227 f.; jeweils m.w.N.).
a) Die Erwägung des Berufungsgerichts, die nicht fristwahrende Einlegung der Berufung bei dem Landgericht Stralsund (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Dezember 2009, V ZB 67/09, WuM 2010, 107 f.) beruhe auf verschuldeter Rechtsunkenntnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, wird von der Rechtsbeschwerde nicht mit Gründen nach § 574 Abs. 2 ZPO (zu den Anforderungen Senat, Beschl. v. 25. März 2010, V ZB 159/09, Rdn. 5 m.w.N., juris) angegriffen. Sie ist davon abgesehen auch zutreffend. An den mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind mit Blick auf die Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Die Rechtsmittelzuständigkeit abzuklären, ist zuvörderst seine Aufgabe. Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war § 72 Abs. 2 GVG in der hier einschlägigen Fassung bereits über ein Jahr in Kraft. Das vor diesem Hintergrund ohne weiteres gegebene Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten müssen sich die Beklagten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt eine Überspannung der Wiedereinsetzungsanforderungen nicht in der Annahme des Berufungsgerichts, eine fristgerechte Weiterleitung der Berufung an das zuständige Rechtsmittelgericht habe im ordentlichen Geschäftsgang nicht erwartet werden können. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht mehr auf die Fristversäumung ausgewirkt habe.
aa) Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden (vgl. dazu etwa Senat, Beschl. v. 28. Juni 2007, V ZB 187/06, MDR 2007, 1276, 1277 m.w.N.), besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (vgl. nur BGH, Beschl. v. 15. Juni 2004, VI ZB 75/03, NJW-RR 2004, 1655, 1656; Beschl. v. 18. März 2008, VIII ZB 4/06, NJW 2008, 1890, 1891; jeweils m.w.N.). Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (vgl. BVerfGE 93, 99, 114; BVerfG NJW 2001, 1343; 2006, 1579; BGH, Beschl. v. 5. Oktober 2005, VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776, 3777; Beschl. v. 18. März 2008, aaO, 1891).
bb) Etwas anders gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht (vgl. BVerfG NJW 2002, 3692, 3693; 2006, 1579). In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden (BVerfG NJW 2006, 1579); das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (vgl. nur BGH, Beschl. v. 5. Oktober 2005, aaO, NJW 2005, 3776, 3777 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
(1) Anders als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der Einlegung der Berufung musste der Vorsitzende der Berufungszivilkammer nicht schon nach Vorlage der Akten mit aller Sorgfalt ermitteln, welches Gericht für die Berufung zuständig war. Das Rechtsmittel war ausdrücklich an das - grundsätzlich für Rechtsmittel gegen Urteile des Amtsgerichts Wolgast zuständige - Landgericht Stralsund adressiert. Vor diesem Hintergrund stellt es jedenfalls kein offenkundig nachlässiges Fehlverhalten dar, wenn sich der Vorsitzende in diesem frühen Verfahrensstadium im Kern auf die gerichtsinterne Zuständigkeit konzentriert, er die Akten einer anderen Kammer zur Prüfung einer Übernahme zugeleitet und er die Beklagten nicht sofort auf diese Umstände hingewiesen hat. Dass der Vorsitzende erst nach dem Eingang der Prozessakten bei dem Berufungsgericht tätig geworden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Vorgehensweise ist zumindest gut vertretbar. Da die Zuständigkeit in vielen Fällen frühestens nach Eingang der Prozessakten beurteilt werden kann – oftmals lässt sich Klarheit hierüber sogar erst nach Eingang der Rechtsmittelbegründung gewinnen –, vermeidet das gewählte Verfahren im Regelfall, dass die Akten zur Prüfung formeller Verfahrensfragen in wenig prozessökonomischer Weise mehrfach vorgelegt und bearbeitet werden müssen.
(2) Nicht zu beanstanden ist, dass die Beschwerdezivilkammer, der die Akten am 11. November 2008 zugeleitet worden sind, die Zuständigkeit nicht innerhalb der jedenfalls am 14. November 2008 ablaufenden Berufungsfrist geprüft hat. Zu einer vorrangigen und beschleunigten Befassung mit der Sache bestand keine Veranlassung. Jedenfalls liegt auch insofern kein offenkundig nachlässiges Fehlverhalten des Landgerichts Stralsund vor. Beschleunigte Hinweise an die Beklagten nach Ablauf des 14. November 2008 hätten an der Versäumung der Berufungsfrist nichts mehr ändern können.
cc) Nach allem kommt es nicht mehr darauf an, ob die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch daran scheitert, dass den Beklagten das angefochtene Urteil jedenfalls nach ihren eigenen Angaben in der Berufungsschrift bereits am 2. Oktober 2008 zugestellt worden ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066323
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100618
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V ZR 196/09
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Urteil
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§ 556 Abs 2 BGB, § 1093 BGB
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vorgehend LG Berlin, 23. Oktober 2009, Az: 63 S 77/09, Urteil vorgehend AG Schöneberg, 6. Januar 2009, Az: 3 C 366/08, Urteil
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DEU
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Dingliches Wohnungsrecht: Pflicht des Wohnungsberechtigten zu Vorauszahlungen auf die Betriebskosten ohne entsprechende Vereinbarung
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Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin vom 23. Oktober 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Den Beklagten steht als Gesamtgläubigern an drei - vermieteten - Wohnungen jeweils ein dingliches Wohnungsrecht zu. Nach dem der Bestellung der Rechte zugrunde liegenden Vertrag sind die Beklagten zur Erstattung der Betriebskosten verpflichtet.
Entsprechend der von der Klägerin für das Jahr 2007 erstellten Betriebskostenabrechnung, die einen Saldo zu Lasten der Beklagten von 1.720,20 € aufweist, hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Vorschusses auf die Betriebskosten von 145 €/Monat für die Zeit von Januar bis August 2008 (1.160 €) verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin die Hauptsache für erledigt erklärt und die Feststellung der Erledigung beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin den Feststellungsantrag weiter.
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I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist keine Erledigung der Hauptsache eingetreten, weil die Klage von Anfang an unbegründet war. Weder aus den gesetzlichen Vorschriften über das dingliche Wohnungsrecht noch aus dem neben diesem bestehenden gesetzlichen Begleitschuldverhältnis zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Wohnungsberechtigten noch aus der analogen Anwendung der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag ergebe sich eine Verpflichtung zur Leistung von Vorauszahlungen auf die Betriebskosten.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
1. Unerheblich sind die Ausführungen in der Revisionsbegründung zu der Verpflichtung von Wohnungsberechtigten, auch ohne Vereinbarung die durch die Benutzung der Wohnung verursachten Betriebskosten zu tragen. Denn nach dem Tatbestand des Berufungsurteils, gegen dessen Richtigkeit sich die Klägerin nicht nach § 320 ZPO gewandt hat, ist zwischen den Parteien vereinbart, dass die Beklagten der Klägerin Betriebskosten erstatten müssen. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§§ 314, 559 ZPO) und muss sie seiner Beurteilung zugrunde legen (siehe nur BGH, Urt. v. 23. April 2010, LwZR 20/09, Rdn. 10, juris). Im Übrigen stellen die Beklagten ihre Zahlungspflicht nicht in Abrede; dementsprechend sagt das Berufungsgericht hierzu nichts, sondern setzt sie - zu Recht - voraus.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Argumentation des Berufungsgerichts, mit der es den geltend gemachten Anspruch verneint.
a) Dass sich aus den Regelungen in § 1093 BGB und aus den Vorschriften, auf die darin verwiesen wird, keine Verpflichtung eines Wohnungsberechtigten ergibt, an den Grundstückseigentümer Vorschüsse auf die Betriebskosten zu zahlen, sieht auch die Klägerin nicht anders.
b) Unklar ist, auf welche rechtlichen Gesichtspunkte sie ihre Ansicht stützt, es sei nicht ersichtlich, weshalb sie die Betriebskosten zunächst verauslagen solle und sodann von den Beklagten zurückfordern müsse.
aa) Soweit sie im Hinblick auf die Vorschusspflicht eine Gleichstellung der Beklagten mit den übrigen Mietern verlangt, scheitert dies daran, dass der Mieter nur dann Vorauszahlungen auf die Betriebskosten schuldet, wenn sie mit dem Vermieter vereinbart sind (§ 556 Abs. 2 BGB), zwischen den Parteien eine solche Vereinbarung jedoch fehlt.
bb) Ins Leere geht die Überlegung, da bei einem Wohnungsrecht keine Miete entrichtet werde, könne die mietrechtliche Erwägung, dass beim Fehlen einer abweichenden Vereinbarung die Betriebskosten mit der Grundmiete abgegolten seien, nicht gelten. Denn dieser Gesichtspunkt betrifft lediglich die Frage, ob ein Wohnungsberechtigter auch ohne Vereinbarung Betriebskosten schuldet, besagt jedoch nichts zu der Verpflichtung zur Vorschusszahlung.
cc) Ebenfalls ins Leere geht der Hinweis auf den Inhalt des dinglichen Wohnungsrechts. Damit hat die Verpflichtung des Wohnungsberechtigten zur Leistung von Vorschüssen auf Betriebskosten nichts zu tun.
dd) Nicht erkennbar ist, worauf die Klägerin den Vorwurf stützt, ein Wohnungsberechtigter verhalte sich treuwidrig, wenn er Vorauszahlungen auf geschuldete Betriebskosten verweigere. Soweit sie in diesem Zusammenhang meint, redliche Vertragsparteien hätten "diese Situation" durch die Vereinbarung einer Vorauszahlungspauschale geregelt, spricht das dafür, dass die Klägerin eine ergänzende Vertragsauslegung anstrebt. Im Gegensatz dazu verweist die Klägerin jedoch auf eine von ihr angenommene planwidrige Regelungslücke im Gesetz; der hier zu beurteilende Sachverhalt sei insoweit mit dem Tatbestand der mietrechtlichen Betriebskostenregelung in § 556 Abs. 2 BGB vergleichbar, als angenommen werden könne, der Gesetzgeber wäre bei Kenntnis der Lücke im Hinblick auf die Betriebskostentragung bei Wohnungsrechten und Abwägung der jeweiligen Interessen zur Annahme einer Verpflichtung zur Vorauszahlung entsprechend § 556 Abs. 2 BGB gelangt. Was dies alles mit einem treuwidrigen Verhalten zu tun haben soll, erschließt sich nicht. Auch vermag die - gegebenenfalls - gewünschte Gesetzesanalogie der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn sie hätte lediglich zur Folge, dass Grundstückseigentümer und Wohnungsberechtigter die Verpflichtung zu Vorauszahlungen für Betriebskosten vereinbaren könnten, nicht aber, dass der Wohnungsberechtigte ohne eine solche Vereinbarung Vorauszahlungen schuldete.
ee) Schließlich kommt eine ergänzende Vertragsauslegung, die weder von den Instanzgerichten noch von der Klägerin in Betracht gezogen worden ist, nicht in Betracht. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in dem Wohnungsrechtsbestellungsvertrag gibt es keine Anhaltspunkte. Darin heißt es, dass die Wohnungsberechtigten der Grundstückseigentümerin die Nebenkosten zu erstatten haben, "soweit diese im Einzelfall von ihr persönlich verauslagt werden". Das spricht für eine bewusst abschließende Regelung ohne Verpflichtung zur Vorauszahlung. Dass dies auch tatsächlich der Vereinbarung der Parteien entspricht, wird daraus deutlich, dass die Beklagten bisher keine Vorauszahlungen geleistet haben und die Klägerin solche auch nicht verlangt hat.
c) Entgegen der von dem Amtsgericht vertretenen Ansicht, der sich die Klägerin anschließt, scheidet ein Anspruch nach § 669 BGB aus. Das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis enthält keine Auftragselemente.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 BGB.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066324
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100624
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V ZR 225/09
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Beschluss
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§ 138 BGB, § 781 BGB
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vorgehend OLG Köln, 29. Oktober 2009, Az: 7 U 49/09, Urteil vorgehend LG Bonn, 13. März 2009, Az: 4 O 77/08
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DEU
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Sittenwidrigkeit bei Grundstücksgeschäften: Auffälliges Missverhältnis zwischen Grundstückswert und Kaufpreis; Unwirksamkeit eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses bezüglich des Kaufpreisanspruchs
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Oktober 2009 aufgehoben.
Der Rechtstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 37.377,52 €.
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I.
Mit notariell beurkundetem und vormundschaftsgerichtlich genehmigtem Vertrag kaufte die Beklagte von dem durch seinen Betreuer Dr. V. vertretenen Kläger zwei Grundstücke zu einem Gesamtpreis von 45.329,25 €. Dabei entfielen auf die sog. Holzung (25.542 qm à 0,75 € =) 19.157,25 € und auf das sog. Grünland (13.086 qm à 2 € =) 26.172 €. In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Stundungen, die im Jahr 2004 in den Abschluss einer notariell beurkundeten und ebenfalls vormundschaftsgerichtlich genehmigten Ratenzahlungsvereinbarung einmündeten, die die vollständige Begleichung der Kaufpreisschuld bis zum 31. Dezember 2007 vorsah. Vollständig erfüllt wurde die Forderung jedoch nicht, weil die Beklagte mittlerweile unter anderem auf dem Standpunkt steht, der Kaufvertrag sei wegen sittenwidriger Überhöhung des Kaufpreises nichtig. Der Kläger fordert die Begleichung der noch offenen Kaufpreisverbindlichkeit, die er inklusive Zinsen mit 37.597,64 € beziffert.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist überwiegend erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat den ausgeurteilten Betrag lediglich auf 35.086,76 € reduziert. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Den Einwand der Sittenwidrigkeit hat das Berufungsgericht aus zwei selbständig tragenden Gründen nicht für durchgreifend erachtet. Zum einen liege kein für § 138 Abs. 1 BGB erhebliches auffälliges Missverhältnis vor. Zum anderen sei die Ratenzahlungsabrede als deklaratorisches Schuldanerkenntnis auszulegen, wodurch es der Beklagten verwehrt sei, sich auf die Sittenwidrigkeit zu berufen. Die hierzu angestellten Erwägungen verletzen jeweils in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (§ 544 Abs. 7 ZPO).
1. Das Eingreifen von § 138 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht mit der Erwägung verneint, ein grobes Missverhältnis lasse sich auf der Grundlage der eingereichten Aufstellung des Betreuers nicht feststellen. Dabei wird jedoch - was die Beschwerde zu Recht rügt - das unter Sachverständigenbeweis gestellte Vorbringen der Beklagten übergangen, wonach der vereinbarte Kaufpreis um mindestens 100 % überhöht sei. Hinsichtlich des „Grünlands“ betrage der Wert des Grundstücks höchstens 1 €/qm. Mit Blick auf die „Holzung“ hat die Beklagte im Ausgangspunkt einen Wert von 0,30 €/qm behauptet und hierzu der Sache nach ausgeführt, auch unter Berücksichtigung eines Aufschlages für den Zuwachswert werde das auffällige Missverhältnis nicht ausgeräumt. Zwar ist in der Regel davon auszugehen, dass ein Gericht Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat(vgl. BVerfGE 22, 267, 274; 65, 293, 295; 88, 366, 375 f.; Senat, BGHZ 154, 288, 300). Hier liegt es jedoch anders, weil die Verneinung eines auffälligen Missverhältnisses nur zu erklären ist, wenn das Berufungsgericht das in Rede stehende Vorbringen unberücksichtigt gelassen hat. Denn der Kern des Vortrags besteht in der Behauptung des unter Sachverständigenbeweis gestellten Missverhältnisses von wenigstens 100 %, zu dessen weiterer Substantiierung die Beklagte nicht gehalten war (vgl. nur Senat, BGH, Urt. v. 5. Oktober 2001, V ZR 237/00, NJW 2002, 429, 431). Mit den eingereichten Unterlagen sollte dieses Missverhältnis ersichtlich nur ergänzend untermauert, nicht aber ausschließlich auf die sich daraus ergebenden Umstände gestützt werden.
2. Auch mit Blick auf das angenommene deklaratorische Schuldanerkenntnis liegt eine entscheidungserhebliche Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vor. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Berufungsgericht nicht bereits auf der Rechtssatzebene verkannt, dass die Annahme eines deklaratorisches Schuldanerkenntnisses nur unter der Voraussetzung in Betracht kommt, dass die Parteien das zwischen ihnen bestehende Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen wollen. Ein dem entgegen stehender Obersatz lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Im Gegenteil legt es jedenfalls die Bezugnahme des Berufungsurteils auf "Palandt/Sprau, § 781 Rdn. 3" zumindest außerordentlich nahe, dass das Berufungsgericht insoweit von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist. Allerdings greift auf dieser Grundlage die weitere Verfahrensrüge durch, das Berufungsgericht habe auch insoweit jedenfalls gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Die Beschwerde verweist auf Parteivorbringen, auf dessen Grundlage das Berufungsgericht außer Acht gelassen hat, dass der Kaufpreis auch noch bei Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung außer Streit gewesen und die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen erst im Jahr 2007 von ihrem Ehemann darauf aufmerksam gemacht worden sein soll, dass ein um 100 % überhöhter Kaufpreis „gezahlt“ worden sei. Bei Berücksichtigung dieses Vorbringens hätte das Berufungsgericht nicht zur Annahme eines deklaratorischen Schuldverhältnisses gelangen können.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung, die auch unter Berücksichtigung des übrigen Vorbringens der Beklagten im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu treffen sein wird, weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Mit Blick auf § 138 Abs. 1 BGB kann bei Grundstücksgeschäften ein besonders grobes Missverhältnis bereits dann gegeben sein, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. etwa Senat, Urt. v. 9. Oktober 2009, V ZR 178/08, NJW 2010, 363, 364 m.w.N.). Allerdings ist bei einem relativ geringen Wert der Kaufsache Zurückhaltung bei der Anwendung der Vermutungsregel geboten, weil die Unterschreitung des Kaufpreises umso weniger aussagekräftig ist, je geringer der absolute Wert der Sache ist (Senat, Urt. v. 27. September 2002, V ZR 218/01, NJW-RR 283, 284; Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 9. Aufl., Rdn. 75 m.w.N.). Liegt eine solche Konstellation nicht vor, ist es in den verbleibenden Fällen eher geringfügiger absoluter Wertdifferenz rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein solches Missverhältnis erst bei einem Auseinanderklaffen von 100 % bejaht wird. Das kommt auch hier in Betracht.
2. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch das deklaratorische Schuldanerkenntnis unwirksam ist, wenn das dem anerkannten Anspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis nichtig ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Nichtigkeitsgründe nicht mehr fortbestehen (vgl. nur BGH, Urt. v. 16. März 1988, VIII ZR 12/87, NJW 1988, 1781, 1782). Hierzu ist jedoch nichts festgestellt.
3. Die Frage, ob das Vorbringen in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, aber noch vor dem anberaumten Verkündungstermin eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom 10. März 2009 der Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO unterliegt, hängt davon ab, ob entscheidungserhebliches Vorbringen infolge eines Verfahrensmangels des Landgerichts nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
a) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Vorsitzende des Landgerichts den Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf eine Einsichtnahme der Betreuungsakte in den Räumen des Gerichts verwiesen hat. Grundsätzlich steht weder der Partei noch deren Prozessbevollmächtigen das Recht auf Übersendung der Verfahrensakten, wozu auch Beiakten gehören (MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl., § 299 Rdn. 5), zu (vgl. nur BGH, Urt. v. 12. Dezember 1960, III ZR 191/59, NJW 1961, 559; Urt. v. 23. November 1972, IX ZR 29/71, MDR 1973, 580). Ob einem Anwalt die Einsichtnahme in seiner Kanzlei gestattet werden kann, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, der bei der Ermessenausübung unter anderem zu berücksichtigen hat, ob die Aktenversendung an Rechtsanwälte einer Übung bei dem jeweiligen Gericht entspricht (zu weiteren Gesichtspunkten etwa Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 299 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Prütting, aaO, § 299 Rdn. 11; jeweils m.w.N.). Beanstandet eine Partei die Anordnung des Vorsitzenden, entscheidet in entsprechender Anwendung von § 140 ZPO das Gericht. Nur dessen Entscheidung kann im Rahmen der Anfechtung des Endurteils zur Überprüfung gestellt werden (BGH, Urt. v. 23. November 1972, aaO; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 140 Rdn. 5 m.w.N.). Dass das Landgericht die Anordnung des Vorsitzenden bestätigt hätte, macht die Beklagte indessen nicht geltend.
b) Zu prüfen haben wird das Berufungsgericht jedoch ggf., ob das Landgericht aufgrund des eingegangenen Schriftsatzes wieder in die mündliche Verhandlung hätte eintreten müssen (§ 296a Satz 2 i.V.m. § 156 ZPO). Hierzu rügt die Beklagte zumindest der Sache nach, ihr Prozessbevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eine „großzügige Spruchfrist“ zu ergänzendem Vorbringen nach Auswertung der Betreuungsakte beantragt. Diesem Antrag habe das Landgericht durch Anberaumung eines einmonatigen Verkündungstermins entsprochen. Daher hätte das Landgericht das Vorbringen der Beklagten in dem sodann eingegangenen Schriftsatz durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung berücksichtigen müssen. Ob diese Rüge unter dem Blickwinkel einer fairen Verfahrensgestaltung begründet ist, hängt davon ab, ob die Anberaumung eines „weiten Verkündungstermins“ mit der oben wiedergegebenen Begründung angeregt worden ist. Denn nur dann konnte die Beklagte von einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausgehen. Da aus dem Verhandlungsprotokoll lediglich die Stellung eines dahin gehenden „Antrages“, nicht aber dessen Begründung ersichtlich ist, besteht insoweit ggf. Aufklärungsbedarf.
4. Sollte das Berufungsgericht erneut zur Begründetheit der Klage gelangen, stünde einer Verzinsung der in dem ausgeurteilten Betrag enthaltenen Zinsen das Zinseszinsverbot des § 289 Satz 1 BGB entgegen. Etwas anderes kann sich allerdings unter den Voraussetzungen des Verzuges ergeben (§ 289 Satz 2 BGB).
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066326
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BGH
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6. Zivilsenat
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20100601
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VI ZR 346/08
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Beschluss
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§ 263 StGB, § 266 StGB, § 199 BGB, § 204 BGB, § 249 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 852 BGB, Art 229 § 6 BGBEG
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vorgehend OLG Dresden, 12. Juni 2008, Az: 10 U 965/04, Urteil vorgehend LG Leipzig, 14. April 2004, Az: 6 O 1861/03
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DEU
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Schadensersatzanspruch des Auftraggebers eines Auftrags zur Ermittlung der Kosten der Sanierung von privatisierten Werkswohnungen in den neuen Bundesländern sowie der Finanzierung und Durchführung der Sanierung bei Aufnahme von Scheinkosten in das Sanierungsbudget: Grundschuldbestellung bei der Darlehensfinanzierung als Vermögensschaden hinsichtlich der Finanzierung der Scheinkosten; Reichweite der Hemmung der Verjährung im Falle einer Teilklage mit Geltendmachung verschiedener Ansprüche
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Juni 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 4.146.561,90 €, davon entfallen 1.022.580 € auf alle Beklagten und weitere 3.123.981,90 € auf die Beklagten zu 1, 4, 5 und 6.
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I.
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (nachfolgend: BvS) Schadensersatzansprüche wegen sittenwidriger Schädigung, Betrugs und Untreue geltend.
Die S. GmbH (nachfolgend: S.), deren Gesellschaftsanteile zu 100 % von der Treuhandanstalt gehalten wurden, wollte die in ihrem Eigentum stehenden Werkswohnungen sanieren und durch Veräußerung - vorrangig an die Mieter - privatisieren. Die Beklagten zu 1, 2, 4, 5 und 9 entwickelten für die W. gesellschaft mbH & Co. Grundstücks KG i.G. ein Privatisierungskonzept (sog. B. Modell), das sie der S. am 1. Oktober 1991 mit Hilfe einer sog. Hauptaussage vorstellten. Danach sollte die W. gesellschaft mbH & Co. Grundstücks KG (nachfolgend: W. mbH & Co. KG) namens und im Auftrag der S. die Sanierung und Privatisierung abschnittweise durchführen und dabei insbesondere den tatsächlichen Sanierungsaufwand sowie die Gesamtkosten einschließlich aller Nebenkosten feststellen, die Finanzierung sicherstellen und die Sanierungsmaßnahmen mit Festpreisgarantie durch den Generalunternehmer durchführen lassen. Durch diese Maßnahmen sollte erreicht werden, dass die Wohnungen direkt im sanierten Zustand zu sozialverträglichen Preisen an die Mieter verkauft würden. Am 26. November 1991 schloss die S. mit der W. mbH & Co. KG einen Verwaltervertrag. Am 22. Dezember 1992 schlossen die S. und die W. mbH & Co. KG eine Rahmenvereinbarung, in der sich die W. mbH & Co. KG u.a. dazu verpflichtete, der S. zur gemeinsamen Festlegung jedes Sanierungs- und Privatisierungsabschnitts die zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen, insbesondere den Finanzbedarf, den Sanierungsumfang sowie eine Aufschlüsselung der Kosten, darunter die Aufwendungen der W. mbH & Co. KG für Koordinierung und Vorbereitung u.a. der Leistungen bei der Sanierung und Privatisierung, vorzulegen. Die S. verpflichtete sich, innerhalb von vier Wochen eine Entscheidung zu treffen und im Falle einer Auftragserteilung die erforderlichen Finanzierungsgrundpfandrechte zu bestellen. Die W. mbH & Co. KG sollte die von der S. im Rahmen des jeweiligen Sanierungsabschnitts bestätigten Mittel für die Sanierung und Privatisierung durch Kreditaufnahme bereitstellen, wobei sich die S. dazu verpflichtete, die W. mbH & Co. KG gegenüber dem Kreditgläubiger in Höhe des abgestimmten Kreditbetrags für den jeweiligen bestätigten Sanierungsabschnitt freizustellen. Ende des Jahres 1992/Anfang des Jahres 1993, am 16. September 1993 und am 25. April 1994 erteilte die S. der W. mbH & Co. KG jeweils Aufträge zur Sanierung und Privatisierung. Die W. mbH & Co. KG beauftragte die P. GmbH (nachfolgend: P. ) als Generalübernehmerin mit der Ausführung der Sanierungsarbeiten, die diese an verschiedene Subunternehmer, u.a. die Firma Sa. GmbH (nachfolgend: Sa.), vergab. Die Firma Sa. beauftragte ihrerseits diverse Subunternehmer, darunter eine Firma PG. mit Sitz in Malaysia.
Mit notariellem Vertrag vom 29. Dezember 1994 veräußerte die S. den noch nicht an die Mieter übertragenen Wohnungsbestand an die Treuhandanstalt zu einem Kaufpreis von 53.895.302 DM. Die Treuhandanstalt übernahm die eingetragenen Finanzierungsgrundpfandrechte in Höhe von 92.400.000 DM ohne Anrechnung auf den Kaufpreis. Am selben Tag schlossen die Treuhandanstalt und die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (nachfolgend: TLG) eine Vereinbarung, wonach die Wohnungen durch Vermögenszuordnung auf die TLG übergehen sollten. Gemäß einem an die TLG gerichteten Schreiben der - mit Wirkung vom 1. Januar 1995 in BvS umbenannten - Treuhandanstalt vom 15. August 1995 bestanden zu jenem Zeitpunkt von der W. mbH & Co. KG im Zusammenhang mit den Sanierungsarbeiten eingegangene und durch - zu Lasten der an die TLG übertragenen Grundstücke bestellte - Grundschulden besicherte Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 69.588.000 DM. Nachdem die BvS der TLG einen Betrag in dieser Höhe zur treuhänderischen Verwendung überwiesen hatte, löste die TLG die Grundschulden ab.
Die Beklagten zu 2, 3, 4, 5, 7 und 9 waren an der W. GmbH, der W. mbH & Co. KG, der Sa., der PG. und deren Geschäftsführerin, einer N. Inc., in unterschiedlichem Umfang, teilweise nur als Treuhänder bzw. Treugeber, beteiligt. Der Beklagte zu 2 war seit 1993 Gesellschafter und Geschäftsführer der W. GmbH. Er gründete zusammen mit dem Beklagten zu 3 mit einem vom Beklagten zu 1 beurkundeten Gesellschaftsvertrag vom 5. Februar 1993 die Firma Sa.; er war auch deren Geschäftsführer. Der Beklagte zu 3 wurde im Juni 1993 zum Geschäftsführer der Firma P. bestellt. Die Beklagten zu 4 und 5 sind Architekten und waren als Kommanditisten an der W. mbH & Co. KG beteiligt. Der Beklagte zu 7 war bis zum 30. September 1992 Angestellter der S. und mit der Privatisierung beauftragt. Der Beklagte zu 9 gründete mit vom Beklagten zu 1 beurkundetem Gesellschaftsvertrag vom 11. Oktober 1991 die W. GmbH und war jedenfalls bis zum 21. März 1993 deren Geschäftsführer. Darüber hinaus bewirkte er die Gründung der fernöstlichen Gesellschaften. Der Beklagte zu 6 erstellte für den Beklagten zu 9 ein Gutachten über die steuerlichen Folgen der stillen Beteiligung einer in Malaysia gegründeten Kapitalgesellschaft an der Sa. und soll nach der Behauptung der Klägerin auch die Gründung der PG. im Auftrag der Beklagten zu 1, 2, 4 und 5 sowie eine Übertragung der Geschäftsführung dieses Unternehmens auf eine N. Inc. veranlasst haben.
Mit der vorliegenden Teilklage nimmt die Klägerin die Beklagten aus abgetretenem Recht der S. und der BvS auf Schadensersatz in Anspruch. Sie macht geltend, die Beklagten hätten der S. durch einvernehmliches sittenwidriges bzw. die Straftatbestände der §§ 263, 266 i.V.m. § 27 StGB erfüllendes Handeln einen Vermögensschaden in Höhe von insgesamt 24.432.155,73 DM zugefügt. Die Beklagten hätten zielgerichtet diverse Gesellschaften - darunter die W. GmbH, die W. mbH & Co. KG, die P. und die Sa. - gegründet, um erhebliche Geldmittel, die zweckgerichtet für die Sanierung des Werkswohnungsbestandes der S. bestimmt waren, zum Nachteil der S. aus dem Sanierungsbudget abzuzweigen und sich - teils unmittelbar, teils mittelbar über die von ihnen beherrschten Gesellschaften - zu bereichern. So hätten die Beklagten in die der S. gemäß der Rahmenvereinbarung vom 22. Dezember 1992 zur gemeinsamen Festlegung jedes Sanierungs- und Privatisierungsabschnittes vorzulegenden Kostenzusammenstellungen gezielt tatsächlich nicht anfallende Kosten (Scheinkosten) einbezogen und als Sanierungskosten ausgewiesen. In Höhe der tatsächlich nicht anfallenden Kosten habe die Firma Sa. der P. Scheinrechnungen gestellt, die die Firma P. beglichen habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Sowohl die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe weder einen Vermögensnachteil der S. noch den erforderlichen Vorsatz der Beklagten schlüssig dargelegt, als auch seine Beurteilung, die Klageforderung sei verjährt, beruhen auf einem gehörswidrigen Verkennen bzw. Übergehen von zentralem Parteivorbringen.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Klägerin aktivlegitimiert ist. Infolge der wirksamen Abtretungsvereinbarungen zwischen der S. und der BvS und zwischen der BvS und der Klägerin ist diese Inhaberin etwaiger Schadensersatzansprüche der S. gegen die Beklagten geworden.
2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch angenommen, der W. mbH & Co. KG habe gegenüber der S. aufgrund der mit dieser zustande gekommenen vertraglichen Vereinbarungen eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB oblegen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht eine qualifizierte Pflichtenstellung des Betroffenen erfordert, die über allgemeine vertragliche Sorgfalts- und Rücksichtsnahmepflichten hinausgeht (vgl. BGHSt 1, 186, 188; 33, 244, 251; 54, 148 Rn. 54). Der Betroffene muss innerhalb eines nicht ganz unbedeutenden Pflichtenkreises im Interesse des Vermögensinhabers tätig und zur fremdnützigen Vermögensfürsorge verpflichtet sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1988 - 2 StR 133/87 - NJW 1988, 2483; Beschluss vom 3. August 2005 - 2 StR 202/05 - NStZ 2006, 38). Die Verpflichtung muss den wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses ausmachen (vgl. BGHSt 1, 186, 188; 33, 244, 251; 54, 148 Rn. 54). Für die Abgrenzung des Anwendungsgebiets der Vorschrift maßgeblich sind Zweck, Inhalt und Bedeutung der übernommenen vertraglichen Verpflichtung, wie sie sich aus den Vertragsvereinbarungen und durch Auslegung nach Treu und Glauben ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 1991 - 1 StR 734/90 - wistra 1991, 265). Das Berufungsgericht hat den zwischen der S. und der W. mbH & Co. KG zustande gekommenen Verträgen im Wege der Auslegung entnommen, dass die W. mbH & Co. KG mit der Sanierung und Privatisierung der Werkswohnungen ein Geschäft im Pflichtenkreis der S. auszuführen hatte, im Rahmen dessen sie deren Vermögensinteressen zu wahren hatte. Aus der Rahmenvereinbarung vom 22. Dezember 1992 hat das Berufungsgericht abgeleitet, dass die W. mbH & Co. KG wie ein den Bauherrn betreuender Architekt verpflichtet war, der S. detaillierte Entscheidungsgrundlagen betreffend die Sanierung und Privatisierung vorzulegen und insbesondere die Bau- und Baunebenkosten zutreffend und entsprechend den damaligen Preisen am Markt zu ermitteln. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt noch wesentliche Umstände unbeachtet gelassen (vgl. zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung individueller Vertragsvereinbarungen, Senatsurteil vom 9. März 2010 - VI ZR 52/09 - z.V.b.; vom 10. Februar 2009 - VI ZR 28/08 - VersR 2009, 558 Rn. 17, m.w.N.).
3. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht jedoch zu der Ansicht gelangt, die Klägerin habe nicht dargetan, dass der S. ein Vermögensnachteil entstanden sei.
a) Zwar hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass vom Tatbestand des § 266 StGB nur solche Nachteile erfasst sind, die der Täter demjenigen zufügt, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat (vgl. BGHSt 51, 29 Rn. 7 m.w.N.).
b) Soweit es dagegen annimmt, die Klägerin stütze ihren Schadensersatzanspruch ausweislich ihres Schriftsatzes vom 14. Februar 2005 auf überhöhte Belastungen bei den nicht verkauften Wohneinheiten und die Ablösung der Grundschulden durch Zahlung von rund 69.600.000 DM durch die BvS, weshalb die Klägerin allenfalls einen Schaden der BvS schlüssig dargetan habe, hat es den Kern ihres Vortrags nicht zur Kenntnis genommen. Es hat die Ausführungen der Klägerin auf S. 2, 3 und 12 des Schriftsatzes vom 14. Februar 2005 nicht berücksichtigt, wonach der S. ein Schaden durch die von der Sa. gestellten Scheinabrechnungen entstanden sei und die Beklagten das Firmenkonstrukt aufgebaut hätten, um der S. überhöhte Bau- und Baunebenkosten in Rechnung stellen zu können. Unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen in der Klageschrift, der Berufungsbegründung und im Schriftsatz vom 6. Dezember 2004 hat die Klägerin in diesem Schriftsatz noch einmal hervorgehoben, dass die von den Beklagten zu 4 und 5 erstellten internen Vergabevorgaben erheblich niedrigere Sanierungskosten ausgewiesen hätten als die der S. von der W. mbH & Co. KG vorgelegten Kostenzusammenstellungen, in denen die Scheinrechnungen der Sa. als überhöhte Baunebenkosten anteilig "versteckt" worden seien. Bei dieser Sachlage besteht kein Zweifel daran, dass die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, erstmalig auf den Nichtverkauf von Wohnungen bzw. die Ablösung der Grundschulden durch die BvS stützen wollte, sondern nach wie vor damit begründete, dass die Beklagten durch Aufnahme tatsächlich nicht anfallender Sanierungskosten (Scheinkosten) in die der S. vorzulegenden Kostenzusammenstellungen eine Erhöhung des Sanierungsbudgets bewirkt und Beträge in Höhe der Scheinkosten durch Begleichung von Scheinrechnungen der Sa. aus diesem Budget abzogen und für sich verwendet hätten.
c) Auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin kann ein Vermögensnachteil der S. im Sinne des § 266 StGB bzw. ein Vermögensschaden im Sinne des § 249 BGB nicht verneint werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter Nachteil im Sinne des § 266 BGB jede durch die Tathandlung verursachte Vermögensminderung zu verstehen. Die Vermögensminderung ist nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung festzustellen, in dem der Wert des Gesamtvermögens vor und nach der pflichtwidrigen Tathandlung verglichen wird (vgl. BGHSt 15, 342, 343 f.; 47, 295, 301 f.; Beschluss vom 10. November 2009 - 4 StR 194/09 - StraFo 2010, 168 Rn. 10 m.w.N.; Dierlamm, in: MünchKomm, StGB, § 266 Rn. 178; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266 Rn. 40). Auch der Vermögensschaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB wird nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgrund eines Vergleichs der Vermögenslage des Betroffenen infolge des schädigenden Ereignisses und dem Vermögensstand, der ohne dieses Ereignis bestünde, festgestellt. Ein Vermögensschaden ist danach grundsätzlich gegeben, wenn der tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädigten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis haben würde (vgl. BGHZ 99, 182, 196; Senatsurteil vom 31. Mai 1994 - VI ZR 12/94 - VersR 1994, 1077; BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 - IX ZR 172/06 - VersR 2008, 788; vom 12. März 2009 - VII ZR 26/06 - NJW 2009, 1870 Rn. 15).
Nach diesen Grundsätzen ist ein Vermögensnachteil bzw. ein Vermögensschaden der S. auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin zu bejahen. Nach dem Vortrag der Klägerin hatten die Beklagten in die der S. gemäß der Rahmenvereinbarung vom 22. Dezember 1992 zur gemeinsamen Festlegung jedes Sanierungs- und Privatisierungsabschnittes vorgelegten Kostenzusammenstellungen gezielt tatsächlich nicht anfallende Scheinkosten einbezogen und als Sanierungskosten ausgewiesen. Nach Billigung der vorgelegten Kostenaufschlüsselung und Erteilung des Sanierungs- und Privatisierungsauftrags durch die S. nahm die W. mbH & Co. KG ein Darlehen in Höhe des gesamten, angeblich zur Sanierung erforderlichen Betrags auf. Die S. bestellte zur Absicherung des jeweiligen Darlehensrückzahlungsanspruchs Grundschulden zu Lasten ihrer im jeweiligen Bauabschnitt gelegenen Grundstücke. Durch die Bestellung der Grundschulden ist das Vermögen der S. insoweit gemindert worden, als diese der Absicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs der Gläubigerbanken in Höhe des zur Finanzierung der Scheinkosten in Anspruch genommenen Darlehensbetrags dienten (vgl. zur Vermögensminderung durch Bestellung einer Grundschuld BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 435/90 - Wistra 1991, 218 unter III. 1. c) a.E.). Die Vermögensminderung wurde auch durch keinen kompensierenden Vermögenszuwachs ausgeglichen (vgl. BGHSt 40, 287, 295; 43, 293, 298; 47, 295, 301 f.; 52, 323, 337 f.).
Ein Vermögensschaden der S. kann auch nicht mit dem Argument verneint werden, dass nach dem von der W. mbH & Co. KG entwickelten B. Modell "grundsätzlich nicht die S.", sondern die Käufer der Wohnungen die nach dem Vortrag der Klägerin überhöhten Sanierungskosten tragen sollten. Denn das Vermögen der S. ist nicht erst dadurch, dass ein Teil der Werkswohnungen nicht oder nicht zu den von der W. mbH & Co. KG angesetzten Preisen veräußert werden konnte, im Wert gemindert worden, sondern bereits durch die Belastung ihres Grundeigentums mit valutierten Grundschulden. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Billigung der von der W. mbH & Co. KG behaupteten Sanierungskosten und die Erteilung der Sanierungs- und Privatisierungsaufträge durch die S. gemäß der Rahmenvereinbarung vom 22. Dezember 1992 zur Folge hatte, dass die S. die W. mbH & Co. KG im Innenverhältnis von der Darlehensverbindlichkeit in Höhe des gesamten Kreditbetrages freizuhalten hatte. Auch die Belastung mit einer Verbindlichkeit stellt aber einen Vermögensschaden dar. Denn sie erhöht die Summe der Passiva des Schuldners (vgl. BGHZ 57, 78, 80 f.; BGH, Urteil vom 2. April 1987 - IX ZR 68/86 - VersR 1987, 905; vgl. auch BGHSt 47, 83, 88 ff.).
Der Annahme eines Vermögensschadens steht auch nicht entgegen, dass die S. die mit den Grundpfandrechten belasteten Wohngrundstücke an die Treuhandanstalt verkauft und diese die Grundschulden ohne Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen hat. Hierdurch ist insbesondere nicht der durch die Belastung des Grundeigentums mit valutierten Sicherungsgrundschulden in Höhe des auf die Scheinkosten entfallenden Betrags entstandene Vermögensschaden der S. weggefallen. Ist, wie im Streitfall, ein Vermögensschaden eingetreten, so beurteilt sich die Frage, ob ein späterer Ausgleich der Vermögenseinbuße den einmal entstandenen Schadensersatzanspruch beeinflusst, nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung (vgl. BGHZ 49, 56, 61 f.; Oetker in MünchKomm, BGB, 5. Aufl., § 249 Rn. 224). Nach ihnen sind nur solche Umstände beachtlich, die mit dem Schadensereignis in adäquatem ursächlichen Zusammenhang stehen und deren Berücksichtigung dem Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht, den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt (vgl. BGHZ 49, 56, 62; BGH, Urteil vom 19. September 1980 - V ZR 51/78 - NJW 1981, 45, 47; vom 22. September 1983 - III ZR 171/82 - NJW 1984, 229, 230; vom 22. Juni 1992 - II ZR 178/90 - NJW 1992, 3167, 3175; Oetker in MünchKomm, BGB, aaO, Rn. 228, jeweils m.w.N.). Zu einer nicht gerechtfertigten Begünstigung des Schädigers käme es aber dann, wenn die Schadensbeseitigung eines Dritten berücksichtigt würde, der eine vertragliche Abmachung mit dem Geschädigten zugrunde liegt, die den Schädiger nichts angeht (vgl. BGHZ 49, 56, 62; Oetker in MünchKomm, BGB, aaO, Rn. 244 f., 263, jeweils m.w.N.). So liegt der Fall hier. Die Übernahme der Grundschulden ohne Anrechnung auf den Kaufpreis erfolgte nach dem Schadensfall durch die Alleingesellschafterin der S., die Treuhandanstalt. Diese wollte durch die Übernahme der Grundpfandrechte ersichtlich nicht die Beklagten entlasten, was sich auch daraus ergibt, dass sie sich die Schadensersatzansprüche der S. gegen die Beklagten abtreten ließ. Für die Beklagten stellte die Übernahme der Grundschulden durch die Treuhandanstalt ein zufälliges Ereignis dar, zu dem sie nichts beigetragen hatten. Unter diesen Umständen entspräche die Berücksichtigung der Übernahme der Grundschulden durch die Treuhandanstalt nicht dem Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht. Sie würde die Treuhandanstalt (BvS) als Rechtsnachfolgerin der geschädigten Gesellschaft unzumutbar belasten und die Beklagten als Schädiger unbillig begünstigen (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. September 1980 - V ZR 51/78 - NJW 1981, 45, 47; vom 22. Juni 1992 - II ZR 178/90 - NJW 1992, 3167, 3175; OLG Hamm, NJW 1974, 2091, 2092; Oetker in MünchKomm, BGB, aaO, Rn. 263, jeweils m.w.N.).
4. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich auch mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die in § 266 StGB vorausgesetzte besondere Pflichtenstellung der als Täter in Betracht kommenden Beklagten weder dargetan noch unter Beweis gestellt. Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass als Täter einer Untreuehandlung nur derjenige in Betracht kommt, der in der für den Missbrauchs- bzw. Treubruchstatbestand erforderlichen Sonderbeziehung zum Geschädigten steht (vgl. Fischer, 57. Aufl., StGB, § 266 Rn. 185 f. m.w.N.). Es hat in diesem Zusammenhang aber übersehen, dass - wie es in anderem Zusammenhang selbst ausführt - nach dem Vortrag der Klägerin auch der Beklagte zu 2 als Täter einer Untreue in Betracht kommt. Denn dieser war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit dem Jahr 1993 Geschäftsführer der W. mbH und deshalb gemäß § 14 Abs. 1 StGB für die Einhaltung der der W. mbH & Co. KG obliegenden Vermögensbetreuungspflicht verantwortlich. Auf die Frage, wann der Beklagte zu 9 von seinen Pflichten als Geschäftsführer der W. GmbH entbunden worden ist, kommt es deshalb nicht an.
5. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht auch zu der Ansicht gelangt, die Klägerin habe nicht dargetan, dass der Vorsatz der einzelnen Beklagten weder hinreichend dargetan noch unter Beweis gestellt worden sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung sog. innerer Tatsachen überspannt und den Kern des Vorbringens der Klägerin verkannt hat (vgl. zum Untreuevorsatz BGHSt 54, 148 Rn. 41 ff.). Die Nichtzulassungsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin bereits in der Klageschrift vorgetragen hatte, dass die Beklagten zielgerichtet diverse Gesellschaften - darunter die W. GmbH, die W. mbH & Co. KG, die P. und die Sa. - gegründet hätten, um erhebliche Geldmittel, die zweckgerichtet für die Sanierung des Werkswohnungsbestandes der S. bestimmt waren, zum Nachteil der S. zweckentfremdend aus dem Sanierungsbudget abzuzweigen und sich - teils unmittelbar, teils mittelbar über die von ihnen beherrschten Gesellschaften - zu bereichern. Nach ausführlicher Darlegung, wie die jeweiligen Beklagten die jeweiligen Gesellschaften beherrschten, hat die Klägerin konkrete Umstände aufgezeigt, die für ein gezieltes Vorgehen sämtlicher Beklagter sprechen. So hat die Klägerin beispielhaft unter Beweisantritt vorgetragen, dass
- die Beklagten zu 2 und 3 als alleinige geschäftsführende Gesellschafter der von ihnen am 5. Februar 1993 gegründeten Sa. am 5. März 1993 die Abrechnung angeblicher Leistungen der Sa. durch vier Teilrechnungen mit einer Rechnungssumme von insgesamt 2.870.000 DM gegenüber der P. veranlasst hätten,
- die erste von der P. gegenüber der W. mbH & Co. KG erstellte Abschlagsrechnung ebenfalls am 5. März 1993 gefertigt worden sei,
- die W. diesen ihr in Rechnung gestellten ersten Abschlag bezahlt habe,
- die Beklagten diesen ersten von der W. geleisteten Abschlagsbetrag dazu verwandt hätten, die von der P. an die Sa. geleistete Teilzahlung von 2.870.000 DM zuzüglich einer von der P. nicht geschuldeten stillen Einlage in Höhe von 450.000 DM zu finanzieren, und
- den von der Sa. erstellten Teilrechnungen weder ein konkreter Bauvertrag noch ein sonstiger konkreter Leistungsgegenstand zugrunde gelegen habe.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass die Sa. den Beklagten insgesamt nur zu dem einzigen Zweck gedient habe, Geldmittel aus dem Sanierungsvorhaben verdeckt und zweckentfremdet herauszuziehen, um sich persönlich zu bereichern. Die Beklagten zu 1, 2 und 3 hätten im Zeitraum vom 15. August 1993 bis 20. Dezember 1994 die Erstellung von insgesamt 40 Rechnungen der Sa. an die P. veranlasst, wobei die Rechnungen jeweils auf konkrete Anweisungen der Beklagten zu 2 und 3 in der Buchhaltung der P. durch Frau B. erstellt worden seien. Der Ausgleich der Rechnungen der Sa. sei überwiegend durch Schecks, teilweise auch durch Überweisung des Rechnungsbetrages erfolgt, wobei die Schecks und Überweisungen durch die Beklagten zu 2 und 3, teilweise auch durch den Beklagten zu 1 gezeichnet gewesen seien, ohne dass die innerhalb der W. mbH & Co. KG und der P. für die Abwicklung und Erfassung des Rechnungs- und Zahlungsverkehrs der P. zuständige Frau C. davon Kenntnis erlangt habe. Die Beklagten hätten dabei für die jeweiligen Bauvorhaben die Sanierungskosten entsprechend hoch kalkuliert, so dass der zugunsten der Sa. erfolgte Mittelabfluss habe verschleiert werden können. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin ihren diesbezüglichen Vortrag wiederholt und konkretisiert und anhand konkreter Zahlen und Belege aufgezeigt, dass die Scheinrechnungen der Sa. auf Veranlassung der Beklagten in die von der W. mbH & Co. KG erstellten Angebotsunterlagen eingerechnet worden seien. Im Rahmen ihrer den Vorsatz der Beklagten betreffenden Darlegungen in der Berufungsbegründung hat die Klägerin nochmals darauf hingewiesen, die Beklagten hätten eine Vielzahl von Unternehmen unter gleichzeitiger Vertuschung der gegenseitigen Beherrschung dieser Unternehmen gegründet. "Pro forma" seien Subunternehmen beauftragt worden, die ihrerseits wieder Aufträge an weitere Firmen des Verbundes zu dem Zweck erteilt hätten, den Eindruck zu erwecken, die letztlich von der Sa. an die P. in Rechnung gestellten Leistungen seien tatsächlich erbracht worden. Dies und die spätere Auszahlung der über Umwege innerhalb des von den Beklagten gegründeten "Firmengeflechts" auf Auslandskonten gelangten Geldbeträge an einen Teil der Beklagten lasse allein die Schlussfolgerung zu, dass die Beklagten es gerade darauf angelegt hätten, der S. überhöhte - da in Wahrheit nicht angefallene - "Sanierungskosten" zu berechnen und auf diese Weise die dieser zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in ihre eigene Tasche zu wirtschaften. Weiteren umfangreichen Vortrag zur Stellung des Beklagten zu 2 innerhalb des von den Beklagten gemeinsam errichteten Firmengeflechts sowie zur Kenntnis sämtlicher Beklagter von der Überteuerung der der S. seitens der W. mbH & Co. KG in Rechnung gestellten Kosten infolge des "Hineinrechnens" der durch Scheinrechnungen "belegten" Beträge hat die Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 5. Oktober 2004, vom 28. Oktober 2004, vom 6. Dezember 2004, vom 14. Februar 2005, vom 24. März 2005, vom 13. April 2007, vom 8. Februar 2008 und vom 14. April 2008 gehalten.
Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe den erforderlichen Schädigungsvorsatz des Beklagten zu 2 nicht schlüssig dargetan, schlechterdings nicht nachvollziehbar. Soweit das Berufungsgericht ausdrücklichen Vortrag der Klägerin dazu verlangt, dass der Beklagte zu 2 davon ausgegangen sei, die von der S. als Sicherheit bestellten Grundpfandrechte für die Darlehen der W. mbH & Co. KG könnten künftig in Anspruch genommen werden, hat es verkannt, dass ein Schaden der S. in Höhe der Scheinkosten schon durch die Übernahme der persönlichen Haftung der S. für die Darlehensverbindlichkeiten der W. mbH & Co. KG in entsprechender Höhe und durch die Bestellung valutierter Grundschulden entstanden ist.
6. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht auch zu der Ansicht gelangt, die geltend gemachte Teilklageforderung sei verjährt.
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich nicht gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die BvS als Rechtsnachfolgerin der S. habe die für den Verjährungsbeginn im Sinne des § 852 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen mit ihrer Einsichtnahme in die Ermittlungsakten am 20. April 2000 erlangt. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Klägerin muss sich die Kenntnis der BvS als deren Rechtsnachfolgerin zurechnen lassen (vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 246/94 - VersR 1996, 76).
b) Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB durch die am 27. März 2003 eingereichte und den Beklagten zwischen dem 25. und 28. April 2003, d.h. demnächst im Sinne des § 167 ZPO, zugestellte Klage gehemmt worden ist. Für den Eintritt der Hemmungswirkung ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin in der Klageschrift schon ausreichend klargestellt hatte, welchen Teil des entstandenen Gesamtschadens sie mit der vorliegenden Teilklage geltend machen wollte. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterbricht eine Teilklage, mit der verschiedene Ansprüche geltend gemacht werden, in Höhe des insgesamt eingeklagten Betrages auch dann die Verjährung eines jeden dieser Ansprüche, wenn diese ohne nähere Aufgliederung geltend gemacht worden sind (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 1959 - III ZR 27/58 - NJW 1959, 1819; vom 19. November 1987 - VII ZR 189/86 - NJW-RR 1988, 692 f.; vom 18. Juli 2000 - X ZR 62/98 - NJW 2000, 3492, 3494). Gleiches muss für die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 BGB gelten, die mit Wirkung vom 1. Januar 2002 an die Stelle der Unterbrechung der Verjährung getreten ist (vgl. Staudinger/Peters/Jakoby, BGB (2009), § 204 Rn. 16).
c) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass die Ansprüche der Klägerin deswegen verjährt seien, weil sie ihre Schadensersatzansprüche bis zum 14. Februar 2005 aus einem anderen Lebenssachverhalt als in der Zeit danach hergeleitet habe. Zwar ist das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass eine Klage die Verjährung nur für Ansprüche in der Gestalt und in dem Umfang unterbricht bzw. hemmt, wie sie mit der Klage rechtshängig gemacht werden (vgl. BGHZ 39, 287, 293; 66, 142, 147; 104, 6, 12; Urteil vom 23. Juni 1993 - XII ZR 12/92 - NJW 1993, 2439 f.). Maßgebend ist daher der den prozessualen Leistungsanspruch bildende Streitgegenstand, der bestimmt wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger beanspruchte Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 - XII ZR 12/92 - aaO, S. 2440 m.w.N.). Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber angenommen, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt habe. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin übergangen hat. Das Berufungsgericht sieht die den Streitgegenstand verändernde Auswechslung des Lebenssachverhaltes darin, dass die Klägerin den von ihr behaupteten Schaden bis zum 14. Februar 2005 allein mit diversen Scheinrechnungen der Firma Sa. gegenüber der Firma P. begründet habe, während sie ihren Schadensersatzanspruch mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 erstmalig auf überhöhte Belastungen bei den nicht verkauften Wohneinheiten gestützt habe. Hierdurch hat es den Vortrag der Klägerin aber in unzulässiger Weise verkürzt. Wie bereits unter Ziffer 3. c) ausgeführt, hat das Berufungsgericht die Ausführungen der Klägerin auf S. 2, 3 und 12 des Schriftsatzes vom 14. Februar 2005 nicht berücksichtigt, wonach der S. ein Schaden durch die von der Sa. gestellten Scheinabrechnungen entstanden sei und die Beklagten das Firmenkonstrukt aufgebaut hätten, um der S. überhöhte Bau- und Baunebenkosten in Rechnung stellen zu können. Unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen in der Klageschrift, der Berufungsbegründung und im Schriftsatz vom 6. Dezember 2004 hat die Klägerin in diesem Schriftsatz noch einmal hervorgehoben, dass die von den Beklagten zu 4 und 5 erstellten internen Vergabevorgaben erheblich niedrigere Sanierungskosten ausgewiesen hätten als die der S. von der W. mbH & Co. KG vorgelegten Kostenzusammenstellungen, in denen die Scheinrechnungen der Sa. als angebliche Baunebenkosten anteilig "versteckt" worden seien.
Bei dieser Sachlage besteht kein Zweifel daran, dass die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, erstmalig auf den Nichtverkauf von Wohnungen stützen wollte, sondern nach wie vor damit begründete, dass die Beklagten durch Aufnahme tatsächlich nicht anfallender Sanierungskosten (Scheinkosten) in die der S. vorzulegenden Kostenzusammenstellungen eine Erhöhung des Sanierungsbudgets bewirkt und Beträge in Höhe der Scheinkosten durch Begleichung von Scheinrechnungen der Sa. aus diesem Budget abgezogen und für sich verwendet hätten. Soweit die Klägerin in ihrer Schadensberechnung auf S. 12 ihres Schriftsatzes vom 15. Februar 2005 die nach ihrer Behauptung von den Beklagten in die Kostenzusammenstellungen aufgenommenen Scheinkosten auf Quadratmeter umgelegt und der Berechnung nur die nicht veräußerten Quadratmeter zugrunde gelegt hat, hat sie den aus dem behaupteten deliktischen Verhalten der Beklagten resultierenden Schaden lediglich der Höhe nach beschränkt.
Der mit der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht deshalb verjährt, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 ihren Schadensersatzanspruch auf das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit anderen Sanierungsabschnitten als bisher gestützt hätte. Wie das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf den Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 7. März 2004 ausgeführt hat, hat die Klägerin ihren Klageantrag Ziff. 1 ursprünglich mit dem ihr im Zusammenhang mit dem Sanierungsabschnitt B. IV entstandenen Schaden begründet. Hilfsweise hat sie ihren Antrag Ziff. 1 aus dem Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Sanierungsabschnitt B. II hergeleitet. Ihren Klagantrag Ziff. 2 hat sie ursprünglich mit dem ihr im Zusammenhang mit dem Sanierungsabschnitt Z. I entstandenen Schaden, hilfsweise mit M. III begründet. Durch die hilfsweise Geltendmachung der sich aus dem Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit den Sanierungsabschnitten B. II und M. III ergebenden Schadensersatzansprüche blieb die mit Einreichung der Klage eingetretene Hemmungswirkung für diese Ansprüche erhalten (vgl. Staudinger/Peters/Jakoby, aaO, Rn. 15). Die Klägerin konnte deshalb ihre bisherige Anspruchsbegründung mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 ohne Rechtsnachteil dahingehend ändern, dass sie ihren Antrag Ziff. 1 nunmehr in erster Linie auf die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Sanierungsabschnitt B. II und erst in zweiter Linie auf die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Sanierungsabschnitt B. IV stützt. Entsprechendes gilt für den Klagantrag Ziff. 2, den die Klägerin nach wie vor (auch) aus den Vorgängen im Zusammenhang mit den Bauabschnitten M. III und Z. I herleitet.
7. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich auch mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Voraussetzungen eines auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gestützten Schadensersatzanspruchs nicht schlüssig dargetan. Auch insoweit hat das Berufungsgericht den Kern des Parteivorbringens der Klägerin nicht erfasst. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung nicht berücksichtigt hat, wonach die Beklagten gezielt die mittels Scheinrechnungen der Sa. abzurechnenden Scheinkosten in die von der W. mbH & Co. KG erstellten Angebotsunterlagen eingerechnet hätten, um das von der S. zu genehmigende Sanierungsbudget zu erhöhen und den entsprechenden Betrag anschließend "abzweigen" zu können. Vor dem Hintergrund der von der W. mbH & Co. KG im Rahmenvertrag vom 22. Dezember 1992 übernommenen Verpflichtungen, die das Berufungsgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Vermögensbetreuungspflicht der W. mbH & Co. KG zutreffend gewürdigt hat, ist in der Vorlage einer Kostenzusammenstellung, in der nicht nur tatsächliche Sanierungskosten, sondern darüber hinaus verschleierte Scheinkosten enthalten sind, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB zu sehen. Die Nichtzulassungsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die Angabe der erforderlichen Sanierungskosten in den der S. vorgelegten Kostenzusammenstellungen durch die W. mbH & Co. KG, die sich im Rahmenvertrag verpflichtet hatte, der S. Unterlagen über den zur Sanierung erforderlichen Finanzbedarf, den Sanierungsumfang sowie eine Aufschlüsselung der Kosten vorzulegen, die falsche Behauptung enthält, der tatsächliche Sanierungsaufwand belaufe sich auf den gesamten angegebenen Betrag inklusive der darin versteckten Scheinkosten.
8. Aus diesen Gründen kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen und die Umstände des Streitfalls umfassend würdigen kann. Das Berufungsgericht wird dabei insbesondere zu prüfen haben, ob sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus § 826 BGB ergibt.
Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066335
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BGH
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11. Zivilsenat
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20100615
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XI ZR 318/09
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Beschluss
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§ 311 Abs 2 BGB, § 142 Abs 1 ZPO, § 423 ZPO
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vorgehend OLG Düsseldorf, 30. September 2009, Az: I-6 U 94/08, Urteil vorgehend LG Düsseldorf, 26. Mai 2008, Az: 14d O 54/06, Urteil
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DEU
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Behauptung der Kenntnis der finanzierenden Bank von der sittenwidrigen Überteuerung des finanzierten Wohnungskaufpreises: Erhebung des angebotenen Zeugenbeweises und Anordnung der Vorlegung von Urkunden
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. September 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 62.275,35 €
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I.
Die Parteien streiten um die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.
Der Kläger wurde im Frühjahr 1997 von einem Vermittler unter Verwendung eines Verkaufsprospekts geworben, eine 22 m² große Eigentumswohnung in der M. straße ... in D. zu erwerben. Hierzu erhielt er Ende März 1997 ein Berechnungsbeispiel, in dem unter anderem angegeben war, dass der Zinssatz bei Finanzierung 5,95% betragen und sich der Mietertrag auf 16 DM/m² belaufen werde. Am 10. April 1997 bot der Kläger der G. Grundbesitzgesellschaft mbH (im Folgenden: Verkäuferin) den Kauf der Eigentumswohnung zu einem Preis von 105.177,60 DM an. In der notariellen Urkunde bevollmächtigte er eine Notariatsangestellte mit der Bestellung einer Grundschuld nebst Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung. Die Verkäuferin nahm dieses Angebot an. Am 23. April 1997 unterzeichnete der Kläger zur Finanzierung des Kaufpreises zwei Darlehensverträge mit der Beklagten über Nettokreditbeträge in Höhe von 56.000 DM bzw. 65.800 DM zu anfänglichen effektiven Jahreszinsen von 7,72% bzw. 7,63%. In beiden Verträgen wurden als Sicherheiten die Abtretung der Mieteinnahmen aus der Wohnung und die Einräumung einer Grundschuld in Höhe von 121.800 DM nebst Zinsen und Kosten vereinbart. Zugleich wurde vereinbart, dass der Kläger die persönliche Haftung für die Zahlung des Grundschuldbetrages übernimmt und sich insoweit der Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft. Mit notarieller Urkunde vom selben Tage bestellte eine Notariatsangestellte als Vertreterin des Klägers zugunsten der Beklagten eine Buchgrundschuld in der vereinbarten Höhe, erklärte für den Kläger die persönliche Haftungsübernahme und unterwarf ihn der sofortigen Zwangsvollstreckung. Nachdem der Kläger im Jahre 2005 keine Zahlungen auf die Darlehen mehr leistete, mahnte die Beklagte wiederholt und drohte am 23. Februar 2006 mit einer Kündigung der Geschäftsverbindung.
Der Kläger wendet sich gegen eine mögliche Zwangsvollstreckung aus der Urkunde vom 23. April 1997 und beruft sich unter anderem auf vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzungen der Beklagten. In diesem Zusammenhang beanstandet er unrichtige Angaben über die voraussichtliche Zinsbelastung, eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises, die darin enthaltenen Innenprovisionen sowie eine arglistige Täuschung über die Höhe der zu erwartenden Mieteinnahmen. Die Beklagte macht hilfswiderklagend die Rückzahlung des offenen Darlehensbetrages geltend.
Das Landgericht, das ein Sachverständigengutachten zum Verkehrswert der streitgegenständlichen Wohnung eingeholt, vier Zeugen zur Kenntnis der Beklagten vom Zustand der Wohnung bei Veräußerung vernommen und im Übrigen im Einverständnis mit den Parteien die Angaben dreier Zeugen in anderen Zivilverfahren verwertet hat, hat der Klage stattgegeben und die Hilfswiderklage für unbegründet angesehen, ohne dies im Urteilstenor auszusprechen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht, das die Revision nicht zugelassen hat, die Klage abgewiesen und seine Entscheidung unter anderem wie folgt begründet:
Der Kläger könne keinen Schadensersatz aus der Verletzung von Aufklärungspflichten durch die Beklagte wegen eines bei ihr vorhandenen bzw. für sie erkennbaren Wissensvorsprungs geltend machen. Eine solche Aufklärungspflicht bestehe zwar, wenn durch verdeckte Innenprovisionen eine Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert zustande komme, derentwegen die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers ausgehen müsse. Hierfür sei jedoch eine positive Kenntnis der Bank erforderlich, die auch in Fällen eines institutionalisierten Zusammenwirkens mit der Verkäuferin oder dem Vertrieb nicht vermutet werde. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob vorliegend der Kaufpreis sittenwidrig überhöht sei, da nicht festgestellt werden könne, aufgrund welcher Umstände die Beklagte dies bei Gewährung des Darlehens gekannt habe bzw. habe erkennen müssen. Zwar habe der Verkaufsprospekt der Beklagten vorgelegen. Aus ihm sei jedoch eine Überteuerung nicht erkennbar gewesen, denn die wertbildenden Faktoren der Wohnung würden darin zutreffend dargestellt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, dass das Objekt seit seiner Errichtung im Jahre 1950 unsaniert geblieben sei. Vielmehr habe der vom Landgericht vernommene Zeuge R. glaubhaft bekundet, dass die Beklagte Erkundigungen über das Objekt eingeholt habe, die keinen Anlass zu Zweifeln an dessen Werthaltigkeit gegeben hätten. Auch den Feststellungen des Sachverständigen zum Zustand der Immobilie bei Begutachtung 2006 könne nicht entnommen werden, dass sich das Objekt bereits im Erwerbszeitpunkt 1997 im gleichen Zustand befunden habe. Die vom Landgericht vernommenen Zeugen hätten glaubhaft bekundet, das streitige Objekt vor Darlehensgewährung nicht besichtigt zu haben. Dass ein anderer Mitarbeiter der Beklagten eine Besichtigung vorgenommen habe, habe der Kläger nicht behauptet. Soweit er nach § 142 ZPO die Vorlage einer Notiz der Beklagten begehrt habe, in der die Wohnung als "besichtigt" bezeichnet werde, sei dem nicht nachzugehen gewesen, denn es sei denkbar, dass diese Kennzeichnung nur aus formalen Gründen oder zur Beschleunigung einer allein im Interesse der Beklagten stattfindenden Einwertung des Objekts erfolgt sei. Soweit der Kläger die Vorlage der Notiz begehre, um den Namen des Mitarbeiters der Beklagten zu ermitteln, der das Objekt besichtigt habe, stelle dies eine unzulässige Ausforschung dar. Der erstmals in der Berufungserwiderung gestellte Antrag auf Vernehmung der Zeugin S. zu einer Besichtigung der Wohnung vor Darlehensgewährung sei zurückzuweisen gewesen. Gründe die eine Zulassung rechtfertigen könnten, habe der Kläger nicht dargetan. Eines entsprechenden richterlichen Hinweises auf die Darlegungs- und Beweislast des Klägers habe es nicht bedurft, da die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 8. November 2007 hierauf bereits hingewiesen gehabt habe. Ob die Beklagte mit der Verkäuferin oder dem Vertrieb institutionalisiert zusammengewirkt habe, könne offen bleiben, denn ungeachtet dessen habe der Kläger nicht dargelegt, dass er arglistig getäuscht worden sei. Die Angaben des Vermittlers, die Wohnung sei werthaltig und saniert, es handele sich um eine völlig risikolose Kapitalanlage und der Kapitaldienst rechne sich durch die Garantiemiete und die Steuervorteile quasi von selbst, seien subjektive Werturteile und marktschreierische unverbindliche Anpreisungen. Im Prospekt werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Mietzins von 16 DM/m² lt. Berechnungsbeispiel nur in Verbindung mit dem Abschluss eines Mietgarantievertrages für fünf Jahre gültig sei. Der Kläger habe nicht behauptet, dass der Vermittler bewusst den Eindruck erweckt habe, das Objekt sei erst in jüngster Vergangenheit saniert worden. Tatsächlich habe im Jahre 1975 eine Sanierung des 1950 errichteten Hauses stattgefunden.
II.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senat, BGHZ 159, 135, 139 f. und Beschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine kreditgebende Bank bei steuersparenden Erwerbermodellen zur Risikoaufklärung über das finanzierte Geschäft nur unter ganz besonderen Umständen verpflichtet ist. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Bank in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann (vgl. Senat, BGHZ 168, 1, Tz. 41 und Urteil vom 3. Juni 2008 - XI ZR 131/07, WM 2008, 1394, Tz. 12).
a) So ist eine Aufklärungspflicht der Bank über die Unangemessenheit des Kaufpreises ausnahmsweise anzunehmen, wenn es durch eine versteckte Innenprovision oder aus anderen Gründen zu einer so wesentlichen Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert kommt, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen muss. Dies ist bei Immobilienkäufen der Fall, wenn der Verkaufspreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert der Immobilie (st. Rspr., vgl. Senat, Urteile vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, Tz. 16 und vom 28. April 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121, Tz. 14, jeweils m.w.N.).
Eine kreditgebende Bank ist jedoch auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Wissensvorsprungs nur verpflichtet, den Kreditnehmer über solche Umstände aufzuklären, von denen sie positive Kenntnis hat, denn seitens der Bank besteht keine Nachforschungspflicht hinsichtlich etwaiger Risiken des zu finanzierenden Vorhabens. Kreditinstitute prüfen den Wert der ihnen gestellten Sicherheiten grundsätzlich nur im eigenen Interesse sowie im Interesse der Sicherheit des Bankensystems, nicht aber im Kundeninteresse (BGHZ 147, 343, 349; 168, 1, Tz. 45 und Senat, Urteil vom 6. November 2007 - XI ZR 322/03, WM 2008, 115, Tz. 43). Dementsprechend kann sich aus einer lediglich zu bankinternen Zwecken erfolgten oder unterlassenen Beleihungswertermittlung grundsätzlich keine Pflichtverletzung gegenüber dem Kreditnehmer und somit auch keine diesbezügliche Aufklärungspflicht ergeben (Senat, BGHZ 168, 1, Tz. 45; Urteile vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, Tz. 15 und vom 28. April 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121, Tz. 19, jeweils m.w.N.).
Ausnahmsweise steht die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen wie etwa der sittenwidrigen Überteuerung eines Wohnungskaufpreises einer positiven Kenntnis aber gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen mussten. Der Mitarbeiter ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen (Senat, Urteil vom 28. April 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121, Tz. 20 m.w.N.).
b) Die sittenwidrige Überteuerung des Kaufpreises eines zu finanzierenden Objekts führt für sich genommen auch im Falle einer institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen finanzierender Bank und der Verkäuferin oder dem Vertreiber des Objekts nicht zu einer widerleglichen Vermutung, die finanzierende Bank habe von der Überteuerung Kenntnis gehabt (Senat, Urteil vom 28. April 2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121, Tz. 17 m.w.N.). Die Kenntnis der Bank bzw. die konkreten Umstände des Einzelfalles, nach denen sich einem zuständigen Bankmitarbeiter die Sittenwidrigkeit des Kaufpreises aufdrängen musste, sind vielmehr vom Bankkunden darzulegen und zu beweisen.
2. In Anwendung dieser Grundsätze verletzt das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, soweit es dem Beweisangebot des Klägers auf Vernehmung der Zeugin S. nicht nachgegangen ist.
a) Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass gerichtliche Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblichen Vorbringens und der Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Vortrages bzw. Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
aa) Nach dem im Beschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt übersteigt der von der Beklagten finanzierte Kaufpreis der vom Kläger erworbenen Eigentumswohnung (105.177,60 DM) deren Verkehrswert (gemäß dem von Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten 40.500 DM) um 159,70% und ist damit offensichtlich sittenwidrig.
bb) Der Kläger hat zum Nachweis der Tatsache, dass sich dies den zuständigen Mitarbeitern der Beklagten habe aufdrängen müssen, in seiner Berufungserwiderung vom 28. Oktober 2008 vorgetragen, die Beklagte habe die streitgegenständliche Wohnung vor der Darlehensgewährung besichtigt sowie hierüber eine interne Notiz erstellt. Zum Nachweis dieser Behauptung hat der Kläger die Vernehmung der Geschäftsleiterin der Beklagten S. als Zeugin angeboten und beantragt, der Beklagten gemäß § 142 Abs. 1 ZPO die Vorlage der Notiz aufzugeben, deren Existenz die Beklagte selbst zuvor im Schriftsatz vom 22. Juni 2006 ausdrücklich behauptet hatte.
cc) Den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis hätte das Berufungsgericht nicht zurückweisen dürfen.
(1) Dabei liegt - entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts - bereits kein Anwendungsfall von § 531 Abs. 1 ZPO vor, denn eine Zurückweisung dieses erstmals in der Berufungserwiderung vorgetragenen Beweisangebotes ist im ersten Rechtszuge nicht erfolgt.
(2) Hingegen war der Beweisantritt des Klägers nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, ohne dass es dafür - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - einer Rechtfertigung durch den Kläger bedurfte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht ihr rechtzeitig einen Hinweis erteilt, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will (§ 139 ZPO). Außer zur Hinweiserteilung ist das Berufungsgericht auch verpflichtet, der betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren, ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen und ggf. Beweis anzutreten (st. Rspr. vgl. Senat, Beschlüsse vom 21. Dezember 2004 - XI ZR 17/03, juris, Tz. 12 und vom 15. Februar 2005 - XI ZR 144/03, BGH-Report 2005, 936, 937, jeweils m.w.N.). Die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO, der die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz einschränkt, hat daran nichts geändert. Danach sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in zweiter Instanz zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn das Berufungsgericht - wie hier - die Rechtslage abweichend von der Vorinstanz beurteilt und neuer Vortrag oder ein Beweisantritt erforderlich ist, um auf der Grundlage dieser Beurteilung zu obsiegen (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 531 Rn. 17). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das neue Angriffs- und Verteidigungsmittel schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können. Die Parteien sollen durch die Vorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu Darlegungen und Beweisangeboten gezwungen werden, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus unerheblich sind (BGH, Urteile vom 30. Juni 2006 - V ZR 148/05, NJW-RR 2006, 1292, 1293 und vom 26. Juni 2006 - V ZR 225/07, juris, Tz. 6).
Die Zurückweisung der vom Kläger beantragten Vernehmung der Zeugin S. durch das Berufungsgericht verstößt gegen § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, weil das Landgericht den seines Erachtens der Beklagten obliegenden Entlastungsbeweis hinsichtlich ihrer Unkenntnis von einer sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung als gescheitert angesehen hat, so dass für den Kläger keine Veranlassung zu weiteren Beweisanträgen bestand. Die Zurückweisung verletzt zugleich den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil sie auf einer offenkundig fehlerhaften Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO beruht (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2008 - II ZR 202/07, WM 2008, 1688, Tz. 8 und vom 3. November 2008 - II ZR 236/07, WM 2009, 26, Tz. 8).
3. Die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens durch das Berufungsgericht verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.).
Die Gehörsverletzung rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache.
III.
Das Berufungsgericht wird nunmehr dem übergangenen Vortrag des Klägers nachzugehen und den angebotenen Zeugenbeweis dazu zu erheben haben, dass die Beklagte bei Darlehensgewährung Kenntnis vom Zustand der streitgegenständlichen Wohnung hatte und sich ihren Mitarbeitern damit nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Kenntnis von der - hier unterstellten - sittenwidrigen Überhöhung des Kaufpreises aufdrängen musste.
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, den Antrag des Klägers auf Anordnung der Vorlage der im Schriftsatz vom 22. Juni 2006 von der Beklagten in Bezug genommenen Notiz über eine Besichtigung der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO erneut zu prüfen und dabei die vom Bundesgerichtshof zur Anwendung dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen (Senat, BGHZ 173, 23, Tz. 18 ff.). Danach kann das Gericht die Vorlegung im Besitz einer Partei befindlicher Urkunden anordnen, auf die sich die andere Partei bezogen hat. Anders als im Falle des § 423 ZPO reicht dazu die Bezugnahme des beweispflichtigen Klägers auf Urkunden aus, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Beklagten befinden. In einem solchen Fall liegt - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - in der Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO keine prozessordnungswidrige Ausforschung des Prozessgegners. Die Vorschrift befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast (vgl. BT-Drucksache 14/6036 S. 121; Leipold in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 142 Rn. 9). Dem entsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung zwar nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen. Solche Tatsachen hat der Kläger jedoch in ausreichendem Umfang vorgetragen, indem er sich auf die von der Beklagten ausdrücklich erklärte Existenz dieser "Notiz über eine Besichtigung der M. Straße" bezogen hat.
Wiechers Joeres Mayen
Ellenberger Matthias
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BMJV
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JURE100066790
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BVerwG
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5. Senat
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20100706
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5 B 15/10
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Beschluss
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§ 10 Abs 1 S 1 Nr 7 S 1 EntschG, Art 14 Abs 1 S 1 GG
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vorgehend VG Berlin, 14. Januar 2010, Az: 4 K 10.10, Urteil
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DEU
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Abführung des Veräußerungserlöses an Entschädigungsfonds; Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
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Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Der allein geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird zwar behauptet, aber nicht dem Begründungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
Eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Begründung setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung die Darlegung voraus, dass für die Entscheidung des Berufungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint(stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - juris = JAmt 2008, 600). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Sie wirft als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig allein die Frage auf, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG vom 27. September 1994 mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist (s. Beschwerdebegründung S. 6). Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht indessen bereits ausdrücklich bejaht (vgl. Beschluss vom 21. Juni 2007 - BVerwG 3 C 24.06 - Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 8). Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer erneuten Behandlung dieser Frage in einem Revisionsverfahren keinen Anlass. Sie lässt insoweit einen weiteren Klärungsbedarf nicht erkennen, sondern beschränkt sich darauf, die schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung zu wiederholen, die auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG gestützte Abführung des Veräußerungserlöses an den Entschädigungsfonds stelle eine Enteignung dar, die nach Art. 14 Abs. 3 GG zu beurteilen sei. Die Voraussetzungen für eine Enteignung lägen nicht vor. Insbesondere fehle es an einer Regelung über Art und Ausmaß der Entschädigung (s. Beschwerdebegründung S. 14). Der Sache nach erschöpfen sich die Ausführungen der Beschwerde darin, der Wertung des Verwaltungsgerichts eine eigene Einschätzung entgegenzusetzen. Eine erneute Klärungsbedürftigkeit ergibt sich daraus nicht.
Ungeachtet dessen ist die bloße Behauptung, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG sei aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nichtig und bereits die Klärung dieser Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung, ungeeignet, die Zulassung der Revision zu erreichen (stRspr, Beschluss vom 19. Juni 1997 - BVerwG 8 B 127.97- Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 31; BFH, Beschluss vom 15. Februar 1995 - VII B 100/94 - EuZW 1995, 455 = juris).
2. Entgegen der Anfrage des Berichterstatters vom 29. April 2010 kommt eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. November 2000 - BVerwG 3 C 3.00- (BVerwGE 112, 166) in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO nicht in Betracht. Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens besteht keine Veranlassung anzunehmen, dass die Aussetzung mit Blick auf das infolge des Vorlagebeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2007 (a.a.O.) beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BvL 8/07 prozessökonomisch oder auch nur zweckmäßig wäre.
Gegenstand jenes Verfahrens ist die Frage, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist, soweit davon Rechte von Miterben betroffen sind. Das Verwaltungsgericht hat indessen seine Entscheidung, die auf Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2008 gerichtete Klage abzuweisen, ungeachtet des von ihm gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellten Miteigentums des Klägers - ebenso wie das Bundesamt für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen - gerade nicht auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG gestützt. Stattdessen hat es entscheidungstragend allein auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG abgestellt. Die Beschwerde hat dies nicht beanstandet und auch im Übrigen keinerlei Ausführungen zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG sowie dessen etwaiger Entscheidungserheblichkeit für das vorliegende Verfahren gemacht.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066796
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BVerwG
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9. Senat
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20100610
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9 BN 3/09
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Beschluss
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Art 3 Abs 1 GG
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vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 24. Juni 2009, Az: 5 C 2678/07, Beschluss
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DEU
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Besteuerung von Spielgeräten an unterschiedlichen Aufstellungsorten; Höchstbetragsregelung
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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Eine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61- BVerwGE 13, 90 <91 f.>, vom 23. April 1996 - BVerwG 11 B 96.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10 S. 15, vom 30. März 2005 - BVerwG 1 B 11.05 - NVwZ 2005, 709 und vom 2. August 2006 - BVerwG 9 B 9.06 - NVwZ 2006, 1290). Der Beschwerde kann nicht entnommen werden, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
a) Die Frage,
"ob Betreiber von Glücksspiel mit Geldeinsatz innerhalb und außerhalb von Spielbanken gem. Art. 3 Abs. 1 GG steuerlich hinsichtlich der Vergnügungssteuererhebung gleich zu behandeln sind",
ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist auf der Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu verneinen, weil insoweit nicht vergleichbare Sachverhalte vorliegen (Urteil vom 10. Dezember 2009 - BVerwG 9 C 12.08 - juris Rn. 31; Beschluss vom 28. August 2007 - BVerwG 9 B 14.07 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 41 Rn. 12). Die hier besteuerten Spielgeräte unterliegen für ihre technische Zulassung bestimmten Einschränkungen, die die Gefahr unangemessen hoher Verluste in kurzer Zeit ausschließen sollen (§ 33e GewO). Das gewerbsmäßige Aufstellen solcher Spielgeräte ist zwar erlaubnispflichtig (§ 33c GewO), bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht jedoch auf die Erteilung der Erlaubnis ein Rechtsanspruch. Die Spielgeräte in einer Spielbank sind demgegenüber uneingeschränkt zum Glücksspiel geeignet. Für sie gelten die Einschränkungen der Gewerbeordnung nicht (§ 33h GewO). Das Glücksspiel ist aber nur aufgrund eigens erteilter staatlicher Konzession erlaubt. Schon diese Unterschiede rechtfertigen eine unterschiedliche Besteuerung (vgl. BFH, Beschluss vom 21. Februar 1990 - II B 98/89 - BFHE 160, 61 <67>). Es bedeutet auch für den Aufwand eines jeden Spielers einen Unterschied, ob er an einem Spielgerät mit Verlustbegrenzung nach der Gewerbeordnung spielt oder an einem solchen in einer Spielbank ohne jegliche Verlustgrenze. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur Umsatzsteuer, auf die die Antragstellerin verweist (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2005 - Rs. C-453/02 und C-462/02 - Slg 2005, I-1131), ist zur Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie ergangen und kann deshalb nicht auf eine Aufwandsteuer, wie sie die Spielapparatesteuer darstellt, übertragen werden.
b) Hinsichtlich der Frage,
"ob die Höchstbetragsregelung in § 4 Abs. 1 und 2 SpAppStS in Zusammenschau mit dem Wahlrecht gem. § 5 Abs. 4 SpAppStS tatsächlich entsprechend der Subsumtion des Senats rechtmäßig ist, wenn in realiter der festgelegte Höchstbetrag in der Satzung der Antragsgegnerin nahezu in jedem Fall zur Anwendung kommt",
ist ein Klärungsbedarf nicht hinreichend substantiiert dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht angenommen, dass Höchstbetragsregelungen generell zulässig sind. Er ist vielmehr davon ausgegangen, dass solche Regelungen dann als Stückzahlbesteuerung zu beurteilen seien, wenn eine Gemeinde unter dem "Deckmantel" der Höchstbetragsregelung eine gerätebezogene Pauschalbesteuerung anstrebe. Die hier in Rede stehende Höchstbetragsregelung sei nicht auf ein solches Ziel ausgerichtet. Zwar seien nach den auf die Kalenderjahre 2007 und 2008 bezogenen Feststellungen der Antragsgegnerin von insgesamt 48 Veranlagungen 43 Veranlagungen auf der Grundlage des Höchstbetrages erfolgt. Das allein könne jedoch nicht genügen, um eine durch die Höchstbetragsregelung kaschierte Verwendung des Stückzahlmaßstabes annehmen zu können. Vielmehr müsse die Anwendung des Stückzahlmaßstabes geradezu intendiert sein, wovon hier nicht ausgegangen werden könne. Denn die Höchstbeträge seien von der Antragsgegnerin überprüft worden und sollten mit Wirkung vom 1. Juli 2009 angehoben werden. Dies werde den Anteil der Höchstbetragsveranlagungen an der Gesamtzahl der Veranlagungen zurückgehen lassen. Wie sich die einmal festgelegten Höchstbeträge auf die Veranlagungspraxis auswirkten, lasse sich naturgemäß erst aufgrund der über eine längere Geltungsdauer hinweg gesammelten Erfahrungen verlässlich beurteilen. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiterhin festgestellt, dass sich die Antragsgegnerin bei der Festlegung der Höchstbeträge für die Höhe der früheren Stückzahlsteuersätze entschieden habe, um mit Blick auf die Rückwirkung des neuen Satzungsrechts dem landesrechtlichen Schlechterstellungsverbot genügen zu können. Die Beschwerde zeigt nicht auf, weshalb insoweit ein auf das Gebot steuerlicher Belastungsgleichheit bezogener Klärungsbedarf bestehen sollte.
In der Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die erkennbare Absicht des Satzungsgebers mit einer Höchstbetragsregelung eine Schlechterstellung der Steuerpflichtigen bei der rückwirkenden Umstellung der Vergnügungssteuersatzung auf einen Wirklichkeitsmaßstab zu verhindern, die damit verbundene, der Stückzahlbesteuerung vergleichbare Ungleichbehandlung des Vergnügungsaufwands der Spieler zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. September 2009 - 1 BvR 2384/08 - NVwZ 2010, 313 <317>). Geklärt ist ebenfalls, dass dem Normgeber eine angemessene Zeit einzuräumen ist, um beobachten zu können, wie sich eine auf unsicherer Tatsachengrundlage getroffene Regelung auswirkt (hier: Anteil der Höchstbetragsveranlagungen; vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - BVerfGE 110, 141 <166>; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 8.99 - BVerwGE 110, 265 <276>; Beschluss vom 24. Oktober 2001 - BVerwG 6 C 3.01 - BVerwGE 115, 189 <195>). Die Beschwerde legt nicht dar, dass der vorliegende Fall Gelegenheit geben könnte, diese Rechtsprechung fallübergreifend fortzuentwickeln.
c) Die Frage,
"ob nicht jede Satzung per se rechtswidrig ist, die einen Steuersatz festlegt allein mit dem Verweis auf andere Satzungen, insbesondere Mustersatzungen des die hier die Antragsgegnerin vertretenden Hessischen Städte- u. Gemeindetages, ohne eigene Ermittlungen diesbezüglich vorgenommen zu haben",
vermag der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu vermitteln. Denn die aufgeworfene Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig; sie unterstellt einen Sachverhalt, den der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat.
d) Soweit die Antragstellerin in Ihrem Schriftsatz vom 7. Dezember 2009 weitere Fragen als grundsätzlich bedeutend benennt, kann hierauf schon deshalb keine Zulassung der Revision gestützt werden, weil dieser Vortrag erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO erfolgt ist.
2. Die Beschwerde rügt darüber hinaus, das Urteil weiche von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2009 (1 BvL 8/05 - BVerfGE 123, 1) sowie des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2005 (BVerwG 10 C 5.04 - BVerwGE 123, 218) ab, weil sich die Möglichkeit, den Höchstbetrag wählen zu können, als Besteuerung nach dem gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Stückzahlmaßstab darstelle.
Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Beschlusses von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts hat die Antragstellerin damit nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargetan. Es fehlt eine für die hinreichende Bezeichnung einer Divergenz erforderliche Darlegung divergierender, die jeweilige Entscheidung tragender und auf dieselbe Rechtsvorschrift bezogener abstrakter Rechtssätze. Darüber hinaus unterstellt die Antragstellerin, der Verwaltungsgerichtshof gehe von der Zulässigkeit des Stückzahlmaßstabes aus, was, wie oben dargelegt, nicht zutrifft.
Den Darlegungsvoraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt die Beschwerde ebenfalls nicht, wenn sie eine Abweichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs „zur Rechtsprechung in Sachen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Festlegung des Steuersatzes“ rügt. Abgesehen davon, dass keine divergierenden Rechtssätze dargelegt sind, kann die Abweichung von einer Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts eine Divergenzrüge nicht begründen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100066830
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BGH
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1. Strafsenat
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20100701
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1 StR 195/10
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Beschluss
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§ 260 StPO
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vorgehend LG Stuttgart, 11. Dezember 2009, Az: 18 KLs 220 Js 60183/06, Urteil
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DEU
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Strafverfahren: Gegenstandslosigkeit eines Urteils
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Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 wird festgestellt, dass dieses gegenstandslos ist.
Durch das Rechtsmittel entstandene Kosten werden nicht erhoben.
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1. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 16. November 2007 wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat II. 1. der Urteilsgründe; zwei Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Diebstahl (Tat II. 2. der Urteilsgründe; drei Jahre Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und 800 € als Wertersatz für verfallen erklärt. Von dem Vorwurf, sich in weiteren acht Fällen nach dem Betäubungsmittelgesetz strafbar gemacht zu haben, hat es den Angeklagten freigesprochen.
Auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil durch sein Urteil vom 4. September 2008 (NStZ-RR 2009, 22) lediglich aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat II. 1. verurteilt worden war - insoweit zudem mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen -, sowie im Gesamtstrafenausspruch. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie diejenige des Angeklagten hat er verworfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Dezember 2009 wegen der Tat II. 1. erneut verurteilt. Insofern hatte es am 11. Dezember 2009, dem siebten Hauptverhandlungstag, das Verfahren zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt. Über die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom heutigen Tag entschieden (1 StR 196/10).
Als verbliebenen Gegenstand der am 11. Dezember 2009 fortgeführten Hauptverhandlung hat das Landgericht dagegen „die die Kammer bindenden Feststellungen“ zur Tat „II. 2. der Gründe des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007, die bindende rechtliche Würdigung und die insoweit erkannte Freiheitsstrafe von drei Jahren“ angesehen. Durch Urteil vom selben Tag hat es sodann das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007 „dahingehend abgeändert“, dass - bei identischem Schuld- und Strafausspruch - „ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe … zur Entschädigung für überlange Verfahrensdauer als vollstreckt“ gilt. „Zur Klarstellung“ hat es zudem den früheren Freispruch des Angeklagten erneut tenoriert. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision eingelegt, soweit er verurteilt und „nur eine Kompensation von einem Monat ausgesprochen wurde“.
3. Die daraufhin von Amts wegen auch auf die Frage des Bestehens von Verfahrenshindernissen zu erstreckende Prüfung hat ergeben, dass das angegriffene Urteil vom 11. Dezember 2009 gegenstandslos ist.
a) Denn das Verfahren wegen der Tat II. 2. aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007 war rechtskräftig abgeschlossen, nachdem der Senat die hiergegen eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten durch sein Urteil vom 4. September 2008 verworfen hatte (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. K Rdn. 57). Die Sache wurde daher insoweit nicht an das Landgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dort also auch nicht mehr rechtshängig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 165). Das Verfahren war somit dem Landgericht Stuttgart nicht mehr zur Entscheidung unterbreitet, so dass es insbesondere nicht mehr befugt war, eine in die Zeit nach dem Urteil des Senats fallende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu prüfen, festzustellen und zu kompensieren. Nichts anderes gilt, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der weiteren acht ihm zur Last gelegten Taten bereits rechtskräftig freigesprochen worden war.
b) Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätzlich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn - wie hier - ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet. Stattdessen sind lediglich die Auswirkungen der infolge der Rechtskraftwirkung und der fehlenden Befassung des Landgerichts mit der Sache unzulässigen Fortführung des Verfahrens zu beseitigen. Die Konstellation ist derjenigen vergleichbar, in der ein Einspruch gegen einen Strafbefehl unzutreffend als rechtzeitig eingelegt angesehen und daraufhin im selben Verfahren ein Urteil gesprochen worden ist, das wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft nicht hätte ergehen dürfen und deshalb auf die hiergegen eingelegte Revision durch Aufhebung zu beseitigen ist (zur „gerichtlichen Strafverfügung“ BGHSt 13, 306, 308 f.). Der Senat hat daher das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 für gegenstandslos erklärt.
4. Ebenfalls gegenstandslos ist damit die vom Landgericht getroffene Kostenentscheidung. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden zudem die Kosten, die durch die gegen das Urteil vom 11. Dezember 2009 eingelegte Revision verursacht worden sind, nicht erhoben, da diese bei richtiger Behandlung der Sache durch das Landgericht nicht entstanden wären. Diese Freistellung erfasst jedoch nicht die notwendigen Auslagen des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 2000, 499; BGH, Beschl. vom 25. Januar 2005 - 1 StR 502/04, jeweils m.w.N.).
Nack Wahl Hebenstreit
Elf Sander
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Deutschland
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JURE100066832
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BGH
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2. Strafsenat
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20100623
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2 StR 203/10
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Beschluss
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§ 30a Abs 2 Nr 2 BtMG
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vorgehend LG Frankfurt, 12. Januar 2010, Az: 5/4 KLs 5340 Js 206864/09 - 44/09, Urteil
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DEU
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Betäubungsmittelhandel: Bewaffnetes Handeltreiben bei Aufbewahrung einer Schreckschusspistole in einem verschlossenen Tresor im Nebenraum
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2010
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall bewaffnet, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 27. April 2010 ausgeführt:
"Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II. 2 der Urteilsgründe nicht (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
Der Tatbestand setzt u. a. voraus, dass der Täter die Schusswaffe beim Handeltreiben mit sich führt. Ein Mitsichführen liegt dann vor, wenn er die Schusswaffe bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Am eigenen Körper muss die Waffe nicht getragen werden; es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet. Der Wille des Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht erforderlich. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl. nur BGHSt 42, 368; 43, 8, 10; BGH NJW 1999, 3206, 3207).
Nach den Urteilsfeststellungen war das in der Wohnung des Angeklagten sichergestellte Rauschgift (136,51 g Haschisch mit einem THC-Gehalt von 8,5 g) im Wohnzimmer gelagert. Die mit Gaspatronen durchgeladene Schreckschusspistole Marke Walter befand sich in einem verschlossenen Tresor im Abstellraum der Wohnung; nach Eingabe eines Zahlencodes war sie binnen eines Zeitraums von 30 Sekunden gebrauchsbereit (UA S. 7, 10).
Von einem Mitsichführen im Sinne des Tatbestandes kann bei der gegebenen Fallgestaltung nicht ausgegangen werden. Ein Vorhandensein der in einem Behältnis gelagerten Schusswaffe in einem anderen Raum ist in der Regel nicht genügend (BGH NStZ 2000, 433). Ist, wie vorliegend, allein für das Öffnen des in einem anderen Raum befindlichen Behältnisses eine größere Zeitspanne erforderlich, kann von einer jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit im Sinne der tatbestandlichen Norm nicht mehr die Rede sein. Dies erhellt sich auch daraus, dass selbst bei einer etwaigen Übergabe des Rauschgifts an den Käufer in der Wohnung nichts anderes gelten würde."
Dem schließt sich der Senat an. Der Senat hat den Schuldspruch selbst geändert, weil ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der im Fall II. 2 verhängten Einsatzstrafe. Auch wenn das Landgericht der Strafzumessung den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zu Grunde gelegt hat, zeigt doch der Vergleich mit der im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängten Strafe, dass sich die Annahme bewaffneten Handeltreibens auf die Strafhöhe ausgewirkt hat. Zusammen mit der Einsatzstrafe entfällt auch die Gesamtfreiheitsstrafe. Die im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängte Strafe und die der Strafzumessung zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler dagegen nicht berührt und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen, aufrecht erhaltenen nicht widersprechen.
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Schmitt Krehl
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JURE100066833
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BGH
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2. Strafsenat
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20100623
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2 StR 222/10
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Beschluss
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§ 267 StPO
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vorgehend LG Erfurt, 18. Januar 2010, Az: 130 Js 60011/09 - 6 KLs, Urteil
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DEU
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Strafverfahren: Anforderungen an die sorgfältige Abfassung der Gründe eines auf einer Absprache in der Hauptverhandlung beruhenden Urteils
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 18. Januar 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte veranlasste "in der Nacht vom 18.7.2009 auf den 19.7.2009" während einer Hochzeitsfeier den siebenjährigen Sohn des Brautpaares in zwei Fällen den unbedeckten Penis des Angeklagten mit den Händen zu manipulieren (Fälle 1 und 2), in einem Fall manipulierte er mit den Händen am unbedeckten Penis des Kindes (Fall 3), und in einem weiteren Fall führte er einen Finger in den Anus des Kindes ein (Fall 4). Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten hat das Landgericht aus Einzelfreiheitsstrafen von je acht Monaten (Fälle 1-3) und von zwei Jahren (Fall 4) gebildet.
2. Die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in allen vier Fällen begegnet zwar insoweit rechtlichen Bedenken, als die Strafkammer sie allein mit der "höchstmöglichen Blutalkoholkonzentration von 2,27 Promille für den Zeitpunkt 4.00 Uhr des 19.7.2009" begründet hat, ohne auf weitere für die Anwendung des § 21 StGB relevante Faktoren wie das Leistungsverhalten des Angeklagten einzugehen. Auch ist mit Rücksicht auf den sich über die ganze Nacht erstreckenden Tatzeitraum nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, warum das Gericht die angenommene Blutalkoholkonzentration dem Angeklagten "bei Begehung aller Straftaten zugebilligt hat". Hierdurch ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
3. Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer im Fall 4 der Urteilsgründe das mögliche Vorliegen eines minderschweren Falles im Sinne des § 176a Abs. 4 2. Halbsatz StGB nicht geprüft. Eine ausdrückliche Erörterung ist jedenfalls dann erforderlich, wenn sie nach Lage der Dinge nicht fern liegt (vgl. Fischer StGB § 46 Rdn. 86 m.N.). Davon ist hier - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - schon deshalb auszugehen, weil allein die vom Landgericht festgestellte eingeschränkte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zu der Annahme eines minderschweren Falles führen kann; dies hätte vorrangig vor einer etwaigen Reduzierung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 StGB geprüft werden müssen.
4. Darüber hinaus begegnet die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB in allen vier abgeurteilten Fällen rechtlichen Bedenken. Zwar erfordert das Schuldprinzip bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB keine obligatorische Strafmilderung. Bei verminderter Schuldfähigkeit ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringert ist. Deshalb ist regelmäßig eine Strafrahmenverschiebung vorzunehmen, wenn nicht andere schulderhöhende Umstände, die im Urteil konkret und widerspruchsfrei festgestellt werden müssen, entgegenstehen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 161; NStZ 2004, 619).
Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die strafschärfende Erwägung eines Vertrauensbruches des Angeklagten "gegenüber dem Opfer, das im Angeklagten seinen Freund sah", findet in den rudimentären Feststellungen, aus denen allenfalls gefolgert werden kann, dass der Angeklagte und das Opfer sich erst am Tattag kennen lernten, keine Stütze. Ebenso ist ohne weitere Feststellungen nicht nachzuvollziehen, warum die Tatbegehung in der Kegelbahn des Vereinshauses (Fälle 2-4) vom Landgericht als eine solche "an versteckter Stelle" gewertet wird, welche eine "gesteigerte Handlungsintensität" begründet. Im Übrigen ist es nicht widerspruchsfrei, dem nicht vorbestraften Angeklagten einerseits zugute zu bringen, dass er durch den genossenen Alkohol "erheblich enthemmt war und die Taten nicht vorgeplant waren", andererseits die "ganz erhebliche Tatschuld…, die eine Strafminderung ausschloss" mit der "Begehung mehrerer Delikte innerhalb kurzer Zeit" zu begründen. Mit Rücksicht darauf sowie auf die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände - vor allem die bisherige Unbestraftheit sowie das umfassende Geständnis - tragen die Ausführungen im Urteil die Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB nicht.
Namentlich zu Fall 4 der Urteilsgründe begegnet zudem die Erwägung, "der bereits ebenfalls verwirklichte schwere Fall eines sexuellen Missbrauchs" spreche gegen eine Strafrahmenverschiebung (UA 7), rechtlichen Bedenken. Diese nicht in anderem Sinne interpretierbare Formulierung lässt besorgen, dass die Strafkammer die Strafrahmenreduzierung nach §§ 21, 49 StGB rechtsfehlerhaft mit der Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes als solchem begründet hat.
5. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass es eines Mindestmaßes an Sorgfalt bei der Abfassung der Urteilsgründe auch dann bedarf, wenn das Urteil auf einer in der Hauptverhandlung getroffenen Absprache beruht.
Rissing-van Saan Roggenbuck Appl
Schmitt Krehl
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BMJV
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public
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JURE100066843
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BGH
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2. Strafsenat
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20100623
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2 StR 35/10
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Urteil
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§ 267 StPO
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vorgehend LG Erfurt, 3. April 2009, Az: 801 Js 41718/06 - 2 KLs, Urteil
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DEU
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Strafurteil: Anforderungen an die Vollständigkeit der Beweiswürdigung
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 3. April 2009 wird verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf einer gemeinschaftlich begangenen versuchten räuberischen Erpressung, den Angeklagten E. zudem vom Vorwurf einer Brandstiftung oder einer versuchten Brandstiftung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Der Angeklagte E. ist der ehemalige „Präsident“, der Angeklagte M. der ehemalige „Vizepräsident“ des (ehemaligen) „Chapters Thüringen“ des Motorradclubs „MC Bandidos“.
a) Die Anklage der Staatsanwaltschaft legte ihnen Folgendes zur Last:
Der Angeklagte E. habe am 25. November 2006 den Geschädigten T., der in W. ein Tätowierstudio betrieb, im Clubhaus des „MC Bandidos“ in O. in Anwesenheit des Angeklagten M. aufgefordert, sein Studio an ihn, E., zu verkaufen oder für ihn zu arbeiten. Hierbei habe er darauf hingewiesen, T. könne besser schlafen, wenn er die Mitglieder des MC Bandidos hinter sich habe und keine Angst haben müsse, „dass einmal eine Bombe hochgehe“. Es sei eine Bedenkzeit für den Zeugen T. von zwei Wochen vereinbart worden.
Am 16. Dezember 2006 habe der Angeklagte M. als Beifahrer eines Pkw den Zeugen T. und dessen Ehefrau aus dem Fenster auf der Beifahrerseite des Fahrzeugs heraus angesprochen und gefragt, ob die Zeugen die Mitglieder des „MC Bandidos“ vergessen hätten. Als T. dies verneint habe, habe der Angeklagte M. geantwortet: „Wir Euch auch nicht.“
Am 8. Januar 2007 habe der Angeklagte E. einen von den Zeugen T. benutzten Pkw, der vor dem Tattoo-Studio abgestellt war, selbst in Brand gesetzt oder von einem unbekannten Dritten in Brand setzen lassen, um weiter zur Durchsetzung seiner Forderung auf den Geschädigten einzuwirken.
b) Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Am 25. November 2006 sprach der Angeklagte E. in einem Supermarkt den Zeugen T., den er bis dahin nicht kannte, jedoch wegen des Werbeaufdrucks auf seinem Pkw als Betreiber des Tattoo-Studios identifiziert hatte, an und fragte ihn, „wie es laufe“; auf die Antwort, „es gehe“, erwiderte er: „Mal sehen, wie lange noch.“ Der Angeklagte M. stand hierbei in der Nähe; ebenso die Ehefrau des Zeugen T.
T., der sich wegen früherer Probleme mit einem anderen, mit dem „MC Bandidos“ verfeindeten Rockerclub („MC Stahlpakt“) Sorgen machte, veranlasste daraufhin einen Bekannten, Kontakt mit dem „MC Bandidos“ aufzunehmen; er wurde noch am selben Abend in das Clubhaus einbestellt. Dort fand ein Gespräch statt, an dem neben den beiden Angeklagten und weiteren Clubmitgliedern nur der Zeuge T. teilnahm. Im Verlauf des Gesprächs fragte der Angeklagte E. den Zeugen, ob er sein Studio verkaufen und wie viel er dafür haben wolle. Er wies darauf hin, mit dem „MC Bandidos“ im Rücken brauche der Zeuge vor niemandem mehr Angst zu haben. T. lehnte einen Verkauf des Studios nicht ab, bat sich aber Bedenkzeit aus, da er die Sache mit seiner Frau besprechen müsse. Weitere Einzelheiten des Gesprächs vermochte das Landgericht nicht festzustellen, insbesondere nicht, ob es zur drohenden oder bedrohlich wirkenden Erwähnung einer „Bombe“ kam.
In der Nacht zum 16. Dezember 2007 wurde der Zeuge T. vor einem Kino aus dem Pkw eines Mitglieds des „MC Bandidos“, des Zeugen H., in der oben a) geschilderten Weise angesprochen. Ob es sich bei der Person, die sich vom Beifahrersitz aus an T. wandte, um den Angeklagten M. oder um den Zeugen H. handelte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
Am frühen Morgen des 8. Januar 2007 schließlich wurde der Pkw der Mutter der Zeugin T., der von dem Ehepaar T. genutzt wurde und auf der Straße vor dem Gebäude abgestellt war, in dem der Zeuge T. sein Tattoo-Studio und seine Ehefrau ein Nagelstudio betrieben, mittels Brandbeschleuniger in Brand gesetzt. Dass hieran der Angeklagte E. beteiligt war oder dass die Tat in Zusammenhang mit den zuvor geschilderten Vorfällen stand, konnte das Landgericht nicht feststellen.
2. Die auf die Sachrüge gestützte, gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
a) Die allgemeinen Anforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils sind erfüllt (vgl. dazu auch; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 267 Rdn. 33 ff.; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. 2008, Rdn. 621 ff.; jeweils m. w. Nachw.). Das Landgericht hat, nachdem es den Angeklagten von der Anklage zur Last gelegten Tatvorwurf skizziert hat, in einem ersten Schritt die in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen zusammenhängend dargestellt. Soweit die Revision einzelne Feststellungen vermisst, stützt sich dies auf urteilsfremdes Vorbringen, welches auf die Sachrüge nicht berücksichtigt werden kann; eine entsprechende Verfahrensrüge ist nicht erhoben.
b) In der nachfolgenden Beweiswürdigung hat das Landgericht die Einlassungen der Angeklagten sowie den wesentlichen Inhalt der Aussagen insbesondere der Zeugen und T., auch in unterschiedlichen, teilweise abweichenden Varianten und in ihrer Entstehungsgeschichte, umfangreich wiedergegeben und im einzelnen ausführlich gewürdigt. Die Einwendung der Revision, diese Würdigung sei im Ergebnis unzutreffend, erschöpft sich letztlich in dem Versuch, eine eigene Würdigung an die Stelle der vom Tatrichter vorgenommenen zu setzen; einen durchgreifenden Rechtsfehler zeigt sie nicht auf.
Unzutreffend ist namentlich die Annahme der Revision, die Würdigung des Landgerichts, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen T. zum Inhalt des Gesprächs am 25. November 2006 sowie der beiden Zeugen T. zu ihren Beobachtungen am 16. Dezember 2006 hätte nicht ausgeräumt werden können, stütze sich fehlerhaft auf nur wenige, oberflächliche und unzureichende Erwägungen (RB S. 1 f.). Vielmehr hat sich das Landgericht in einer 17 Seiten umfassenden ausführlichen Erörterung mit einer Vielzahl von gegen und für die Angeklagten sprechenden Indizien auseinandergesetzt; auch die belastenden und entlastenden Zeugenaussagen hat es einer jeweils abwägenden, auf weitere Indizien gestützten Analyse und Bewertung unterzogen. Die Annahme der Revision, das Landgericht habe übersehen, dass es sich bei Zeugen, deren Aussagen die Angeklagten entlastet haben, ebenfalls um Mitglieder des betreffenden Rockerclubs handelte und dass deshalb mit der nahe liegenden Möglichkeit von Gefälligkeitsaussagen gerechnet werden musste, ist fern liegend. Das Landgericht hat dies zum einen ausdrücklich bedacht (UA S. 20); zum anderen hat es sich umfangreich mit den Verbindungen aller Beteiligten zu unterschiedlichen Clubs, früheren Geschäften sowie möglichen Interessen und Motiven auseinandergesetzt. Für die Annahme, der Tatrichter habe dies bei der abschließenden Beweiswürdigung nicht bedacht, fehlt jeder Anhaltspunkt.
Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts erscheint auch die Annahme fern liegend, das Landgericht habe möglicherweise nicht bedacht, dass die Angeklagten vielfach, auch wegen Gewaltdelikten, vorbestraft sind und ihnen daher die Begehung von Taten wie den hier vorgeworfenen ersichtlich nicht persönlichkeitsfremd ist.
Welche weiteren, ins Einzelne gehenden kritischen Würdigungen der Glaubhaftigkeit der dem „MC Bandidos“ angehörenden Zeugen das Landgericht hätte anstellen sollen, zeigt die Revision nicht auf. Dass der Tatrichter insoweit einen falschen Maßstab angewendet hat, weil er die (allein) belastende Aussage des Zeugen T. zum Gesprächsinhalt am 25. November 2007 besonders kritisch gewürdigt hat, ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Revision aus den Urteilsgründen nicht. Das Landgericht hat die Möglichkeit von Falsch- und Gefälligkeitsaussagen - auf beiden Seiten - offensichtlich gesehen. Es hat diese und mögliche weitere Aussagemotivationen geprüft und ist, ohne erkennbaren Rechtsfehler, zu dem Ergebnis gelangt, der von den Angeklagten geschilderte Ablauf des Gesprächs sei jedenfalls möglich und inhaltlich und motivatorisch auch nicht unplausibel. Dass es im Hinblick auf Unklarheiten im Verhalten des Zeugen T. (etwa, dass dieser seiner Ehefrau zunächst nichts von einer möglichen Verkaufsforderung berichtete) zu dem Ergebnis gelangt ist, eine erpresserische Drohung durch die Angeklagten sei nicht hinreichend sicher bewiesen, ist vertretbar. Die Rüge erschöpft sich auch insoweit in einer abweichenden eigenen Würdigung.
c) Die Revision zeigt, entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts, auch nicht auf, dass der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit zu hohe Anforderungen gestellt und daher den an die Beweiswürdigung anzulegenden rechtlichen Maßstab verkannt habe. Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass selbst bei Erweislichkeit der von der Anklage angenommenen Taten der Schluss auf eine Begehung der den Angeklagten zur Last gelegten Taten nicht selbstverständlich gewesen wäre. So lag etwa die Annahme, der Angeklagte M. habe sich durch die Anwesenheit bei dem Gespräch am 25. November 2006 sowie durch den (nach Ansicht des Landgerichts nicht erwiesenen) Hinweis am 16. Dezember, man habe den Zeugen T. (der sich eine Bedenkzeit bis etwa 10. Dezember erbeten hatte) „nicht vergessen“, einer täterschaftlich versuchten räuberischen Erpressung schuldig gemacht, keineswegs nahe. Das gilt erst recht für die Annahme, das Inbrandsetzen des von den Zeugen T. genutzten Pkw sei von dem Angeklagten E. ausgeführt oder angestiftet worden. Objektive Anhaltspunkte für diese Annahme gab es ersichtlich nicht; die Aussage des Zeugen T., es sei am 25. Dezember 2006 drohend von einer „Bombe“ die Rede gewesen, haben die Angeklagten sowie die weiteren anwesenden Personen bestritten. Das Landgericht hat dies mit rechtsfehlerfreier Begründung als jedenfalls nicht unplausibel angesehen. Es hat auch nicht ausschließen können, dass der Zeuge T. ursprünglich sogar eine Unterstützung durch den „MC Bandidos“ gegen eine mögliche Bedrohung durch einen anderen Rockerclub gesucht habe (UA S. 27).
d) Schließlich fehlt es auch nicht an einer zusammenfassenden Bewertung der Beweisergebnisse und Indizien unter dem Gesichtspunkt einer Gesamtwürdigung. Dem Generalbundesanwalt ist zuzugeben, dass eine Vielzahl weiterer Einzelheiten und Beweisanzeichen denkbar ist, welche das Landgericht zusätzlich, weitergehend oder noch detaillierter hätte erörtern können. Freilich kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht erschöpfend in dem Sinn sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden; eine solche exzessive Erörterung würde die Möglichkeiten und Ressourcen der Gerichte übersteigen, ohne doch jemals zu absoluter Vollständigkeit gelangen zu können. Sie ist daher von Rechts wegen nicht zu verlangen. Ausreichend ist auch beim freisprechenden Urteil die Angabe der wesentlichen Gründe; die Urteilsgründe müssen deutlich machen, dass der Tatrichter nahe liegende wesentliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unzutreffend gewertet hat. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsgründen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht.
Das Landgericht ist hier in Anbetracht der zahlreichen verbliebenen Unklarheiten, auch in Motivationslage und Aussageverhalten der Zeugen T., zu dem zusammenfassenden Ergebnis gelangt, zwar lasse sich eine Begehung der Taten durch die Angeklagten keinesfalls ausschließen, es sei aber auch nicht mit einer zur Verurteilung hinreichenden Sicherheit bewiesen (UA S. 29). Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Schmitt Krehl
<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Berichtigungsbeschluss vom 9. August 2010 wurde in den Urteilstext eingearbeitet.>
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Deutschland
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JURE100066844
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BGH
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4. Strafsenat
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20100615
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4 StR 229/10
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Beschluss
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§ 64 StGB vom 16.07.2007, § 35 BtMG
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vorgehend LG Bielefeld, 14. Januar 2010, Az: 4 KLs 46 Js 147/09 - 41/09 IV, Urteil
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DEU
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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Zurückstellung der Vollstreckung bei betäubungsmittelabhängigem Täter
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1. Auf die Revision des Angeklagten E. wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Januar 2010
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte und der frühere Mitangeklagte L. im Fall 19 der Urteilsgründe jeweils des Diebstahls (statt eines schweren Bandendiebstahls) schuldig sind,
b) im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich des Angeklagten E. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte im Fall 55 der Urteilsgründe des Diebstahls (statt eines schweren Bandendiebstahls) schuldig ist,
b) mit den Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 55 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch und soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen schweren Bandendiebstahls in 41 Fällen, wobei es in elf Fällen beim Versuch geblieben ist, und wegen versuchten Diebstahls zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt; den Angeklagten Ö. hat es wegen schweren Bandendiebstahls in 21 Fällen, wobei es in fünf Fällen beim Versuch geblieben ist, und wegen Diebstahls in sieben Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben ist, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten; der Angeklagte Ö. rügt ferner die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge, auch hinsichtlich des früheren Mitangeklagten L., in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Bei der rechtlichen Würdigung des Falles 19 der Urteilsgründe hat das Landgericht übersehen, dass es bereits vor Begehung dieser Tat zu einem Streit zwischen den Bandenmitgliedern gekommen war und der gesondert verfolgte B. aus der zuvor mit dem Angeklagten E. und dem früheren Mitangeklagten L. gebildeten Bande ausgeschieden war (zur Mindestzahl vgl. BGHSt 46, 321). Dementsprechend hat sich der Angeklagte E. in diesem Fall lediglich des Diebstahls (in einem besonders schweren Fall) gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 StGB schuldig gemacht.
Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
2. Ebenfalls nicht belegt ist das für eine Verurteilung gemäß § 244 a StGB erforderliche Vorliegen einer aus mindestens drei Personen bestehenden Bande im Fall 55 der Urteilsgründe. Nach den Feststellungen brach der Angeklagte Ö. in diesem Fall "zusammen mit weiteren bislang nicht ermittelten Tätern" in ein Geschäftsgebäude ein.
Auch insoweit hat der Senat den Schuldspruch entsprechend abgeändert; er hat ferner die hiervon betroffene Einzelstrafe und die Gesamtstrafe aufgehoben.
3. Das Urteil hält außerdem rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
a) Nach den Feststellungen begann der Angeklagte E. im Jahre 2001 mit dem Konsum von Marihuana. Dies führte im Jahr 2005 zu einer mehrmonatigen Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eine anschließende Jugendhilfemaßnahme musste wegen wiederholten Rückfalls in den Missbrauch von Rauschgift abgebrochen werden. Im Jahr "2007 bzw. 2008" begann er, auch Kokain zu schnupfen. Seinen Drogenkonsum versuchte er durch die abgeurteilten Diebstahlstaten zu finanzieren. Er möchte eine Therapie absolvieren.
Diese Sachlage legt nahe, dass die gegenständlichen Taten auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Der Angeklagte hat über einen längeren Zeitraum bis zu seiner Inhaftierung illegale Drogen konsumiert. Der Symptomwert der Taten ist (schon) dann zu bejahen, wenn der Hang des Täters zu übermäßigem Rauschmittelkonsum neben anderen Umständen zu deren Begehung beigetragen hat (BGH, Beschl. vom 16. September 2008 - 3 StR 312/08). So war es hier. Die Jugendkammer ist selbst davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, wie ihr Hinweis auf § 35 BtMG zeigt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist aber gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorrangig (vgl. BGH, Beschl. vom 4. März 2009 - 2 StR 37/09, NStZ 2009, 441 m.w.N.). Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB gegeben sind. Hieran hat sich durch die Neufassung dieser Vorschrift nichts geändert (vgl. BGH, Beschl. vom 13. November 2007 - 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (§ 64 Satz 2 StGB) fehlt.
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Aus § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG folgt, dass über die Verhängung von Jugendstrafe und die Anordnung der freiheitsentziehenden Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur auf Grund einheitlicher Betrachtung entschieden werden kann. Der Rechtsfolgenausspruch war daher in Bezug auf den Angeklagten E. insgesamt aufzuheben.
b) Auch bei dem Angeklagten Ö. hätte die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erörtert werden müssen: Der Angeklagte begann als Jugendlicher mit dem Konsum von Cannabisprodukten. Anschließend schnupfte er auch Kokain. Den Konsum steigerte er "relativ schnell". Er musste Schulden machen, um seinen Drogenmissbrauch zu finanzieren; seiner Freundin entwendete er Geld zu diesem Zweck. Für die Zukunft plant er, seine Sucht zu bekämpfen. Auch bei diesem Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass er die Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, wie der Hinweis auf § 35 BtMG zeigt. Es hätte daher prüfen müssen, ob die - vorrangige - Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist.
Bei dem Angeklagten Ö. ist das Urteil nur insoweit aufzuheben, als eine Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB unterblieben ist. Der Senat schließt hingegen aus, dass das Landgericht ohne den aufgezeigten Rechtsfehler in den von der Schuldspruchänderung nicht betroffenen Fällen auf geringere Einzelstrafen erkannt hätte.
c) Die Frage nach der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf mithin unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a Satz 2 StPO) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht.
4. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall 19 der Urteilsgründe ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden früheren Mitangeklagten L., den Mittäter des Angeklagten E. in diesem Fall, zu erstrecken. Das Landgericht hat L. zu der im Blick auf den in seinen Taten hervorgetretenen Erziehungsbedarf sehr milden Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten mit Bewährung verurteilt; der Senat schließt aus, dass der Tatrichter diesen Angeklagten ohne den aufgezeigten Rechtsfehler zu einer noch milderen Strafe verurteilt hätte.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Bender
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066846
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BGH
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3. Strafsenat
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20100622
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3 StR 177/10
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Beschluss
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§ 176 Abs 4 Nr 4 StGB vom 31.10.2008, § 176 Abs 3 Nr 3 StGB vom 13.11.1998
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vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 16. November 2009, Az: 6 KLs 12/09 - 511 Js 61866/08, Urteil
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DEU
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Sexueller Missbrauch von Kindern: Einwirken auf ein Kind durch pornographische Abbildungen
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. November 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Schuldspruch, soweit der Angeklagte im Falle II. 12. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist,
- im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen und wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Im Falle II. 12. der Urteilsgründe tragen die insoweit lückenhaften Feststellungen nicht den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der bis 31. März 2004 geltenden Fassung.
Nach den Feststellungen zog der Angeklagte an einem nicht mehr zu ermittelnden Tag im Jahre 2002 die 1991 geborene Tochter Annemarie seiner Lebensgefährtin in der gemeinsamen Wohnung zu seinem Computer und "zeigte ihr pornographische Aufnahmen". Als sie weggehen wollte, weil sie die Bilder nicht sehen wollte, "versuchte der Angeklagte, sie festzuhalten, ließ sie dann jedoch gehen, als sie sich dagegen wehrte".
Soweit hier von Belang, setzt der Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF - ebenso wie § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB nF - voraus, dass der Täter durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen auf ein Kind einwirkt. Pornographisch sind Abbildungen oder Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 184 Rdn. 7). Allein die verallgemeinernde Beschreibung mit "pornographische Aufnahmen" belegt dies nicht. Zudem verlangt ein Einwirken eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art (vgl. BGHSt 29, 29, 30 f.; BGH NStZ 1991, 485; NJW 1976, 1984); auch hierauf kann ohne nähere Feststellungen zum Inhalt der Aufnahmen nicht geschlossen werden.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Falle II. 12. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs, denn das Landgericht hat bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen und der Gesamtstrafe erschwerend berücksichtigt, dass von den Taten des Angeklagten alle drei Kinder seiner Lebensgefährtin betroffen waren. Zwar begegnet diese Erwägung für sich gesehen keinen rechtlichen Bedenken, gegen Annemarie richtete sich jedoch lediglich diese eine Tat. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die pauschale Erwägung, keiner der Übergriffe sei ein "Ausrutscher" gewesen, nicht erkennen lässt, ob die bei der Prüfung eines minderschweren Falls anzulegenden rechtlichen Maßstäbe jeweils beachtet worden sind.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066847
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BGH
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3. Strafsenat
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20100624
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3 StR 69/10
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Urteil
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§ 200 StPO, § 53 StGB, § 176 StGB
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vorgehend LG Mönchengladbach, 8. Oktober 2009, Az: 32 KLs 8/09 - 601 Js 2370/08, Urteil
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DEU
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Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern: Anforderungen an die Anklageschrift bei Tatreihen
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Oktober 2009 aufgehoben, soweit der Angeklagte im Anklagepunkt I. vom Vorwurf des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, im Anklagepunkt II. vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und im Anklagepunkt III. freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Senat hat auf die Revision des Angeklagten das Urteil durch Beschluss vom 30. März 2010 im Maßregelausspruch wegen unzureichender Feststellungen aufgehoben und insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; im Übrigen hat er das Rechtsmittel verworfen. Mit der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht dem Senat zur Entscheidung vorgelegten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen einen Teil der Freisprüche. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen des Landgerichts zugrunde: Der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte missbrauchte in der Zeit von Anfang Juni 2008 bis Ende August 2008 die damals zehn oder elf Jahre alte Michelle sowie die zwölf Jahre alte Jacqueline, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennengelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Dabei beging der Angeklagte die insgesamt acht Tathandlungen.
Vom Vorwurf, zwei andere Mädchen missbraucht zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten mangels Tatnachweises freigesprochen. Insoweit greift die Beschwerdeführerin das Urteil nicht mehr an, nachdem der Generalbundesanwalt die Revision auf die übrigen Teilfreisprüche beschränkt hat.
1. Die Freisprüche halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Dem Angeklagten lag insoweit im Anklagepunkt I. der versuchte schwere sexuelle Missbrauch von Kindern in zwei Fällen, im Anklagepunkt II. der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB in vier Fällen und im Anklagepunkt III. der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB in zwei Fällen zur Last. In der Hauptverhandlung hat Michelle als Zeugin ausgesagt, es habe jeweils eine größere Zahl an sexuellen Übergriffen als in der Anklage aufgeführt gegeben. Das Landgericht hat die Angaben der Zeugin für glaubhaft erachtet und sich davon überzeugt, dass auch diese über die Anklagevorwürfe hinausgehenden Taten sich wie von der Zeugin bekundet zugetragen haben. Mit der Begründung, es könne bei dieser Sachlage nicht festgestellt werden, welche der mehreren Taten Gegenstand der Anklage seien, hat es den Angeklagten insoweit freigesprochen.
Die Voraussetzungen für einen Freispruch waren nicht gegeben.
a) Die vom Landgericht unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage war wirksame Verfahrensvoraussetzung. In ihr war dem Angeklagten eine Höchstzahl von sexuellen Übergriffen zur Last gelegt worden. Das Tatgeschehen war durch Mitteilung der Tatopfer, der Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, vor allem aber durch Bestimmung des Tatzeitraums ausreichend von anderen möglichen Taten desselben Täters abgegrenzt (zu den Anforderungen an eine Anklageschrift bei Tatreihen von sexuellem Kindesmissbrauchs vgl. BGHSt 40, 44, 46). Durch die Feststellung eines über die Anklage hinausgehenden Geschehens haben die Anklage und der auf ihr beruhende Eröffnungsbeschluss nicht ihre Wirksamkeit verloren. Für die von der Staatsanwaltschaft ursprünglich begehrte Einstellung des Verfahrens besteht deshalb kein Anlass.
b) Von der Täterschaft des Angeklagten hinsichtlich der angeklagten Taten war das Landgericht überzeugt. Es hätte den Angeklagten deshalb insoweit auch aburteilen müssen. Es war in Ermangelung einer Nachtragsanklage lediglich daran gehindert, den Angeklagten wegen der weiteren Taten zu verurteilen, von denen es sich ebenfalls überzeugt hat. Über die Anklagevorwürfe muss deshalb im vorliegenden Verfahren erneut verhandelt werden.
2. Der Senat sieht hierfür Anlass zu folgenden Hinweisen:
a) Sollte die Beschwerdeführerin, wie auf Seite 7 der Revisionsbegründung angedeutet, auch im Hinblick auf die Tatvorwürfe, die noch Gegenstand dieses Verfahrens sind, ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet haben, so läge ein Fall der Doppelverfolgung vor.
b) Hinsichtlich der Tatvorwürfe im Anklagepunkt I. wird ggf. zu prüfen sein, ob es sich um zwei getrennte Taten (so die Anklage) oder um eine Tat des versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen handelt.
c) Soweit dem Angeklagten im Anklagepunkt II. vorgeworfen wird, Michelle zweimal "auf den Mund geküsst" zu haben, wird die von § 184 g Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit der Handlung (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 184 g Rdn. 6 f.) ggf. näher zu begründen sein.
Nachdem Michelle bekundet hat, der Angeklagte habe "sie immer überall angefasst und sie auch auf den Mund geküsst" (UA S. 35), wäre zudem Folgendes zu beachten: Eine Verurteilung wegen einer selbständigen Tat des sexuellen Kindesmissbrauchs käme nur in Betracht, wenn sich das Landgericht davon überzeugt, dass der Angeklagte an einem Tag ausschließlich diese Handlung vornahm, und damit ausschließen kann, dass der Kuss nicht nur Teil eines umfassenderen Tatgeschehens war, welches bereits abgeurteilt ist oder noch zur Verhandlung und Entscheidung ansteht. Gleiches gilt auch für den Tatvorwurf, der Angeklagte habe Michelle zweimal auf seinen Schoß gesetzt und unter ihrer Kleidung am Oberkörper gestreichelt.
d) Im Hinblick auf die - nach der Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten - erneut zu treffende Entscheidung über die Sicherungsverwahrung verweist der Senat zur Behandlung getilgter und deshalb einem Verwertungsverbot unterliegender Vorstrafen auf die Entscheidungen BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 2 und 7; BGH NStZ-RR 2002, 332 sowie BGH StV 2007, 633.
3. Die Form der Anklageabfassung im vorliegenden Fall gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es der Klarheit der Anklage dient, wenn die einzelnen Taten im konkreten Anklagesatz jeweils mit einer Ordnungsziffer versehen werden und deshalb ohne beschreibende Zusätze voneinander zu unterscheiden sind.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066852
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BGH
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4. Strafsenat
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20100622
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4 StR 216/10
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Beschluss
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§ 207 StPO, § 338 Nr 1 StPO, § 76 Abs 2 S 1 GVG, § 73 StGB, §§ 73ff StGB, § 74 StGB, § 29 BtMG
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vorgehend LG Halle (Saale), 4. Dezember 2009, Az: 13 KLs 26/09 - 562 Js 3415/09, Urteil
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DEU
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Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln: Fehlerhaftigkeit des Eröffnungsbeschlusses wegen falscher Besetzung der großen Strafkammer und Anforderungen an die Einziehungsanordnung bei Betäubungsmitteln
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 4. Dezember 2009
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, insoweit wird das Verfahren eingestellt; die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insofern der Staatskasse zur Last;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 34 Fällen und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln schuldig ist,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, die Einziehung, den Verfall von Wertersatz und den erweiterten Verfall mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in fünf Fällen, dabei in vier Fällen gewerbsmäßig handelnd, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung von sichergestellten Betäubungsmitteln und "Betäubungsmittelutensilien" sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 3.290 € und den erweiterten Verfall von 5.605 € angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Verfahren ist in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe einzustellen, da es insofern an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.
a) Wegen der Fälle 1 bis 36 der Urteilsgründe hatte die Staatsanwaltschaft am 28. Mai 2009 Anklage erhoben, die das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juli 2009 unverändert zum Hauptverfahren zugelassen hat; zugleich hat es beschlossen, die Hauptverhandlung mit der Vorsitzenden und - neben den Schöffen - nur einer Beisitzerin durchzuführen. In der daraufhin begonnenen Hauptverhandlung beschloss die Strafkammer am 6. Oktober 2009, die am 23. September 2009 ferner erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen, mit der dem Angeklagten die später als Fälle 37 bis 44 abgeurteilten Taten zur Last gelegt wurden.
b) Diese Verfahrensweise war fehlerhaft. Bezüglich der dem Angeklagten in der Anklage vom 23. September 2009 zur Last gelegten Taten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Denn die große Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen entschieden, sondern in der gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Damit besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe und zur Einstellung des Verfahrens führt (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 142/08, NStZ 2009, 52, und - auch zur Kostenentscheidung - Urteil vom 21. Januar 2010 - 4 StR 518/09 jeweils m.w.N.).
2. Zu den Einziehungs- und Verfallanordnungen hat der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 6. Mai 2010 ausgeführt:
"1. Die Einziehungsanordnung, die lediglich auf zwei Sicherstellungsprotokolle verweist, bezeichnet die einzuziehenden Betäubungsmittel und Betäubungsmittelutensilien nicht genau genug. Bei einer Einziehungsanordnung müssen die einzuziehenden Gegenstände so genau bezeichnet sein, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; die Bezugnahme auf ein Asservatenverzeichnis genügt nicht (BGH, Beschluss vom 25. August 2009, 3 StR 291/09 m.w.N.). Bei der Einziehung von Betäubungsmitteln gehört dazu insbesondere die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts (Senat, Beschluss vom 12. Oktober 1999, 4 StR 391/99).
Diesen Anforderungen wird die Einziehungsanordnung des Urteils nicht gerecht. Da sich die Anordnung auch mit Hilfe der Urteilsgründe nicht so genau konkretisieren lässt, dass sie vom Senat ergänzt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007, 1 StR 251/07), ist sie aufzuheben.
2. In der Wohnung des Angeklagten wurde Bargeld in Höhe von 8.895,- Euro sichergestellt (UA S. 6), welches nach Ansicht der Kammer aus Drogengeschäften stammt (UA S. 32). Allerdings erschließt sich nicht, wieso ein Teilbetrag in Höhe von 3.290,- Euro "aus den Betäubungsmittelgeschäften" stammen soll und der andere Teilbetrag in Höhe von 5.605,- Euro aus anderen nicht abgeurteilten Drogengeschäften, so dass insoweit der erweiterte Verfall nach § 73d StGB i.V.m. § 33 Abs. 1 BtMG anzuordnen war. Abgesehen davon, dass bei einer Zuordnung des sichergestellten Geldes zu den abgeurteilten Geschäften die Einziehung [richtig: Verfall] nach § 73 StGB zu erfolgen hat - wieso die Kammer einen Wertersatzverfall nach § 73a StGB angenommen hat, ist nicht nachvollziehbar - erfordert der Vorrang des § 73 StGB gegenüber der subsidiären Vorschrift des § 73d StGB, dass vor einer Anwendung des § 73d unter Ausschöpfung der zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind (Senat, Urteil vom 11. Dezember 2008, 4 StR 386/08 m. zahlr. w.N.). Dem werden die lediglich pauschalen Ausführungen der Kammer (UA S. 32) nicht gerecht, sie ermöglichen dem Revisionsgericht nicht die Prüfung, ob das Gericht die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB richtig angewendet hat".
Dem schließt sich der Senat an. Zudem kann die Anordnung des Verfalls von Wertersatz schon infolge der Teileinstellung keinen Bestand haben.
3. Vorsorglich bemerkt der Senat, dass die auf § 353 Abs. 2 StPO beruhende Aufhebung der den Verfallentscheidungen zuzuordnenden Feststellungen nicht die sogenannten doppelrelevanten Tatsachen erfasst, die auch den Schuld- oder Strafausspruch tragen (z. B. die Feststellungen zu den Einkaufs- und Verkaufspreisen; vgl. näher Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. Einl. 187; § 353 Rdn. 20); insoweit sind nur ergänzende Feststellungen zulässig, die den bindend gewordenen nicht widersprechen dürfen.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Mutzbauer Bender
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066853
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BGH
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4. Strafsenat
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20100629
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4 StR 241/10
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Beschluss
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§ 64 S 1 StGB vom 16.07.2007
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vorgehend LG Essen, 5. Februar 2010, Az: 51 KLs 38/09 - 58 Js 466/09, Urteil
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DEU
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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Absehen von der Unterbringungsanordnung nach Gesetzesänderung
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 5. Februar 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
Nach den Feststellungen kam der Angeklagte bereits frühzeitig mit Drogen in Kontakt. Er konsumierte ab seinem vierzehnten Lebensjahr Haschisch. Erstmals im Jahr 1991 kam der Angeklagte mit Heroin in Berührung, das er zunächst rauchte und später spritzte. Zuletzt lag sein Bedarf bei 0,4 Gramm pro Tag. Die abgeurteilte Tat beging der Angeklagte zur Finanzierung seines Heroinkonsums.
Angesichts dieser Feststellungen liegt es nahe, dass die abgeurteilte Tat auf einen Hang des Angeklagten zurückgeht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen (vgl. BGH, Beschl. vom 7. Oktober 2008 - 4 StR 257/08 m.w.N.). Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend angeordnet werden muss (BGH, Beschl. vom 17. November 2009 - 4 StR 375/09; Beschl. vom 13. November 2007 - 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73; Beschl. vom 31. März 2010 - 2 StR 76/10). Denn das Gericht "soll" die Unterbringung anordnen, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen darf es von der Unterbringungsanordnung absehen (BTDrucks. 16/5137, S. 10; 16/1344, S. 12). Bei der ausdrücklich erklärten Therapiebereitschaft des Angeklagten ist nicht anzunehmen, dass es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (§ 64 Satz 2 StGB) fehlt (vgl. BGH, Beschl. vom 5. Mai 1995 - 2 StR 150/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 6).
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit. Der Strafausspruch wird von der Teilaufhebung nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung eine geringere Strafe verhängt hätte.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066855
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BGH
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4. Strafsenat
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20100624
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4 StR 260/10
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Beschluss
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§ 177 Abs 2 S 2 Nr 1 StGB
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vorgehend LG Bochum, 3. Februar 2010, Az: 6 KLs 6/09 - 36 Js 582/08, Urteil
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DEU
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Vergewaltigung: Vorangegangene Gewaltanwendung als fortwirkende Drohung gegenüber dem Opfer
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Fall III. 1 der Urteilsgründe),
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,
c) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubes in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, (vorsätzlicher) Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen zum Fall III. 1 der Urteilsgründe kehrte der Angeklagte "an einem nicht mehr bestimmbaren Tag im Jahre 2004" in betrunkenem Zustand in die gemeinsam mit seiner Freundin, der Zeugin N. B., bewohnte Wohnung zurück. Der Angeklagte wollte mit der Zeugin geschlechtlich verkehren, legte sich zu ihr ins Bett und begann sie zu streicheln. Die Zeugin erklärte dem Angeklagten mehrfach, dass er sie in Ruhe lassen solle und sie dies nicht wolle. Wütend geworden beschimpfte er die Zeugin und ergriff sodann einen schweren Kerzenständer aus Metall, den er in ihre Richtung warf, wobei ihm bewusst war, dass er die Zeugin treffen könnte. So geschah es auch; der Kerzenständer traf Frau B. an der linken Schulter, was ihr Schmerzen bereitete. Der Angeklagte nahm dies wahr, es war ihm jedoch gleichgültig. Er begab sich in die Küche, hörte dort Musik und rauchte eine Zigarette. Nach einer nicht mehr genau bestimmbaren Zeitspanne von höchstens 30 Minuten (UA 17) kehrte er in das Schlafzimmer zurück. "Unter dem Eindruck des zuvor erfolgten Wurfs mit dem Kerzenständer und aus Angst vor weiterer Gewalt widersetzte sich die Zeugin N. B. dem Angeklagten nicht mehr. Der Angeklagte, dem bewusst war, dass die Zeugin B. nach wie vor innerlich nicht gewillt war, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, aber aus Angst vor weiterer Gewalt den Geschlechtsverkehr zuließ, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin N. B. ein und vollzog mit ihr den Beischlaf bis zum Samenerguss".
2. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich hierdurch (neben einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die den getroffenen Feststellungen zu Grunde liegende Beweiswürdigung ist lückenhaft und daher sachlich-rechtlich fehlerhaft.
a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass frühere Gewalteinwirkungen als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein können, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 m.w.N.). Zu den zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen lässt das Urteil jedoch Beweisgründe und Beweiswürdigung vermissen; dieser Mangel ist auf Sachrüge zu beachten (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99, NZV 2000, 88 und vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, NStZ 2007, 538).
Das Landgericht hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass seine erneute Annäherung von der Zeugin B. als eine konkludente Drohung empfunden werde. Die Beweisergebnisse, die den Tatrichter zu dieser Würdigung geführt haben, teilt er jedoch im angefochtenen Urteil nicht mit. Mit seiner umfangreichen Beweiswürdigung zum Fall III. 1 der Urteilsgründe belegt das Landgericht lediglich, dass die Zeugin auf Grund der von ihr empfundenen Angst weiteren Widerstand nicht zu leisten in der Lage war und den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erduldete (UA 15, 30). Nicht belegt hat es in der Beweiswürdigung jedoch, aus welchen Gründen es zu der Überzeugung gelangt ist, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die Zeugin die erneute Annäherung als eine konkludente Drohung empfand und infolge der Anwendung dieses Nötigungsmittels die Durchführung des Geschlechtsverkehrs duldete (vgl. zur finalen Verknüpfung BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268, 269 m.w.N.); dies ist insbesondere bei erheblicher Alkoholisierung kritisch zu prüfen (vgl. Fischer, StGB 57. Auflage § 177 Rdn. 52 m.w.N.).
Nach den Umständen des Falles liegt auch nicht auf der Hand, dass der Vorsatz des Angeklagten hier die finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und Nötigungserfolg umfasst hat. Zwar hatte die Zeugin sich auch früher schon geweigert, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn dieser abends betrunken nach Hause kam. Hier besteht aber die Besonderheit, dass der Angeklagte, nachdem er die Zeugin mit dem Kerzenständer an der Schulter getroffen hatte, sich bis zu 30 Minuten in der Küche aufhielt. Es versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte, als er sodann in das Schlafzimmer zurückkehrte, in sein Bewusstsein aufgenommen hatte, Frau B. werde sein Erscheinen nunmehr als eine konkludente Drohung mit erneuter Gewaltanwendung empfinden und nur deshalb den zuvor abgelehnten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lassen.
In diesem Zusammenhang erweist sich die Beweiswürdigung auch insoweit als lückenhaft, als das Landgericht zwar wiederholt ausführt, die Zeugin habe es auch bei früherer Gelegenheit abgelehnt, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn er Alkohol zu sich genommen habe (UA 17, 18). Die Strafkammer teilt aber nicht mit, welche Folgen diese Ablehnungen jeweils hatten. Das weitere Verhalten der Zeugin und des Angeklagten kann durchaus Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite für das hier zu beurteilende Geschehen zulassen.
Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit der Angeklagte im Fall III. 1 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
3. Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich auch, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist, obwohl seine Feststellungen zu einer solchen Prüfung drängten.
Der Generalbundesanwalt hat sich hierzu in seiner Antragsschrift vom 31. Mai 2010 wie folgt verhalten:
"Der wegen Körperverletzungsdelikten und - wenn auch nicht gravierend - wegen Eigentumsdelikten einschlägig vorbestrafte (UA S. 7 f.) Angeklagte konsumierte seit seinem siebzehnten Lebensjahr zunächst Cannabis, später Heroin und Kokain. Nach zwei ambulanten Drogentherapien und der Teilnahme am Methadon-Programm, jeweils einhergehend mit Rückfällen, erfolgte im Jahr 2004 eine Suchtverlagerung auf Alkohol. Hierbei konsumierte der Angeklagte anlässlich sich häufender Kneipenaufenthalte etwa zehn bis fünfzehn halbe Liter eines Biermischgetränks sowie Wein und Schnaps, wobei sich das Konsumverhalten ab dem Jahr 2008 noch steigerte (UA S. 4 f.).
Bei den Taten III. 1. und 4. war der Angeklagte alkoholisiert (UA S. 10, 13 f.). Auch zuvor war es bereits regelmäßig zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten gekommen, wenn dieser Alkohol zu sich genommen hatte (UA S. 9). Die Tat III. 2. beging der Angeklagte, um sich Geldmittel zur Finanzierung seines Alkoholkonsums zu verschaffen (UA S. 12). Hierfür hatte er sich trotz ihrer bedrängten finanziellen Verhältnisse bereits des Öfteren eigenmächtig Gelder der Geschädigten angeeignet oder diese zur Herausgabe aufgefordert (UA S. 11, 9). Ein solches Verhalten des Angeklagten war auch Anlass für die der Tat III. 3. vorausgegangene Auseinandersetzung (UA S. 12 f.).
Die getroffenen Feststellungen legen demnach nahe, dass zumindest die verfahrensgegenständlichen Taten III. 1., 2. und 4. auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Eine "Gefährlichkeit" im Sinne des § 64 StGB würde auch nicht daran scheitern, dass es sich bei den Anlasstaten durchgängig um Beziehungstaten zum Nachteil der Geschädigten B. handelt und möglicherweise auch nur solche zukünftig zu erwarten sind (UA S. 47). Denn der Täter braucht für eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht für die Allgemeinheit gefährlich zu sein (BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 112/10).
Da der Angeklagte grundsätzlich therapiebereit ist (UA S. 43) - auch wenn sich das Urteil zur Art der beabsichtigten Therapie nicht verhält -, bestehen zumindest Anhaltspunkte für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB).
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittel ausgenommen".
Dem tritt der Senat bei; er kann ausschließen, dass die Einzelstrafen für die Fälle III. 2, 3 und 4 der Urteilsgründe milder ausgefallen wären, wenn das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
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BGH
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1. Zivilsenat
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20100624
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I ZR 73/08
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Urteil
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§ 425 Abs 2 HGB, § 254 Abs 1 BGB
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vorgehend LG Düsseldorf, 3. April 2008, Az: 31 S 11/07, Urteil vorgehend AG Neuss, 18. Juni 2007, Az: 70 C 2186/06, Urteil
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DEU
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Frachtführerhaftung: Mitverschulden des Versenders am Ladungsverlust bei Kenntnis von Organisationsmängeln
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 3. April 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 18. Juni 2007 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
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Die Klägerin ist Transportversicherer der T. GmbH in Dortmund (im Weiteren: Versenderin zu 1) und der C. GmbH in Stuttgart (im Weiteren: Versenderin zu 2). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem Recht der Versenderinnen wegen Verlusts von Transportgut in zwei Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Beide Versenderinnen nehmen am sogenannten EDI-Versandverfahren der Beklagten teil.
Im Schadensfall 1 beauftragte die Versenderin zu 1 die Beklagte am 24. März 2005 mit der Beförderung eines Pakets nach Scarmagno/Italien. Das Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Ware im Wert von 2.490 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an.
Im Schadensfall 2 beauftragte die Versenderin zu 2 die Beklagte am 30. September 2005 mit dem Transport von sieben Paketen an eine in Karlsruhe ansässige Empfängerin. Ein Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Waren im Wert von 2.430 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an. Die Beklagte zahlte für den Verlust des Gutes an die Versenderin zu 2 eine Entschädigung in Höhe von 510 €.
Die von der Beklagten im hier maßgeblichen Zeitraum verwendeten Beförderungsbedingungen (Stand 1/2005) enthielten auszugsweise folgende Regelungen:
2. Serviceumfang
Um die vom Versender gewünschte kurze Beförderungsdauer und das niedrige Beförderungsentgelt zu ermöglichen, werden die Sendungen im Rahmen einer Sammelbeförderung transportiert. Der Versender nimmt mit der Wahl der Versendungsart in Kauf, dass aufgrund der Massenbeförderung (…) nicht die gleiche Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden kann.
Eine Kontrolle des Transportweges durch Ein- und Ausgangskontrollen an den einzelnen Umschlagstellen innerhalb des U.-Systems ist nicht Gegenstand der vereinbarten Leistung.
Der Versender sollte unter Berücksichtigung von Art und Wert des Gutes von der Möglichkeit Gebrauch machen, durch korrekte Angabe des Warenwerts und Zahlung des in der Tariftabelle geregelten Zuschlags eine Beförderung seiner Sendung in der Leistungsart "Wertpaket" zu wählen. In dieser Leistungsart werden Pakete unter zusätzlichen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen transportiert.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust der Transportgüter in voller Höhe. Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von 4.410 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
Die Beklagte hat zu ihrer Verteidigung geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderinnen anrechnen lassen, weil diesen bekannt gewesen sei, dass durchgängige Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchgeführt würden.
Das Berufungsgericht hat die im ersten Rechtszug erfolgreiche Klage in Höhe von 2.460 € nebst Zinsen für begründet erachtet und sie im Übrigen abgewiesen.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit es vom Berufungsgericht abgewiesen worden ist. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
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I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR und § 425 Abs. 1, § 435 HGB angenommen. Die Klägerin müsse sich allerdings ein Mitverschulden der Versenderinnen gemäß § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, weil diese zumindest hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Beförderungsbedingungen der Beklagten, nach denen eine Schnittstellenkontrolle als nicht vereinbart gelte. Dementsprechend sei bei dem im Streitfall gegebenen Warenwert der Schadensersatzanspruch der Klägerin um insgesamt 1.950 € zu kürzen. Ein weiteres Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in Betracht.
II. Die gegen die Annahme eines Mitverschuldens der Versenderinnen gerichtete Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
1. Die grundsätzlich unbeschränkte Haftung der Beklagten für die in Rede stehenden Warenverluste nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Schadensfall 1) und § 425 Abs. 1, § 435 HGB (Schadensfall 2) steht in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit.
2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB, Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 13.8.2009 - I ZR 76/07, TranspR 2010, 145 Tz. 13; zu Art. 29 CMR, BGH, Urt. v. 21.1.2010 - I ZR 215/07, TranspR 2010, 189 Tz. 18, jeweils m.w.N.).
3. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderinnen an der Entstehung des geltend gemachten Schadens zurechnen lassen, weil die Versenderinnen hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats kann ein Mitverschulden des Auftraggebers eines Spediteurs/Frachtführers nicht allein darin gesehen werden, dass dieser Transportaufträge in Kenntnis dessen erteilt, dass der Transporteur keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführt. Die Frage, ob sich eine derartige Kenntnis aus Nummer 2 der Beförderungsbedingungen der Beklagten entnehmen lässt, braucht daher nicht entschieden zu werden. Denn unabhängig davon reichen jedenfalls die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation des Spediteurs/Frachtführers durch einen Auftraggeber für sich gesehen nicht aus, um ein Mitverschulden zu bejahen (BGH, Urt. v. 15.11.2001 - I ZR 182/99, TranspR 2002, 302, 304; Urt. v. 13.2.2003 - I ZR 128/00, TranspR 2003, 255, 258; Urt. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 402; Urt. v. 30.3.2006 - I ZR 57/03, NJW-RR 2006, 1264 Tz. 35 = TranspR 2006, 250, 252; Urt. v. 11.9.2008 - I ZR 118/06, TranspR 2008, 362 Tz. 17). Eine Anspruchsminderung nach § 425 Abs. 2 HGB i.V. mit § 254 Abs. 1 BGB wegen Beauftragung eines ungeeigneten Transportunternehmens kommt nach der Rechtsprechung des Senats erst dann in Betracht, wenn der Versender einen Spediteur/Frachtführer mit der Transportdurchführung beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen aufgrund von groben Organisationsmängeln immer wieder zu Verlusten kommt. Die Auftragserteilung stellt unter solchen Umständen die Inkaufnahme eines Risikos dar, dessen Verwirklichung allein dem Schädiger anzulasten unbillig erscheint und mit dem § 254 BGB zugrunde liegenden Gedanken von Treu und Glauben unvereinbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1999 - I ZR 70/97, TranspR 1999, 410, 411; BGH TranspR 2004, 399, 402). Die Revisionserwiderung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung geben.
b) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass den Versenderinnen vor Erteilung der Beförderungsaufträge bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, dass es im Unternehmen der Beklagten wegen grober Organisationsmängel immer wieder zu Warenverlusten gekommen war. Anhaltspunkte für eine solche Annahme ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten in den Vorinstanzen.
Ein Mitverschulden der Versenderinnen im vorliegenden Fall ergäbe sich auch dann nicht, wenn sie die Geschäftsbeziehung zur Beklagten nach den streitgegenständlichen Schadensfällen fortgesetzt hätten. Dieser Umstand könnte sich nur auf künftige Schäden auswirken. Ein eingetretener Verlust lässt sich durch einen Abbruch der Geschäftsbeziehungen nicht mehr verhindern (vgl. BGHZ 149, 337, 356; BGH, Urt. v. 14.5.1998 - I ZR 95/96, TranspR 1998, 475, 477).
III. Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Klägerin insoweit aufzuheben, als wegen eines Mitverschuldens der Versenderinnen zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. Die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Bergmann Pokrant Büscher
Schaffert Kirchhoff
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Deutschland
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JURE100066860
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BGH
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3. Zivilsenat
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20100624
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III ZR 217/09
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Beschluss
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§ 103 InsO, § 320 BGB
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vorgehend OLG Koblenz, 23. Juli 2009, Az: 5 U 105/09, Urteil vorgehend LG Koblenz, 23. Dezember 2008, Az: 5 O 604/07
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DEU
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Insolvenz einer Personal-Service-Agentur: Verpflichtung der Bundesagentur für Arbeit zur Zahlung von Fallpauschalen
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Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 23. Juli 2009 - 5 U 105/09 - gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses.
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I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. Gesellschaft für Arbeitsvermittlung mbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin). Die spätere Insolvenzschuldnerin, die über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügte, und die beklagte Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit M.) schlossen im Juni 2003 für die Standorte Bad E. und W. jeweils einen "Vertrag über die Errichtung und den Betrieb einer Personal- Service-Agentur (PSA) auf der Grundlage des § 37c SGB III". Nach diesen beiden gleich lautenden Verträgen hatte die Insolvenzschuldnerin vom Arbeitsamt vorgeschlagene Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzustellen und eine vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung an andere Arbeitgeber mit dem Ziel der Übernahme durch den Entleiher oder der Vermittlung zu einem anderen Arbeitgeber durchzuführen. Nach Nummer 7 der Verträge kam für die in diesem Rahmen von der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer der zwischen der R. GmbH & Co. KG und V. geschlossene Tarifvertrag zur Anwendung.
Für ihre Tätigkeit erhielt die Insolvenzschuldnerin von der Beklagten nach Nummer 9 der Verträge unter anderem Fallpauschalen für jeden Kalendermonat. Als solcher zählte nach Nummer 9 Abs. 6 jeweils der volle Monat, unabhängig davon, ob die Beschäftigung am Anfang, im Verlauf oder am Ende des Monats aufgenommen oder beendet wurde. Nummer 4 Abs. 2 der Verträge bestimmte, dass für vor Beginn und nach Ende der Vertragslaufzeit erbrachte Leistungen der PSA kein Honorar gewährt wird.
Die Insolvenzschuldnerin stellte im Januar 2004 die Lohnzahlungen an die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer ein und beantragte am 16. Februar 2004, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Daraufhin widerrief die Beklagte mit Verfügung vom selben Tag die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und leistete keine Zahlungen mehr.
Der Kläger beansprucht, soweit im vorliegenden Verfahren noch von Bedeutung, die auf die Zeit vom 17. bis zum 29. Februar 2004 entfallenden, nicht mehr gezahlten Fallpauschalen. Die Klage hat insoweit in erster Instanz Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat sie hingegen abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von der Vorinstanz zugelassene Revision des Klägers.
II.
Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2009 (IX ZR 214/08 – WM 2010, 365) nicht mehr vor. Die Revision hat hiernach auch keine Aussicht auf Erfolg.
Durch diese Entscheidung, die denselben Kläger, dieselbe Insolvenzschuldnerin und auch die hiesige, wenngleich durch eine andere Dienststelle vertretene, Beklagte sowie gleichartige Verträge betraf, ist die Rechtslage zulasten des Klägers geklärt. Danach hat die Beklagte in der Insolvenz einer Personal-Service-Agentur die von ihr geschuldete Fallpauschale nicht an den Insolvenzverwalter zu entrichten, wenn die Personal-Service-Agentur keine Lohnzahlungen an die Arbeitnehmer erbracht hat, sofern sie sich durch einen Vertrag gegenüber der Beklagten zur Einstellung von zuvor arbeitslosen Arbeitnehmern in sozialversicherungspflichtige, nach einem Tarifvertrag zu vergütende Beschäftigungsverhältnisse verpflichtet hat. Der IX. Zivilsenat hat die dem dortigen Rechtstreit zu Grunde liegenden Verträge zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten dahingehend ausgelegt, dass deren Verpflichtung zur Zahlung der Fallpauschalen im Gegenseitigkeitsverhältnis mit der Pflicht der Insolvenzschuldnerin zur Entrichtung der tarifvertraglich geschuldeten Löhne an ihre Arbeitnehmer stand (aaO S. 367 f, Rn. 15 ff). Dementsprechend hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der Nichterfüllungseinrede der Beklagten (§ 320 BGB) zur Folge, dass der Kläger den Anspruch auf Zahlung der Fallpauschalen nur durchsetzen kann, soweit die Insolvenzschuldnerin die Lohnzahlungen an ihre Arbeitnehmer erbracht hat (aaO S. 366, Rn. 10 f).
Die in der vorliegenden Sache geschlossenen Verträge enthielten die gleichen Verpflichtungen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten. Der in diesem Rechtsstreit erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des IX. Zivilsenats in der vorbezeichneten Entscheidung an. Da der Kläger auch hier die Fallpauschalen für einen Zeitraum verlangt, in dem die Insolvenzschuldnerin die Löhne an ihre Arbeitnehmer nicht mehr gezahlt hat, ist die Klage unbegründet.
Schlick Dörr Herrmann
Hucke Tombrink
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100066861
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100602
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IV ZR 241/09
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Beschluss
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§ 85 SGB 9, §§ 85ff SGB 9, § 87 Abs 3 SGB 9, § 4 Abs 1 Buchst c ARB
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vorgehend LG München I, 12. November 2009, Az: 31 S 10228/08, Urteil vorgehend AG München, 16. Mai 2008, Az: 171 C 20871/07, Urteil
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DEU
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Arbeitsrechtsschutz bei Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers: Deckungsschutz für Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung im Verfahren vor dem Integrationsamt
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Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 12. November 2009 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum
2. Juli 2010 .
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I. Die Parteien streiten nur noch darüber, ob der beklagte Rechtsschutzversicherer auch für die im Verfahren vor dem Integrationsamt gemäß §§ 85 ff. SGB IX getroffene Vereinbarung über die Auflösung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses Deckungsschutz zu gewähren hat.
Der Arbeitgeber des schwerbehinderten Klägers hatte mit Anwaltsschreiben vom 18. Mai 2006 beim Landeswohlfahrtsverband (Integrationsamt) den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses gestellt. Darüber unterrichtete das Integrationsamt den Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2006, worauf dieser eine Anwaltskanzlei mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragte. Am 8. Juni 2006 fand ein Erörterungstermin vor dem Integrationsamt unter Teilnahme der Rechtsbeistände der Arbeitsvertragsparteien statt. Im Rahmen dieses Verfahrens verständigten sich beide Seiten unter Mitwirkung des Integrationsamtes auf die von ihren Verfahrensbevollmächtigten im Detail ausgearbeitete Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte gewährte mit Schreiben vom 23. Juni 2006 "Kostenschutz für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung" und wies am Ende des Schreibens darauf hin, dass "für die Aushandlung von Aufhebungsverträgen … bedingungsgemäß kein Kostenschutz" bestehe.
Amtsgericht und Landgericht haben dem Kläger Kostenschutz für die ihm in Rechnung gestellte Einigungsgebühr zugesprochen. Beide Instanzen sind von einem Rechtsschutzfall gemäß § 4 (1) c) der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (ARB) ausgegangen, wonach "im Arbeitsrechtsschutz gemäß § 2 b) … als Rechtsschutzfall auch bereits eine individuell angedrohte Kündigung des Arbeitsverhältnisses" gilt und haben eine einheitliche Streitigkeit - das Verfahren vor dem Integrationsamt- zugrunde gelegt.
II. Die Voraussetzungen für die Zulassung liegen nicht vor.
Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Dafür genügt es nicht, dass eine Entscheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist vielmehr, dass deren Auslegung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02- r+s 2004, 166 unter II 2 b) und die Rechtssache damit eine Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig aufwirft und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291; 152, 182, 191).
Dass diese Voraussetzungen bei den Versicherungsbedingungen der von dem Kläger bei der Beklagten genommenen Rechtsschutzversicherung erfüllt sein könnten, wird weder im Berufungsurteil noch in der Revisionsbegründung dargelegt. Auch der Senat konnte nicht feststellen, dass zu der angefochtenen Entscheidung und den sie tragenden Gründen andere Rechtsauffassungen vertreten werden.
Insbesondere wirft der in § 4 (1) c) ARB allgemein verständlich festgelegte Rechtsschutzfall im Arbeitsrechtsschutz mit seiner Anknüpfung an "eine individuell angedrohte Kündigung des Arbeitsverhältnisses" Verständnisfragen oder für die Entscheidung erhebliche klärungsfähige und klärungsbedürftige Abgrenzungsfragen nicht auf.
Ein darüber hinausgehender abstrakt genereller Klärungsbedarf ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
III. Die Revision hat auch in der Sache keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden.
Mit Einleitung des Zustimmungsverfahrens gemäß §§ 85 ff. SGB IX hat der Arbeitgeber des Klägers den Rechtsschutzfall gemäß § 4 (1) c) ARB ausgelöst. Er hat dem Kläger damit bekannt gegeben, dass er das Arbeitsverhältnis mit ihm über eine ordentliche Kündigung beenden will. Das erfüllt die für den Eintritt des Rechtsschutzfalles im Arbeitsrechtsschutz festgelegte "individuell angedrohte Kündigung des Arbeitsverhältnisses".
An die zusätzliche Darlegung eines verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles gemäß § 4 (1) a) ARB knüpft der Rechtsschutzfall gemäß § 4 (1) c) ARB - anders als die Revision annehmen möchte- nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die von der Beklagten zutreffend erteilte Deckungszusage für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung vor dem Integrationsamt.
Die Pflicht des Integrationsamtes gemäß § 87 Abs. 3 SGB IX, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, bezieht sich nach einhelliger Auffassung auch auf den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung (Hauck/Noftz, SGB K § 87 Rdn. 17; Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil 2 § 87 Rdn. 38; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX 2. Aufl. § 87 Rdn. 18; Kreitner in: JurisPK-SGB IX, § 87 SGB IX Rdn. 31; GK-SGB IX-Lampe, § 87 Rdn. 85 ff., 90 f.). Wegen der dabei zu beachtenden möglichen sozialrechtlichen Konsequenzen (vgl. FKS-SGB IX-Schmitz, § 87 Rdn. 15) besteht für den Versicherungsnehmer insoweit sogar ein gesteigerter Beratungsbedarf. Die schließlich getroffene Vereinbarung über die Auflösung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses gehört damit zu der notwendigen Interessenwahrnehmung in dem Verfahren vor dem Integrationsamt, für das die Beklagte Deckung zugesagt hat. Eine davon zu trennende zweite Streitigkeit im Sinne der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht gibt es nicht. Das hat auch die Rechtsanwaltskammer F. in ihrer Stellungnahme vom 23. Juli 2009 bereits überzeugend ausgeführt.
Auf alle weiteren von der Revision aufgeworfenen Fragen kommt es nicht mehr an.
Terno Wendt Dr. Kessal-Wulf
Harsdorf-Gebhardt Lehmann
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
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Deutschland
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JURE100066866
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100701
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IX ZB 208/08
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Beschluss
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§ 1 Abs 1 S 1 InsVV, § 1 Abs 2 Nr 4 S 1 InsVV, § 1 Abs 2 Nr 4 S 2 Buchst b InsVV
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vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 21. August 2008, Az: 3 T 246/07, Beschluss vorgehend AG Lörrach, 30. August 2007, Az: 20 IN 3/99
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DEU
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Insolvenzverwaltervergütung: Berechnung bei Betriebsfortführung
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 21. August 2008 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 94.307,28 € festgesetzt.
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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Führt der Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners fort, berechnet sich seine Vergütung wie auch sonst grundsätzlich nach dem Wert der Insolvenzmasse, auf die sich die Schlussrechnung bezieht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 InsVV). Die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten werden nicht abgesetzt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV). Einnahmen aus der Betriebsfortführung werden dabei jedoch nur abzüglich der Ausgaben berücksichtigt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV). Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung wirft der vorliegende Festsetzungsfall in diesem Zusammenhang nicht auf. Die Berechnungsweise des Insolvenzgerichts, das vom Kontoguthaben zum Zeitpunkt der Erstellung der Schlussrechnung ausgegangen ist und diesem Betrag die Verfahrenskosten und die abwicklungsbedingten Masseverbindlichkeiten hinzugerechnet hat, kann zum richtigen Ergebnis führen, wenn sichergestellt ist, dass die Betriebsfortführung nicht zu einem negativen Ergebnis geführt hat. Diese Prüfung hat das Insolvenzgericht im Anschluss an die Ermittlungen des beauftragten Sachverständigen (Seiten 30 und 31-35 des Berichts vom 19. März 2007) vorgenommen. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Betriebsfortführung zu einem Überschuss geführt hat. Auch der Verwalter geht von einem positiven Fortführungsergebnis aus, wenn auch in einer abweichenden Höhe. Bei dieser Sachlage ist die Berechnungsmethode des Insolvenzgerichts nicht zu beanstanden.
Auch im Zusammenhang mit der Bemessung des Zuschlags, den das Insolvenzgericht dem Verwalter für die Betriebsfortführung gewährt hat, stellen sich keine Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Die Höhe des Zuschlags ist vom Tatrichter unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu bemessen. Von den Grundsätzen, die nach der Rechtsprechung des Senats dabei zu beachten sind, sind die Vorinstanzen jedenfalls nicht zum Nachteil des Verwalters abgewichen. Dass die gebotene Vergleichsberechnung (BGH, Beschl. v. 24. Januar 2008 - IX ZB 120/07, ZIP 2008, 514 Rn. 7 m.w.N.) nicht vorgenommen wurde, hat sich zugunsten des Verwalters ausgewirkt.
Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp
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JURE100066868
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100701
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IX ZR 117/09
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Beschluss
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§ 199 BGB
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vorgehend OLG Frankfurt, 5. Mai 2009, Az: 14 U 113/08, Urteil vorgehend LG Kassel, 19. März 2008, Az: 4 O 1199/07
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DEU
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Rechtsanwaltshaftung: Verjährungsbeginn; Grundsatz der Schadenseinheit
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 14. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.870.191,78 € festgesetzt.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat aber keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
1. Selbst wenn dem Berufungsgericht bei der Beurteilung der Verjährungsfrage ein Rechtsfehler unterlaufen wäre, handelte es sich um einen bloßen Subsumtionsirrtum, der nicht die Zulassung der Revision rechtfertigte. Im Übrigen ist das Berufungsgericht bei der Prüfung der Verjährungsfrage zu Recht vom Grundsatz der Schadenseinheit ausgegangen. Der aus dem behaupteten Beratungsfehler den Schuldnern erwachsene Schaden ist als einheitliches Ganzes aufzufassen. Daher läuft für den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens einschließlich aller weiterer adäquat verursachter, zurechenbarer oder voraussehbarer Nachteile eine einheitliche Verjährungsfrist, sobald irgendein Teilschaden entstanden ist (BGH, Urt. v. 18. Dezember 1997 - IX ZR 180/96, WM 1998, 779, 780; v. 7. Februar 2008 - IX ZR 198/06, WM 2008, 1612, 1615 Rn. 31). Dies ist vorliegend mit der Geltendmachung der Ansprüche im vorgerichtlichen Bereich, wie das Berufungsgericht im Einzelnen dargelegt hat, bereits im Jahre 1999 geschehen (vgl. BGH, Urt. v. 16. November 1995 - IX ZR 148/94, WM 1996, 540, 541; v. 20. Juni 1996 - IX ZR 106/95, WM 1996, 1832, 1833; Zugehör, in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1344).
Die später im Raum stehenden Handlungen des Beklagten zu 2 haben den hier in Rede stehenden Schaden nur weiter verfestigt und vertieft. Auf den Zeitpunkt der Einleitung des Schiedsgerichtsverfahrens kann mithin nicht abgestellt werden. Aus diesem Grund besteht auch nicht der von der Beschwerde geltend gemachte Rechtsfortbildungsbedarf.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Ganter Kayser Gehrlein
Fischer Grupp
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JURE100066871
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100701
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IX ZR 165/09
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Beschluss
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Art 103 Abs 1 GG, § 544 ZPO
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vorgehend OLG Düsseldorf, 28. August 2009, Az: I-23 U 176/08, Urteil vorgehend LG Kleve, 31. Oktober 2008, Az: 1 O 91/07
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DEU
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Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Gehörsverstoßes und der Grundsätzlichkeit einer Rechtsfrage im Hinblick auf die Berechnung eines Steuerschadens
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. August 2009 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 41.492,05 € festgesetzt.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft(§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
1. Vergeblich rügen die Kläger eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, soweit das Berufungsgericht ihr Vorbringen nicht berücksichtigt habe, die freiwillige Auflösung von Rückstellungen habe sich wegen der im fraglichen Zeitraum nachträglich angefallenen höheren Steuern als wirtschaftlich nachteilig erwiesen.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrages in den Gründen der Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 96, 205, 216 f; BGHZ 154, 288, 300; BGH, Beschl. v. 22. Oktober 2009 - IX ZR 237/06 Rn. 4). Davon abgesehen ist nicht ersichtlich, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensverstoß beruhen soll, weil die Kläger den durch den vermeintlichen Beratungsfehler verursachten Steuernachteil nicht ansatzweise beziffert haben.
2. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Grundsätzlichkeit die Rechtsfrage aufwirft, ob bei der Berechnung eines Steuerschadens die durch die gewählte steuerliche Vorgehensweise erlangten Steuervorteile schadensmindernd zu berücksichtigen sind, fehlt es bereits an der gebotenen Darlegung des Zulassungsgrundes (BGHZ 152, 181, 191). Davon abgesehen entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass solche Steuervorteile nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zu Gunsten des Geschädigten zu berücksichtigen sind (BGH, Urt. v. 18. Januar 2007 - IX ZR 122/04, NJW-RR 2007, 742, 743 Rn. 14 m.w.N.).
In diesem Zusammenhang scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus. Das Vorbringen der Kläger zur Berücksichtigung von Abschreibungen hat das Berufungsgericht ersichtlich zur Kenntnis genommen, aber als nicht hinreichend substantiiert erachtet. Darin kann ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht erblickt werden. Die Würdigung des tatsächlichen Vorbringens der Kläger durch das Berufungsgericht begegnet im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil auch die Nichtzulassungsbeschwerde außer Stande ist, die konkreten steuerlichen Vorteile zu beziffern.
3. Vergeblich wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass im Streitfall die Grundsätze eines Anscheinsbeweises im Blick auf die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden nicht anwendbar sind. Insoweit hat das Berufungsgericht entgegen dem Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde auf die individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger abgestellt. Seine weitere Würdigung der Angaben der Klägerin zu 2 und des Zeugen S. bewegt sich innerhalb des tatrichterlichen Ermessens.
Ganter Kayser Gehrlein
Fischer Grupp
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066873
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100617
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V ZB 127/10
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Beschluss
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§ 62 Abs 1 FamFG, § 62 Abs 2 Nr 1 FamFG, § 68 Abs 3 S 1 FamFG, § 417 Abs 2 S 3 FamFG, § 418 Abs 3 Nr 1 FamFG, § 420 Abs 1 S 1 FamFG, § 375 Abs 1 Buchst a ZPO, § 58 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62 Abs 2 S 1 Nr 5 AufenthG, Art 8 MRK, Art 17 Abs 1 EGRL 115/2008, § 26 BVFG, § 27 Abs 1 BVFG, § 27 Abs 2 BVFG
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vorgehend LG Kaiserslautern, 16. Dezember 2009, Az: 1 T 243/09, Beschluss vorgehend AG Kaiserslautern, 10. Dezember 2009, Az: XIV 187/09.B, Beschluss
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DEU
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Rechtsbeschwerde im Freiheitsentziehungsverfahren: Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung ohne Anhörung des staatenlosen Betroffenen; persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren über die Fortdauer von Sicherungshaft durch einen beauftragten Richter; Verfahrensbeteiligung des Lebenspartners des Betroffenen; Beiziehung der Ausländerakte; unerlaubte Einreise des Betroffenen trotz Behauptung deutscher Staatsangehörigkeit; Unverhältnismäßigkeit der Anordnung von Sicherungshaft in Ansehung des Menschenrechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens
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Dem Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. A. beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 16. Dezember 2009 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 10. Dezember 2009 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 16. Dezember 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 15. Dezember 2009 angeordnet worden ist.
Im Übrigen wird die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.
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I.
Der Betroffene ist staatenlos. Er reiste am 7. Dezember 2009 gemeinsam mit E. B., die der Betroffene nach seinen Angaben in Kasachstan kirchlich geheiratet hat, und deren im Jahre 1993 geborenen Sohn, mit dem Zug von den Niederlanden über Frankreich kommend nach Deutschland ein und meldete sich bei der Bundespolizei in Kaiserslautern. Diese beantragte die Anordnung der Sicherungshaft zur Rückschiebung des Betroffenen und seiner Begleiter in die Niederlande, die von dem Amtsgericht am 8. Dezember 2009 angeordnet und von dem Landgericht am 9. Dezember 2009 aufgehoben wurde.
Auf den von der Beteiligten zu 2 gestellten Antrag vom 10. Dezember 2009 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom gleichen Tag gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis längstens 9. März 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet und diesen Beschluss dem Betroffenen in der sich anschließenden Anhörung eröffnet. Der Beschwerde des Betroffenen hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat den Betroffenen durch ein Mitglied der Kammer als beauftragten Richter persönlich angehört und die Beschwerde mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 zurückgewiesen. Dagegen hat der Betroffene am 11. Januar 2010 Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 17. Februar 2010 hat das Amtsgericht die Sicherungshaft mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Der Betroffene beantragt festzustellen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 10. Dezember 2009 und des Landgerichts vom 16. Dezember 2009 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei mangels Aufenthaltstitels unerlaubt eingereist. Zudem bestehe der Verdacht, dass er sich der Zurückschiebung entziehen werde. Der Betroffene selbst sei mit einem auf einen Dritten ausgestellten Ausweis in die Niederlande eingereist. E. B. habe ihren russischen Reisepass in den Niederlanden vernichtet. Da der Betroffene nicht in die Niederlande zurückkehren wolle, weil ihm dort die Abschiebung nach Russland drohe, lasse auch die freiwillige Vorsprache des Betroffenen bei der Bundespolizei eine Entziehungsabsicht nicht entfallen. Abschiebungshindernisse bestünden nicht. Eine Zurückschiebung in die Niederlande binnen drei Monaten sei nicht ausgeschlossen.
III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht und die Bestätigung dieser Anordnung durch das Landgericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Das ist in entsprechender Anwendung von § 62 Abs. 1 FamFG (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, InfAuslR 2010, 249, 250; Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, juris Rdn. 9) festzustellen, weil der Betroffene ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
a) Der Anordnung der hier zu prüfenden zweiten Sicherungshaft lag allerdings ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Er war anders als der erste von der Beteiligten zu 2 als örtlich und sachlich zuständiger Behörde gestellt.
b) Die Entscheidung des Amtsgerichts hat den Betroffenen aber deshalb in seinen Rechten verletzt, weil die persönliche Anhörung nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht vor, sondern erst nach der Haftanordnung durchgeführt wurde.
aa) Die Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung der Sicherungshaft ist in § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG zwingend vorgeschrieben. Sie kann nicht, wie im vorliegenden Fall, danach erfolgen. Das Gesetz sieht, anders als § 68 FamFG im Rechtsmittelverfahren (dazu Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, InfAuslR 2010, 246, 247), die Möglichkeit, von der vorherigen Anhörung abzusehen, nur in dem hier nicht gegebenen Fall des § 420 Abs. 2 FamFG vor. Das entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers. Der Empfehlung der Ausschüsse, eine solche Möglichkeit zumindest dann zuzulassen, wenn die Anhörung den Zweck der Haftanordnung gefährden würde (in BT-Drucks 16/9733 S. 154), ist das Plenum des Bundestags nämlich nicht gefolgt. Es hat diese Ergänzung auf Antrag eines Abgeordneten vielmehr gestrichen und den Gesetzentwurf ohne diese Ergänzung beschlossen (BT-Drucks 16/9831 mit Plenarprotokoll 16/173 S. 18482 A). Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die vorherige Anhörung des Betroffenen eine Verfahrensgarantie ist, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (vgl. BVerfG InfAuslR 2009, 205, 208; 1996, 198, 200). Die vorherige Anhörung des Betroffenen war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil er vor der zwei Tage zuvor angeordneten ersten Sicherungshaft persönlich angehört worden war. Die Anhörung ist für jede Haftanordnung durch das Amtsgericht vorgeschrieben und wird durch die Anhörung bei einer früheren Haftanordnung weder entbehrlich noch durch sie ersetzt.
bb) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur vorherigen Anhörung drückt der gleichwohl angeordneten Sicherungshaft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, Rdn. 12, juris; BVerfG InfAuslR 1996, aaO S. 201). Dieser Fehler ist nicht heilbar. Deshalb kommt es bei der späteren Überprüfung der Haftanordnung im Rahmen von § 62 FamFG weder auf eine Nachholung der Anhörung noch darauf an, ob die Freiheitsentziehung in der Sache zu Recht angeordnet worden war (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris Rdn. 12; BVerfG InfAuslR 2009, 164; 2006, 462, 464).
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Fortdauer der Sicherungshaft über den 15. Dezember 2009 hinaus hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht in allen Punkten stand.
a) Das Verfahren des Beschwergerichts ist allerdings nicht zu beanstanden.
aa) Es hat den Betroffenen erneut persönlich angehört. Es ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht diese Anhörung einem Mitglied der Kammer als beauftragtem Richter übertragen hat.
(1) Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Anhörung des Betroffenen Aufgabe "des Gerichts". Wie diese Aufgabe innerhalb eines aus mehreren Richtern zusammengesetzten Spruchkörpers wahrzunehmen ist, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Sachaufklärung (§ 26 FamFG) und hier nach den Vorschriften über die Beweisaufnahme in den §§ 29, 30 FamFG. Danach erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form, wozu auch die Befassung eines Mitgliedes des Spruchkörpers als beauftragten Richters gehört. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Anhörung des Betroffenen als Fall einer im Sinne von § 30 Abs. 2 FamFG vorgeschriebenen förmlichen Beweisaufnahme ansieht. Eine förmliche Beweisaufnahme hätte gemäß § 30 Abs. 1 FamFG nach den Regeln der Zivilprozessordnung stattzufinden. Diese erlauben aber sowohl die Vernehmung von Zeugen als auch die Vernehmung von Parteien durch den beauftragten Richter (§ 375 ZPO und § 451 i.V.m. § 375 ZPO). Voraussetzung ist allerdings, soweit hier einschlägig, dass dies zur Vereinfachung der Verhandlung zweckmäßig erscheint und dass von vornherein anzunehmen ist, dass das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß gewürdigt werden kann (§ 375 Abs. 1a ZPO).
(2) Auch aus dem Sinn und Zweck der Anhörung nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ergeben sich keine strengeren Anforderungen (vgl. BVerfG InfAuslR 1996, 198, 201; BGH, Beschl. v. 11. Juli 1984, IV b ZB 73/83, NJW 1985, 1702, 1705 zu §§ 50a und b FGG; BayObLG FamRZ 1987, 412, 413 zu § 50b FGG; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Auflage, § 34 Rdn. 38; a.A. wohl Prütting/Helms/Jennissen, FamFG, § 420, Rdn. 4). Die Anhörung soll zwar einerseits dem Betroffenen die Möglichkeit geben, sein Anliegen selbst dem Gericht nahe zu bringen. Sie soll andererseits dem Gericht einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschaffen. Diese Ziele werden aber unter den Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO auch erreicht, wenn die Anhörung nicht durch den gesamten Spruchkörper, sondern durch eines seiner Mitglieder erfolgt.
(3) Die Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO lagen hier vor. Die Übertragung der Anhörung auf den beauftragten Richter diente der Vereinfachung. Nach dem Ergebnis der nachträglichen Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht und nach dem Beschwerdevorbringen war von vornherein anzunehmen, dass das Ergebnis der Anhörung durch die Kammer auch ohne unmittelbaren Eindruck von deren Verlauf sachgemäß würde gewürdigt werden können. Der tatsächliche Verlauf der Anhörung durch die beauftragte Richterin bestätigte diese Erwartung. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung auch nur auf den Inhalt der Angaben des Betroffenen in der Anhörung abgestellt und nicht auf Gesichtspunkte, die nur mit einem unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung sachgemäß hätten gewürdigt werden können.
bb) Das Beschwerdegericht war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht verpflichtet, E. B. und/oder deren Sohn an dem Verfahren zu beteiligen und anzuhören.
(1) Die Beteiligung des Lebenspartners des Betroffenen an dem Freiheitsentziehungsverfahren steht nach § 418 Abs. 3 Nr. 1 FamFG im Ermessen des Gerichts. Zwingende Gründe, die eine Beteiligung von E. B. geboten, waren nicht ersichtlich. Der Betroffene und E. B., die sich gegen die gegen sie selbst verhängte Sicherungshaft gewandt hatte, waren in einer verbundenen Anhörung gemeinsam angehört worden. Dabei hatten sie ihre persönliche Verbindung zueinander dargestellt und eine im Wesentlichen übereinstimmende umfassende Schilderung des Sachverhalts gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass eine darüber hinausgehende förmliche Beteiligung von E. B. an dem Verfahren des Betroffenen zusätzliche Gesichtspunkte aufzeigen konnten, bestanden nicht.
(2) Den Sohn von E. B. brauchte das Beschwerdegericht weder an dem Verfahren förmlich zu beteiligen noch anzuhören. Es war und ist nicht ersichtlich, welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn die Anhörung auch des Sohnes von E. B. angesichts der ausführlichen und übereinstimmenden Ausführungen des Betroffenen und von E. B. hätte erwarten lassen können. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der Sohn von E. B. auch dann an dem Verfahren beteiligt werden könnte, wenn er, was offen geblieben ist, nicht das gemeinsame Kind des Betroffenen und von E. B. sein sollte. Unentschieden bleiben kann auch, ob seine Beteiligung wie nach früherem Recht (vgl. dazu: Sonnenfeld in Jansen, FGG, 3. Aufl., § 70d, Rdn. 6; Kayser in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage, § 70d, Rdn. 4) daran scheitert, dass er noch minderjährig ist.
cc) Das Beschwerdegericht war nicht verpflichtet, die Ausländerakten beizuziehen. Von der grundsätzlich notwendigen Vorlage der Ausländerakte nach § 417 Abs. 2 Satz 3 FamFG kann abgesehen werden, wenn sich der festzustellende Sachverhalt aus den vorgelegten Teilen vollständig ergibt und die nicht vorgelegten Teile keine weiteren Erkenntnisse versprechen (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, InfAuslR 2010, 246, 248 f.). So liegt es hier. Die Beteiligte zu 2 hat in ihrem Antrag Bezug genommen auf die Unterlagen der Bundespolizei vom 8. Dezember 2009 durch Angabe des Aktenzeichens in dem zuvor geführten Verfahren. Das Beschwerdegericht hat die entsprechenden Akten beigezogen. Hieraus ergeben sich alle entscheidungsrelevanten Umstände.
b) In der Sache ist die Anordnung der Fortdauer der Haft aber mit der gegebenen Begründung nicht zu rechtfertigen.
aa) Der Betroffene war nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil er unerlaubt eingereist ist. Er führte keinen gültigen Pass bei sich und hatte auch nicht den nach § 14 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel. Dieser ergab sich nicht daraus, dass er mit E. B. um Aufnahme als Spätaussiedler nachsuchen wollte. Spätaussiedler müssen die Aufnahme in das Bundesgebiet nach § 26 BVFG grundsätzlich von ihrem Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten aus betreiben und dürfen erst einreisen, wenn ihnen ein Aufnahmebescheid nach § 27 BVFG erteilt worden ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Betroffene erwiesenermaßen die Anforderungen des § 4 BVFG erfüllt. Dann nämlich ist er nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG Deutscher und nach Art. 11 GG berechtigt, auch ohne Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet einzureisen (BVerwGE 122, 313, 316 f.). Ihm ist der Aufnahmebescheid dann nach § 27 Abs. 2 BVFG nachträglich zu erteilen. Liegen die Voraussetzungen des § 4 BVFG aber nicht erweislich vor, ist der Aufnahmebewerber nicht berechtigt, ohne Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet einzureisen und dort zu bleiben, bis ihm eine Bescheinigung nach § 15 BVFG erteilt ist (OVG Münster, Beschl. v. 21. Februar 2007, 2 A 4862/05, juris Rdn. 7). Dieser zweite Fall lag hier vor. Der Betroffene hat behauptet, er sei Deutscher. Nachweise darüber lagen und liegen nicht vor. In einer solchen Lage muss der Haftrichter von dem Grundsatz des § 26 BVFG ausgehen, wonach die Einreise nur erlaubt ist, wenn ein Aufnahmebescheid entweder nach § 27 Abs. 1 BVFG vor der Einreise oder nach § 27 Abs. 2 BVFG vor der Festnahme erteilt ist. Daran fehlt es hier.
bb) Das Beschwerdegericht hat zu Recht auch einen Haftgrund angenommen.
(1) Die Haftanordnung war auf Grund der unerlaubten Einreise schon nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gerechtfertigt. Es lag zudem der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts und dem zu berücksichtigenden unzweifelhaften Akteninhalt (vgl. Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 218/09, juris Rdn. 18) beabsichtigt der Betroffene, sich der Abschiebung in die Niederlande zu entziehen. Er hat sich zwar von sich aus nach der Einreise bei der Bundespolizei gemeldet. Die freiwillige Meldung des Betroffenen bei den zuständigen Behörden kann ein Anzeichen dafür sein, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will (vgl. OLG Celle, InfAuslR 2002, 320; OLG Hamm, InfAuslR 2002, 478). Hier liegt es aber anders. Der Betroffene hat bei seiner Anhörung eindeutig erklärt, nicht in die Niederlande zurückkehren zu wollen, weil er von dort nach Russland abgeschoben werde. Deshalb ist zu befürchten, dass er einer entsprechenden Abschiebung nicht Folge leisten, sondern versuchen wird, sie zu verhindern.
(2) Das Beschwerdegericht hat daher auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass Umstände im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, die eine freiwillige Ausreise des Betroffenen glaubhaft hätten erscheinen lassen, aufgrund der festgestellten Entziehungsabsicht nicht vorgelegen haben.
cc) Die gegebene Begründung trägt die Entscheidung des Beschwerdegerichts aber deshalb nicht, weil sich danach nicht beurteilen lässt, ob die Anordnung der Fortdauer der Haft noch verhältnismäßig war.
(1) Die Anordnung der Sicherungshaft ist nur verhältnismäßig, wenn die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht (BVerfG InfAuslR 2008, 358, 359). Deshalb durfte das Beschwerdegericht nicht bei der Feststellung der Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG stehen bleiben. Es musste vielmehr prüfen, ob die Wirkungen der Haft noch in einem angemessenen Verhältnis zu der angestrebten Abschiebung in die Niederlande standen (vgl. BVerfG InfAuslR 1994, 342, 344). Das ist zweifelhaft.
(2) Die Haftanordnung führte nämlich dazu, dass der Betroffene weiterhin von E. B. und von ihrem minderjährigen Sohn getrennt blieb. Das ist zwar im Interesse der Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich gerechtfertigt, wenn ein Haftgrund vorliegt. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass hierin ein Eingriff in das Recht auf den Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK liegt. Dafür ist es unerheblich, dass der Betroffene mit E. B. allenfalls kirchlich getraut ist. Denn auch faktische Beziehungen zwischen Erwachsenen genießen den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn Elemente einer Abhängigkeit dargelegt werden, die über die üblichen gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (EGMR, Urt. v. 17. April 2003, 52853/99 - Yilmaz gegen Deutschland, NJW 2004, 2147, 2148 Rdn. 44). Solche Bindungen zu E. B. hat der Betroffene hier dargelegt. Dem Schutz, den er, wenn die Darlegungen zu seiner Beziehung zu E. B. zutreffen, auch nach Art. 8 EMRK genießt, wird die Anordnung von Sicherungshaft nur gerecht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und wenn die Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben wird. Aus diesem Grund lässt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98) die Anordnung von Sicherungshaft bei Familien mit minderjährigen Kindern nur im äußersten Fall und für die kürzestmögliche angemessene Dauer zu. Das ist nicht erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie am 24. Dezember 2010, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit schon jetzt geboten.
(3) Feststellungen dazu fehlen. Sie waren aber erforderlich und - mangels ausreichenden Vortrags im Antrag der Beteiligten zu 2 - nach § 26 FamFG von Amts wegen zu treffen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Fortdauer der Haft nach gebotener Sachaufklärung aus damaliger Sicht als verhältnismäßig erweist. Die Sache ist deshalb insoweit nicht entscheidungsreif und nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100066874
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BGH
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6. Zivilsenat
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20100629
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VI ZR 90/09
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Urteil
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§ 675 BGB, § 1 Abs 1 S 1 AuslInvestmG vom 21.08.2002, § 2 AuslInvestmG vom 09.09.1998, § 7 Abs 1 AuslInvestmG vom 21.06.2002, § 8 Abs 1 AuslInvestmG vom 09.09.1998, § 823 Abs 2 BGB
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vorgehend OLG Düsseldorf, 13. Februar 2009, Az: I-17 U 183/07, Urteil vorgehend LG Duisburg, 22. August 2007, Az: 3 O 179/06
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DEU
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Haftung einer türkischen Kapitalanlagegesellschaft nach dem Auslandsinvestmentgesetz
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
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Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach türkischem Recht, Schadensersatzansprüche aus dem Erwerb von Anteilen der Beklagten geltend.
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Konya/Türkei. Sie hielt Ende 1998 Anteile dreier einer GmbH deutschen Rechts vergleichbaren Gesellschaften sowie Aktien von einundzwanzig in der Türkei ansässigen Gesellschaften, von denen vierzehn im Mehrheitsbesitz der Beklagten standen. Die Gesellschaften waren wirtschaftlich in der Textil-, Lebensmittel-, Maschinenbau- und Baubranche tätig. Die Beklagte verfügte nicht über die Erlaubnis nach dem Gesetz über das Kreditwesen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2776; künftig: KWG a.F.). Eine Anzeige nach dem bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2820 künftig: AuslInvestmG) hatte sie ebenfalls nicht erstattet.
Der Kläger, der sein Vermögen islamischen Glaubensgrundsätzen entsprechend anlegen wollte, erwarb im Jahre 1999 nicht börsennotierte Anteilsscheine der Beklagten zum Kaufpreis von DM 35.200. Der Erwerb wurde über I. Y., einen Gründungsgesellschafter der Beklagten, als Barkauf abgewickelt. Später erhielt der Kläger von I. Y. DM 5.391 DM ausgezahlt. Seither erfolgten keine weiteren Zahlungen mehr.
Mit Anwaltsschreiben vom 2. Mai 2007 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung auf. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
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I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche des Klägers bejaht, aber deliktische Ansprüche gegen die Beklagte verneint. Die Veräußerung der Anteile sei nicht erlaubnispflichtig nach dem Gesetz über das Kreditwesen in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung gewesen, so dass Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG a.F. nicht bestünden. Auch die Voraussetzungen für Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit den §§ 2, 7, 8 AuslInvestmG lägen nicht vor. Eine Anzeigepflicht nach den §§ 2, 7, 8 AuslInvestmG habe der Beklagten vor der Veräußerung der Anteile nicht oblegen, weil es sich nicht um ausländische Investmentanteile im Sinne dieses Gesetzes gehandelt habe. Das Vermögen der Beklagten sei nicht nach den Grundsätzen der Risikomischung im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes angelegt. Die Gelder der Anleger sollten vielmehr unter Beachtung der islamischen Glaubensgrundsätze im operativen Geschäft eingesetzt werden. Schließlich hafte die Beklagte auch nicht nach § 831 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 263 StGB, § 826 BGB. Es könne offen bleiben, ob I. Y. Verrichtungsgehilfe der Beklagten gewesen sei, weil jedenfalls nicht erwiesen sei, dass I. Y. den Kläger vorsätzlich betrügerisch oder sittenwidrig habe schädigen wollen. Umstände, aus denen sich ergäbe, dass sich die Beklagte von Anfang an mit Hilfe eines "Schneeballsystems" finanziert habe, seien nicht gegeben. Die Beklagte sei an zahlreichen Unternehmen beteiligt und auf unterschiedlichen Geschäftsfeldern wirtschaftlich tätig. Sie sei keine bloße "Briefkastenfirma". Es könne auch nicht festgestellt werden, dass etwaige unrichtige Angaben des I. Y. von der Beklagten veranlasst oder zumindest geduldet worden seien. Hierfür reiche nicht aus, dass nach Auffassung des Klägers den Organen der Beklagten habe bewusst sein müssen, dass in Anbetracht der Einwerbung erheblicher Kapitalmittel die Anleger über die näheren Bedingungen ihrer Beteiligung im Unklaren gelassen worden seien. Auch fehle hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag dafür, dass die Organe der Beklagten durch eigenes Handeln vorsätzlich den Schaden des Klägers herbeigeführt hätten.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Das Berufungsgericht hat, da eine vorrangige internationale Gerichtsstandsregelung im Verhältnis zur Türkei, dem Sitz der Beklagten, nicht besteht, zutreffend seine Zuständigkeit aus dem besonderen Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO hergeleitet. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Urteil vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - WRP 2010, 653, 654; BGHZ 153, 82, 84 ff.; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - I ZR 70/06 - TranspR 2009, 26 Tz. 17 = VersR 2009, 807 m.w.N.; vom 22. Oktober 2009 - I ZR 88/07 - TranspR 2009, 479), denn die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) regeln mittelbar auch die Grenzziehung zwischen der Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte (vgl. Senat, Urteile vom 3. Mai 1977 - VI ZR 24/75 - NJW 1977, 1590 und vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - aaO; BGH, Urteil vom 22. November 1994 - XI ZR 45/91 - NJW 1995, 1225, 1226 jeweils m.w.N.). Zur Begründung des Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO reicht die schlüssige Behauptung von Tatsachen aus, auf deren Grundlage sich ein deliktischer Anspruch ergeben kann (Senat, Urteil vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - aaO; BGHZ 132, 105, 110; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 32 Rn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. § 32 Rn. 19 m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit genügt es mithin, dass der Kläger die Voraussetzungen der - nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht - deliktischen Ansprüche nach den §§ 823 ff. BGB schlüssig behauptet hat. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Begehungsort der deliktischen Handlung kann sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort sein, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen wurde oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde (vgl. BGHZ 132, 105, 110 f.).
Der Begehungsort der vom Kläger behaupteten unerlaubten Handlungen liegt danach im Inland, weil die Anteile an der Beklagten von ihm im Inland erworben worden sind und der behauptete Schaden ebenfalls im Inland eingetreten ist. Auch sind deliktische Ansprüche auf der Grundlage des Klagevortrags hinreichend dargetan. Hätte die Beklagte nach ihrem Geschäftszweck die eingesammelten Gelder in erster Linie kapitalwertsichernd in Anlagen mit gemischten Risiken investieren wollen, käme ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 2, 8 AuslInvestmG in Betracht, da die Beklagte die Aufnahme der Geschäfte der Bundesanstalt für Kreditwesen gemäß § 7 AuslInvestmG nicht angezeigt hat und somit ihre Geschäfte im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AuslInvestmG getätigt hätte.
Ist die internationale Zuständigkeit nach dem deliktischen Gerichtsstand im Inland somit gegeben, ist umfassend zu prüfen, ob das Schadensersatzbegehren des Klägers aufgrund eines deliktischen Anspruchs begründet ist. Die internationale Zuständigkeit ist allerdings lediglich für deliktische Ansprüche gegeben, sie zieht nicht - kraft Sachzusammenhangs - die Zuständigkeit auch für nicht deliktische Ansprüche nach sich. Insoweit steht dem deutschen Gericht keine Prüfungsbefugnis zu (vgl. hierzu ausführlich BGHZ 132, 105, 111 ff. m.w.N.).
2. Auf der Grundlage der rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte nicht gegeben.
a) Ob das der Klage zugrunde gelegte vom Kläger behauptete Geschehen als unerlaubte Handlung einzuordnen ist, richtet sich nach dem am Gerichtsstand geltenden Recht. Deutsches Recht ist sowohl nach den Regelungen in Art. 40 ff. EGBGB (in Kraft getreten zum 1. Juni 1999 durch Gesetz vom 21. Mai 1999, BGBl. I 1999 S. 1026) als auch nach dem zuvor geltenden deutschen Kollisionsrecht analog Art. 220 Abs. 1 EGBGB (BT-Drucks. 14/343 S. 7) anzuwenden. Auch die von Amts wegen zu beachtende Regelung in Art. 41 EGBGB führt nicht zur Anwendung des türkischen Rechts als des Heimatrechts der Beklagten.
Zwar sind nach Art. 41 EGBGB bei Bestehen wesentlich engerer Verbindungen zu dem Recht eines Staates als zu dem Recht, das nach den Art. 38 bis 40 Abs. 2 EGBGB maßgebend wäre, die Regelungen dieses anderen Rechts anzuwenden. Dabei kann sich eine wesentlich engere Verbindung zu dem anderen Recht auch im Zusammenhang mit einem Schuldverhältnis ergeben (Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Jedoch muss diese schuldrechtliche Sonderbeziehung bereits vor Entstehen des deliktischen Rechtsverhältnisses gegeben sein (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 61. Aufl., EGBGB Art. 41 Rn. 4; Staudinger/v. Hoffmann, BGB (2001), Art. 41 Rn. 11; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 433; Rauscher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Rn. 1273, 1287; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., S. 530; vgl. nunmehr die Regelung in Art. 4 Abs. 3 Rom-II-VO). Die schuldrechtliche Sonderverbindung tritt nur dann in den Vordergrund und drängt das Deliktsstatut zurück, wenn sich die deliktsrechtliche Zuweisung gegenüber den bereits bestehenden engeren Verbindungen als zufällig erweist (Rauscher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Rn. 1273). Muss demnach die anderweitige Verbindung bereits vor dem deliktischen Rechtsverhältnis bestehen, kann diese nicht in den Vordergrund treten, wenn das deliktische Handeln und die Begründung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien in einem Geschehen zusammen fallen.
Im Streitfall kann danach die durch das Delikt vermittelte Verbindung ins Inland nicht durch eine engere Sonderbeziehung in die Türkei überwunden werden, weil der Kläger Ansprüche gegen die Beklagte aus deliktischem Verhalten im Inland beim Erwerb der Anteile herleitet und durch den selben Erwerbsvorgang das schuldrechtliche Sonderverhältnis zwischen den Parteien erst begründet worden ist.
b) Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 2, 8 AuslInvestmG ist nicht gegeben. Zwar hat die ausländische Investmentgesellschaft, die beabsichtigt, ausländische Investmentanteile im Inland zu vertreiben, dem Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen nach § 7 Abs. 1 AuslInvestmG dies anzuzeigen. Nach § 8 Abs. 1 AuslInvestmG darf der Vertrieb von ausländischen Investmentanteilen erst aufgenommen werden, wenn seit dem Eingang der vollständigen Anzeige drei Monate verstrichen sind, ohne dass die Behörde die Aufnahme des Vertriebs untersagt hat. Das vor einer Anzeige gemäß § 7 Abs. 1 AuslInvestmG geltende Vertriebsverbot des § 8 Abs. 1 AuslInvestmG ist eine den Anleger schützende Regelung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weil das Anzeigeverfahren der Überprüfung der ausländischen Investmentgesellschaft und somit auch dem Interesse des Anlegerschutzes dient (BT-Drucks. V/3494 S. 21 f.; BGH, Urteil vom 13. September 2004 - II ZR 276/02 - NJW 2004, 3706, 3709; Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., § 8 AuslInvestmG, Rn. 2). Jedoch kann nach den Umständen des Streitfalls auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht angenommen werden, dass die Beklagte mit dem Verkauf der Anteile an den Kläger ausländische Investmentanteile im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 AuslInvestmG im Inland vertrieben hat.
aa) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG, das zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile durch den Kläger noch in Kraft war, galt für den Vertrieb von Anteilen an einem ausländischen Recht unterstehenden Vermögen, das nach dem Grundsatz der Risikomischung aus Wertpapieren, Forderungen aus Gelddarlehen, über die eine Urkunde ausgestellt war, Einlagen oder Grundstücken angelegt war, Abschnitt 1 dieses Gesetzes. Das Auslandinvestmentgesetz folgte einem wirtschaftlichen Investmentbegriff (BT-Drucks. V/3494 S. 17, Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, AuslInvestmG, § 1 Rn. 24, 44; Assmann/Schütze/Baur, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 14). Auf die gewählte Rechtsform des Unternehmens kam es nicht an. Anders als bei inländischen Investmentgesellschaften (vgl. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998; BGBl. I 1998, S. 2726) war die Bildung eines Sondervermögens nicht Voraussetzung. Es war unerheblich, ob die Anteile Miteigentum am Fondsvermögen verkörperten oder nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Beteiligung in bestimmter Höhe gewährten oder mitgliedschaftliche Rechte umfassten. Entscheidend war, dass das Vermögen nach den Grundsätzen der Risikomischung angelegt worden ist oder angelegt werden sollte. Risikomischung bedeutete in diesem Zusammenhang, dass die der Investmentgesellschaft zufließenden Gelder zur Sicherung des Kapitalwerts in einer Vielzahl von Wertpapieren oder Grundstücken oder beiden angelegt wurden (BT-Drucks. V/3494 S. 17).
bb) Ob ausländisches Investmentvermögen im Sinne des § 1 AuslInvestmG vorlag, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles durch den Tatrichter zu beurteilen (vgl. Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 1. Juli 1977, V 2-X-10/77 in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, Stand Juli 2009, 448 Nr. 10; Baur, aaO § 1 AuslInvestmG Rn. 39). Die tatrichterliche Würdigung ist nur eingeschränkt in der Revision darauf überprüfbar, ob die Würdigung bei richtiger Anwendung der Norm vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Danach begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Anzeigepflicht der Beklagten verneint hat, weil sie keine ausländischen Investmentanteile im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes im Inland vertrieben hat.
(1) Die im Inland angebotenen Geschäftsanteile der Beklagten betreffen zwar Vermögen, das ausländischem Recht untersteht. Ausweislich des vorgelegten Handelsregisterauszuges liegt der Verwaltungssitz der Beklagten in Konya/Türkei. Die Beklagte unterliegt somit nach ihrem Gesellschaftsstatut, das für außerhalb der Europäischen Union liegende Staaten gewohnheitsrechtlich an den Sitz der Gesellschaft anknüpft, dem türkischen Recht (BGHZ 25, 134, 144; MünchKomm-BGB/Kindler 4. Aufl., IntGesR Rn. 5). Das türkische Recht nimmt die Verweisung an. Nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 des türkischen Gesetzes über internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht (in Hirsch/Tekinalp, Das türkische Aktien- und GmbH-Recht, 2. Aufl., S. 114 ff.) ist auf das Recht des in den Statuten der Gesellschaft angegebenen Verwaltungssitzes abzustellen. Somit ist das Gesellschaftsstatut der Beklagten das türkische Recht. Die Anwendung der Regelungen des Auslandsinvestmentgesetzes setzt jedoch darüber hinaus voraus, dass das Vermögen der Beklagten zur Sicherung des Kapitalwerts nach dem Grundsatz der Risikomischung angelegt war. Dies war nach den vom Berufungsgericht getroffenen und nicht zu beanstandenden Feststellungen aber nicht der Fall.
(2) Die Beklagte verfolgte mit der Mischung der unternehmerischen Risiken nicht vorrangig das Ziel, den Kapitalwert des Anlagevermögens zu sichern, sondern Gewinne durch unterschiedliche unternehmerische Beteiligungen zu erwirtschaften und somit ihren Anlegern mit den islamischen Glaubensgrundsätzen vereinbare Renditen zu verschaffen.
Das Auslandinvestmentgesetz sollte nicht jede Form des Wertpapiererwerbs erfassen, sondern nur das Investmentsparen als wichtiges Bindeglied zwischen dem traditionellen Kontensparen und dem direkten Wertpapiererwerb in Form von Aktien (BT-Drucks. V/3494 S. 14). Es betrifft deshalb nicht Kapitalanlagen, die auf die Wertschöpfung aus dem Einsatz der Anlagemittel zur Finanzierung der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr eines Unternehmens gerichtet sind (Volckens/Panzer, IStR 2005, 426, 427), selbst wenn eine risikogestreute Vermögensanlage das Ergebnis einer sonstigen operativen Tätigkeit ist (Volckens/Panzer, aaO, 429) und damit als "zufällige Risikomischung" anzusehen ist (Rundschreiben 14/2008 der BaFin - WA - zum Anwendungsbereich des Investmentgesetzes nach § 1 Satz 1 Nr. 3 Investmentgesetz). Ein Investmentunternehmen muss primär das Ziel der Kapitalwertsicherung durch die Risikomischung verfolgen (BVerwG, NJW 1980, 2482; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 46). Die Anlage muss vorrangig den bestmöglichen Ausgleich von Ertrags-, Wertsicherungs- und Liquiditätserwartungen der Anleger erreichen wollen (Cox in Schuster, Investmenthandbuch, 1971, S. 46; Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 47), so dass durch die Risikomischung im Wesentlichen das gesamte Unternehmensrisiko abgefangen wird und sich das Unternehmensrisiko mit dem Anlagerisiko deckt (Schreiben des Bundesamtes für Kreditwesen vom 1. Juli 1977 - V 2-X-10/77 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 10; Volckens/Panzer, aaO). Hingegen genügt nicht, dass das Vermögen objektiv risikogemischt mit verschiedenen möglichen Verlust- und Gewinnchancen in einer Vielzahl von Vermögenswerten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG angelegt ist. Zu der die Risiken mischenden Zusammensetzung des Vermögens muss vielmehr hinzukommen, dass der Geschäftsbetrieb des Unternehmens nach seiner objektiven Ausgestaltung gerade auf die Anlage von Geldvermögen und nicht auf andere Zwecke gerichtet ist (vgl. BVerwG, NJW 1980, 2482 "Hapimag"; Baur, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 40 ff., Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 12; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 45 ff.; Assmann/Schütze/Baur, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 18; Volckens/Panzer, IStR 2005, 426, 428).
Kein anzeigepflichtiges Investment liegt vor, wenn die unternehmerische Beteiligung mit dem Ziel erfolgt, in die unternehmerischen Entscheidungs- und Verantwortungsbereiche der Anlageobjekte einzutreten und deren Selbständigkeit einzuschränken, mithin also unternehmerischen Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaften auszuüben (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990 - V 2-X-11/90 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 26; vom 7. Dezember 2001 - V 2-X-3818/2001 - aaO, 448 Nr. 38; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 55; Baur, aaO, § 1 Rn. 47; Beckmann/ Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 13 f.). Zur Ermittlung des objektiven Zwecks der unternehmerischen Beteiligungen können die Satzung, die Vertrags- und Anlagebedingungen sowie Verkaufsprospekte oder ähnliche Schriftstücke herangezogen werden (Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 41; Rundschreiben 14/2008 der BaFin - WA - zum Anwendungsbereich des Investmentgesetzes nach § 1 Satz 1 Nr. 3 Investmentgesetz). Auf die subjektiven Ziele der Anleger kommt es hingegen nicht an.
(3) Der Geschäftszweck nach dem Inhalt der Satzung der Beklagten war auf Investitionen in unternehmerische Beteiligungen gerichtet. Gemäß § 3 der Satzung der Beklagten war Unternehmensgegenstand unter anderem die Produktion einer Vielzahl von Gegenständen der Textil- und Maschinenbauindustrie sowie die Produktion und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Baustoffen (§ 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten). Nach § 3 Satz 2 der Satzung durfte sich die Beklagte an anderen Unternehmen beteiligen und in deren Vorständen vertreten sein. Weiter war der Beklagten gestattet, bei Unternehmensgründungen oder Kapitalerhöhungen Hilfe zu leisten und aus diesem Anlass oder bei Kreditaufnahmen oder Käufen Garantien abzugeben oder Sicherheiten zu stellen. Die Beklagte durfte Dienste in Bezug auf die Lagerhaltung, Zoll, Transport und Inkasso erbringen und finanzielle und rechtliche Beratungen durchführen sowie Verträge über Lizenzen, Patente und Marken, auch im Hinblick auf die Unternehmen, an denen Beteiligungen bestehen, abschließen. Schließlich konnte sie soziale Einrichtungen für das Personal von Firmen errichten und betreiben und sich damit auch am Personalwesen der Unternehmen beteiligen. Damit eröffnete sich aber der Beklagten ein erheblicher Einfluss auf die Finanzen und Investitionen der Anlageunternehmen. Mit den Engagements waren zwangsläufig finanzielle Risiken verbunden, die die Beklagte zusätzlich zum Wertverlust der eigenen Anteile treffen konnten. Auch gehen diese Befugnisse weit über die bloße Teilhabe am Kapitalwert unternehmerisch selbständig bleibender Anlageobjekte, die für das Investment ansonsten charakteristisch ist, hinaus (vgl. Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990, aaO). Nach den in der Satzung niedergelegten Geschäftszielen sollte sich die Beklagte auf vielfältige Weise an den unternehmerischen Entscheidungen der Anlageunternehmen beteiligen können, wozu sie unternehmerischen Sachverstand in strategische Entscheidungen dieser Unternehmen einbringen musste. Es bestand ein unternehmerisches Risiko neben dem Anlagerisiko. Die Gesellschaftsziele der Beklagten widersprachen damit dem Zweck der breiten Vermögensstreuung mit der Möglichkeit schneller Umschichtung, durch die auch kurzfristige Kurs- und Zinsschwankungen zur Gewinnerzielung ausgenutzt werden könnten. Ein solcher Zweck ist aber kennzeichnend für das von den Vorschriften des Auslandinvestmentgesetzes betroffene Kapitalinvestment (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990, aaO; OLG Celle, WM 2003, 325, 328).
(4) Für eine unternehmerische Beteiligung sprechen maßgebend auch die Mehrheitsbeteiligungen der Beklagten. Mehrheitsbesitz führt regelmäßig zur Abhängigkeit und zu einem beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft, weil dem Mehrheitsaktionär über die Mehrheit der Stimmrechte die Möglichkeit offen steht, mehr als die Hälfte der Mitglieder der Führungsgremien der beherrschten Gesellschaft zu stellen und damit deren Leitung zu bestimmen. Des Nachweises konkreter, aktiver Beeinflussung, wie dies der Kläger verlangt, bedarf es dann nicht (vgl. Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 57; Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 28. August 1991 - V 2-X-12/91 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 27; vom 7. Dezember 2001, aaO).
Die Beklagte besaß in vierzehn Aktiengesellschaften mehr als die Hälfte der Anteile, bei zwölf Kapitalgesellschaften hielt sie über 75 % der Anteile. Nach türkischem Aktienrecht geht damit regelmäßig eine entsprechende Stimmrechtsmehrheit in der Generalversammlung einher (Art. 373 Abs. 1 Satz 1 THGB in Hirsch/Tekinalp, aaO, S. 95 f.), sofern nicht besondere Umstände wie z.B. Mehrstimmrechtsaktien (Art. 373 Abs. 1 Satz 2, 401 THGB aaO) oder Stimmbindungsverträge dies verhindern. In der Generalversammlung wird unter anderem über die Gewinnverteilung und die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder entschieden (Art. 369 THGB aaO). Der Verwaltungsrat wiederum leitet die Aktiengesellschaft türkischen Rechts und vertritt sie entweder selbst oder durch von ihm eingesetzte Direktoren ("monistisches System" Art. 317, 342 THGB aaO). Das Stimmrecht eröffnet mithin unmittelbar die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Zusammensetzung der leitenden Organe der Gesellschaft. Damit hatte die Beklagte die rechtliche Möglichkeit, entscheidenden unternehmerischen Einfluss zu nehmen auf die Gesellschaften, an denen sie beteiligt war, sofern sie ihre Aktionärsrechte wahrnahm. Dass dies der Fall war, hat auch der Kläger nicht in Frage gestellt.
Dass die Beteiligung der Beklagten in sieben weiteren Fällen unter 50 % lag, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die übrigen Anteile an diesen Unternehmen hielten die Schwestergesellschaften der Beklagten, so etwa die K. Holding A.S. Dazu waren die Organe der Gesellschaften personell identisch besetzt, so dass von einer gegenseitigen Einflussnahme und Abstimmung auszugehen ist. Hinsichtlich der Beteiligung der Beklagten an drei Unternehmen, deren Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht vergleichbar ist, fehlt bereits eine Vermögensanlage in Wertpapieren im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG. Geschäftsanteile an einer GmbH sind nämlich keine Wertpapiere, auch wenn sie verbrieft sind (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 28. August 1991 - V 2-X-12/91 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448, Nr. 27).
War - wie dargelegt - nach der aus der Satzung ersichtlichen Anlagestrategie der Beklagten nicht eine bloße Partizipation am Kapitalwert der unternehmerisch selbständig bleibenden Anlageobjekte gewollt, sondern ein die Selbständigkeit einschränkender Eintritt in deren unternehmerische Entscheidungs- und Verantwortungsbereiche, entsprach die Kapitalanlage nicht dem Wesen des Investments im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 20. August 1990, aaO; vom 7. Dezember 2001 aaO; Baur, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 47; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 55, 57; Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 15).
cc) Erfolglos rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin überspannt. Dass das Vermögen der Beklagten nach dem Grundsatz der Risikomischung angelegt ist, hat der Kläger nach allgemeinen Beweisgrundsätzen als anspruchsbegründende Voraussetzung darzulegen und zu beweisen. Dies gilt auch für den Nachweis, dass der objektive Geschäftszweck primär auf Kapitalwertsicherung gerichtet ist. Erleichterungen kämen nur dann in Betracht, wenn dem Kläger substantiierter Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, während die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen hätte und es ihr zumutbar wäre, nähere Angaben zu machen. Dies ist anzunehmen, wenn das Unwissen der darlegungspflichtigen Partei darauf beruht, dass sie außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht (Senat, Urteil vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97 - VersR 1999, 774, 775; Urteil vom 9. Dezember 2008 - VI ZR 173/07 - VersR 2009, 408, 409; BGHZ 140, 156, 158). Im Streitfall käme eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten mithin erst in Betracht, wenn auch nach Auswertung der Satzung und anderer öffentlich oder dem Kläger zugänglicher Quellen, wie auch zum Beispiel den Berichten der Aktiengesellschaft, Lücken im vorzutragenden Geschehensablauf verblieben. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger stellt die Beteiligungen der Beklagten und die Ausübung der damit verbundenen Stimmrechte nicht in Frage. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers und der Satzung teilt der erkennende Senat die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine kapitalwertsichernde, risikogemischte Anlage im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes nicht gegeben ist. Der Kläger kann sich somit nicht auf den Schutz des Auslandinvestmentgesetzes berufen.
c) Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht auch im Übrigen deliktische Schadensersatzansprüche des Klägers nicht für gegeben erachtet hat. Dagegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern (vgl. zu den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen den durch Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09 - entschiedenen Parallelfall unter II. 2. b), d) und e) z.V.b.).
Galke Zoll Wellner
Diederichsen Stöhr
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066875
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100617
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V ZB 176/09
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Beschluss
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§ 15a Abs 2 RVG, § 60 Abs 1 S 1 RVG, Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV
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vorgehend OLG Bamberg, 6. Oktober 2009, Az: 3 W 109/09, Beschluss vorgehend LG Bamberg, 10. August 2009, Az: 2 O 52/09, Beschluss
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DEU
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Kostenfestsetzungsverfahren in Altfällen: Anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die prozessuale Verfahrensgebühr
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Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg - 3. Zivilsenat - vom 6. Oktober 2009 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Bamberg vom 10. August 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 290,06 €.
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I.
Mit Beschluss vom 10. August 2009 hat das Landgericht die von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 1.244,93 € festgesetzt. Dabei hat es die von der Beklagten geltend gemachte 1,3-fache Verfahrensgebühr in voller Höhe berücksichtigt. Auf die dagegen erhobene sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgerichts die Verfahrensgebühr um die Hälfte gekürzt und die zu erstattenden Kosten auf 954,87 € festgesetzt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Beklagte die Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts erreichen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG sei anteilig um die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu kürzen. Das folge aus dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG und entspreche der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die am 5. August 2009 in Kraft getretene Vorschrift des § 15a RVG rechtfertige keine andere Beurteilung der Rechtslage, weil in diesem Zeitpunkt die Beklagte ihren Prozessbevollmächtigten den unbedingten Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit bereits erteilt gehabt habe und deshalb die Vergütung nach dem bisher geltenden Recht zu berechnen sei. Eine Anwendung der Regelung in § 15a Abs. 2 RVG auf Altfälle sei nicht gerechtfertigt.
III.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zur Einführung des § 15a RVG, nach der die Verfahrensgebühr gegen den Prozessgegner nur gekürzt um den nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr festgesetzt werden kann (Beschluss vom 22. Januar 2008, VIII ZR 57/07, NJW 2008, 1323; Beschluss vom 20. April 2008, III ZB 8/08, NJW-RR 2008, 1095; Beschluss vom 3. Juni 2008, VI ZB 55/07, NJW-RR 2008, 1528; Beschluss vom 16. Juli 2008, IV ZB 24/07, JurBüro 2008, 529 f.; Beschluss vom 14. August 2008, I ZB 103/07, AGS 2008, 574; Beschluss vom 25. September 2008, VII ZB 93/07, RVG-Rep 2008, 468). Nach dem Inkrafttreten des § 15a RVG, wonach sich ein Dritter nur unter bestimmten Voraussetzungen auf die Anrechnung berufen kann, haben sich die bisher befassten Senate des Bundesgerichtshofs auf den Standpunkt gestellt, dass die Regelung in § 15a RVG die bisherige Rechtslage nicht geändert hat, sondern sie lediglich klarstellt (Beschluss vom 2. September 2009, II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; Beschluss vom 9. Dezember 2009, XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375; Beschluss vom 3. Februar 2010, XII ZB 177/09, AGS 2010, 106; Beschluss vom 11. März 2010, IX ZB 82/08, AGS 2010, 159; Beschluss vom 31. März 2010, XII ZB 230/09, Rdn. 6, juris). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Aufgaben des Gesetzgebers bei der Schaffung einer neuen Rechtsnorm, zur Auslegung der Vorschrift des § 15a RVG und zum Willen des Gesetzgebers sind in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2009 erörtert und für nicht durchgreifend erachtet worden (XII ZB 157/07, NJW 2010, 1375, 1376). Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch für Altfälle - wie hier - gilt somit, dass die Anrechnung nach der Vorbemerkung Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten und seinem Mandanten betrifft und sich deshalb im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt (Senat, Beschl. v. 29. April 2010, V ZB 38/10, juris, Rdn. 8 f.).
Da ein Ausnahmefall nach § 15a Abs. 2 RVG nicht vorliegt, hat das Beschwerdegericht die von der Beklagten geltend gemachte Verfahrensgebühr zu Unrecht gekürzt. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts zurückzuweisen.
3. Obwohl der Senat von der zitierten Rechtsprechung des I., III., IV., VI., VII. und VIII. Zivilsenats abweicht, bedarf es keiner Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen. Denn die Abweichung ist die Folge einer gesetzlichen Klärung und setzt deshalb keine Entscheidung des Großen Senats voraus (BGH, Beschluss vom 11. März 2010, IX ZB 82/08, aaO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066877
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100701
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V ZR 238/09
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Beschluss
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Art 103 GG, § 128a Abs 2 ZPO, § 375 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 377 Abs 3 ZPO
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vorgehend OLG München, 10. Dezember 2009, Az: 1 U 3490/09, Urteil vorgehend LG Landshut, 20. Mai 2009, Az: 54 O 2638/07, Urteil
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DEU
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Beweisantrag: Voraussetzungen der Ablehnung wegen Unerreichbarkeit des Zeugen
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Dezember 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 45.167 €.
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I.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Juli 1999 erwarb die Beklagte von den Klägern mehrere Grundstücke "zur Vermeidung einer Enteignung bzw. Besitzeinweisung". An demselben Tag schlossen die Parteien einen städtebaulichen Vertrag, in welchem die Beklagte den Klägern gegen Zahlung von 800.000 DM für die Herstellung neuer Verkehrswege die Ausweisung neuer Baurechte in einem Gewerbegebiet zusagte.
Die auf Rückauflassung der verkauften Grundstücke gerichtete Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. In der Berufungsinstanz haben die Kläger u.a. geltend gemacht, der städtebauliche Vertrag sei nichtig, deshalb sei auch der Kaufvertrag nichtig, weil beide Verträge ein einheitliches Rechtsgeschäft bildeten. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Beschwerde wollen die Kläger die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil erreichen, damit sie ihren Klageantrag weiterverfolgen können.
II.
Soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse, meint das Berufungsgericht, der städtebauliche Vertrag sei nichtig; das habe jedoch nicht die Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrags zur Folge, weil beide Verträge keine rechtliche Einheit bildeten, die Kläger jedenfalls das Gegenteil nicht beweisen könnten. Von der Vernehmung der Zeugin B. müsse abgesehen werden, weil sie laut ärztlichem Attest aus gesundheitlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht vor Gericht erscheinen könne. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger sei dazu, dass die beiden Verträge miteinander hätten stehen und fallen sollen, nicht zu vernehmen, weil es sich bei dem diesbezüglichen Vortrag der Kläger nicht um eine Tatsachen-, sondern um eine Rechtsbehauptung handele.
III.
Das Berufungsurteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655). Das ist zwar nicht in Bezug auf den von den Klägern angebotenen Beweis durch Vernehmung ihres Prozessbevollmächtigen, wohl aber hinsichtlich des auf die Vernehmung der Zeugin B. gerichteten Beweisangebots der Fall.
a) Das Berufungsgericht hat den in das Wissen ihres Prozessbevollmächtigten gestellten Vortrag der Kläger zu dem Willen der Beklagten, die innere und äußere Erschließung des Gewerbegebiets zu verbessern und deshalb den Grundstückskaufvertrag sowie den städtebaulichen Vertrag abzuschließen, im Tatbestand seiner Entscheidung als unstreitig dargestellt, indem es den entsprechenden Inhalt der Verträge wiedergegeben hat. Ebenfalls als unstreitig hat es den weiteren Vortrag angesehen, dass die Beklagte den Abschluss des Kaufvertrags zeitlich vor dem Abschluss des städtebaulichen Vertrags verlangt habe und die gesamten Modalitäten zunächst in einer Vertragsurkunde hätten vereinbart werden sollen (BU 12 Abs. 4). Insoweit bedurfte es somit keiner Beweisaufnahme. Übrig bleibt deshalb der Vortrag der Kläger, beide Verträge müssten miteinander stehen und fallen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine dem Zeugenbeweis (Prozessbevollmächtigter der Kläger) zugängliche Tatsachenbehauptung, sondern um die von den Klägern aus den vorgetragenen Tatsachen gezogene rechtliche Schlussfolgerung.
b) Von der Vernehmung der Zeugin B. durfte das Berufungsgericht jedoch nicht absehen. Es hat die in ihr Wissen gestellte Behauptung der Kläger, der eine Vertrag wäre ohne den anderen nicht geschlossen worden, für erheblich gehalten und die Zeugin zu dem auf den 12. November 2009 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. Die Vernehmung ist nur deshalb unterblieben, weil das Berufungsgericht die Zeugin aufgrund des ärztlichen Attestes vom 7. Oktober 2009 als unerreichbar angesehen hat. Diese Annahme ist rechtsfehlerhaft. Denn die Voraussetzungen dafür, einen Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abzulehnen (siehe dazu BGHZ 168, 79, 85), sind nicht schon dann gegeben, wenn aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen endgültig von dem Nichterscheinen des Zeugen vor dem Prozessgericht ausgegangen werden muss. Denn es bleibt die Möglichkeit, den Zeugen außerhalb der Gerichtsstelle im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a Abs. 2 ZPO) oder, wenn das nicht möglich ist, nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des Prozessgerichts zu vernehmen; auch ein Vorgehen nach § 377 Abs. 3 ZPO kommt in Betracht.
c) Das übergangene Beweisangebot ist entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zeugin entweder nach der einen oder der anderen prozessualen Möglichkeit hätte vernommen werden können, die Behauptung der Kläger bestätigt hätte und diese Aussage das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung der Frage veranlasst hätte, ob der Grundstückskaufvertrag und der städtebauliche Vertrag eine rechtliche Einheit bilden.
2. Soweit die Kläger den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch deshalb geltend machen, weil die unterbliebene Vernehmung der Zeugin B. auf dem unzutreffenden Rechtssatz beruhe, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen auch dann gerechtfertigt sei, wenn das Gericht keine Bemühungen zur Beibringung des Zeugen - auch nicht unter Anwendung von Zwangsmitteln - entfaltet habe, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Angesichts des Inhalts des von der Zeugin vorgelegten ärztlichen Attestes bestand für das Berufungsgericht keine Veranlassung, weitere Bemühungen zur Beibringung der Zeugin, also sie zum Erscheinen vor Gericht zu verpflichten, zu entfalten.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066882
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BGH
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6. Zivilsenat
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20100629
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VI ZR 83/09
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Urteil
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§ 675 BGB, § 1 Abs 1 S 1 AuslInvestmG vom 21.08.2002, § 2 AuslInvestmG vom 09.09.1998, § 7 Abs 1 AuslInvestmG vom 21.06.2002, § 8 Abs 1 AuslInvestmG vom 09.09.1998, § 823 Abs 2 BGB
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vorgehend OLG Düsseldorf, 13. Februar 2009, Az: 17 U 182/07, Urteil vorgehend LG Duisburg, 28. August 2007, Az: 10 O 182/06
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DEU
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Haftung einer türkischen Kapitalanlagegesellschaft nach dem Auslandsinvestmentgesetz
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
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Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach türkischem Recht, Schadensersatzansprüche aus dem Erwerb von Anteilen der Beklagten geltend.
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Konya/Türkei. Sie hielt Ende 1998 Anteile dreier einer GmbH deutschen Rechts vergleichbaren Gesellschaften sowie Aktien von einundzwanzig in der Türkei ansässigen Gesellschaften, von denen vierzehn im Mehrheitsbesitz der Beklagten standen. Die Gesellschaften waren wirtschaftlich in der Textil-, Lebensmittel-, Maschinenbau- und Baubranche tätig. Die Beklagte verfügte nicht über die Erlaubnis nach dem Gesetz über das Kreditwesen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2776; künftig: KWG a.F.). Eine Anzeige nach dem bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2820 künftig: AuslInvestmG) hatte sie ebenfalls nicht erstattet.
Der Kläger, der sein Vermögen islamischen Glaubensgrundsätzen entsprechend weder in verzinslichen noch in spekulativen Wertpapieren anlegen wollte, erwarb im Jahre 1999 nicht börsennotierte Anteilsscheine der Beklagten. Der Erwerb wurde über I. Y., einen Gründungsgesellschafter der Beklagten, abgewickelt. Im Jahr 2000 erhielt der Kläger von I. Y. 1.456,00 DM ausgezahlt. Seither erfolgten keine weiteren Zahlungen mehr.
Mit Anwaltsschreiben vom 8. Mai 2006 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung von 36.807,90 € auf. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, nach dem der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage wegen des 16.100,58 € übersteigenden Betrags zurückgenommen hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche des Klägers bejaht, aber deliktische Ansprüche gegen die Beklagte verneint. Bei der Veräußerung der Anteile habe es sich um keine der in § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG a.F. genannten Geschäfte gehandelt. Die Veräußerung sei deshalb nicht erlaubnispflichtig gewesen, so dass Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG a.F. nicht bestünden. Auch die Voraussetzungen für Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit den §§ 2, 7, 8 AuslInvestmG lägen nicht vor. Eine Anzeigepflicht nach den §§ 2, 7, 8 AuslInvestmG habe der Beklagten vor der Veräußerung der Anteile nicht oblegen, weil es sich nicht um ausländische Investmentanteile im Sinne dieses Gesetzes gehandelt habe. Das Vermögen der Beklagten sei nicht nach den Grundsätzen der Risikomischung im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes angelegt. Die Gelder der Anleger sollten vielmehr unter Beachtung der islamischen Glaubensgrundsätze im operativen Geschäft eingesetzt werden. Schließlich hafte die Beklagte auch nicht nach § 831 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 263 StGB. Es könne offen bleiben, ob I. Y. Verrichtungsgehilfe der Beklagten gewesen sei, weil jedenfalls nicht erwiesen sei, dass I. Y. den Kläger vorsätzlich betrügerisch oder sittenwidrig habe schädigen wollen. Umstände, aus denen sich ergäbe, dass sich die Beklagte von Anfang an mit Hilfe eines "Schneeballsystems" finanziert habe, seien nicht gegeben. Die Beklagte sei an zahlreichen Unternehmen beteiligt und auf unterschiedlichen Geschäftsfeldern wirtschaftlich tätig. Sie sei keine bloße "Briefkastenfirma". Es könne auch nicht festgestellt werden, dass etwaige unrichtige Angaben des I. Y. von der Beklagten veranlasst oder zumindest geduldet worden seien. Hierfür reiche nicht aus, dass nach Auffassung des Klägers den Organen der Beklagten habe bewusst sein müssen, dass in Anbetracht der Einwerbung erheblicher Kapitalmittel die Anleger über die näheren Bedingungen ihrer Beteiligung im Unklaren gelassen worden seien. Auch fehle hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag dafür, dass die Organe der Beklagten durch eigenes Handeln vorsätzlich den Schaden des Klägers herbeigeführt hätten.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Das Berufungsgericht hat, da eine vorrangige internationale Gerichtsstandsregelung im Verhältnis zur Türkei, dem Sitz der Beklagten, nicht besteht, zutreffend seine Zuständigkeit aus dem besonderen Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO hergeleitet. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Urteil vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - WRP 2010, 653; BGHZ 153, 82, 84 ff.; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - I ZR 70/06 - TranspR 2009, 26 Tz. 17 = VersR 2009, 807 m.w.N.; vom 22. Oktober 2009 - I ZR 88/07 - TranspR 2009, 479), denn die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) regeln mittelbar auch die Grenzziehung zwischen der Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte (vgl. Senat, Urteile vom 3. Mai 1977 - VI ZR 24/75 - NJW 1977, 1590 und vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - aaO; BGH, Urteil vom 22. November 1994 - XI ZR 45/91 - NJW 1995, 1225, 1226 jeweils m.w.N.). Zur Begründung des Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO reicht die schlüssige Behauptung von Tatsachen aus, auf deren Grundlage sich ein deliktischer Anspruch ergeben kann (Senat, Urteil vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 - aaO; BGHZ 132, 105, 110; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 32 Rn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. § 32 Rn. 19 m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit genügt es mithin, dass der Kläger die Voraussetzungen der - nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht - deliktischen Ansprüche nach den §§ 823 ff. BGB schlüssig behauptet hat. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Begehungsort der deliktischen Handlung kann sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort sein, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen wurde oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde (vgl. BGHZ 132, 105, 110 f.).
Der Begehungsort der vom Kläger behaupteten unerlaubten Handlungen liegt danach im Inland, weil die Anteile an der Beklagten von ihm im Inland erworben worden sind und der behauptete Schaden ebenfalls im Inland eingetreten ist. Auch sind deliktische Ansprüche auf der Grundlage des Klagevortrags hinreichend dargetan. Hätte die Beklagte nach ihrem Geschäftszweck die eingesammelten Gelder in erster Linie kapitalwertsichernd in Anlagen mit gemischten Risiken investieren wollen, käme ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 2, 8 AuslInvestmG in Betracht, da die Beklagte die Aufnahme der Geschäfte der Bundesanstalt für Kreditwesen gemäß § 7 AuslInvestmG nicht angezeigt hat und somit ihre Geschäfte im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AuslInvestmG getätigt hätte.
Ist die internationale Zuständigkeit nach dem deliktischen Gerichtsstand im Inland somit gegeben, ist umfassend zu prüfen, ob das Schadensersatzbegehren des Klägers aufgrund eines deliktischen Anspruchs begründet ist. Die internationale Zuständigkeit ist allerdings lediglich für deliktische Ansprüche gegeben, sie zieht nicht - kraft Sachzusammenhangs - die Zuständigkeit auch für nicht deliktische Ansprüche nach sich. Insoweit steht dem deutschen Gericht keine Prüfungsbefugnis zu (vgl. hierzu ausführlich BGHZ 132, 105, 111 ff. m.w.N.).
2. Auf der Grundlage der rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte nicht gegeben.
a) Ob das der Klage zugrunde gelegte vom Kläger behauptete Geschehen als unerlaubte Handlung einzuordnen ist, richtet sich nach dem am Gerichtsstand geltenden Recht. Deutsches Recht ist sowohl nach den Regelungen in Art. 40 ff. EGBGB (in Kraft getreten zum 1. Juni 1999 durch Gesetz vom 21. Mai 1999, BGBl. I 1999 S. 1026) als auch nach dem zuvor geltenden deutschen Kollisionsrecht analog Art. 220 Abs. 1 EGBGB (BT-Drucks. 14/343 S. 7) anzuwenden. Auch die von Amts wegen zu beachtende Regelung in Art. 41 EGBGB führt nicht zur Anwendung des türkischen Rechts als des Heimatrechts der Beklagten.
Zwar sind nach Art. 41 EGBGB bei Bestehen wesentlich engerer Verbindungen zu dem Recht eines Staates als zu dem Recht, das nach den Artt. 38 bis 40 Abs. 2 EGBGB maßgebend wäre, die Regelungen dieses anderen Rechts anzuwenden. Dabei kann sich eine wesentlich engere Verbindung zu dem anderen Recht auch im Zusammenhang mit einem Schuldverhältnis ergeben (Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Jedoch muss diese schuldrechtliche Sonderbeziehung bereits vor Entstehen des deliktischen Rechtsverhältnisses gegeben sein (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 61. Aufl., EGBGB Art. 41 Rn. 4; Staudinger/v. Hoffmann, BGB (2001), Art. 41 Rn. 11; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 433; Rauscher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Rn. 1273, 1287; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., S. 530; vgl. nunmehr die Regelung in Art. 4 Abs. 3 Rom-II-VO). Die schuldrechtliche Sonderverbindung tritt nur dann in den Vordergrund und drängt das Deliktsstatut zurück, wenn sich die deliktsrechtliche Zuweisung gegenüber den bereits bestehenden engeren Verbindungen als zufällig erweist (Rauscher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Rn. 1273). Muss demnach die anderweitige Verbindung bereits vor dem deliktischen Rechtsverhältnis bestehen, kann diese nicht in den Vordergrund treten, wenn das deliktische Handeln und die Begründung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien in einem Geschehen zusammen fallen.
Im Streitfall kann danach die durch das Delikt vermittelte Verbindung ins Inland nicht durch eine engere Sonderbeziehung in die Türkei überwunden werden, weil der Kläger Ansprüche gegen die Beklagte aus deliktischem Verhalten im Inland beim Erwerb der Anteile herleitet und durch den selben Erwerbsvorgang das schuldrechtliche Sonderverhältnis zwischen den Parteien erst begründet worden ist.
b) Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 2, 8 AuslInvestmG ist nicht gegeben. Zwar hat die ausländische Investmentgesellschaft, die beabsichtigt, ausländische Investmentanteile im Inland zu vertreiben, dem Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen nach § 7 Abs. 1 AuslInvestmG dies anzuzeigen. Nach § 8 Abs. 1 AuslInvestmG darf der Vertrieb von ausländischen Investmentanteilen erst aufgenommen werden, wenn seit dem Eingang der vollständigen Anzeige drei Monate verstrichen sind, ohne dass die Behörde die Aufnahme des Vertriebs untersagt hat. Das vor einer Anzeige gemäß § 7 Abs. 1 AuslInvestmG geltende Vertriebsverbot des § 8 Abs. 1 AuslInvestmG ist eine den Anleger schützende Regelung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weil das Anzeigeverfahren der Überprüfung der ausländischen Investmentgesellschaft und somit auch dem Interesse des Anlegerschutzes dient (BT-Drucks. V/3494 S. 21 f.; BGH, Urteil vom 13. September 2004 - II ZR 276/02 - NJW 2004, 3706, 3709; Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., § 8 AuslInvestmG, Rn. 2). Jedoch kann nach den Umständen des Streitfalls auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht angenommen werden, dass die Beklagte mit dem Verkauf der Anteile an den Kläger ausländische Investmentanteile im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 AuslInvestmG im Inland vertrieben hat.
aa) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG, das zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile durch den Kläger noch in Kraft war, galt für den Vertrieb von Anteilen an einem ausländischen Recht unterstehenden Vermögen, das nach dem Grundsatz der Risikomischung aus Wertpapieren, Forderungen aus Gelddarlehen, über die eine Urkunde ausgestellt war, Einlagen oder Grundstücken angelegt war, Abschnitt 1 dieses Gesetzes. Das Auslandinvestmentgesetz folgte einem wirtschaftlichen Investmentbegriff (BT-Drucks. V/3494 S. 17, Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, AuslInvestmG, § 1 Rn. 24, 44; Assmann/Schütze/Baur, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 14). Auf die gewählte Rechtsform des Unternehmens kam es nicht an. Anders als bei inländischen Investmentgesellschaften (vgl. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998; BGBl. I 1998, S. 2726) war die Bildung eines Sondervermögens nicht Voraussetzung. Es war unerheblich, ob die Anteile Miteigentum am Fondsvermögen verkörperten oder nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Beteiligung in bestimmter Höhe gewährten oder mitgliedschaftliche Rechte umfassten. Entscheidend war, dass das Vermögen nach den Grundsätzen der Risikomischung angelegt worden ist oder angelegt werden sollte. Risikomischung bedeutete in diesem Zusammenhang, dass die der Investmentgesellschaft zufließenden Gelder zur Sicherung des Kapitalwerts in einer Vielzahl von Wertpapieren oder Grundstücken oder beiden angelegt wurden (BT-Drucks. V/3494 S. 17).
bb) Ob ausländisches Investmentvermögen im Sinne des § 1 AuslInvestmG vorlag, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles durch den Tatrichter zu beurteilen (vgl. Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 1. Juli 1977, V 2-X-10/77 in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, Stand Juli 2009, 448 Nr. 10; Baur, aaO § 1 AuslInvestmG Rn. 39). Die tatrichterliche Würdigung ist nur eingeschränkt in der Revision darauf überprüfbar, ob die Würdigung bei richtiger Anwendung der Norm vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Danach begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Anzeigepflicht der Beklagten verneint hat, weil sie keine ausländischen Investmentanteile im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes im Inland vertrieben hat.
(1) Die im Inland angebotenen Geschäftsanteile der Beklagten betreffen zwar Vermögen, das ausländischem Recht untersteht. Ausweislich des vorgelegten Handelsregisterauszuges liegt der Verwaltungssitz der Beklagten in Konya/Türkei. Die Beklagte unterliegt somit nach ihrem Gesellschaftsstatut, das für außerhalb der Europäischen Union liegende Staaten gewohnheitsrechtlich an den Sitz der Gesellschaft anknüpft, dem türkischen Recht (BGHZ 25, 134, 144; MünchKomm-BGB/Kindler 4. Aufl., IntGesR Rn. 5). Das türkische Recht nimmt die Verweisung an. Nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 des türkischen Gesetzes über internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht (in Hirsch/Tekinalp, Das türkische Aktien- und GmbH-Recht, 2. Aufl., S. 114 ff.) ist auf das Recht des in den Statuten der Gesellschaft angegebenen Verwaltungssitzes abzustellen. Somit ist das Gesellschaftsstatut der Beklagten das türkische Recht. Die Anwendung der Regelungen des Auslandsinvestmentgesetzes setzt jedoch darüber hinaus voraus, dass das Vermögen der Beklagten zur Sicherung des Kapitalwerts nach dem Grundsatz der Risikomischung angelegt war. Dies war nach den vom Berufungsgericht getroffenen und nicht zu beanstandenden Feststellungen aber nicht der Fall.
(2) Die Beklagte verfolgte mit der Mischung der unternehmerischen Risiken nicht vorrangig das Ziel, den Kapitalwert des Anlagevermögens zu sichern, sondern Gewinne durch unterschiedliche unternehmerische Beteiligungen zu erwirtschaften und somit ihren Anlegern mit den islamischen Glaubensgrundsätzen vereinbare Renditen zu verschaffen.
Das Auslandinvestmentgesetz sollte nicht jede Form des Wertpapiererwerbs erfassen, sondern nur das Investmentsparen als wichtiges Bindeglied zwischen dem traditionellen Kontensparen und dem direkten Wertpapiererwerb in Form von Aktien (BT-Drucks. V/3494 S. 14). Es betrifft deshalb nicht Kapitalanlagen, die auf die Wertschöpfung aus dem Einsatz der Anlagemittel zur Finanzierung der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr eines Unternehmens gerichtet sind (Volckens/Panzer, IStR 2005, 426, 427), selbst wenn eine risikogestreute Vermögensanlage das Ergebnis einer sonstigen operativen Tätigkeit ist (Volckens/Panzer, aaO, 429) und damit als "zufällige Risikomischung" anzusehen ist (Rundschreiben 14/2008 der BaFin - WA - zum Anwendungsbereich des Investmentgesetzes nach § 1 Satz 1 Nr. 3 Investmentgesetz). Ein Investmentunternehmen muss primär das Ziel der Kapitalwertsicherung durch die Risikomischung verfolgen (BVerwG, NJW 1980, 2482; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 46). Die Anlage muss vorrangig den bestmöglichen Ausgleich von Ertrags-, Wertsicherungs- und Liquiditätserwartungen der Anleger erreichen wollen (Cox in Schuster, Investmenthandbuch, 1971, S. 46; Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 47), so dass durch die Risikomischung im Wesentlichen das gesamte Unternehmensrisiko abgefangen wird und sich das Unternehmensrisiko mit dem Anlagerisiko deckt (Schreiben des Bundesamtes für Kreditwesen vom 1. Juli 1977 - V 2-X-10/77 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 10; Volckens/Panzer, aaO). Hingegen genügt nicht, dass das Vermögen objektiv risikogemischt mit verschiedenen möglichen Verlust- und Gewinnchancen in einer Vielzahl von Vermögenswerten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG angelegt ist. Zu der die Risiken mischenden Zusammensetzung des Vermögens muss vielmehr hinzukommen, dass der Geschäftsbetrieb des Unternehmens nach seiner objektiven Ausgestaltung gerade auf die Anlage von Geldvermögen und nicht auf andere Zwecke gerichtet ist (vgl. BVerwG, NJW 1980, 2482 "Hapimag"; Baur, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 40 ff., Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 12; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG Rn. 45 ff.; Assmann/Schütze/Baur, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 18; Volckens/Panzer, IStR 2005, 426, 428).
Kein anzeigepflichtiges Investment liegt vor, wenn die unternehmerische Beteiligung mit dem Ziel erfolgt, in die unternehmerischen Entscheidungs- und Verantwortungsbereiche der Anlageobjekte einzutreten und deren Selbständigkeit einzuschränken, mithin also unternehmerischen Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaften auszuüben (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990 - V 2-X-11/90 - in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 26; vom 7. Dezember 2001 - V 2-X-3818/2001 - aaO, 448 Nr. 38; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 55; Baur, aaO, § 1 Rn. 47; Beckmann/ Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 13 f.). Zur Ermittlung des objektiven Zwecks der unternehmerischen Beteiligungen können die Satzung, die Vertrags- und Anlagebedingungen sowie Verkaufsprospekte oder ähnliche Schriftstücke herangezogen werden (Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 41; Rundschreiben 14/2008 der BaFin - WA - zum Anwendungsbereich des Investmentgesetzes nach § 1 Satz 1 Nr. 3 Investmentgesetz). Auf die subjektiven Ziele der Anleger kommt es hingegen nicht an.
(3) Der Geschäftszweck nach dem Inhalt der Satzung der Beklagten war auf Investitionen in unternehmerische Beteiligungen gerichtet. Gemäß § 3 der Satzung der Beklagten war Unternehmensgegenstand unter anderem die Produktion einer Vielzahl von Gegenständen der Textil- und Maschinenbauindustrie sowie die Produktion und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Baustoffen (§ 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten). Nach § 3 Satz 2 der Satzung durfte sich die Beklagte an anderen Unternehmen beteiligen und in deren Vorständen vertreten sein. Weiter war der Beklagten gestattet, bei Unternehmensgründungen oder Kapitalerhöhungen Hilfe zu leisten und aus diesem Anlass oder bei Kreditaufnahmen oder Käufen Garantien abzugeben oder Sicherheiten zu stellen. Die Beklagte durfte Dienste in Bezug auf die Lagerhaltung, Zoll, Transport und Inkasso erbringen und finanzielle und rechtliche Beratungen durchführen sowie Verträge über Lizenzen, Patente und Marken, auch im Hinblick auf die Unternehmen, an denen Beteiligungen bestehen, abschließen. Schließlich konnte sie soziale Einrichtungen für das Personal von Firmen errichten und betreiben und sich damit auch am Personalwesen der Unternehmen beteiligen. Damit eröffnete sich aber der Beklagten ein erheblicher Einfluss auf die Finanzen und Investitionen der Anlageunternehmen. Mit den Engagements waren zwangsläufig finanzielle Risiken verbunden, die die Beklagte zusätzlich zum Wertverlust der eigenen Anteile treffen konnten. Auch gehen diese Befugnisse weit über die bloße Teilhabe am Kapitalwert unternehmerisch selbständig bleibender Anlageobjekte, die für das Investment ansonsten charakteristisch ist, hinaus (vgl. Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990, aaO). Nach den in der Satzung niedergelegten Geschäftszielen sollte sich die Beklagte auf vielfältige Weise an den unternehmerischen Entscheidungen der Anlageunternehmen beteiligen können, wozu sie unternehmerischen Sachverstand in strategische Entscheidungen dieser Unternehmen einbringen musste. Es bestand ein unternehmerisches Risiko neben dem Anlagerisiko. Die Gesellschaftsziele der Beklagten widersprachen damit dem Zweck der breiten Vermögensstreuung mit der Möglichkeit schneller Umschichtung, durch die auch kurzfristige Kurs- und Zinsschwankungen zur Gewinnerzielung ausgenutzt werden könnten. Ein solcher Zweck ist aber kennzeichnend für das von den Vorschriften des Auslandinvestmentgesetzes betroffene Kapitalinvestment (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 30. August 1990, aaO; OLG Celle, WM 2003, 325, 328).
(4) Für eine unternehmerische Beteiligung sprechen maßgebend auch die Mehrheitsbeteiligungen der Beklagten. Mehrheitsbesitz führt regelmäßig zur Abhängigkeit und zu einem beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft, weil dem Mehrheitsaktionär über die Mehrheit der Stimmrechte die Möglichkeit offen steht, mehr als die Hälfte der Mitglieder der Führungsgremien der beherrschten Gesellschaft zu stellen und damit deren Leitung zu bestimmen. Des Nachweises konkreter, aktiver Beeinflussung, wie dies der Kläger verlangt, bedarf es dann nicht (vgl. Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 57; Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 28. August 1991 - V 2-X-12/91 in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448 Nr. 27; vom 7. Dezember 2001, aaO).
Die Beklagte besaß in vierzehn Aktiengesellschaften mehr als die Hälfte der Anteile, bei zwölf Kapitalgesellschaften hielt sie über 75 % der Anteile. Nach türkischem Aktienrecht geht damit regelmäßig eine entsprechende Stimmrechtsmehrheit in der Generalversammlung einher (Art. 373 Abs. 1 Satz 1 THGB in Hirsch/Tekinalp, aaO, S. 95 f.), sofern nicht besondere Umstände wie z.B. Mehrstimmrechtsaktien (Art. 373 Abs. 1 Satz 2, 401 THGB aaO) oder Stimmbindungsverträge dies verhindern. In der Generalversammlung wird unter anderem über die Gewinnverteilung und die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder entschieden (Art. 369 THGB aaO). Der Verwaltungsrat wiederum leitet die Aktiengesellschaft türkischen Rechts und vertritt sie entweder selbst oder durch von ihm eingesetzte Direktoren ("monistisches System" Art. 317, 342 THGB aaO). Das Stimmrecht eröffnet mithin unmittelbar die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Zusammensetzung der leitenden Organe der Gesellschaft. Damit hatte die Beklagte die rechtliche Möglichkeit, entscheidenden unternehmerischen Einfluss zu nehmen auf die Gesellschaften, an denen sie beteiligt war, sofern sie ihre Aktionärsrechte wahrnahm. Dass dies der Fall war, hat auch der Kläger nicht in Frage gestellt.
Dass die Beteiligung der Beklagten in sieben weiteren Fällen unter 50 % lag, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die übrigen Anteile an diesen Unternehmen hielten die Schwestergesellschaften der Beklagten, so etwa die K. Holding A.S. Dazu waren die Organe der Gesellschaften personell identisch besetzt, so dass von einer gegenseitigen Einflussnahme und Abstimmung auszugehen ist. Hinsichtlich der Beteiligung der Beklagten an drei Unternehmen, deren Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht vergleichbar ist, fehlt bereits eine Vermögensanlage in Wertpapieren im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AuslInvestmG. Geschäftsanteile an einer GmbH sind nämlich keine Wertpapiere, auch wenn sie verbrieft sind (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 28. August 1991 - V 2-X-12/91 in Beckmann/Scholtz/Vollmer, aaO, 448, Nr. 27).
War - wie dargelegt - nach der aus der Satzung ersichtlichen Anlagestrategie der Beklagten nicht eine bloße Partizipation am Kapitalwert der unternehmerisch selbständig bleibenden Anlageobjekte gewollt, sondern ein die Selbständigkeit einschränkender Eintritt in deren unternehmerische Entscheidungs- und Verantwortungsbereiche, entsprach die Kapitalanlage nicht dem Wesen des Investments im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes (Schreiben des Bundesaufsichtsamts für Kreditwesen vom 20. August 1990, aaO; vom 7. Dezember 2001 aaO; Baur, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 47; Pfüller/Schmitt in Brinkhaus/Scherer, aaO, § 1 AuslInvestmG, Rn. 55, 57; Beckmann/Scholtz/Vollmer/Beckmann, aaO, 410 § 1 Rn. 15).
cc) Erfolglos rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Klägers überspannt. Dass das Vermögen der Beklagten nach dem Grundsatz der Risikomischung angelegt ist, hat der Kläger nach allgemeinen Beweisgrundsätzen als anspruchsbegründende Voraussetzung darzulegen und zu beweisen. Dies gilt auch für den Nachweis, dass der objektive Geschäftszweck primär auf Kapitalwertsicherung gerichtet ist. Erleichterungen kämen nur dann in Betracht, wenn dem Kläger substantiierter Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, während die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen hätte und es ihr zumutbar wäre, nähere Angaben zu machen. Dies ist anzunehmen, wenn das Unwissen der darlegungspflichtigen Partei darauf beruht, dass sie außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht (Senat, Urteil vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97 - VersR 1999, 774, 775; Urteil vom 9. Dezember 2008 - VI ZR 173/07 - VersR 2009, 408, 409; BGHZ 140, 156, 158). Im Streitfall käme eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten mithin erst in Betracht, wenn auch nach Auswertung der Satzung und anderer öffentlich oder dem Kläger zugänglicher Quellen, wie auch zum Beispiel den Berichten der Aktiengesellschaft, Lücken im vorzutragenden Geschehensablauf verblieben. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger stellt die Beteiligungen der Beklagten und die Ausübung der damit verbundenen Stimmrechte nicht in Frage. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers und der Satzung teilt der erkennende Senat die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine kapitalwertsichernde, risikogemischte Anlage im Sinne des Auslandinvestmentgesetzes nicht gegeben ist. Der Kläger kann sich somit nicht auf den Schutz des Auslandinvestmentgesetzes berufen.
c) Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG a.F. und im Hinblick auf das Auftreten des I. Y. nach §§ 831, 31 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB und § 826 BGB verneint hat. Dagegen ist auch von Rechts wegen nichts zu erinnern (vgl. Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09 - unter II. 2. b), d) und e) z.V.b.).
III.
Ist nach alledem ein deliktischer Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht gegeben, ist die Revision gegen das die Klage abweisende Berufungsurteil unter Auferlegung der Kosten auf den Kläger gemäß § 97 ZPO zurückzuweisen.
Galke Zoll Wellner
Diederichsen Stöhr
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100066882&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066883
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BGH
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8. Zivilsenat
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20100707
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VIII ZR 279/09
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Urteil
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§ 242 BGB, § 558 Abs 1 S 1 BGB, § 559 BGB, § 8a WoBindG, § 10 WoBindG, § 17 Abs 1 S 2 WoBauG 2
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vorgehend LG Berlin, 15. September 2009, Az: 65 S 6/08, Urteil vorgehend AG Charlottenburg, 30. November 2007, Az: 230 C 174/07
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DEU
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Wohnraummiete: Vertragsanpassung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage nach jahrelangen unwirksamen Mieterhöhungen wegen der Annahme einer Mietpreisbindung
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 15. September 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18. September 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revisionsinstanz wird auf 27.646,15 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
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Die Klägerin hat im Jahr 1981 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Wohnung in B. gemietet. Die ursprüngliche Vermieterin hatte das um das Jahr 1900 errichtete Gebäude, in dem sich die Wohnung der Klägerin befindet, in den 1970er Jahren unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel saniert.
In § 1 (2) des Mietvertrags heißt es:
"Art der Wohnung: Altbau modernisiert. Die Wohnung ist gefördert mit Mitteln des soz. Wohnungsbau errichtet und zweckbestimmt für: § 46 StBauFG."
Die monatliche Grundmiete - ursprünglich 363,95 DM (186,01 €) - wurde von der Vermieterin wiederholt einseitig nach §§ 10, 8a WoBindG erhöht, zuletzt von der Beklagten für die Zeit ab April 2005 auf 500,05 €, ab April 2006 auf 505,57 €, ab Juni 2006 auf 517,40 € und ab Juni 2007 auf 529,23 €. Die Klägerin zahlte die jeweils geforderten Beträge.
Die Klägerin macht geltend, dass sie nur die ursprünglich vereinbarte Ausgangsmiete schulde. Die einseitig vorgenommenen Mieterhöhungen seien unwirksam, weil die in den 1970er Jahren von der Rechtsvorgängerin der Beklagten durchgeführten Sanierungsmaßnahmen nicht den in § 17 Abs. 1 Satz 2 II. WoBauG beschriebenen Umfang gehabt hätten und die Wohnung deshalb während der gesamten Mietdauer nicht der Mietpreisbindung unterlegen habe. Für den Zeitraum von Januar 2004 bis Juni 2007 müsse die Beklagte ihr deshalb die über die Ausgangsmiete von (umgerechnet) 186,01 € monatlich hinausgehenden Zahlungen auf die Grundmiete zurückerstatten.
Die Klägerin hat Zahlung von 13.230,91 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die von ihr zu zahlende Nettokaltmiete ab 1. Januar 2008 den Betrag von 186,01 € nicht übersteige. Das Amtsgericht hat dem Feststellungsantrag entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
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Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Rückzahlung vermeintlich zu viel gezahlter Miete nicht zu. An der Geltendmachung eines dahingehenden Bereicherungsanspruchs sei die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert. Die Rückforderung der seit 1981 vorbehaltlos gezahlten Mieterhöhungsbeträge stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, auch wenn die Klägerin nur diejenigen Beträge zurückverlange, für deren Rückforderung die Verjährung noch nicht eingetreten sei. Denn die Beklagte habe im Hinblick auf die Preisgebundenheit der Miete auf Mieterhöhungen nach §§ 558 ff. BGB verzichtet und könne diese auch nicht mehr nachholen.
Zwar sei mit den Zahlungen der Klägerin auf die jeweiligen Erhöhungserklärungen keine konkludente Vereinbarung der erhöhten Miete zustande gekommen, weil die Befolgung einer Aufforderung regelmäßig keine Willenserklärung enthalte. Nachdem die Klägerin jedoch über einen derart langen Zeitraum von mehr als 25 Jahren vorbehaltlos jede Mieterhöhung der Beklagten akzeptiert und die entsprechenden Zahlungen geleistet habe, sei sie mit einer Rückforderung ebenso wie mit einem Anspruch auf rückwirkende Herabsetzung der Miete ausgeschlossen.
Die Klägerin habe den Mietvertrag mit der Maßgabe geschlossen, dass es sich um eine preisgebundene Neubauwohnung handele, weil umfangreiche bauliche Änderungen in dem Gebäude und in Bezug auf ihre Wohnung vorgenommen worden seien. Auch wenn sie sich keine Gedanken über die rechtliche Gestaltung des Mietverhältnisses gemacht habe, sei für sie jedoch erkennbar gewesen, dass und wie sich die Miete zukünftig erhöhen würde. Darauf, dass die Miete in diesem langen Zeitraum unverändert bleiben würde, habe sie offensichtlich nicht vertraut und auch nicht vertrauen dürfen. In der Vergangenheit sei die Behandlung der Wohnung als preisgebunden für die Klägerin insoweit wirtschaftlich vorteilhaft gewesen, als die Mieterhöhungen infolge der öffentlich-rechtlichen Vorgaben maßvoll gewesen seien und jedenfalls längerfristig nach den Erfahrungen der Kammer unterhalb der im preisfreien Wohnungsmietbereich zu erzielenden Mieten gelegen hätten.
Auch aus dem Rechtsgedanken des § 313 BGB ergebe sich, dass die Beklagte sich nicht mit der ursprünglich vereinbarten Grundmiete zufrieden geben müsse, so dass die auf Fortgeltung dieser Grundmiete gerichtete Feststellungsklage unbegründet sei. Die Mietpreisbindung der Wohnung und damit die Möglichkeit einseitiger Mieterhöhungen nach §§ 10, 8a WoBindG habe nicht allein die Risikosphäre der Beklagten betroffen, sondern sei Grundlage des Mietvertrages gewesen.
Da der Beklagten ein Festhalten an der Ausgangsmiete nicht zumutbar sei, stehe ihr ein Anpassungsanspruch zu, den sie auch einredeweise geltend machen könne. Denn die Ausgangsmiete betrage nur etwa 35 % des jetzt nach der Abwicklung des Mietverhältnisses erreichten Nettokaltmietniveaus und nur etwa 39 % der ortsüblichen Vergleichsmiete für nicht preisgebundene Wohnungen, die sich nach dem Berliner Mietspiegel 2007 auf (mindestens) 474,35 € belaufe. Diese ganz erhebliche Differenz könne die Beklagte mittels Mieterhöhung nach §§ 558 ff. BGB wegen der dortigen Kappungs- und Zeitgrenzen auf absehbare Zeit nicht erreichen.
Soweit die Klägerin geltend mache, dass die Beklagte in einem Schreiben im Jahre 1995 selbst Zweifel an der Einordnung der Wohnung als preisgebunden geäußert habe, rechtfertige diese immerhin 14 Jahre nach Vertragsschluss vorgenommene Äußerung es nicht, der Beklagten den Vertrauensschutz auf das Bestehen des Vertrages zu den vorgesehenen Bedingungen zu versagen.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Beklagte nicht an der im Jahr 1981 vereinbarten Ausgangsmiete festhalten lassen muss, weil die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Fehlens der Geschäftsgrundlage vorliegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Anpassung aber nicht in der Weise erfolgen, dass die Klägerin die an sich unwirksamen Mieterhöhungen in vollem Umfang gegen sich gelten lassen muss. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die von der Beklagten begehrte Kostenmiete die ortsübliche Vergleichsmiete in dem hier entscheidenden Zeitraum ab dem Jahr 2004 zumindest teilweise übersteigen dürfte.
1. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei der von der Klägerin gemieteten Wohnung mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 2 II. WoBauG um nicht preisgebundenen Wohnraum handelt und die nach den Vorschriften für preisgebundenen Wohnraum von der Beklagten einseitig vorgenommenen Mieterhöhungen deshalb unwirksam sind. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag der Klägerin ist dies jedoch der Fall und ist deshalb - wie auch das Berufungsgericht unterstellt hat - von einem grundsätzlichen Rückforderungsanspruch der Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) auszugehen, soweit sie Zahlungen auf unwirksame Mieterhöhungen erbracht hat.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass die Beklagte dem Rückforderungsanspruch der Klägerin entgegenhalten kann, dass eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Fehlens der Geschäftsgrundlage geboten ist und sie sich deshalb nicht an der im Jahr 1981 vereinbarten Ausgangsmiete festhalten lassen muss. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, kann das Fehlen der Geschäftsgrundlage vom Verpflichteten auch einredeweise geltend gemacht werden (MünchKommBGB/Roth, 5. Aufl., § 313 Rdnr. 91). Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht ferner zu Recht angenommen, dass die Preisgebundenheit der Wohnung Geschäftsgrundlage des Mietvertrags war und dass eine Vertragsanpassung erforderlich ist, weil der Beklagten ein unverändertes Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Vertragsanpassung sei in der Weise vorzunehmen, dass - ohne Rücksicht auf die ortsübliche Vergleichsmiete - jeweils die Miete geschuldet sei, die sich aus den bis zum Jahr 2007 vorgenommenen Kostenmieterhöhungen ergebe.
a) Die Geschäftsgrundlage eines Vertrages wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebildet durch die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (BGHZ 120, 10, 23; Senatsurteile vom 15. November 2000 - VIII ZR 324/99, WM 2001, 523, unter II 1 a, sowie vom 8. Februar 2006 - VIII ZR 304/04, WM 2006, 828, Tz. 8). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Preisgebundenheit der Wohnung der Klägerin erfüllt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts entsprach es den Vorstellungen der Mietvertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrages im Jahre 1981, dass die Wohnung der Klägerin der Mietpreisbindung unterliegt und die Miete deshalb nach den für die Kostenmiete geltenden Vorschriften erhöht werden kann.
Ob ein bestimmter Umstand Geschäftsgrundlage ist, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung, die für das Revisionsgericht nur dann nicht bindend ist, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind (Senatsurteil vom 15. November 2000 aaO, unter II 1 b). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Die Preisgebundenheit einer Wohnung ist kein Umstand, der nach der gesetzlichen Regelung der Risikosphäre des Vermieters zugeordnet ist. Die Einordnung einer Wohnung als preisfreier oder preisgebundener Wohnraum steht nicht im Belieben des Vermieters, sondern richtet sich nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (hier § 17 Abs. 1 II. WoBauG). Entgegen der Auffassung der Revision steht der Annahme, dass die Preisgebundenheit der Wohnung Geschäftsgrundlage war, nicht entgegen, dass dieser Umstand in § 1 des Mietvertrags Niederschlag gefunden hat. Insoweit hat das Berufungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die Preisgebundenheit der Wohnung der Parteidisposition nicht unterliegt (Senatsurteil vom 7. Februar 2007 - VIII ZR 122/05, NZM 2007, 283, Tz. 15) und deshalb nicht Vertragsgegenstand geworden sein kann.
Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Mai 2002 (XII ZR 8/00, NJW 2002, 2384), wonach bei der Staffelmiete jede Partei das Risiko trägt, dass sich die Marktmiete aus ihrer Sicht ungünstiger entwickelt als die jeweilige Mietstaffel, mangels Vergleichbarkeit nichts dafür entnehmen, dass die Einordnung einer Wohnung als preisgebunden oder preisfrei allein der Risikosphäre des Vermieters zuzuordnen wäre und deshalb nicht Geschäftsgrundlage eines Mietvertrags sein könnte.
b) Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten ein unverändertes Festhalten am Mietvertrag angesichts des erst nach langjähriger Vertragsdauer zu Tage getretenen Fehlens der Geschäftsgrundlage nicht zumutbar ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass die vor mehr als 25 Jahren vereinbarte Ausgangsmiete nur etwa 35 % der zuletzt geforderten Kostenmiete und nur etwa 39 % der ortsüblichen Vergleichsmiete des Jahres 2007 beträgt, die Beklagte Mieterhöhungen nach §§ 558 ff. BGB für die Vergangenheit nicht mehr nachholen und den Stand der ortsüblichen Vergleichsmiete auch für die Zukunft mit Rücksicht auf die Kappungsgrenze und die Sperrfrist des § 558 BGB nicht in absehbarer Zeit erreichen kann. Ohne eine Vertragsanpassung würde sowohl für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2007, für den die Klägerin Rückforderungsansprüche geltend macht, als auch für die Zeit ab 1. Juli 2007 ein erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen, weil die Klägerin dann über einen längeren Zeitraum - eine Kündigung ist der Beklagten wegen des sozialen Kündigungsschutzes verwehrt - nur eine Miete zahlen müsste, die weniger als die Hälfte sowohl der Kostenmiete als auch der ortsüblichen Vergleichsmiete beträgt.
Ohne Erfolg wendet die Revision ein, dass der Beklagten während des Mietverhältnisses Zweifel an der Preisgebundenheit der Wohnung gekommen sein müssten und sie aus diesem Grund nicht schutzwürdig sei. Diesen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung berücksichtigt, aber nicht für durchgreifend erachtet. Einen Rechtsfehler dieser tatrichterlichen Würdigung zeigt die Revision nicht auf.
c) Zu weit geht allerdings die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, die Vertragsanpassung sei in der Weise vorzunehmen, dass - ohne Rücksicht auf die ortsübliche Vergleichsmiete - jeweils die Miete geschuldet sei, die sich aus den bis zum Jahr 2007 vorgenommenen Kostenmieterhöhungen ergebe. Das Berufungsgericht hat hierbei nicht berücksichtigt, dass bei nicht preisgebundenem Wohnraum Mieterhöhungen - von der Modernisierungsmieterhöhung nach § 559 BGB abgesehen - nur bis zur Grenze der ortsüblichen Vergleichsmiete verlangt werden können (§ 558 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Vertragsanpassung im Interesse der Beklagten ist hier nicht schon deshalb erforderlich, weil sie die Miete angesichts der fehlenden Preisbindung der Wohnung nicht nach §§ 10, 8a WoBindG erhöhen kann, denn auch bei preisfreiem Wohnraum hat der Vermieter grundsätzlich die Möglichkeit, die Miete zu erhöhen, nämlich nach § 558 BGB bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. Die Notwendigkeit einer Vertragsanpassung ergibt sich vielmehr erst aus dem Zeitablauf seit dem Beginn des Mietverhältnisses und dem Umstand, dass die Beklagte nach § 558 BGB mögliche Mieterhöhungen im Vertrauen auf das Bestehen der Preisbindung über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren nicht geltend gemacht hat und sie jetzt nicht mehr nachholen kann. Hinzu kommt, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, dass die Beklagte ohne eine Vertragsanpassung auch durch künftige Mieterhöhungen die ortsübliche Vergleichsmiete in absehbarer Zeit nicht annähernd erreichen dürfte.
Es liegt zwar nahe, dass die Beklagte als gewerbliche Vermieterin, falls die Parteien nicht von preisgebundenem Wohnraum ausgegangen wären, seit Beginn des Mietverhältnisses Mieterhöhungsverfahren nach § 558 BGB durchgeführt und in den Grenzen dieser Vorschrift auch die Anhebung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erreicht hätte. Obergrenze für eine Anpassung des Vertrages ist damit aber die ortsübliche Vergleichsmiete; auch aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung oder der unzulässigen Rechtsausübung kann der Klägerin die Rückforderung der in den Jahren 2004 bis 2007 gezahlten Miete insoweit nicht verwehrt werden, als sie Zahlungen über die ortsübliche Miete hinaus erbracht hat. Dies hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, indem es sämtliche Rückzahlungsansprüche der Klägerin verneint hat, obwohl es davon ausgeht, dass sich die ortsübliche Vergleichsmiete im Jahr 2007 auf monatlich 474,35 € belief und die Klägerin schon seit April 2005 eine diesen Betrag deutlich übersteigende Miete gezahlt hat. Dass die Klägerin nicht geltend gemacht hat, dass die Miete überhöht sei, geht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu ihren Lasten. Da die Beklagte Vertragsanpassung verlangt, ist es ihre Sache darzulegen, welche Mieterhöhungen sie nach §§ 558 ff. BGB hätte durchsetzen können.
3. Für die Feststellungsklage gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Auch insoweit hat das Berufungsgericht die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen. Zwar kann die Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen nicht verlangen, dass für den Zeitraum ab Januar 2008 noch die Ausgangsmiete von 186,01 € gilt. Der Antrag der Klägerin enthält jedoch als Minus, dass jedenfalls ein geringerer Betrag als die von der Beklagten zuletzt geforderte Miete von 529,23 € maßgeblich sein soll. Da die ortsübliche Vergleichsmiete des Jahres 2007 deutlich niedriger lag, dürfte die der Beklagten im Wege der Vertragsanpassung insoweit zustehende Miete den Betrag der letzten Kostenmieterhöhung nicht erreichen.
III.
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen zu § 17 Abs. 1 Satz 2 II. WoBauG getroffen hat und der Beklagten im Übrigen Gelegenheit zu geben ist, zur Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmiete in den Jahren 2004 bis 2007 näher vorzutragen, zu denen das Berufungsgericht keine abschließenden Feststellungen getroffen hat.
Ball Dr. Milger Dr. Hessel
Dr. Fetzer Dr. Bünger
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100066883&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100066884
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BGH
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10. Zivilsenat
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20100629
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X ZB 15/08
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Beschluss
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§ 121 GWB, § 130a Abs 8 SGB 5, § 167 Abs 1 VwGO, § 890 Abs 2 ZPO
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vorgehend OLG Düsseldorf, 30. April 2008, Az: VII-Verg 3/08
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DEU
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Bekämpfung der Erwirkung einer einstweiligen Anordnung durch Vollstreckungsmaßnahmen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt; Androhung von Zwangsgeld
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Die Antragstellerin trägt die im Vollstreckungsverfahren vor der Vergabekammer entstandenen Kosten und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Sie hat den Antragsgegnerinnen deren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen - wobei die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt wird - und außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
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I. Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin untersagte die 2. Vergabekammer des Bundes den Antragsgegnerinnen mit Beschluss vom 15. November 2007, in dem von ihnen durchgeführten Vergabeverfahren "Arzneimittel-Rabattverträge 2008/2009" hinsichtlich einer Vielzahl aufgeführter Wirkstoffe auf der Grundlage der in der Ausschreibung festgelegten Bedingungen den Zuschlag zu erteilen. Gegen diese Entscheidung erhoben die Antragsgegnerinnen am 29. November 2007 Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Stuttgart und beantragten zugleich, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen und ihnen, den Antragsgegnerinnen, zu gestatten, das Vergabeverfahren fortzusetzen und auf die hinsichtlich der namentlich genannten Wirkstoffe jeweils wirtschaftlichsten Angebote den Zuschlag zu erteilen.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer vom 15. November 2007 legten die Antragsgegnerinnen außerdem am 30. November 2007 beim Oberlandesgericht Düsseldorf sofortige Beschwerde ein, die sie zurücknahmen, nachdem sich das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 19. Dezember 2007 für zuständig erklärt hatte.
Mit Blick auf die beim Sozialgericht Stuttgart begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung und Gestattung des Zuschlags hat die Antragstellerin am 13. Dezember 2007 bei der Vergabekammer beantragt,
1. den Antragsgegnerinnen die Festsetzung eines Zwangsgeldes anzudrohen und zu vollstrecken an den Personen ihrer Vertreter, um sie zur sofortigen Befolgung des Beschlusses der Vergabekammer anzuhalten,
2. erforderlichenfalls gegenüber den Antragsgegnerinnen ein Zwangsgeld in angemessener Höhe (maximal jeweils 3.165.907,68 €) festzusetzen.
Mit Beschlüssen vom 20. Dezember 2007 erließ das Sozialgericht Stuttgart die von den Antragsgegnerinnen begehrten einstweiligen Anordnungen und bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten für die hier in Rede stehenden Ausschreibungen von Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V.
Mit Beschluss vom 16. Januar 2008 hat die 2. Vergabekammer des Bundes die von der Antragstellerin gestellten Vollstreckungsanträge zurückgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt, welches die Sache dem Senat nach § 124 Abs. 2 GWB vorgelegt hat.
Mit Beschluss vom 27. Februar 2008 hob das Landessozialgericht Baden-Württemberg auf die Beschwerde unter anderem der hiesigen Antragstellerin die vom Sozialgericht Stuttgart angeordnete aufschiebende Wirkung der eingereichten Klage und die Gestattung der Zuschlagserteilung auf und wies die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurück. In der Folge hoben die Antragsgegnerinnen die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Ausschreibung auf und setzten die Antragstellerin davon in Kenntnis. Unter Hinweis auf diese Aufhebungsentscheidung hat die Antragstellerin das Vollstreckungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt; die Antragsgegnerinnen haben sich dem angeschlossen.
II. Nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerinnen das Beschwerdeverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO (vgl. BGHZ 146, 202, 216) unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Für die Entscheidung nach § 91a ZPO ist der Ausgang des Verfahrens von ausschlaggebender Bedeutung, soweit er bei der in diesem Rahmen allein angezeigten summarischen Prüfung mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann (vgl. BGHZ 67, 343, 346; BGH, Beschl. v. 16.11.1999 - KVR 10/98 - Erledigte Beschwerde).
So verhält es sich hier und es entspricht hiernach billigem Ermessen, die Antragstellerin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang mit den Kosten zu belasten. Ihrem mit der sofortigen Beschwerde weiterverfolgten Vollstreckungsantrag hätte von Anfang an kein Erfolg beschieden sein können.
1. Die Verwaltungsvollstreckung kann im Falle von - wie hier- Unterlassungen eingeleitet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen gegenwärtigen oder künftigen Verstoß gegen die durchsetzbare Unterlassungspflicht vorliegen (vgl. Engelhardt/App, VwVG, 8. Aufl., 2008, Vorbem. zu §§ 6 bis 18 Rdn. 12). Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall von Anfang an nicht erfüllt.
a) Die Antragstellerin hat ihre gegenteilige Annahme eines bevorstehenden Verstoßes der Antragsgegnerinnen gegen das von der Vergabekammer ausgesprochene Zuschlagsverbot, wie sich aus ihrer Antragsbegründung ergibt, im Wesentlichen daraus hergeleitet, dass die Antragsgegnerinnen im Zusammenhang mit der von ihnen erhobenen Klage beim Sozialgericht auf der Grundlage von § 86b SGG einstweilige Anordnungen mit dem Ziel zu erwirken versucht haben, im Vergabeverfahren vor dem rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens Rabattverträge abschließen zu können.
b) In der Verfolgung dieses Begehrens kann ebenso wenig ein die Einleitung der Verwaltungsvollstreckung rechtfertigender Tatbestand gesehen werden, wie etwa in dem vergleichbaren Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber, dem die Auftragserteilung durch die Vergabekammer untersagt worden ist und der gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt hat, einen Antrag auf Vorabentscheidung über den Zuschlag nach § 121 GWB stellt. Macht eine Seite von der in der einschlägigen Prozessordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, beim angerufenen Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand zu erwirken, kann dies von einem anderen Beteiligten grundsätzlich nicht in der Weise bekämpft werden, dass dem Antragsteller das Handeln, dessen gerichtliche Gestattung mittels des Eilantrags herbeigeführt werden soll, durch Vollstreckungsmaßnahmen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt untersagt wird, der zudem zur Überprüfung durch das Gericht der Hauptsache steht. Vielmehr ist das Eilverfahren selbst die richtige Plattform, auf der andere Beteiligte ihren Standpunkt und ihre Interessen in Bezug auf die begehrte einstweilige Anordnung zur Geltung zu bringen haben.
c) Ob etwas anderes gelten kann, wenn der Vollstreckungsschuldner für die Überprüfung des Verwaltungsakts, aus dem vollstreckt werden soll, ein bestimmtes Gericht aus sachfremden und rechtlich zu missbilligenden Gründen angegangen hat, kann dahinstehen, weil - entgegen den in diese Richtung weisenden Vorwürfen der Antragstellerin- weder ein solcher Fall gegeben ist, noch die Streitsache vorliegend zuerst beim Vergabesenat rechtshängig geworden war. Vielmehr ist zuerst Klage zum Sozialgericht erhoben worden. Die Antragstellerin konnte sich danach grundsätzlich nicht als berechtigt ansehen, den Eilanträgen der Antragsgegnerinnen mit Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung zu begegnen. Zwar ist der beschließende Senat in einem Parallelverfahren später zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen Entscheidungen einer Vergabekammer, die das Vergabeverfahren für den Abschluss von Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V zum Gegenstand hat, allein das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu dem für den Sitz der Vergabekammer zuständigen Oberlandesgericht gegeben ist (Sen. Beschl. v. 15.7.2008 - X ZB 17/08 - Rabattvereinbarungen). Jedoch war die bei Einleitung des vorliegenden Vollstreckungsverfahrens und noch zur Zeit der Einlegung der sofortigen Beschwerde geltende Gesetzeslage im Hinblick darauf, dass Absatz 9 des durch das Beitragssicherungsgesetz vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4637) neu eingeführten § 130a SGB V bestimmte, das bei Streitigkeiten in Angelegenheit dieser Vorschrift der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, zumindest nicht eindeutig. Dementsprechend hat auch das Bundessozialgericht später den umgekehrten Standpunkt eingenommen und entschieden, dass Streitigkeiten über eine den Abschluss von Rabattvereinbarungen betreffende Entscheidung einer Vergabekammer auf dem Sozialgerichtsweg auszutragen sind; eine Auffassung, der sich allerdings der Gesetzgeber bei der Neuregelung der die sozialrechtlichen Vergabeverfahren betreffende Nachprüfung im Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2426) nicht angeschlossen hat.
d) Nicht beurteilt zu werden braucht ferner, ob die Voraussetzungen für eine Einleitung der Vollstreckung aus dem instanzbeendenden Verwaltungsakt der Vergabekammer vom 15. November 2007 dann hätten bejaht werden können, wenn es Anzeichen dafür gegeben hätte, dass die Antragsgegnerinnen das Vergabeverfahren mit der Zielrichtung der Zuschlagserteilung selbst unter der Voraussetzung fortzusetzen gewillt wären, dass das Sozialgericht Stuttgart ihre Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abschlägig bescheiden würde. Dafür bestehen jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte. Die Verlautbarungen, insbesondere Presseerklärungen vonseiten der Antragsgegnerinnen, auf die die Antragstellerin zur Untermauerung ihres Begehrens insoweit hinweisen, rechtfertigen nichts, was darüber hinausginge, als dass die Antragsgegnerinnen die vorzeitige Zuschlagserteilung auf der Grundlage einer entsprechenden Entscheidung herbeiführen wollten. Die weitere Entwicklung bestätigt das, denn die Antragsgegnerinnen haben die Ausschreibung sogar aufgehoben, nachdem das Landessozialgericht ihr Eilbegehren im Rechtsmittelzug zurückgewiesen hatte.
2. Der Vollstreckungsantrag war entgegen der Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts auch nicht teilweise, nämlich im Umfang der Androhung des Zwangsgeldes begründet. Das Oberlandesgericht hat insoweit die Ansicht vertreten, dass die Androhung von Zwangsmitteln unabhängig davon ist, ob die Gefahr der Zuwiderhandlung besteht bzw. bevorsteht. Das mag für die gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 890 Abs. 2 ZPO betriebene Zwangsvollstreckung zutreffen. Diese Bestimmungen gelten jedoch nicht für die aus einem Verwaltungsakt betriebene Zwangsvollstreckung, für die allein das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes bzw. die jeweils entsprechende Regelung auf Landesebene maßgeblich ist (vgl. Schmidt-Kötters in Posser/Wolf, BeckOK VwGO, § 167 Vor Rdn. 1).
Wäre dem Vollstreckungsbegehren nach allem ohne die Erledigungserklärung kein Erfolg beschieden gewesen, entspricht es billigem Ermessen, der Antragstellerin entsprechend dem Tenor der Entscheidung der Vergabekammer die Kosten des erstinstanzlichen Vollstreckungsverfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerinnen, deren Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war (§ 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG), sowie die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen aufzuerlegen. Der Antragstellerin etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen entspräche, wie auch das Bundessozialgericht in Parallelverfahren entschieden hat, mit Blick darauf nicht billigem Ermessen i.S. von § 91a ZPO, dass diese keine Anträge gestellt und das Verfahren nicht wesentlich gefördert haben.
Scharen Gröning Berger
Grabinski Hoffmann
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067149
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BVerwG
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2. Senat
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20100623
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2 B 59/09
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Beschluss
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§ 13 BDG, § 93 Abs 1 S 2aF BG SH, § 60 S 1 Nr 1aF BG SH, § 24 Abs 1 S 1 Nr 1 BeamtStG, § 47 Abs 1 S 2 BeamtStG, § 176 Abs 1 StGB, § 13 DG SH 2003
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. März 2009, Az: 14 LB 4/08, Urteil
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DEU
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Bemessung der Disziplinarmaßnahme; außerdienstliches Sexualdelikt gegen ein Kind; Lehrer
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der Beklagte, ein im Dienst des klagenden Landes stehender Realschullehrer, ist wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten (mit Bewährung) rechtskräftig verurteilt worden. Im sachgleichen Disziplinarverfahren ist auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden. Das 13-jährige Kind war nach den Feststellungen des Strafgerichts geistig zurückgeblieben; sein Entwicklungsstand entsprach in etwa dem eines sechsjährigen Mädchens, das sich Fremden gegenüber nur nonverbal äußerte. Das Kind besuchte regelmäßig die Kinder des Beklagten. Als dieser das Mädchen nach Hause brachte, kam es zu dem Übergriff, bei dem er - so die Feststellungen des Strafgerichts - dem Mädchen an die Scheide fasste.
2. Die vom Beklagten geltend gemachte Divergenz i.S.v. § 41 Abs. 1 SH LDG, § 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschriften ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in den § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung im konkreten Fall geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97- Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Die Beschwerde ist der Auffassung, das Berufungsurteil beruhe auf dem Rechtssatz, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ausnahmslos zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen müsse, ohne dass es der Ermittlung weiterer be- und entlastender Umstände des Einzelfalls bedürfe. Dies stelle eine Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar, das mit Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> entschieden habe, dass aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DiszG die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte folgt, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Insoweit sei auch auf die vom Berufungsgericht benannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2003 (gemeint sein dürfte der Beschluss vom 19. Februar 2003 - 2 BvR 1413/01) zu verweisen. Insbesondere habe das Berufungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, dass die Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen gewesen und nicht zu Lasten einer Schülerin erfolgt sei.
a) Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Berufungsgericht von den genannten Rechtssätzen abgewichen ist. Das Berufungsgericht hat die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts vielmehr seinem Urteil ausdrücklich zugrunde gelegt und damit § 13 SH LDG den gleichen Bedeutungsinhalt beigemessen, wie er vom Senat für die inhaltsgleiche Norm des § 13 BDG grundlegend im Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O. herausgearbeitet worden ist. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ausnahmslos - also nicht nur im Regelfall - zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen müsse, ohne dass es der Ermittlung weiterer be- und entlastender Umstände des Einzelfalls bedürfe, hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt, auch nicht sinngemäß. Es hat vielmehr die Umstände des Einzelfalls gewürdigt und einen besonderen Dienstbezug der außerdienstlich begangenen Straftat darin gesehen, dass ein Lehrer, der wegen einer Straftat i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, im Hinblick auf seinen Erziehungsauftrag in der Regel sein Ansehen als Erzieher und Vorbild endgültig verliere. Hiervon ausgehend hat es geprüft, ob entlastende Umstände von solchem Gewicht vorliegen, dass die prognostische Gesamtwürdigung gleichwohl den Schluss rechtfertige, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht endgültig zerstört. Dies hat das Berufungsgericht letztlich verneint.
Demgegenüber greift die Beschwerde mit ihren Ausführungen die einzelfallbezogene Würdigung des Berufungsgerichts an, zeigt aber keinen entgegenstehenden Rechtssatz auf. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG (bzw. § 13 SH LDG) fehlerhaft gewichtet (Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
b) Die behauptete Divergenz ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beschwerde, das Berufungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, dass die Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen gewesen und nicht zu Lasten einer Schülerin erfolgt sei. Mit diesem Vorbringen wird kein Rechtssatzwiderspruch dargelegt, sondern allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung behauptet, die eine Abweichung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründet. Davon abgesehen stehen die entsprechenden Rechtssätze des Berufungsgerichts im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei der Frage, ob die Straftat unmittelbar dienstbezogen oder zu Lasten einer Schülerin erfolgt war, geht es nicht um einen Milderungsgrund, sondern um die Einordnung des Dienstvergehens als außerdienstliches oder dienstliches Fehlverhalten. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten stellt nur dann ein disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten dar, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 SH LBG a.F. (seit 1. April 2009 § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) erfüllt sind, d.h. es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beamten oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, Rn. 14 ff., m.w.N.).
Ein einmaliges außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten - selbst wenn es den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt- lässt nicht ohne besondere qualifizierende Umstände den Rückschluss auf mangelnde Gesetzestreue oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten zu. Ein solcher Schluss erscheint nur bei einer Mehrzahl entsprechender außerdienstlicher Gesetzesverstöße möglich, wenn das Fehlverhalten dadurch eine neue Qualität im Hinblick auf die Beurteilung der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit des Beamten erhält. Daneben kommt außerdienstlichem Fehlverhalten eine Indizwirkung für die Erfüllung der Dienstpflichten umso eher zu, je näher sein Bezug zu den dem Beamten übertragenen Dienst- und Obhutspflichten ist. So sind außerdienstliche Sexualdelikte gegen Kinder geeignet, Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit eines Lehrers zu ziehen (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <23 ff,> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 23, vgl. auch Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 22).
Vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, führen allerdings auch ohne Bezug auf das konkrete Amt in der Regel zu einer Ansehensschädigung wie die gesetzgeberische Wertung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG (bzw. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG, vormals § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. bzw. § 60 Satz 1 Nr. 1 SH LBG a.F.) zeigt. Um eine solche schwerwiegende Straftat handelt es sich bei einem vorsätzlich begangenen außerdienstlichen Sexualdelikt gegen ein Kind i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden ist. Eine solche Straftat ist - unabhängig vom konkreten Amt, das der Beamte innehat - geeignet, das Ansehen des Berufsbeamtentums derart schwerwiegend zu beeinträchtigen, dass als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann (zum Ganzen: Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 18 f. m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG a.F. gerichtskostenfrei.
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100067275
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BGH
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5. Strafsenat
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20100705
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5 StR 84/10
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Beschluss
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§ 23 Abs 2 StGB, § 49 Abs 1 StGB
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vorgehend LG Potsdam, 8. Oktober 2009, Az: 23 KLs 17/08, Urteil
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DEU
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Prüfung der Strafrahmenmilderung wegen Versuchs: Alleiniges Abstellen auf das deliktische Nachtatverhalten
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Oktober 2009, soweit es ihn betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug (Fall 2 der Urteilsgründe) sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (gemeinschaftlich) versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchtem (gemeinschaftlichem) Computerbetrug, wegen erpresserischen Menschenraubs und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der – auch mit einer Verfahrensrüge angegriffene – Schuldspruch hält aus den zutreffenden Erwägungen des Generalbundesanwalts ebenso wie die Bemessung der Einzelstrafen für die Fälle 1 und 3 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung stand. Jedoch begegnet die im Fall 2 der Urteilsgründe gebildete Einzelstrafe und damit auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht hat seiner Strafzumessung im Fall 2 der Urteilsgründe den Regelstrafrahmen der räuberischen Erpressung zugrunde gelegt (§§ 253, 255, 249 Abs. 1 StGB). Eine Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB hat es dem Angeklagten trotz angenommener Versuchsstrafbarkeit versagt, weil er es „bei dem misslungenen Versuch nicht beließ, sondern zum Tatopfer zurückkehrte, um mit diesem erneut zum Geldautomaten zu gehen“, und dadurch deutlich gezeigt habe, „dass er zu diesem Zeitpunkt nicht bereit war, von seinem ursprünglichen Tatplan Abstand zu nehmen“ (UA S. 31).
Diese Begründung lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Prüfung einer Strafrahmenmilderung wegen Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes zum Nachteil des Angeklagten allein sein Nachtatverhalten berücksichtigt hat. Das ist rechtsfehlerhaft. Bei der Frage, ob eine Strafrahmenmilderung wegen Versuchs vorzunehmen ist, ist im Wege der Gesamtschau aller strafzumessungserheblichen Gesichtspunkte im weitesten Sinne und der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden (vgl. BGHSt 16, 351, 353; Fischer, StGB 57. Aufl. § 23 Rdn. 4). Besonderes Gewicht kommt dabei den wesentlich versuchsbezogenen Umständen zu, weil sie wichtige Kriterien für die Bewertung des Handlungs- und Erfolgsunrechts des versuchten Delikts darstellen; hierzu gehören namentlich die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und die aufgewandte kriminelle Energie (vgl. BGHSt 35, 347, 355; 36, 1, 18; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4 und 9). Demgegenüber hat die Strafkammer hier die Milderung soweit erkennbar ausschließlich wegen des deliktischen Nachtatverhaltens des Angeklagten versagt, der nach dem erkannten Fehlschlag der versuchten räuberischen Erpressung andere Wege zur Verwirklichung des erstrebten Vermögensvorteils – hier im Wege des erpresserischen Menschenraubes – suchte. Die unerlässliche Würdigung der bestimmenden versuchsbezogenen Strafmilderungsgründe unterbleibt vollständig, so dass die verhängte Einzelfreiheitsstrafe schon deshalb keinen Bestand haben kann. Überdies hat die Strafkammer nicht erkennbar erwogen, dass auch bei dem sich anschließenden erpresserischen Menschenraub ein Taterfolg mangels Kontodeckung ausblieb.
2. Wegen der fehlerhaft bemessenen Einzelfreiheitsstrafe unterlag auch der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Höhe der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe den festgestellten besonders engen zeitlichen und situativen Tatzusammenhang nicht widerspiegelt. Dass die Strafkammer darüber hinaus den von ihr vorgenommenen Härteausgleich wegen einer vollstreckten gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung unbeziffert gelassen hat, ist hier mit Rücksicht auf die Höhe der ursprünglich einbeziehungsfähigen Geldstrafe aus Rechtsgründen für sich nicht zu beanstanden.
3. Angesichts des bloßen Wertungsfehlers lässt der Senat sämtliche Feststellungen bestehen; diese können allenfalls durch neue Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100067276
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BGH
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1. Strafsenat
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20100701
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1 StR 259/10
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Beschluss
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§ 244 Abs 2 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
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vorgehend LG Karlsruhe, 21. Januar 2010, Az: 2 KLs 640 Js 2249/09, Urteil
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DEU
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Revision in Strafsachen: Anforderungen an die Begründung der Aufklärungsrüge
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Der auf die verzögerte Bearbeitung des Antrags auf Einsicht in das Hauptverhandlungsprotokoll ebenso wie auf gesundheitliche Probleme des Verteidigers gestützte Antrag vom 11. Mai 2010 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision geht ins Leere; der Verteidiger hat mit am 15. April 2010 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz die Revision gegen das ihm am 16. März 2010 zugestellte Urteil (auch) mit der Sachrüge und damit form- und fristgerecht begründet.
2. Zugleich ist in dem Antrag vom 11. Mai 2010 eine Aufklärungsrüge erhoben. Das Vorbringen entspricht jedoch nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO:
a) Die Verteidigung hatte in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt, der bekunden sollte, dass zwischen dem Angeklagten und einem anderen Angeklagten keine „strafbaren Beziehungen“ bestanden. Die Strafkammer hatte diesen Antrag abgelehnt, weil aus näher dargelegten Gründen nur ein Beweisermittlungsantrag vorliege und die Aufklärungspflicht aus ebenfalls näher dargelegten Gründen die Vernehmung des Zeugen nicht gebiete. Die auf die unterbliebene Vernehmung dieses Zeugen gestützte Aufklärungsrüge ist im Wesentlichen wie folgt begründet:
Im Hinblick auf den nicht mitgeteilten und auch den Urteilsgründen nicht detailliert zu entnehmenden Inhalt von „Telefongesprächen“ - insoweit werden von der Revision nicht einmal die jeweiligen Gesprächspartner der nur durch die Angabe von Aktenseiten und anderer formaler Kriterien gekennzeichneten Gespräche genannt - „Textmeldungen und Vermerken“ sei „möglicherweise nicht gänzlich ausschließbar“, dass der Zeuge - von der Revision nicht konkret benannte - „Ausführungen machen oder Indizien benennen“ könne, die Schlüsse auf das Fehlen der strafbaren Beziehungen ermöglichten.
b) Damit ist das zu erwartende Beweisergebnis weder konkret bezeichnet (vgl. demgegenüber BGH bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 4; Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 51 jew. m.w.N.), noch bestimmt behauptet (vgl. demgegenüber BGH NStZ 2004, 112; Bachler in Graf StPO § 244 Rdn. 115 m.w.N.). Das Aufzeigen der bloßen - hier sogar nach eigenem Vortrag lediglich nicht gänzlich ausschließbaren - Möglichkeit, es könnten sich irgendwelche Indizien hinsichtlich der genannten ohnehin sehr abstrakt formulierten und weit gefassten Behauptung ergeben, reicht nicht aus. Schließlich erscheint die Annahme, ein Zeuge könne in umfassender Weise Angaben zu den Beziehungen zwischen zwei anderen Personen machen („keine strafbaren Beziehungen“), sehr fern liegend; daher wäre besonders eingehend darzulegen gewesen, welche Umstände zur Aufklärung drängten (vgl. BGH NStZ 2007, 165). Der bloße Hinweis auf Urkunden, deren konkreten Inhalt der Senat auf Grund der Revisionsrechtfertigung nicht erkennen kann, wird dem nicht gerecht (vgl. zusammenfassend Kuckein aaO Rdn. 39 m.w.N.). Auch die wegen der zugleich erhobenen Sachrüge ergänzend heranzuziehenden Urteilsgründe (vgl. BGH bei Sander/Cirener aaO, 3 m.w.N.) ergeben keine Anhaltspunkte für das behauptete (bzw. für möglich gehaltene) Wissen des Zeugen.
c) Ist aber eine Verfahrensrüge auch dann, wenn sie rechtzeitig angebracht worden wäre, inhaltlich nicht zulässig erhoben, so kann offen bleiben, ob ein für sich genommen ins Leere gehender Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist in einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung dieser Verfahrensrüge umgedeutet werden kann und ob die Gründe der Fristversäumung für sich genommen eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten (in vergleichbarem Sinne BGH StV 2007, 514; BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06 <Rdn. 10>).
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JURE100067279
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BGH
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Senat für Anwaltssachen
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20100208
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AnwZ (B) 9/09
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Beschluss
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§ 14 Abs 2 Nr 8 BRAO, § 42 Abs 1 Nr 2 BRAO vom 02.09.1994, § 215 Abs 3 BRAO
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vorgehend Anwaltsgerichtshof Koblenz, 21. November 2008, Az: 1 AGH 3/08, Beschluss
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DEU
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Widerruf der Rechtsanwaltszulassung: Vereinbarkeit einer Tätigkeit u.a. als Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft mit dem Anwaltsberuf; Wegfall des Widerrufsgrundes im Laufe des berufsgerichtlichen Verfahrens
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Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 21. November 2008 und der Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 2. Januar 2008 aufgehoben.
Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
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I.
Der Antragsteller ist seit dem 27. Juni 2000 als Rechtsanwalt zugelassen. Im Jahre 2004 wurde er zum Geschäftsführer der Maler- und Lackiererinnung M. B. bestellt. Am 24. Januar 2005 nahm er eine Tätigkeit als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft M. B. auf. Auf diese Kreishandwerkerschaft haben die Bildhauer- und Steinmetzinnung R., die Buchbinderinnung R., die Dachdeckerinnung M., die Glaserinnung A. B. W., die Installateur- und Heizungsbauerinnungen B. I. und M., die Deutsche Kraftfahrzeuggewerbe Innung M. B. A., die Innung des Metallhandwerks M., die Raumausstatter- und Sattlerinnung M., die Zimmermeister-Innung M., die Baugewerksinnung B., die Dachdeckerinnung B. und A., die Karosserie- und Fahrzeugbauer-Innung R., die Metallbauer-Innung B. und die Musikinstrumentenmacher-Innung R. ihre Geschäfte übertragen, dementsprechend hat der Antragsteller auch für diese Innungen die Geschäftsführung wahrgenommen.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2008 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Als Geschäftsführer unter anderem der Maler- und Lackiererinnung M. B. und der Kreishandwerkerschaft M. B. werde er hoheitlich tätig mit der Folge, dass ihm die für die Ausübung des Anwaltsberufs notwendige Unbefangenheit und Unabhängigkeit fehle.
Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat der Vorstand der Kreishandwerkerschaft den Antragsteller mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 von seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer entbunden. Seinen bisherigen Dienstleistungs- und Beratungsvertrag mit der Kreishandwerkerschaft hat der Antragsteller gelöst. Stattdessen hat er als Geschäftsführer der Firma Bü. UG mit Wirkung ab 1. Januar 2010 einen Dienstleistungsvertrag zwischen dieser Gesellschaft und der Kreishandwerkerschaft abgeschlossen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 BRAO a.F. i.V.m. § 215 Abs. 3 BRAO zulässig und hat Erfolg. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind jedenfalls, was zu berücksichtigen ist (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150), im Laufe des gerichtlichen Verfahrens entfallen.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Regelung zielt - ebenso wie die entsprechende Regelung über die Versagung der Zulassung (§ 7 Nr. 8 BRAO) - unter anderem darauf ab, im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege das Erscheinungsbild einer von staatlichen Einflüssen freien Advokatur zu schützen, indem die beruflichen Sphären der Anwaltschaft und des öffentlichen Dienstes deutlich getrennt werden. Für die Betroffenen ist die damit verbundene Beschränkung ihrer Berufsfreiheit allerdings nur zumutbar, wenn der Unvereinbarkeitsgrundsatz nicht starr gehandhabt wird. Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung, die der Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gerecht wird. Eine Unvereinbarkeit kann nur angenommen werden, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass aus Sicht des rechtsuchenden Publikums die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt ist. Die Belange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken. Dies muss anhand der konkreten Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden und kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird (BVerfG, NJW 2009, 3710, 3711; BVerfGE 87, 287, 324; BGHZ 175, 316, 317 m.w.N.).
2. Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller, solange er noch Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft M. B. war, als Rechtsanwalt zugelassen sein konnte. Allerdings hat der Senat, ausgehend von den dargelegten Grundsätzen, eine Beschäftigung als Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft (Beschl. v. 13. September 1993 - AnwZ (B) 24/93, BRAK-Mitt. 1994, 42) und einer Handwerksinnung (Beschl. v. 29. November 1993 - AnwZ (B) 41/93, NJW-RR 1994, 954) als mit dem Anwaltsberuf unvereinbar angesehen. Es besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung grundsätzlich in Frage zu stellen. Ob die Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung gerechtfertigt hätten, bedarf hier keiner Entscheidung mehr.
3. Jedenfalls seit der Abberufung des Antragstellers als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft besteht ein Zulassungshindernis nicht mehr. Die Belange der Rechtspflege sind durch die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs durch den Antragsteller und die nach seiner Abberufung als Geschäftsführer verbleibende Tätigkeit für die Kreishandwerkerschaft nicht (mehr) gefährdet.
Zwar ist der Antragsteller aufgrund des Dienstleistungsvertrags zwischen der Kreishandwerkerschaft und der Bü., deren Geschäftsführer er ist, weiterhin im "administrativen" Bereich der Kreishandwerkerschaft sowie der Innungen tätig, die ihre Geschäftsführung auf diese übertragen haben. Nach dem Vertrag gehört hierzu insbesondere die fortlaufende Erledigung der Korrespondenz, die Haushaltsüberwachung sowie die redaktionelle Betreuung des Organs "Brennpunkt Handwerk" und des Internetauftritts. Diese Aufgaben betreffen aber nicht Bereiche, in denen die Kreishandwerkerschaft oder die ihr angeschlossenen Handwerksinnungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Die hoheitliche Tätigkeit der betreffenden Körperschaften beschränkt sich ohnehin im Wesentlichen auf die Regelung und Durchführung der Lehrlingsausbildung (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 HwO) und die Erstattung von Gutachten und Auskünften gegenüber Behörden (§ 54 Abs. 1 Nr. 8 HwO), während die Durchführung der Gesellenprüfung im Jahre 2008 auf die Handwerkskammer R. übertragen wurde. Der Antragsteller übt jedenfalls spätestens seit seiner Ablösung als Geschäftsführer keine hoheitliche Tätigkeit mehr aus. Ihm steht auch keine Aufsichts- und Weisungsbefugnis gegenüber hoheitlich tätigem Personal zu. Die Gefahr, dass beim rechtsuchenden Publikum der Eindruck einer die anwaltliche Unabhängigkeit beeinträchtigenden "Staatsnähe" entsteht, ist schon aus diesem Grunde weitgehend ausgeschlossen.
Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller nach außen nicht mehr als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft auftritt und daher nicht mehr als deren offizieller Repräsentant wahrgenommen wird. Seine Beteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich nach dem Dienstleistungsvertrag auf die redaktionelle Betreuung der Mitgliederzeitschrift und des Internetauftritts. Darüber hinaus erledigt er in Vertretung der Bü. die fortlaufende Korrespondenz. Dadurch unterscheidet sich der Fall maßgeblich von dem der Senatsentscheidung vom 25. Mai 2003 (AnwZ (B) 50/02, BGH-Report 2003, 1379) zugrunde liegenden Sachverhalt. Dort hatte der Rechtsanwalt, der zudem das Amt des Geschäftsführers wahrnahm, ausdrücklich die Aufgabe, die öffentlich-rechtliche Berufsvertretung nach außen zu repräsentieren, ihre berufspolitischen Interessen zu vertreten, insbesondere Kontakte zu Behörden, Verbänden und der Bundesvertretung zu pflegen und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Stärkung des Bekanntheitsgrades und des Ansehens der Vertretung zu ergreifen. Dass dem Antragsteller vergleichbare Aufgaben zukommen, lässt sich dem Dienstleistungsvertrag nicht entnehmen; dafür bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte. Der bloße Umstand, dass er in derselben Büroeinheit untergebracht ist wie die Kreishandwerkerschaft, lässt ebenfalls nicht befürchten, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Advokatur von staatlichen Einflüssen Schaden nimmt.
Nach dem Dienstleistungsvertrag soll der Antragsteller ferner die Beratung der Mitgliedsbetriebe und der Innungen in ihren betrieblichen Angelegenheiten, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts übernehmen, einschließlich der Führung der vor- und außergerichtlichen Korrespondenz und der Vertretung der Mitgliedsbetriebe vor den Arbeitsgerichten. Belange der Rechtspflege sind dadurch nicht in einem Maße gefährdet, dass ein Widerruf der Zulassung geboten wäre. Die regelmäßige Vertretung der Mitgliedsbetriebe bringt den Antragsteller in keine größere Abhängigkeit von diesen und der Kreishandwerkerschaft, als sie sonst zwischen Rechtsanwälten und deren Mandantenstamm besteht. Die Gefahr, dass sich die Mitgliedsbetriebe nicht nur wegen seiner fachlichen Kompetenz an den Antragsteller wenden, sondern damit die Hoffnung verbinden, er könne wegen seines Dienstleistungsverhältnisses mit der Kreishandwerkerschaft mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken, liegt unter den hier gegebenen Umständen fern. Sollten in Einzelfällen Interessenkonflikte zwischen der Tätigkeit für die Kreishandwerkerschaft und dem Mandatsverhältnis zu den Mitgliedsbetrieben auftreten, greifen die Berufsausübungsregeln der §§ 45, 46 BRAO ein. Eine generelle Versagung des Zugangs zum Beruf des Rechtsanwalts ist hingegen unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) nicht gerechtfertigt.
4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 2 BRAO a.F. i.V.m. § 13a FGG a.F.
Tolksdorf Ernemann Roggenbuck
Wüllrich Braeuer
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100067285
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BGH
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5. Strafsenat
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20100706
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5 StR 142/10
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Beschluss
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§ 55 Abs 2 StGB
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vorgehend LG Braunschweig, 29. Juli 2009, Az: 1 Ks 1/09, Urteil
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DEU
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Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe: Aufrechterhaltung der früheren Anordnung der Sicherungsverwahrung trotz Vollverbüßung der Strafen aus der Vorverurteilung
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. Juli 2009 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfällt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier im Januar und Februar 1981 begangener Mordtaten zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Im Wege des Härteausgleichs und wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat es angeordnet, dass elf Jahre Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten und auf die Mindestverbüßungsdauer nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB anzurechnen sind. Außerdem hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die (erneute) Anordnung der Sicherungsverwahrung kann in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen Bestand haben.
Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. April 1987 war gegen den Angeklagten bereits die Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Im Hinblick darauf, dass die ihm vorgeworfenen Mordtaten im Jahr 1981 und damit vor dem genannten Urteil begangen worden waren, war eine Gesamtstrafenlage gegeben. Bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe bestimmt aber § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB, dass in der neuen Entscheidung die frühere Anordnung der Maßregel aufrecht zu erhalten, nicht also erneut (doppelt) anzuordnen ist (BGHSt 30, 305; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 4 und 10).
Allerdings unterliegen die abzuurteilenden Taten hier nicht der Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus der Vorverurteilung, durch die auch die Maßregel angeordnet worden ist. Denn die hieraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe ist vollständig vollstreckt. Indessen gilt der Gedanke des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB für sämtliche Konstellationen, in denen die frühere Tat bei der bereits getroffenen Anordnungsentscheidung hätte mitberücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 64 Anordnung 4; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 58). Für eine nochmalige Anordnung der Sicherungsverwahrung ist daher kein Raum.
Die im Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. April 1987 angeordnete Sicherungsverwahrung gilt – vorbehaltlich etwaiger Auswirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) – unverändert fort, ohne dass es der vom Generalbundesanwalt ergänzend beantragten entsprechenden ausdrücklichen Klarstellung bedürfte. Sicherheitslücken bestehen angesichts der nunmehr verhängten lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe ohnehin schon deshalb nicht, weil im Falle fortdauernder Gefährlichkeit des Angeklagten eine Außervollzugsetzung der Strafe nicht in Betracht kommen wird.
Basdorf Schaal Raum
König Bellay
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067286
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BGH
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5. Strafsenat
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20100520
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5 StR 138/10
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Beschluss
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§ 264 Abs 1 Nr 1 StGB, § 264 Abs 4 StGB, § 264 Abs 8 StGB
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vorgehend LG Chemnitz, 24. November 2009, Az: 4 KLs 370 Js 13931/05, Urteil
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DEU
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Subventionsbetrug: Leichtfertiges Handeln des primär für den Subventionsantrag nicht zuständigen Mitgeschäftsführers
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Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 24. November 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat die Angeklagten wegen leichtfertigen Subventionsbetruges in zwei Fällen verurteilt. Gegen den Angeklagten W. hat es eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen, gegen den Angeklagten K. eine solche von 75 Tagessätzen verhängt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der d. GmbH sowie der F. GmbH. Beide Gesellschaften waren im Bereich Drucktechnik tätig. Durch das Elbe-Hochwasser im Jahre 2002 sind bei beiden Unternehmen, die in Langenstriegis und in Dresden ansässig sind, Schäden entstanden. Hierfür beantragten die Angeklagten Zuwendungen aus dem Sonderprogramm „Hochwasser“, die ihnen für beide Unternehmen auch gewährt wurden. In dem Subventionsverfahren bezüglich der F. gaben die Angeklagten an, dass die Rollenoffsetdruckmaschine WEB 52, die tatsächlich im Eigentum der d. stand, der F. gehöre. Weiterhin teilten sie in Bezug auf die d. der Subventionsbehörde nicht mit, dass sie einen Gabelstapler nicht (wie ursprünglich in ihrem Auftrag vorgesehen) ersetzt, sondern repariert hatten, wodurch sich die angesetzten Kosten von ursprünglich 30.000 € auf 9.000 € verringerten. Eine diesbezügliche Mitteilung erfolgte allerdings im Subventionsverfahren bezüglich der F.
Das Landgericht hat beide Handlungen jeweils als leichtfertigen Subventionsbetrug gewertet. Die Eigentümerstellung sei ebenso eine subventionserhebliche Tatsache im Sinne des § 264 Abs. 8 StGB wie die spätere Reparatur des Gabelstaplers, die nicht im Subventionsverfahren bezüglich der d. nachträglich gemeldet worden sei.
II.
Diese Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der objektive Tatbestand des § 264 StGB auch dann erfüllt ist, wenn der Subventionsempfänger die subventionserheblichen Tatsachen dem Subventionsgeber zwar mitteilt, jedoch unter Bezugnahme auf ein anderes Subventionsverfahren. Dies ist jedenfalls in den Fällen zweifelhaft, in denen davon ausgegangen werden kann, dass der Subventionsgeber die Mitteilung ohne weiteres zuzuordnen vermag.
Gleichfalls keiner Entscheidung bedarf es hier, ob bei der gegebenen Sachlage die Eigentumsverhältnisse an der Rollenoffsetdruckmaschine WEB 52 subventionserheblich im Sinne des § 264 Abs. 8 StGB waren, zumal – zumindest soweit es sich aus den Feststellungen ergibt – beide Gesellschaften über dieselbe Gesellschafterstruktur verfügten und der Gegenstand auch von der F. genutzt wurde. Angesichts dessen kann für die Subventionserheblichkeit von Bedeutung sein, ob die falsche Zuordnung möglicherweise in einem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Verhältnissen der beiden Gesellschaften stehen könnte. Dies wäre der Fall, falls ein erkennbares Interesse an der hierdurch im Ergebnis bewirkten Vermögensverschiebung vorliegen könnte.
2. Das Landgericht hat jedenfalls die Leichtfertigkeit im Sinne des § 264 Abs. 4 StGB nicht ausreichend dargetan. Leichtfertigkeit ist enger als die bloße Fahrlässigkeit und von der Rechtsprechung bislang als vorsatznahe Schuldform verstanden worden, die eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraussetzt (BGHSt 43, 158, 167 m.w.N.). Worin hier das Landgericht dieses erhöhte Maß an Fahrlässigkeit sieht, wird aus den Urteilsgründen nicht deutlich und versteht sich auch im Blick auf den vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt nicht von selbst.
Ein erhöhtes Maß der Fahrlässigkeit ist den bislang getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen. Dies gilt im besonderen Maße im Hinblick auf den Angeklagten K. Dieser war nach den Urteilsgründen für die Außenbeziehungen, insbesondere für die Kundenbeziehungen zuständig. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war er als der nach der internen Aufgabenverteilung jedenfalls nicht primär Zuständige nicht verpflichtet, die Anträge seines Mitgeschäftsführers und Mitgesellschafters, des Angeklagten W., inhaltlich zu überprüfen. Er konnte grundsätzlich auf dessen Handeln vertrauen. Dies gilt jedenfalls solange, als sich für den ressortmäßig nicht zuständigen Organwalter keine Anhaltspunkte für Zweifel oder Unstimmigkeiten ergeben (vgl. BGHSt 46, 30, 35; Raum in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. S. 205 ff.). Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sein könnten, ist gleichfalls nicht erkennbar.
III.
Dieser Fehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Von einer Aufrechterhaltung von Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sieht der Senat ab, weil insoweit Wechselbeziehungen zur inneren Tatseite denkbar sind. Da nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass sich noch Feststellungen treffen lassen, die eine Verurteilung der Angeklagten rechtfertigen könnten, hat der Senat nicht selbst auf einen Freispruch der Angeklagten durcherkannt. Es bietet sich jedoch im vorliegenden Fall an, nach §§ 153, 153a StPO zu verfahren.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067287
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BGH
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5. Strafsenat
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20100705
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5 StR 156/10
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Beschluss
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§ 261 StPO, § 29 BtMG, § 29a BtMG, § 25 Abs 2 StGB
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vorgehend LG Berlin, 16. Dezember 2009, Az: (534) 69 Js 67/09 KLs (33/09), Urteil
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DEU
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Bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Beweiswürdigung und Urteilsfeststellungen bei Überführung des Täters durch die am Rauschgifthandel Mitbeteiligten
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1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Dezember 2009, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten D. und J. gegen das genannte Urteil werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
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Das Landgericht hat die Angeklagten D. und C. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren verurteilt. Die Angeklagte J. hat es wegen Beihilfe zu dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten D. und das auf das Strafmaß beschränkte Rechtsmittel der Angeklagten J. bleiben ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Revision des Beschwerdeführers C. führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO). Auf die von ihm erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten D. und C. kamen im Dezember 2008 dahin überein, in der zusammen mit der Angeklagten J. bewohnten Wohnung Metamfetaminhydrochlorid herzustellen, um dieses „zu sogenanntem 'Crystal' gestreckt gewinnbringend zu veräußern“ (UA S. 7). Bis zu ihrer Festnahme im August 2009 verschafften sich D. und C. zu diesem Zweck bei Apotheken etwa wöchentlich 5.500 Tabletten eines apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtigen Antiallergikums. Die Angeklagte J. begleitete sie regelmäßig und half beim anschließenden Herauslösen der Tabletten aus den Packungen in der Wohnung. Am weiteren Herstellungsprozess des „Crystal“ in der Küche der Wohnung, deren Tür D. und C. „sodann regelmäßig abschlossen“, war sie nicht beteiligt (UA S. 8). D. und C. stellten wöchentlich mindestens 275 g Metamfetaminbase zum gewinnbringenden Weiterverkauf als „Crystal“ her.
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet zum Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten C. durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
a) C. hat seine Beteiligung an der Herstellung von Rauschmitteln in einer in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Erklärung zugestanden, dies allerdings in wesentlich geringerem Umfang als festgestellt. Insgesamt habe er lediglich an der Herstellung von ungefähr 1.000 g Metamfetamin bzw. einer entsprechenden Menge Ephedrinbase mitgewirkt. Mit dem Verkauf von „Crystal“ habe er nichts zu tun gehabt. Für seine Tätigkeit, die er „unter Anweisung und Anleitung“ geleistet habe, sei er nur in geringem Umfang entlohnt worden.
b) Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der darüber hinausgehenden Beteiligung C.'s wesentlich auf die Angaben der Angeklagten J. sowie stützend auf ein Geständnis des Angeklagten D., der die Anklagevorwürfe am dritten Tag der Hauptverhandlung pauschal eingeräumt hat. Die Angaben der Angeklagten J. bewertet es als „detailliert“ und „glaubhaft“ (UA S. 17). Insbesondere habe sie sich und vor allem ihren Lebensgefährten D. schwer belastet (UA S. 17). Zwar habe sie in den beiden ersten polizeilichen Vernehmungen „zunächst in erster Linie den Mitangeklagten C.“ und erst im Rahmen ihrer dritten polizeilichen Vernehmung auch ihren Lebensgefährten D. erheblich belastet (UA S. 17). Der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben stehe dieses veränderte Aussageverhalten jedoch nicht entgegen. Sie habe in der Hauptverhandlung erklärt, dass sie zunächst ängstlich gewesen sei und ihren Lebensgefährten sowie sich selbst habe schützen wollen, sich dann jedoch entschieden habe, einen „Strich zu machen“, alles richtig zu stellen und auch bezüglich ihres Lebensgefährten alles offen zu legen.
c) Diese Ausführungen greifen zu kurz und ermöglichen – auch eingedenk der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BGHSt 47, 383, 385) – nicht die gebotene revisionsgerichtliche Überprüfung. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass sich das Tatgericht der hier vorliegenden besonders problematischen Beweislage nicht hinreichend bewusst gewesen ist.
aa) In einem Fall, in dem ein Angeklagter – wie hier – zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben anderer Tatbeteiligter überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle entscheidungsrelevanten Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 19; BGH NStZ-RR 1996, 300). Das gilt in besonderem Maße, wenn widersprüchliche Angaben von Tatbeteiligten zu würdigen sind, die in ein Geflecht illegalen Rauschgifthandels verwickelt sind und naheliegend eigene Vorteile durch vermeintlich geständige Angaben zu erlangen oder fremde Beschuldigungen abzuwehren suchen; unter solchen Vorzeichen ist es erforderlich, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der belastenden Angaben sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 19; BGH, Beschluss vom 4. August 2004 – 5 StR 267/04; Brause, NStZ 2007, 505, 510).
bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht in vollem Umfang gerecht. Die Einlassung und die Entwicklung des Aussageverhaltens der Angeklagten J. gerade betreffend den Tatbeitrag des C. werden nicht im Zusammenhang, sondern bruchstückhaft und detailarm wiedergegeben. Im Rahmen der Beweiswürdigung wäre darüber hinaus maßgebend zu berücksichtigen gewesen, dass die Angeklagte eigenen Angaben zufolge den C. bei den beiden ersten Vernehmungen zunächst insoweit falsch belastet hat, als sie ihm „die Hauptverantwortung für die Herstellung des Metamfetamin“ zugesprochen hat, weil sie nicht nur ihren Lebensgefährten, sondern auch „sich selbst“ hat „schützen wollen“ (UA S. 17).
Es liegt auf der Hand, dass das Motiv der Angeklagten, den Tatbeitrag des C. überzubetonen, hingegen den eigenen Beitrag in einem sehr milden Licht erscheinen zu lassen, unverändert Gültigkeit hatte. Dies gilt ungeachtet der späteren Belastung auch ihres Lebensgefährten, die überdies durch erhoffte weitere Vorteile bei der Strafzumessung aufgrund einer umfassenderen Offenbarung des Tatgeschehens bedingt sein kann. Da sich dem angefochtenen Urteil außerhalb der Einlassung der Angeklagten J. liegende Beweismittel spezifisch zu dem von ihr bekundeten Umfang der Tatbeteiligung C.'s nicht entnehmen lassen, hätte sich das Landgericht mit diesen bestimmenden Umständen im Einzelnen auseinandersetzen müssen.
3. Der Senat hat das Urteil deshalb mit den den Angeklagten C. betreffenden Feststellungen aufgehoben. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird hierdurch nicht berührt. C. hat die Herstellung der Betäubungsmittel nach seiner Einlassung von Anfang an unterstützt. Selbst wenn das neu entscheidende Tatgericht – was eher fernliegt – diesen Angeklagten lediglich als Gehilfen aburteilen sollte, wäre hierdurch das Gegebensein einer Bande im Rechtssinn nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 2 Bande 7; BGH NStZ 2007, 33; 2008, 570, 571).
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BGH
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5. Strafsenat
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20100706
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5 StR 194/10
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Beschluss
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§ 261 StPO, § 46 Abs 3 StGB, § 177 StGB
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vorgehend LG Göttingen, 9. Dezember 2009, Az: 1 KLs 12/09, Urteil
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DEU
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Strafverfahren: Beweiswürdigung bei Aussage gegen Aussage; erforderliche kriminelle Energie für Strafschärfung bei Vergewaltigung
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 9. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie wird den besonderen Anforderungen nicht gerecht, die in der gegebenen Konstellation „Aussage gegen Aussage“ zu stellen sind (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; 256, 257) und die es gebieten, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegung einzubeziehen und eine umfassende Gesamtwürdigung aller Indizien vorzunehmen hat (vgl. BGH StV 2009, 176, 177 m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09 – und vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10). Namentlich gilt Folgendes:
a) Nach den die Feststellungen tragenden Bekundungen der Nebenklägerin wurde das ohnehin eher ungewöhnliche Vergewaltigungsgeschehen noch weiter dadurch verkompliziert, dass der Mischlingshund der Ehefrau des Angeklagten, die zugleich Lebensgefährtin der Nebenklägerin war, nach dem Angeklagten schnappte, von diesem jedoch „weggetreten“ wurde. Dies geschah, während der zur Tatzeit knapp 56 Jahre alte, wegen Rückenbeschwerden berentete und erheblich alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration: maximal 1,77 ‰) den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin vollzog, wobei er diese zugleich auf die Tischplatte niederdrückte und sich ihrer Tritte zu erwehren hatte (UA S. 7). Unter solchen Vorzeichen hätte sich das Urteil nicht auf eine eher bruchstückhafte Darstellung beschränken dürfen. Vielmehr waren eine Mitteilung der näheren Einzelheiten (u. a. Größe und Alter des Hundes; Art, Dauer und Begleitumstände der „Bissattacken“) und deren Würdigung im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen unerlässlich.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass die Nebenklägerin – was ihm aus einer zulässigen Verfahrensrüge bekannt ist – das markante Detail der „Hundeattacke“ erst in der Hauptverhandlung, nicht aber in den vorausgegangenen beiden polizeilichen Vernehmungen mitgeteilt hat. Im Rahmen der durch die Strafkammer vorgenommenen Konstanzanalyse hätte sich das Urteil mit diesem das Kerngeschehen betreffenden Umstand auseinandersetzen müssen.
b) Als ein wesentliches Indiz für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin werten es die Urteilsgründe, dass sich die Stimmung der Nebenklägerin am Tatmorgen wesentlich geändert hatte (bedrückt, schweigsam, appetitlos). „Ein einverständlicher Geschlechtsverkehr“ lasse „sich mit einem derartigen Verhalten nicht erklären“ (UA S. 22). Hiergegen bestehen durchgreifende Bedenken. Denn Grund für das veränderte Verhalten konnten die Reue über einen – möglicherweise aufgrund einer Alkohollaune – mit dem Ehemann ihrer Lebensgefährtin durchgeführten Geschlechtsverkehr und die Ungewissheit darüber sein, ob der Angeklagte das Vorgefallene seiner Ehefrau offenbaren werde.
c) Entsprechendes gilt für den von der Strafkammer als Indiz für die Richtigkeit des Vorwurfs herangezogenen Umstand, dass die Nebenklägerin nach den Vorfällen vermehrt dem Alkohol zugesprochen hat. Denn dieses Verhalten kann seine Erklärung in den nunmehr häufigen Streitigkeiten mit ihrer Lebensgefährtin finden, die letztlich zur Trennung führten.
d) Schließlich weist die Revision mit Recht darauf hin, dass die gebotene Gesamtwürdigung der den Fall prägenden zahlreichen Auffälligkeiten im angefochtenen Urteil zu kurz kommt.
2. Auf die durch den Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen kommt es damit nicht mehr an. Insbesondere kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO wegen Befangenheit des Vorsitzenden aufgrund einer nach dessen Auffassung „launigen“ Äußerung zur Wahrscheinlichkeit einer Beweistatsache, die durch den Inhalt der dienstlichen Stellungnahme in ihrer nachvollziehbar negativ empfundenen Wirkung auf den Angeklagten eher noch verstärkt als entkräftet worden ist, im Ergebnis durchgedrungen wäre.
3. Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:
Auch im Rahmen der Strafzumessung angestellte Erwägungen des angefochtenen Urteils erscheinen bedenklich. So ist „ein gewisses Maß an krimineller Energie“ bzw. „eine nicht völlig unbedeutende kriminelle Energie“ (UA S. 39) notwendig mit dem Verbrechen der Vergewaltigung verbunden und kann deswegen nicht zur Strafschärfung führen. Dass die Tat im Hinblick auf die Anwesenheit des Zeugen S. mit einem hohen Entdeckungsrisiko verbunden war, spricht zudem mehr für ein Handeln des unbestraften Angeklagten in alkoholbedingter Enthemmung als für ein erhöhtes Maß an krimineller Energie unter dem Aspekt besonderer Bedenkenlosigkeit.
Basdorf Raum Schaal
König Bellay
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067337
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BGH
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5. Strafsenat
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20100602
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5 StR 42/10
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Beschluss
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§ 29 BtMG, § 29a BtMG, § 31 Nr 1 BtMG, § 25 Abs 2 StGB, § 27 StGB
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vorgehend LG Itzehoe, 17. November 2009, Az: 1 KLs 10/09, Urteil
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DEU
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Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Täterschaft des Zwischenhändlers und des Vermittlers; Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 17. November 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, unbeschränkt geführte Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet wird, hat den aus der Beschlussformel ersicht-lichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 1 bis 9, 11 der Urteilsgründe) hält rechtlicher Prüfung stand.
a) Nach den Urteilsfeststellungen erwarb der Angeklagte im Zeitraum zwischen September 2007 und 22. Juli 2008 (Fälle II. 1 bis 9 der Urteilsgründe) von B. monatlich zwischen 100 Gramm und einem Kilogramm Marihuana, um dieses mit einem Gewinn von 35 € pro 100 Gramm an seinen Abnehmer P. weiterzuverkaufen, wobei er das Rauschgift entweder auf Kommissionsbasis bezog oder den Geldbetrag von seinem Abnehmer im Voraus erhielt. Nach Erhalt der Betäubungsmittel übergab der Angeklagte diese jeweils sogleich an P. Mitte August 2008 (Fall II. 11 der Urteilsgründe) stellte der Angeklagte einen direkten Kontakt zwischen B. und P. bei einem Treffen in seiner Wohnung her, in dessen Verlauf B. dem P. ein Kilogramm Marihuana für 4.600 € verkaufte und das Rauschgift diesem aushändigte. Der Angeklagte zählte das von P. überreichte Geld und übergab es B. Von diesem erhielt er sodann für die Vermittlung des Abnehmers und des Geschäfts 350 €.
b) Die auf der Grundlage dieser Feststellungen vorgenommene Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei diesen Taten jeweils als Täter des unerlaubten Handeltreibens mit Marihuana anzusehen, begegnet keinen Bedenken. Entgegen der Auffassung der Revision hat sich die Rolle des Angeklagten nicht lediglich in einer Botenfunktion erschöpft, die als Beihilfehandlung zum Handeltreiben mit Betäubungsmittel zu bewerten sei. Zwar darf die Weite des Begriffs des Handeltreibens nicht dazu verleiten, eine mit den Grundsätzen der §§ 25 ff. StGB nicht mehr zu vereinbarende Einheitstäterschaft einzuführen, indem jede möglicherweise unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und auf das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts mit täterschaftlichem Handeltreiben gleichgesetzt wird (vgl. BGHSt – GS – 51, 219, 221 m.w.N.). Die Tätigkeiten des Angeklagten beschränkten sich jedoch nicht auf eine lediglich untergeordnete Beteiligung am Gelingen der Umsatzgeschäfte. In den Fällen II. 1 bis 9 der Urteilsgründe betätigte sich der Angeklagte als eigenständig vorgehender Zwischenhändler, dessen Tatbeiträge und Interesse an der Durchführung der Umsatzgeschäfte auf der Hand liegen. Auch im Fall II. 11 der Urteilsgründe hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ein täterschaftliches Handeln des Angeklagten im Hinblick auf die Organisation des Zusammentreffens zwischen dem Lieferanten und dem Abnehmer, die Vermittlung und Durchführung des Umsatzgeschäfts sowie seinen – in der Höhe gleich gebliebenen – finanziellen Vorteil angenommen.
2. Der Rechtsfolgenausspruch kann indes keinen Bestand haben, weil die Strafkammer – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 Nr. 1 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB verneint hat.
Die Strafkammer hat die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG mit der Begründung abgelehnt, dass die Aufklärungshilfe des Angeklagten nicht als „so erheblich“ anzusehen sei, obwohl er über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus die Namen seines Lieferanten und seines Abnehmers, gegen die deshalb Ermittlungsverfahren eingeleitet worden seien, offenbart habe. Das Gewicht dieses Aufklärungsbeitrags sei anders zu sehen als in den Fällen, „in denen Namen von bis dahin unbekannten Lieferanten oder Hintermännern bei organisierten Betäubungsmittelhandel preisgegeben“ würden. Denn der Verkauf von jeweils einem Kilogramm Marihuana sei bereits Bestandteil der angeklagten Taten des Angeklagten gewesen, so dass der darüber hinaus gehende Aufklärungsbeitrag durch die Preisgabe der Identität des Käufers und des Lieferanten sich als vergleichsweise weniger erheblich darstelle (UA S. 13 f.).
Die Wertung des Landgerichts, die Aufklärungsbeiträge des Angeklagten seien geringwertig und deshalb lediglich bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu berücksichtigen, zeigt – wie auch der Generalbundesanwalt darlegt – einen Ermessensfehler auf. Das Landgericht hat sich nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe von einem Aufklärungserfolg sowohl hinsichtlich des Lieferanten als auch hinsichtlich des Abnehmers des Angeklagten zu überzeugen vermocht. Aus den Urteilsfeststellungen erschließt sich nicht, weshalb dessen Aufklärungshilfe unwesentlich sein soll. Die von der Strafkammer angeführten Erwägungen ergeben jedenfalls keine Aufklärungsbeiträge des Angeklagten von lediglich untergeordneter Bedeutung. Die Entscheidung, von einer Strafrahmenverschiebung abzusehen, ist hier deshalb ermessensfehlerhaft.
3. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, dass die Wertung, der Angeklagte habe „aus eigenem Gewinnstreben heraus“ (UA S. 14) Handel getrieben, in einem Spannungsverhältnis zu § 46 Abs. 3 StGB stehen kann. Auch die Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB bedarf neuer tatrichterlicher Prüfung.
Brause Raum Schaal
König Bellay
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067339
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BGH
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5. Strafsenat
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20100617
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5 StR 206/10
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Beschluss
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§ 21 StGB, § 23 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 250 Abs 2 StGB, § 250 Abs 3 StGB
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vorgehend LG Berlin, 28. Januar 2010, Az: (515) 91 Js 2776/09 KLs (19/09), Urteil
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DEU
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Besonders schwerer Raub: Doppelte Milderung des Regelstrafrahmens oder Annahme eines minder schweren Falles
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Diese hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen versuchte der Angeklagte am 28. Dezember 2008 gegen 9.00 Uhr im Eingangsbereich eines U-Bahnhofs, den 70 Jahre alten Geschädigten unter Verwendung eines 50 cm langen Holzknüppels zur Herausgabe von Geld zu nötigen. Die etwa drei Stunden nach Tatbegehung durchgeführte Blutentnahme beim Angeklagten hat eine Blutalkoholkonzentration von 1,95 ‰ ergeben, weshalb die insoweit sachverständig beratene Strafkammer eine Blutalkoholkonzentration von 2,7 ‰ bei Tatbegehung festgestellt hat.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Jedoch hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand.
a) Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht nicht vom Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren) ausgegangen, sondern hat einen minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB (Strafrahmen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) bejaht, weil unter anderem der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) handelte und es lediglich beim Versuch (§ 23 StGB) geblieben ist. Dabei ist übersehen worden, dass eine doppelte Milderung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und §§ 23, 49 Abs. 1 StGB (sechs Monate bis acht Jahre und fünf Monate) für den Angeklagten günstiger gewesen wäre. Dies hätte hier der Erörterung bedurft.
b) Insbesondere ist zu beanstanden, dass das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war. Nach den Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf.
Danach konsumiert der jetzt 27 Jahre alte Angeklagte seit seinem 19. Lebensjahr immer wieder Alkohol. „Um die Tatzeit herum“ war der Angeklagte nicht ausschließbar „mindestens zweimal wöchentlich volltrunken, wobei es in Folge dessen auch immer wieder zu Filmrissen bei ihm“ kam. Eine Alkoholabhängigkeit hat die Strafkammer „mangels entsprechenden Suchtdrucks“ verneint. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht seiner Wertung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Ein Abhängigkeitssyndrom ist nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Hangs (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschlüsse vom 18. August 1998 – 5 StR 363/98 –, vom 18. Juli 2007 – 5 StR 279/07 – und vom 9. November 2009 – 5 StR 421/09). Dass eine solche Neigung – wie sie bei dem zugrunde gelegten Alkoholmissbrauch des Angeklagten nahe liegt – zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ausreichen kann, hat das Landgericht nicht ersichtlich bedacht. Auch ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB) oder andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen.
Brause Raum Schaal
König Bellay
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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JURE100067343
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100701
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IX ZR 40/07
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Beschluss
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§ 203 BGB, § 204 BGB, § 212 BGB, § 544 ZPO
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vorgehend OLG Frankfurt, 7. Februar 2007, Az: 19 U 59/06, Urteil vorgehend LG Gießen, 14. Februar 2006, Az: 2 O 520/05
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DEU
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Revisionszulassung zur Klärung der Pflichten eines Anwalts im Rahmen der verjährungshemmenden Verhandlungsführung
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2007 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 254.542,86 € festgesetzt.
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Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Beschwerde misst der Rechtssache Grundsatzbedeutung zu, weil klärungsbedürftig sei, ob ein Rechtsanwalt wegen der Unwägbarkeiten bei der Feststellung einer Verjährungshemmung gemäß § 203 BGB n.F. neben der Einleitung von Verhandlungen über den Anspruch oder die ihn begründenden Umstände noch andere Vorkehrungen treffen muss, um das Risiko der Anspruchsverjährung für den geschädigten Mandanten auszuschalten. Die Beschwerde vermag jedoch für ihren Standpunkt, dass dies geboten sei, weder eine Stimme des rechtswissenschaftlichen Schrifttums noch eine in ihrem Sinne ergangene instanzgerichtliche Entscheidung anzuführen. Die Rechtsfrage ist auch sonst nicht zweifelhaft. Damit sind die Merkmale der Grundsatzbedeutung (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschl. v. 8. Februar 2010 - II ZR 156/09, ZIP 2010, 1080 Rn. 3 m.w.N.) nicht erfüllt.
Würde man eine allgemeine haftungsrechtliche Pflicht des Rechtsanwalts zu anderen verjährungshemmenden Maßnahmen neben der Führung von Verhandlungen gemäß § 203 BGB n.F. aus Gründen des sicheren Verjährungsschutzes bejahen, so würden in vielen Fällen dazu nur Schritte der Rechtsverfolgung gemäß § 204 BGB übrig bleiben. Denn der Gläubiger und sein anwaltlicher Vertreter haben es nicht in der Hand, ob der Schuldner den Anspruch nach § 212 Abs. 1 BGB n.F. anerkennt oder auf die Erhebung der Verjährungseinrede befristet verzichtet. Ein Anerkenntnis hat der Haftpflichtversicherer der ersten Schadensersatzschuldnerin trotz erbrachter Teilzahlungen ausgeschlossen mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass jene Zahlungen ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht geleistet werden. Dass die erste Schuldnerin zum befristeten Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede bereit war, ist in den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt worden. Die von der Beschwerde angeführte Bereitschaft vieler Schuldner, eine solche Erklärung abzugeben, vermag revisionsrechtlich die fehlende Feststellung nicht zu ersetzen.
Die Notwendigkeit zur baldigen Rechtsverfolgung trotz Aufnahme von Verhandlungen zwecks Hemmung der Verjährung soll durch die Vorschrift des § 203 BGB n.F. im Interesse des Rechtsfriedens und einer Entlastung der dritten Gewalt gerade verhindert werden. Der Rechtsanwalt ist folglich im Regelfall nur verpflichtet, Unklarheiten innerhalb des Hemmungstatbestandes der Verhandlungsführung nicht entstehen zu lassen. Ob diese Pflicht hinreichend beachtet worden ist, lässt sich nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilen. Eine dementsprechende Zulassungsrüge hat die Beschwerde im Einklang mit dem Klagevorwurf der Tatsacheninstanzen demnach folgerichtig nicht geltend gemacht.
Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp
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BMJV
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JURE100067348
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100707
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IV ZR 63/08
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Beschluss
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Art 103 Abs 1 GG, § 2 Abs 3 BUZBB, § 544 Abs 7 ZPO, § 563 ZPO
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vorgehend OLG München, 26. Februar 2008, Az: 25 U 2960/04, Urteil vorgehend BGH, 20. Juni 2007, Az: IV ZR 3/05, Beschluss vorgehend OLG München, 30. November 2004, Az: 25 U 2960/04, Urteil vorgehend LG München I, 25. Februar 2004, Az: 25 O 16943/02, Urteil
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DEU
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Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht im Deckungsprozess gegen eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Überzogene Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin nach Zurückverweisung der Sache vom Revisionsgericht
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Februar 2008 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Streitwert: 125.902 €
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I. Die Klägerin nimmt die Beklagte mit der Behauptung, infolge eines Verkehrsunfalls vom 24. August 2000 in ihrem Beruf als Gastwirtin berufsunfähig geworden zu sein, auf Leistung aus zwei Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen in Anspruch. Die Klage ist zunächst in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Mit Beschluss vom 20. Juni 2007 (IV ZR 3/05 - VersR 2007, 1398) hat der Senat die Sache nach § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil es den Antrag der Klägerin auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin ohne weitere Beweisaufnahme erneut zurückgewiesen, weil die Klage unschlüssig sei. Die Klägerin habe die konkrete Ausgestaltung des von ihr zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles ausgeübten Berufs und die sich aus dieser Berufsausübung ergebenden Anforderungen nicht hinreichend substanziiert vorgetragen. Das Gegenteil ergebe sich nicht bindend aus folgendem Satz im Senatsbeschluss: "Damit sind die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit … hinreichend vorgetragen." Dieser beziehe sich ersichtlich nur auf die Systematik des § 2 Abs. 3 BB-BUZ.
II. Das Berufungsgericht hat erneut den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es von der beantragten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgesehen hat. Dieser Verstoß führt wiederum gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 20. Juni 2007 ausgeführt hat, hat die Klägerin durch die Vorlage des für einen anderen Versicherer erstellten Gutachtens der Orthopädin und Sozialmedizinerin Dr. N. vom 6. April 2001 und die Bezugnahme auf die darin getroffenen Feststellungen hinreichend zu den Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit vorgetragen. Diese Feststellung ist nicht dadurch eingeschränkt, dass das Landgericht nach den weiteren Darlegungen in diesem Beschluss seiner Beweiserhebung auch einen falschen Zeitpunkt für die Frage nach vorliegender Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt hatte. Der Senat hat dies zu 1. c) der Gründe erkennbar als einen zusätzlichen Mangel der landgerichtlichen Feststellungen neben dem Übersehen von § 2 Abs. 3 BB-BUZ angesehen.
An die rechtliche Beurteilung des Senats ist das Berufungsgericht gemäß § 563 Abs. 2 ZPO gebunden; es hätte schon deshalb das beantragte Sachverständigengutachten einholen müssen. Soweit der Senat abschließend unter Verweis auf das Senatsurteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 232/03 - VersR 2007, 631 Tz. 17 darauf hingewiesen hat, dass die erforderlichen Beweise "unter Beachtung der Rechtsprechung des Senats" zu erheben seien, ist damit nicht gesagt, dass zur Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen zunächst weiterer Vortrag der Klägerin erforderlich sei. Vielmehr hat der Senat damit nur verdeutlicht, auf welche Umstände sich die einzuholenden Feststellungen eines Sachverständigen zu beziehen haben.
Angesichts dieser nicht misszuverstehenden Vorgaben des Senats ist es willkürlich, wenn das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung von der Klägerin nach einem Zeitablauf von fast acht Jahren seit Beendigung der früheren Gastwirttätigkeit zur Darlegung der eingetretenen Berufsunfähigkeit weiteren Vortrag zur "durchschnittlichen Anzahl der gekochten Gerichte, dem Umfang der Einkäufe und der Aufteilung der Tätigkeiten auf die beiden Gaststätten unter Berücksichtigung des vorhandenen Personals" verlangt.
2. Die Sache war daher erneut zur Durchführung der gebotenen Beweisaufnahme an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
Wendt Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Lehmann
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Deutschland
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BMJV
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public
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JURE100067349
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100701
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IX ZB 66/09
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Beschluss
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§ 63 Abs 1 S 2 InsO, § 1 InsVV, §§ 1ff InsVV, § 15 UStG
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vorgehend LG Schwerin, 27. Februar 2009, Az: 5 T 280/07, Beschluss vorgehend AG Schwerin, 29. Mai 2007, Az: 582 IN 254/04, Beschluss
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DEU
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Insolvenzverwaltervergütung: Berücksichtigung der für die Vergütung zu zahlenden Umsatzsteuer bei der Bemessungsgrundlage
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Auf die Rechtsmittel des Insolvenzverwalters werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Schwerin vom 27. Februar 2009 insgesamt und der Beschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 29. Mai 2007 insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Insolvenzverwalters bei der Berechnung seiner Vergütung die zu erwartende Umsatzsteuererstattung aus der Verwaltervergütung in Höhe von 3.291,20 € von der Berechnungsgrundlage abgezogen worden ist.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.780,24 € festgesetzt.
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I.
Der Verwalter begehrte mit seinem Antrag auf Festsetzung seiner Vergütung, in die Berechnungsgrundlage die auf seine Vergütung zu entrichtende Umsatzsteuer erhöhend einzurechnen. Da der Schuldner vorsteuerabzugsberechtigt sei, könne er diesen Umsatzsteuerbetrag vom Finanzamt erstattet verlangen.
Das Amtsgericht hat die Vergütung des Insolvenzverwalters einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer auf insgesamt 18.833,07 € festgesetzt. Es hat den Umsatzsteuererstattungsanspruch der Masse bei der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters nicht berücksichtigt.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Insolvenzverwalter sein Anliegen weiter.
II.
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6, 7, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO) ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und begründet.
1. Grundlage für die Berechnung der Vergütung des Insolvenzverwalters ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO der Wert der Insolvenzmasse bei Beendigung des Verfahrens. Einnahmen der Masse, die noch nicht feststehen, können grundsätzlich noch nicht Grundlage der Vergütungsfestsetzung des Verwalters sein. Steht aber ein späterer Massezufluss bei Einreichung der Schlussrechnung schon mit Sicherheit fest, ist dieser bereits bei der Schlussrechnung und der hierauf gestützten Vergütungsfestsetzung zu berücksichtigen. Steuererstattungsansprüche der Masse, die nach Einreichung der Schlussrechnung mit Sicherheit zu erwarten sind, werden deshalb in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Voraussetzung ist allerdings, dass diese tatsächlich an die Masse ausbezahlt werden und daher die Masse erhöhen (BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2007 - IX ZB 147/06, ZIP 2008, 81 Rn. 6 m.w.N.; v. 17. Juli 2008 - IX ZB 150/07, juris Rn. 6).
Amtsgericht und Landgericht haben die Berücksichtigung der für die Vergütung zu zahlenden Umsatzsteuer bei der Bemessungsgrundlage grundsätzlich abgelehnt. Dem kann nicht gefolgt werden. Dies hat der Senat mit Beschluss vom 25. Oktober 2007 (aaO) entschieden. In einer weiteren Entscheidung vom 17. Juli 2008 (aaO) hat er an seiner Auffassung festgehalten. Hierauf wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
2. Die Masse schuldet auf die von ihr erbrachten Lieferungen oder sonstigen Leistungen die hierauf entfallende Umsatzsteuer. Hiervon kann die Vorsteuer der Vorumsätze gemäß § 15 UStG abgezogen werden. Ein Umsatzsteuererstattungsanspruch der Masse ergibt sich aber nach Einreichung der Schlussrechnung nur dann, wenn für den dann maßgeblichen Besteuerungszeitraum ein Überschuss der Vorsteuerbeträge festgestellt wird. Dann ist dieser vom Finanzamt zu erstatten und an die Masse auszubezahlen (BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2007 aaO Rn. 9; v. 17. Juli 2008 aaO Rn. 8).
Das Amtsgericht wird deshalb festzustellen haben, ob für die Zeit nach Einreichung der Schlussrechnung aufgrund der auf die Verwaltervergütung zu zahlenden Umsatzsteuer tatsächlich eine Umsatzsteuererstattung sicher zu erwarten ist. Diese ist sodann bei der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.
Ganter Kayser Gehrlein
Fischer Grupp
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JURE100067360
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BGH
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8. Zivilsenat
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20100706
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VIII ZR 180/09
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Beschluss
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§ 242 BGB, § 573 BGB, § 543 ZPO, § 552a ZPO
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vorgehend LG Göttingen, 8. Juli 2009, Az: 5 S 54/08, Urteil vorgehend AG Göttingen, 18. Juni 2008, Az: 25 C 354/07
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DEU
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Wohnraummiete: Aufklärungspflicht des Vermieters über alsbaldigen Eigenbedarf
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 8. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Streitwert: 4.440,93 €
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Die Revision ist gemäß § 552a Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht vorliegen und das Rechtsmittel auch keine Aussicht auf Erfolg hat. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 13. April 2010 Bezug genommen (§ 552a Satz 2, § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO). Die im Anschluss an den Hinweis des Senats erfolgten Ausführungen der Revision im Schriftsatz vom 17. Mai 2010 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Der Senat hat sämtliche in dieser Stellungnahme angeführten Gesichtspunkte bei Erlass des Hinweisbeschlusses berücksichtigt.
1. Soweit die Revision meint, die im Senatsurteil vom 21. Januar 2009 (VIII ZR 62/08, NJW 2009, 1139, Tz. 19) offen gelassene Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Vermieter den Mieter bei Abschluss des Mietvertrags auch auf einen nur möglichen Eigenbedarf hinweisen müsse, würde durch die vom Senat für den vorliegenden Fall angekündigte Entscheidung nicht offen gelassen, sondern als grundsätzliche Rechtsfrage für diesen und vergleichbare Fälle entschieden, was nicht Aufgabe des Verfahrens nach § 552a ZPO sei, trifft dies nicht zu.
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Anwendungsbereich des § 552a ZPO so eng zu verstehen ist, wie die Revision meint, oder ob das Revisionsgericht nicht vielmehr im Interesse der vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzung (vgl. BT-Drs. 15/3482, S. 18 f.) von dieser Vorschrift auch dann Gebrauch machen darf, wenn die Maßstäbe für die Beantwortung der Zulassungsfrage höchstrichterlich so weitgehend geklärt sind, dass hierdurch die rechtliche Beurteilung der Zulassungsfrage vorgezeichnet ist und das Berufungsgericht insoweit und auch im Übrigen richtig entschieden hat. Denn auf die oben genannte Rechtsfrage kommt es für die Entscheidung nicht an. Wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, ist angesichts der Gesamtumstände des vorliegenden Falles, namentlich der kurzen Zeitspanne von nur knapp drei Monaten zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und der Eigenbedarfskündigung sowie der Wohn- und Lebenssituation des Beklagten, bereits auf der Grundlage der vorhandenen Senatsrechtsprechung von dem Bestehen einer Hinweispflicht des Beklagten in Bezug auf den Eigenbedarf auszugehen. Der Senat hat in dem oben genannten Urteil vom 21. Januar 2009 im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass sich der Vermieter zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt, wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Er darf dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen dann nicht zumuten, wenn er ihn über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt.
Das Berufungsgericht ist hinsichtlich der Frage der Absehbarkeit des Eigenbedarfs letztlich zu der Beurteilung gelangt, der Beklagte könne nicht ernsthaft behaupten, dass er und seine jetzige Ehefrau zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses ein Zusammenziehen noch nicht in Erwägung gezogen hätten, zumal er selbst eingeräumt habe, vor dem Ausspruch der Kündigung und damit weniger als drei Monate nach Abschluss des Mietvertrags sei in Erwägung gezogen worden, eine andere Wohnung als Familienwohnung anzumieten. Unter Zugrundelegung dieser revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden tatrichterlichen Würdigung (vgl. Ziffer 2 b des Hinweisbeschlusses) ist bereits nach der vorstehend genannten Senatsrechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Erwägens eines alsbaldigen Eigengebrauchs und der damit verbundenen Aussicht einer nur begrenzten Mietdauer von einer Aufklärungspflicht des Beklagten auszugehen.
2. Soweit die Revision meint, den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung aus der vom Beklagten vorgetragenen, nach Auffassung der Revision durch das Berufungsgericht nicht ausreichend berücksichtigten Kenntnis der Klägerin von der Beziehung des Beklagten zu seiner damaligen Lebensgefährtin herleiten zu können, geht diese Annahme fehl. Entgegen der Ansicht der Revision, lässt sich aus dem Senatsurteil vom 21. Januar 2009 nicht der Grundsatz ableiten, dass der Mieter, wenn er Kenntnis vom Vorhandensein zum Beispiel von Kindern oder Lebensgefährten des Vermieters hat, stets auch mit der Möglichkeit eines Eigenbedarfs rechnen und sich beim Vermieter deshalb erkundigen muss. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Diese liegen hier gänzlich anders als in dem der Entscheidung des Senats vom 21. Januar 2009 zugrunde liegenden Fall. Anders als die Revision meint, erfordert das genannte Vorbringen aus den bereits in Ziffer 2 a des Hinweisbeschlusses genannten Gründen auch keine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
3. Anhaltspunkte für eine Erfolgsaussicht der Revision bestehen nach wie vor nicht. Die in der Stellungnahme hierzu aufgeführten Gesichtspunkte sind vom Senat bei Erlass des Hinweisbeschlusses bedacht worden.
a) Mit dem bereits in Ziffer 2 b des Hinweisbeschlusses behandelten Einwand, es sei für den Beklagten nicht absehbar gewesen, dass sich die Beziehung zu seiner damaligen Freundin nicht nur so rasch, sondern überhaupt in einer Weise entwickeln werde, dass beide Partner zusammenziehen, will die Revision ihre Würdigung an die Stelle der gegenteiligen rechtsfehlerfreien Beurteilung des Berufungsgerichts setzen. Hiermit kann sie nicht durchdringen.
b) Letzteres gilt auch für den in Bezug auf die Frage einer einvernehmlichen Aufhebung des Mietvertrags wiederholten Angriff gegen die tatrichterliche Würdigung des Inhalts der Erklärungen der Parteien (vgl. Ziffer 2 c des Hinweisbeschlusses). Aus dem Berufungsurteil ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme der Revision, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung einer möglichen Vertragsaufhebung den vorhandenen Auslegungsstoff, insbesondere die in der Stellungnahme genannten Schreiben der Parteien, nicht vollständig berücksichtigt.
c) Auch der oben bereits erwähnte Gesichtspunkt der vom Beklagten vorgetragenen Kenntnis der Klägerin von dessen Beziehung zu seiner damaligen Lebensgefährtin begründet keine Erfolgsaussicht der Revision. Angesichts der festgestellten Umstände des vorliegenden Falles war das Berufungsgericht aus Rechtsgründen nicht gehalten, von einer Erkundigungspflicht der Klägerin hinsichtlich eines möglichen Eigenbedarfs des Beklagten auszugehen.
d) Zu dem Einwand fehlender eigener Vertragstreue der Klägerin hat der Senat unter Ziffer 2 d des Hinweisbeschlusses bereits Ausführungen gemacht. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ball Dr. Hessel Dr. Achilles
Dr. Schneider Dr. Bünger
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067363
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100708
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V ZB 220/09
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Beschluss
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§ 43 Nr 1 WoEigG, § 72 GVG
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vorgehend LG Darmstadt, 7. Dezember 2009, Az: 25 S 187/09, Beschluss vorgehend AG Darmstadt, 28. Juli 2009, Az: 314 C 1/08, Urteil
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DEU
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Wohnungseigentumssache: Streitigkeit über den Geltungsbereich eines Sondernutzungsrechts
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 7. Dezember 2009 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
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I.
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, den Abbau und die Entfernung der in dem mit Nr. 4 bezeichneten Kellerraum der Wohnanlage aufgestellten Gastherme zu dulden. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten bei dem Landgericht Darmstadt Berufung eingelegt. Es hat - nach zwei Hinweisen an die Parteien, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, weil sie nicht bei dem ausschließlich zuständigen Landgericht Frankfurt am Main eingelegt worden sei - das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
1. Sie ist zwar nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO von Gesetzes wegen statthaft. Zulässig ist sie aber nach § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall.
2. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
a) Die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält zwar keine Darstellung des Sachverhalts, die sie allerdings, was den Beklagten zuzugeben ist, enthalten muss. Ohne eine solche Darstellung ist das Rechtsbeschwerdegericht, das grundsätzlich von dem durch das Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalt auszugehen hat (§ 577 Abs. 2 Satz 1 und 4, § 559 ZPO), nämlich zu einer rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Beschlusses regelmäßig nicht in der Lage (Senat, Beschl. v. 12. April 2010, V ZB 224/09, Rdn. 7, juris, m.w.N.). Hier hindert das Fehlen einer Sachdarstellung jedoch die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (nur deshalb) nicht, weil den Gründen der angefochtenen Entscheidung zusammen mit den darin in Bezug genommenen Ausführungen in den Verfügungen vom 8. Oktober 2009 und 28. Oktober 2009 mit gerade noch ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass es sich um eine Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 WEG handelt. Die Kläger wehren sich gegen eine Beeinträchtigung ihres Sondernutzungsrechts an dem Kellerraum durch die den Beklagten gehörende Gastherme.
b) Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Ansicht hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob der Anspruch auf Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustands in einem Sondernutzungsbereich als Streitigkeit im Sinne von § 43 WEG anzusehen ist, wenn der Anspruch nur auf die Störerhaftung eines anderen Wohnungseigentümers gestützt wird, ist geklärt.
aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass Streitigkeiten über den Geltungsbereich eines eingetragenen Sondernutzungsrechts im Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG a.F. zu entscheiden waren (BGHZ 109, 396). Diese Vorschrift erfasste grundsätzlich alle Streitigkeiten über die sich aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Daran hat sich durch die Neufassung des § 43 WEG mit Wirkung vom 1. Juli 2007 nichts geändert (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Dezember 2009, V ZB 67/09, ZfIR 2010, 187, 188). Deshalb ist nach dieser Rechtsprechung der Streit darüber, ob das Sondernutzungsrecht der Kläger an dem Kellerraum durch die dort angebrachte Gastherme der Beklagten beeinträchtigt wird, eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG (vgl. auch Senat, BGHZ 174, 20).
bb) Das sehen die Beklagten nicht anders. Sie meinen jedoch, das Oberlandesgericht Saarbrücken (NJW-RR 1998, 1165) und das Oberlandesgericht Zweibrücken (FGPrax 2002, 56) seien zu dem gegenteiligen Ergebnis gekommen. Das ist nicht richtig. Beiden Entscheidungen liegt ein Sachverhalt zugrunde, der dem der in BGHZ 109, 396 ff. abgedruckten Senatsentscheidung nicht vergleichbar ist. Das haben beide Gerichte ausdrücklich gesagt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken betrifft die Frage, wem von zwei Wohnungseigentümern ein Sondernutzungsrecht an einem Pkw-Abstellplatz zusteht; in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken geht es darum, ob Wohnungseigentümer aufgrund des mit dem Bauträger abgeschlossenen Vertrags verpflichtet sind, einen Teil ihres Sondernutzungsrechts aufzugeben.
cc) Dass die Kläger die Klage auch auf Sondereigentum stützen, berührt die von den Beklagten für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage nicht.
c) Eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, von der die Beklagten eine Klarstellung des durch Analogie erweiterten Anwendungsbereich des § 281 ZPO erwarten, ist nicht erforderlich. Das Berufungsgericht hat den auf Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landgericht gerichteten Hilfsantrag der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 10. Dezember 2009, V ZB 67/09, ZfIR 2010, 186; Beschl. v. 12. April 2010, V ZB 224/09, WuM 2010, 319, 320) kann in Streitigkeiten im Sinne von § 43 Nr. 1-4 und Nr. 6 WEG Berufung fristwahrend nur bei dem Gericht des § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG eingelegt werden; eine Verweisung in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO scheidet aus. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Frage, ob eine solche Streitigkeit vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann.
bb) An einer solchen Ausnahme fehlt es hier.
(1) Selbst wenn die Kläger die Klage auch auf Sondereigentum stützen, ändert das nichts daran, dass es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG handelt. Denn in diesem Verfahren kann der einzelne Wohnungseigentümer einen Anspruch auf - wie hier - Beseitigung der Beeinträchtigung seines Sondereigentums allein geltend machen (Wenzel in Bärmann, WEG, 10. Aufl., § 43 Rdn. 148). Etwas anderes lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten schon deshalb nicht aus der Senatsentscheidung vom 30. Juni 1995 (BGHZ 130, 159, 164) herleiten, weil sie sich zu einem Streit zwischen Wohnungseigentümern über die Frage verhält, wem von ihnen das Sondereigentum an einem Speicherraum zusteht. Die Parteien streiten jedoch nicht um das Eigentum an dem Kellerraum.
(2) Weshalb die bereits genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 12. Februar 1998 (NJW-RR 1998, 1165) nicht den Schluss zulässt, hier handele es sich - soweit die Klage auf ein Sondernutzungsrecht gestützt ist - nicht um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG, ist vorstehend unter b) bb) ausgeführt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067365
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100611
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V ZR 144/09
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Urteil
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§ 241 Abs 2 BGB, § 280 BGB, § 311 Abs 2 BGB, § 1093 BGB
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vorgehend OLG Karlsruhe, 3. Juli 2009, Az: 13 U 138/08, Urteil vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 13. Oktober 2008, Az: 5 O 297/07, Urteil
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DEU
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Verschulden bei Vertragsschluss: Schadensersatzanspruch bei Verletzung von Aufklärungspflichten
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 3. Juli 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Mit notariellem Vertrag vom 19. Dezember 2006 übertrug die Klägerin ihrem Sohn, dem Beklagten, ihr Grundstück nebst der darauf betriebenen Pension. Als Gegenleistung bestellte der Beklagte seiner Mutter ein Wohn- und Nutzungsrecht an einer Wohnung im Kellergeschoss der Pension und verpflichtete sich, ihr Wart und Pflege zu gewähren sowie eine monatliche Rente von 300 € zu zahlen.
Vor Abschluss des Übergabevertrages gingen die Parteien davon aus, dass der Beklagte und seine Ehefrau das von ihnen bewohnte Kellergeschoss räumen und in das bislang von der Klägerin teilweise zu Wohnzwecken, teilweise für die Pension genutzte Erdgeschoss umziehen würden. Hierzu ist es jedoch nicht gekommen.
Im November 2006 hatte die Klägerin die linke Hälfte des Erdgeschosses längerfristig an ihren Enkel, den Sohn des Beklagten, vermietet; dies war dem Beklagten bei Abschluss des Übergabevertrages nicht bekannt. Die rechte Hälfte des Erdgeschosses wird zum überwiegenden Teil als Frühstücks- und Aufenthaltsraum für die Pensionsgäste genutzt.
Die Klägerin verlangt die Einräumung des Wohn- und Nutzungsrechts an der Kellerwohnung. Der Beklagte meint, hierzu nicht verpflichtet zu sein, weil er das Erdgeschoss aufgrund der Vermietung an seinen Sohn nicht zu Wohnzwecken nutzen könne.
Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
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I.
Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne die Einräumung des Besitzes an der Wohnung im Kellergeschoss derzeit nicht verlangen. Sie sei verpflichtet gewesen, den Beklagten darüber aufzuklären, dass sie kurz vor Abschluss des Übergabevertrages mit ihrem Enkel einen Mietvertrag über die linke Erdgeschosshälfte abgeschlossen und für fünf Jahre auf die Ausübung ihres ordentlichen Kündigungsrechts verzichtet habe. Dies habe sie zumindest fahrlässig unterlassen. Als Rechtsfolge dieses Verschuldens bei Vertragsschluss ergebe sich für den Beklagten ein Anspruch auf Vertragsanpassung (§ 311 Abs. 2 BGB). Er könne am Vertrag festhalten und den entstandenen Vertrauensschaden liquidieren; dabei sei er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu anderen, für ihn günstigeren Bedingungen abzuschließen. Wäre dem Beklagten die Vermietung der linken Erdgeschosshälfte bekannt gewesen, hätte er der Klägerin nicht sofort ein Wohnrecht an der Kellerwohnung eingeräumt, sondern dies an die Voraussetzung geknüpft, dass das Mietverhältnis mit dem Enkel beendet sei. Hierauf hätte sich die Klägerin redlicherweise einlassen müssen. Der Beklagte sei daher so zu stellen, als wenn diese Bedingung vereinbart worden wäre.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten stehe nach § 311 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) ein Anspruch auf Vertragsanpassung zu, den er dem Wohnrecht der Klägerin entgegenhalten könne, verkennt die Rechtsfolgen eines Anspruchs aus Verschulden bei Vertragsschluss.
1. Nach einer Verletzung von Aufklärungspflichten kann der Geschädigte grundsätzlich Ersatz des Vertrauensschaden verlangen (Senat, BGHZ 168, 35, 39 m.w.N.). Er ist so zu stellen, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Da in aller Regel anzunehmen ist, dass der Vertrag bei der gebotenen Aufklärung nicht oder mit einem anderen Inhalt zustande gekommen wäre, ist der Geschädigte in erster Linie berechtigt, sich von diesem zu lösen und Ersatz seiner im Vertrauen auf den Vertragsschluss getätigten Aufwendungen zu verlangen (vgl. BGHZ 111, 75, 82). Daneben räumt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Geschädigten das Recht ein, an dem für ihn ungünstigen Vertrag festzuhalten. Geschieht dies, reduziert sich der zu ersetzende Vertrauensschaden auf dessen berechtigte Erwartungen, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden (Senat, BGHZ 168, 35, 39).
Dabei geht es - anders als das Berufungsgericht meint - nicht darum, den Vertrag an die neue Situation anzupassen, sondern darum, den verbliebenen Vertrauensschaden zu berechnen (Senat, aaO). Das geschieht bei einem Kaufvertrag in der Weise, dass der Geschädigte so behandelt wird, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigen Preis abzuschließen. Schaden ist danach der Betrag, um den der Geschädigte den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat. Da es dabei nur um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens und nicht um die Anpassung des Vertrages geht, braucht der Geschädigte nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (Senat, aaO S. 39 f. m.w.N.). Hier könnte die Berechnung des Vertrauensschadens in der Weise erfolgen, dass der Beklagte - unter Anrechnung der von dem Enkel gezahlten Miete - den Betrag liquidiert, den er für die Anmietung einer Wohnung für sich und seine Ehefrau aufbringen muss, oder welcher ihm dadurch entgeht, dass er andere Räume in der Pension bezieht und diese dann nicht mehr als Gästezimmer vermieten kann.
2. Demgegenüber stellt das Berufungsgericht den Beklagten so, als wäre ihm infolge der Pflichtverletzung der Klägerin ein günstigerer Vertrag entgangen. Indem es ihm durch Anpassung der bestehenden Vereinbarung die Vorteile dieses (vermeintlich) entgangenen Vertrages einräumt, ersetzt es nicht das Vertrauens-, sondern das Erfüllungsinteresse (vgl. Senat, aaO, S. 40 f.). Der Ersatz des Erfüllungsinteresses kommt als Folge einer Pflichtverletzung bei Vertragsschluss jedoch nur ausnahmsweise in Betracht und setzt die Feststellung voraus, dass die aufklärungspflichtige Partei - wäre der verschwiegene Umstand während der Vertragsverhandlungen bekannt geworden - den Vertrag zu den von dem Geschädigten nunmehr erstrebten Bedingungen geschlossen hätte. Von einer entsprechenden Bereitschaft der aufklärungspflichtigen Partei kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Sie wäre bei erfolgter Aufklärung nämlich nicht gehindert gewesen, mit Rücksicht auf die dann ungünstigeren Vertragsbedingungen von einem Vertragsschluss gänzlich abzusehen. Der Geschädigte, der Ersatz des Erfüllungsinteresses erstrebt, muss deshalb darlegen und beweisen, dass die Gegenseite den Vertrag ohne die Aufklärungspflichtverletzung zu den für sie ungünstigeren Bedingungen geschlossen hätte (vgl. Senat, aaO).
Entsprechende Feststellungen sind von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden. Es meint lediglich, die Klägerin hätte sich redlicherweise auf die von dem Beklagten erstrebte Anpassung des Vertrages einlassen müssen. Darauf kommt es indessen nicht an. Eine Anpassung des Vertrages könnte der Beklagte nur verlangen, wenn feststünde, dass die Klägerin bereit gewesen wäre, auf ein Wohnrecht zu verzichten, solange ihr Enkel die Erdgeschosswohnung nutzt.
III.
Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es nach den bislang getroffenen Feststellungen möglich erscheint, dass der Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf Einräumung des Wohnrechts ein Zurückbehaltungsrecht (§ 320 oder § 273 BGB) entgegenhalten kann. Der Beklagte rügt zu Recht, dass das Bestehen einer solchen Einrede von dem Berufungsgericht mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint worden ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, haben die Parteien unstreitig vereinbart, dass die Klägerin mit ihrer Schwester in die Wohnung im Kellergeschoss und der Beklagte mit seiner Ehefrau dafür in das Erdgeschoss ziehen sollten. Das Landgericht hat dies als Vereinbarung eines Wohnungstauschs und als Teil des Übergabevertrages gewertet. Auch die Revision nimmt an, die Einräumung des Wohn- und Nutzungsrechts habe nach einer mündlichen Vereinbarung der Parteien im Wege eines Wohnungstausches erfolgen sollen. Auf welcher tatsächlichen Grundlage das Berufungsgericht seine davon abweichende Rechtsauffassung stützt, es fehle bereits an einer als vertragliche Nebenabrede zu dem Übergabevertrag zu qualifizierenden Vereinbarung, ist mangels näherer Begründung nicht nachvollziehbar.
Eine mündliche Nebenabrede der Parteien wäre nicht notwendigerweise formnichtig (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB) und deshalb unbeachtlich. Die von dem Berufungsgericht für möglich erachtete Heilung des Formmangels gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert nicht an der dafür erforderlichen Willensübereinstimmung der Parteien im Zeitpunkt der Auflassung (vgl. Senat, Urt. v. 15. Oktober 1993, V ZR 19/92, NJW 1994, 586, 588). Da die Auflassung hier bei Abschluss des Übergabevertrages erklärt wurde und ein Wegfall der Willensübereinstimmung zwischen Auflassung und Eintragung unschädlich ist (Senat, Urt. v. 23. März 1973, V ZR 112/71, WM 1973, 612, 613), kommt es nur auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Zu diesem bestand die notwendige Willensübereinstimmung jedoch fort. Deren Wegfall ist nämlich nur in Betracht zu ziehen, wenn eine der Parteien ihren gegenteiligen Willen erkennbar äußert (BGH, Urt. v. 18. November 1993, IX ZR 256/92, NJW-RR 1994, 317, 318). Nach den getroffenen Feststellungen hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten aber gerade nicht zu erkennen gegeben, an der Wohnungstauschabrede nicht festhalten zu wollen, insbesondere hat sie im Notartermin nicht offenbart, mit ihrem Enkel einen Mietvertrag über die Räume im Erdgeschoss geschlossen zu haben.
Die Zurückverweisung der Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erneut zu prüfen, ob ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten besteht.
Krüger Schmidt-Räntsch Stresemann
Czub Roth
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Deutschland
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JURE100067366
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BGH
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5. Zivilsenat
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20100701
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V ZR 34/10
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Beschluss
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Art 233 § 5 Abs 2 BGBEG, Art 237 § 2 BGBEG, § 209 BGB, § 8 Abs 1 S 1 SachenR-DV, § 8 Abs 1 S 1 GBBerG 1993
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vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 27. Januar 2010, Az: 7 U 504/09, Urteil vorgehend LG Mühlhausen, 19. Mai 2009, Az: 6 O 542/03
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DEU
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Bereinigung des Bodenrechts in den neuen Bundesländern: Eigentum und Nutzungsberechtigung an einem vor dem 3. Oktober 1990 als Eigentum des Volkes gebuchten Waldgrundstück
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 27. Januar 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 206.559 €.
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I.
Die beklagte Gemeinde ist auf Grund eines Zuordnungsbescheids als Eigentümerin eines zuvor als Eigentum des Volkes gebuchten Gemeindewalds im Grundbuch eingetragen. Die klagende Waldgenossenschaft meint, das Grundbuch sei unrichtig. In Wirklichkeit stehe ihr das Eigentum an dem Wald, jedenfalls aber ein Nutzungsrecht daran, zu. Das ergebe sich aus einem Nachtrag zu einem Rezess aus dem Jahre 1865. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Rechte durch das Thüringer Gesetz von 1947 aufgehoben worden seien. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Grundbuchberichtigungsklage stattgegeben. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
1. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
a) Die von der Beschwerde dazu geltend gemachte Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Der Schriftsatz der Beklagten vom 30. Dezember 2009 gab keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Er enthielt kein entscheidungserhebliches neues Vorbringen. Mit der Auslegung des Rezesses und des Thüringer Gesetzes vom 29. Mai 1947 (ThürRegBl. I, 52) hatten sich die Parteien schon in erster Instanz befasst. Einen denkbaren, aber nicht gestellten Antrag der Klägerin nach § 30 VermG hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil behandelt. Auch der Umstand, dass der Wald als Volkseigentum gebucht war, war nicht neu. Das Landgericht hatte dem erwähnten Thüringer Gesetz die Zielsetzung entnommen, gerade solche Wälder in Volkseigentum zu überführen. Die Buchungsunterlage selbst hatte die Klägerin schon als Anlage 1 zur Klageschrift vorgelegt.
b) Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich auch nicht, dass die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und daher willkürlich falsch ist (Art. 3 Abs. 1 GG).
aa) Anders als die Beschwerde meint, leitet das Berufungsgericht das Eigentum der Klägerin nicht unmittelbar aus dem Nachtrag zu dem Rezess von 1865 ab, auf den sich die Klägerin stützt. Sie entnimmt diesem nur, dass die dort als Gerechtigkeitseigentümer bezeichneten Personen eine Eigentumsposition erlangt haben, eine Annahme, von der auch die Beschwerde selbst ausgeht. Das Berufungsgericht nimmt auch nicht an, wie die Beschwerde aber meint, dass das Eigentum der Klägerin durch die Satzung begründet worden sei. Es entnimmt dieser Satzung nur, dass die - nach seinen Feststellungen mit den Gerechtigkeitseigentümern identischen - Mitglieder der Klägerin dieser ihr Eigentum übertragen haben. Was daran willkürlich sein soll, erschließt sich nicht. Entsprechendes gilt für die Auslegung des Thüringer Gesetzes durch das Berufungsgericht, die im Übrigen nach dem gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG noch maßgeblichen § 545 ZPO a.F. nicht revisibel ist.
bb) An diesem Ergebnis ändert es nichts, dass das Berufungsgericht die für Altrechtsfälle der vorliegenden Art maßgeblichen Vorschriften des Bundesrechts aus dem Blick verloren und den Fall falsch entschieden hat. Diesen Grund für die Zulassung der Revision hat die Beschwerde nicht, wie geboten, dargelegt.
(1) Das Berufungsgericht hat übersehen, dass der Klägerin etwa entstandene dingliche Rechte an dem Wald nicht mehr übertragen werden konnten, weil sie nach den einschlägigen Vorschriften zur Bereinigung des Bodenrechts der neuen Bundesländer spätestens mit dem Ablauf des Jahres 2000 kraft Gesetzes untergegangen wären.
Der Wald ist vor dem 3. Oktober 1990 als Eigentum des Volkes gebucht worden. Er ist nach Art. 237 § 2 EGBGB mit dem Ablauf des 30. September 1998 Eigentum derjenigen Stelle geworden, der es nach den Vorschriften über die Zuordnung ehemaligen Volkseigentums zugefallen wäre. Etwas anderes käme nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn die unmittelbar in dem Rezess angesprochenen Gerechtigkeitseigentümer oder ihre Rechtsnachfolger bis zu diesem Zeitpunkt die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit des Grundbuchs erwirkt oder eine Klage gegen die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin auf Berichtigung des Grundbuchs rechtshängig gemacht hätten. Die Klägerin und ihre Mitglieder haben erst Ende 2001 begonnen, sich außergerichtlich um die Sicherung ihres Eigentums zu bemühen. Das hilfsweise geltend gemachte Nutzungsrecht an dem Wald bestünde ebenfalls nicht mehr, weil es nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG erloschen wäre. Dazu hätte es nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 13 SachenR-DV und Art. 233 § 5 Abs. 2 EGBGB bis zum Ablauf des 31. Dezember 2000 in einer nach § 209 BGB a.F. zur Unterbrechung der Verjährung geeigneten Weise gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden müssen, was nicht geschehen ist.
(2) Dieser Rechtsfehler führt aber nicht zur Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der Beschwerdeführer muss nämlich nach § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO die Zulassungsgründe, auf die er die Beschwerde stützt, benennen und zu deren Voraussetzungen substantiiert vortragen (Senat, BGHZ 152, 182, 185 m.w.N.). Deshalb hätte der aufgezeigte Rechtsfehler nur berücksichtigt werden können, wenn die dem Berufungsgericht aus dem Blick geratenen Vorschriften des Überleitungsrechts in der Begründung der Beschwerde wenigstens ansatzweise angesprochen worden wären (vgl. Senat, Beschl. v. 24. Mai 2007, V ZR 251/06, NJW-RR 2007, 1435, 1436). Daran fehlt es. Die Beschwerde hat sich nur mit der Auslegung des durch die erwähnten Vorschriften sachlich überholten Thüringer Gesetzes vom 29. Mai 1947 und mit der Antragsfrist nach § 30a VermG befasst, auf die es hier nicht ankommt.
2. Andere Zulassungsgründe macht die Beschwerde nicht geltend.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067368
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BGH
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11. Zivilsenat
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20100706
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XI ZR 224/09
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Beschluss
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§ 286 ZPO
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vorgehend OLG Frankfurt, 17. Juni 2009, Az: 23 U 22/06, Urteil vorgehend LG Frankfurt, 26. September 2005, Az: 2/25 O 614/03, Urteil
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DEU
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Kreditkartenmissbrauch: Sachverständige Begutachtung des Sicherheitssystems zur Entkräftung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Karteninhabers
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Juni 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 24.207,75 €
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I.
Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche im Zusammenhang mit missbräuchlichen Abhebungen an Geldautomaten mittels der Eurocard/Mastercard.
Der Kläger ist ein Verbraucherverband, zu dessen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die Beklagte ist Emittentin der Kreditkarte Eurocard/Mastercard.
Der Kläger ließ sich von zehn Kunden der Beklagten deren behauptete Rückzahlungsansprüche gegenüber der Beklagten aus - nach der Behauptung des Klägers - missbräuchlichen Abhebungen an Geldautomaten, die zeitnah nach dem Diebstahl der Kreditkarten bzw. - in einem Fall - angeblich mit einer Kartendublette unter Verwendung der jeweiligen Geheimzahl (PIN) in dem Zeitraum vom 15. September 1999 bis zum 24. April 2003 erfolgten, und dem vereinzelten Einsatz der Kreditkarten bei sonstigen Vertragsunternehmen des Kreditkartensystems in Höhe von insgesamt 24.207,75 € abtreten. Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung dieser den Kunden belasteten und per Lastschrift von deren Bankkonten eingezogenen Beträge nebst Zinsen in Anspruch. Er beruft sich unter anderem darauf, dass sich die Beklagte im Hinblick auf einen angeblich unsorgfältigen Umgang der Zedenten mit der PIN nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen könne. Dies setze die Feststellung voraus, dass die PIN-Entschlüsselung auch mit größtmöglichem finanziellem Aufwand mathematisch ausgeschlossen sei; hierzu fehle es aber an einem substantiierten Vorbringen der Beklagten zu den Einzelheiten ihres Sicherheitssystems.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger sei zwar aktivlegitimiert, weil die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen im Interesse des Verbraucherschutzes liege. Ihm stünden aber die geltend gemachten Rückzahlungsansprüche nicht zu, weil die jeweiligen Kontobelastungen nicht ohne Rechtsgrund erfolgt seien. Vielmehr habe die Beklagte gegen jeden Zedenten einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen eine vertragliche Nebenpflicht, weil diese nicht dafür gesorgt hätten, dass kein unbefugter Dritter Kenntnis von der PIN erhalte. Für einen solchen Sorgfaltsverstoß spreche der für ec-Karten vom Bundesgerichtshof anerkannte Anscheinsbeweis. Insoweit habe die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast zu den Einzelheiten ihres Sicherheitssystems genügt. Sie habe im Jahr 2001 ihr System von einer Schlüsselbreite von 56 Bit auf das sog. Triple-DES-Verfahren mit 128 Bit erhöht. Weder PIN noch Referenzwert würden auf der Kreditkarte abgespeichert. Die Überprüfung der PIN erfolge online durch einen Zentralrechner. Die von der Beklagten in dem hier maßgeblichen Zeitraum eingesetzten Sicherheitssysteme seien in Parallelverfahren durch einen Sachverständigen als hinreichend sicher eingestuft worden, dessen Gutachten nach § 411a ZPO verwertet werden könnten. Aufgrund dessen sei es Aufgabe des Klägers gewesen, etwaige Lücken und Schwächen des Sicherheitssystems der Beklagten substantiiert darzulegen; dies sei ihm nicht gelungen. Soweit der Kläger auf andere Schadensfälle, in denen teilweise der Umschlag mit der PIN noch ungeöffnet gewesen sein solle, zurückgreife, habe sich dies entweder nicht bewahrheitet oder betreffe andere Kreditkarten bzw. andere Sicherheitssysteme; teilweise sei der Vortrag auch verspätet.
II.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Berufungsurteil verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f. und BGH, Beschluss vom 31. August 2005 - XII ZR 63/03, NJW-RR 2005, 1603; jeweils m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131; BGHZ 154, 288, 300). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Sachvortrags und Beweisangebots verstößt auch dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn der Tatrichter dieses Vorbringen - hier des Klägers - zwar zur Kenntnis genommen hat, das Unterlassen der danach gebotenen Beweisaufnahme aber im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, NJW 2003, 1655; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 173/03, WM 2007, 569, Tz. 9).
b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
Nach der Rechtsprechung des Senats spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Karteninhaber seine persönliche Geheimzahl entweder auf der Kreditkarte notiert oder sie gemeinsam mit dieser aufbewahrt hat (BGHZ 160, 308, 314; 170, 18, Tz. 31). Dieser Anscheinsbeweis kann unter anderem dadurch erschüttert werden, dass der Kunde darlegt und beweist, dass dies nicht der Fall war (vgl. BVerfG, WM 2010, 208, 209) oder - was vorliegend vom Kläger allerdings nicht behauptet wird - die Geheimnummer ohne Verschulden des Karteninhabers kurze Zeit vor der Entwendung der Karte ausgespäht worden ist.
Der Kläger hat für jeden der zehn Schadensfälle im Einzelnen dargelegt, dass Kreditkarte und persönliche Geheimzahl zum Zeitpunkt der Entwendung der Kreditkarte bzw. des Kartenmissbrauchs nicht zusammen aufbewahrt waren, und dies unter Beweis gestellt. Diesen Beweisantritt durfte das Berufungsgericht nicht übergehen, auch wenn aus seiner Sicht für die Richtigkeit der Behauptung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit sprechen mag. Dies würde indes eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung darstellen.
c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugen vernommen hätte. Würde das Berufungsgericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Behauptung des Klägers als wahr erachten, könnte - gegebenenfalls nachdem es den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag gegeben hat - Anlass bestehen, das Sicherheitssystem der Beklagten einer erneuten sachverständigen Begutachtung zu der Frage zu unterwerfen, ob dieses ein ausreichendes Sicherheitsniveau für die Anwendung des Anscheinsbeweises bietet (vgl. BGHZ 170, 18, Tz. 31), anstatt die Gutachten aus den Jahren 2000 und 2002 heranzuziehen, deren Verwertung - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - wegen § 29 Nr. 3 EGZPO nicht nach § 411a ZPO, sondern nur als Urkundenbeweis zulässig war (vgl. BGH, Urteile vom 26. Mai 1982 - IVa ZR 76/80, NJW 1983, 121, 122 und vom 27. Mai 1982 - III ZR 201/80, NJW 1982, 2874).
d) Sollte danach ein Rückzahlungsanspruch des Klägers in Betracht kommen, müsste das Berufungsgericht auch noch Feststellungen dazu treffen, ob die Unterschriften der Zedenten in den Abtretungsurkunden echt sind und ob in einzelnen Fällen bereits der Verlust der Kreditkarte als solcher von den Zedenten fahrlässig verursacht worden ist.
2. Die weiteren geltend gemachten Zulassungsgründe hat der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Wiechers Joeres Mayen
Grüneberg Maihold
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067372
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BGH
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12. Zivilsenat
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20100630
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XII ZB 80/08
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Beschluss
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§ 114 ZPO, § 522 Abs 2 ZPO
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vorgehend OLG Celle, 6. November 2007, Az: 10 UF 169/07, Beschluss vorgehend AG Hannover, 20. Juni 2007, Az: 607 F 3587/05
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DEU
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Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsbeklagten vor der Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss
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1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 6. November 2007 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Klägerin wird für das Berufungsverfahren als Berufungsbeklagte Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin T. aus H. bewilligt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
2. Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
3. Beschwerdewert: bis 600 €
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I.
Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt verpflichtet. Gegen dieses Urteil legte er form- und fristgerecht Berufung ein und begründete diese binnen verlängerter Frist mit am 24. September 2007 eingegangenem Schriftsatz. Die Berufungsbegründung wurde der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. Oktober 2007 zugestellt. Zugleich erhielt diese den begründeten Beschluss vom 28. September 2007, mit welchem der Beklagte unter Setzung einer Stellungnahmefrist auf eine beabsichtigte Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen wurde. Das Berufungsgericht stellte der Klägerin anheim, seine Entscheidung bzw. die Stellungnahme des Beklagten abzuwarten. Bereits mit am 27. September 2007 eingegangenem Schriftsatz vom 26. September 2007 hatte die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Bestellung auch für das Berufungsverfahren angezeigt und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Unter dem 22. Oktober 2007 ist der Klägerseite die Stellungnahme des Beklagten übersandt worden. Mit Beschluss vom 5. November 2007 hat das Oberlandesgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückgewiesen.
Die ebenfalls mit Schriftsatz vom 26. September 2007 unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragte Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz hat das Berufungsgericht der Klägerin versagt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 ZPO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft, weil das Berufungsgericht sie nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 266/03 - FamRZ 2008, 1159 m.w.N.). Das ist hier indes der Fall, da die Klägerin geltend macht, die Beurteilung ihrer Rechtsverteidigung als mutwillig sei nicht gerechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 - XII ZB 247/03 - FamRZ 2005, 1477).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass einer mittellosen Partei Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden dürfe, wenn eine vermögende Partei die für die Kosten selbst aufkommen müsste, auf die Rechtsverfolgung oder -verteidigung vernünftigerweise verzichten würde. In der hier gegebenen Situation hätte eine vernünftige vermögende Partei (eventuell nach Belehrung durch ihre erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, die noch im Rahmen des erstinstanzlichen Mandats zu erfolgen habe) darauf verzichtet, sich mit überflüssigen Kosten zu belasten, und vor Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten für die zweite Instanz zunächst abgewartet, ob das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückweist.
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
b) Ob einem Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe schon zu bewilligen ist, solange das Berufungsgericht noch nicht über die Möglichkeit der Zurückweisung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) befunden hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) Zum Teil wird davon ausgegangen, dass eine Verteidigung des Rechtsmittelgegners nicht notwendig und ihm daher Prozesskostenhilfe noch nicht zu bewilligen sei, wenn das Berufungsgericht mit der Übersendung der Berufungsbegründung darauf hinweise, dass es die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen wolle. Denn dann bestehe die Aussicht, dass das Rechtsmittel ohne Zutun des Rechtsmittelgegners abgewehrt werden könne (OLG Dresden Beschluss vom 22. Oktober 2007 - 3 U 1141/07 - juris Tz. 3; OLG Köln MDR 2006, 947; OLG Düsseldorf MDR 2003, 658, 659; Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 119 Rdn. 55; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 119 Rdn. 16; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 30. Aufl. § 119 Rdn. 13; Hk-ZPO/Pukall 2. Aufl. § 119 Rdn. 14). Teilweise wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch dann abgelehnt, wenn das Berufungsgericht zwar noch nicht auf die Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, hingewiesen hat, diese Möglichkeit aber noch besteht (OLG Schleswig - 14. ZS - NJW-RR 2009, 416; OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 13 U 141/07 - juris Tz. 5 ff.; OLG Nürnberg - 3. ZS - MDR 2007, 1337, 1338; OLG Dresden - 6. ZS - MDR 2007, 423; OLG Celle - 6. ZS - MDR 2004, 598). Differenziert wird weiter hinsichtlich der Frage, ob dem bedürftigen Rechtsmittelgegner Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, wenn ihm eine Frist zur Äußerung gesetzt wurde (bejahend: OLG Schleswig - 14. ZS - NJW-RR 2009, 416, 417; OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 13 U 141/07 - juris Tz. 7; OLG Dresden - 6. ZS - MDR 2007, 423; verneinend für eine vorsorgliche Fristsetzung zur Erwiderung: OLG Celle - 4. ZS - OLGR 2007, 923 f.; OLG Nürnberg - 4. ZS - FamRZ 2005, 46 f.).
bb) Nach der Gegenansicht kann dem erstinstanzlichen obsiegenden Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung versagt werden, dass infolge einer noch ausstehenden Entscheidung über eine Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO eine Rechtsverteidigung noch nicht notwendig sei (OLG Brandenburg MDR 2008, 285; OLG Schleswig - 1. ZS - FamRZ 2006, 1550 [unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in OLGR 2006, 190, 191]; OLG Rostock OLGR 2005, 840, 841 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 119 Rdn. 57; Vossler MDR 2008, 722, 724 f.; Fölsch NJW 2006, 3521, 3523; Schellenberg MDR 2005, 610, 614; Hansens RVGreport 2008, 278 und 2004, 277 f.).
cc) Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass die zuletzt dargestellte Auffassung den Vorzug verdient (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nämlich eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der unbemittelten Partei darf im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht unverhältnismäßig erschwert bzw. unmöglich gemacht werden. Dabei braucht der Unbemittelte zwar nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG NJW 2003, 2976, 2977; 1991, 413 f. und FamRZ 1988, 1139, 1140). Deshalb ist stets zu prüfen, ob eine bemittelte Partei bei Abwägung zwischen dem erzielbaren Vorteil und dem dafür einzugehenden Kostenrisiko ihre Rechte in einer bestimmten Art und Weise wahrgenommen hätte (vgl. BGH Beschluss vom 19. Mai 1981 - VI ZR 264/80 - JurBüro 1981, 1169).
Auch § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, bedeutet nicht, dass Prozesskostenhilfe ausnahmslos in jedem Fall zu bewilligen ist. Denn die dieser Bestimmung innewohnende Vermutungswirkung, dass die Verteidigung des Urteils der Vorinstanz hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist, gilt nur für die Verteidigung der angefochtenen Entscheidung als solche. Sie besteht demgegenüber nicht dafür, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts in jeder Lage des Rechtsmittelverfahrens nicht mutwillig ist, und gebietet deshalb nicht, dem Rechtsmittelbeklagten Prozesskostenhilfe bereits zu einer Zeit zu gewähren, in der dies zur Wahrung seiner Rechte noch nicht notwendig ist (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 1988 - IVb ZR 67/87 - FamRZ 1988, 942 und vom 30. September 1981 - IVb ZR 694/80 - FamRZ 1982, 58, 59 f.).
Nach der Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte jedoch ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Eine entsprechende Ankündigung des Gerichts gibt nur eine vorläufige Auffassung wieder; die Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege ist keineswegs sicher. An einer Entscheidung im Beschlusswege hat der Berufungsbeklagte aber nicht nur wegen der damit regelmäßig verbundenen Beschleunigung, sondern auch wegen der durch § 522 Abs. 3 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit ein besonderes Interesse (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt; BGH Beschluss vom 9. Oktober 2003 - VII ZB 17/03 - FamRZ 2004, 99). Deshalb kann einem Berufungsbeklagten nach Erhalt der Berufungsbegründung auch unter prozesskostenhilferechtlichen Aspekten die Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht versagt werden. Das gilt unabhängig davon, ob schon vorsorglich eine Erwiderungsfrist gesetzt wurde oder nicht. Denn andernfalls würde dem bedürftigen Rechtsmittelgegner die Chance genommen, in seinem Sinne auf eine Entscheidung des Gerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinzuwirken (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).
c) Darüber hinaus war die begehrte Prozesskostenhilfe hier auch schon deshalb zu bewilligen, weil das Oberlandesgericht der Klägerin anheim gestellt hatte, seine Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO bzw. die Stellungnahme des Rechtsmittelführers auf den Hinweis, dass eine Zurückweisung im Beschlussverfahren erwogen werde, abzuwarten. Aufgrund dieses Hinweises konnte es der Klägerin jedenfalls ab Erhalt der darauf folgenden Stellungnahme des Beklagten ohne gleichzeitige Zurückweisung der Berufung auch unter prozesskostenhilferechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr verwehrt sein, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
d) Unschädlich ist schließlich, dass die Klägerin ihren Antrag, die Berufung zurückzuweisen, vorliegend schon zu einem Zeitpunkt gestellt hatte, als ihr weder die Berufungsbegründung noch die Stellungnahme des Beklagten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung im Beschlussverfahren vorlagen. Denn der zuvor angebrachte Zurückweisungsantrag wirkt fort. Es würde auf eine unnötige Förmelei hinauslaufen, von der Klägerin zu erwarten, dass sie nach Erhalt der Stellungnahme des Beklagten auf die Ankündigung einer Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO nochmals einen identischen Schriftsatz bei Gericht einreicht (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07 - FamRZ 2009, 1047, 1048 zur vergleichbaren Konstellation im Rahmen von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3. Danach durfte das Oberlandesgericht der offenkundig bedürftigen Klägerin die begehrte Prozesskostenhilfe nicht versagen. Da mit weiteren Feststellungen nicht zu rechnen ist, kann der Senat diese Entscheidung nachholen.
Hahne Weber-Monecke Vézina
Dose Klinkhammer
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Deutschland
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BMJV
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JURE100067373
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BGH
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12. Zivilsenat
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20100707
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XII ZR 158/09
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Teilbeschluss
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§ 546 Abs 1 BGB, § 985 BGB, § 1124 Abs 2 BGB, § 47 InsO, § 86 Abs 1 Nr 1 InsO, § 180 Abs 2 InsO, § 301 ZPO
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vorgehend OLG Rostock, 2. Juni 2006, Az: 3 U 92/05, Urteil vorgehend LG Rostock, 30. Juni 2005, Az: 10 O 134/05
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DEU
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Insolvenzverfahren: Begründung nur eines begrenzten Aussonderungsrechts durch den Anspruch auf Herausgabe der Mietsache
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1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 2. Juni 2006 wird zurückgewiesen, soweit der Kläger die Zulassung der Revision hinsichtlich seines Antrags begehrt, die sich im III. Obergeschoss des Büroturms des Gebäudes I. straße 10, R. befindliche Büroeinheit bestehend aus vier Räumen, einen Konferenzraum und einen weiteren Raum mit der Raumnummer 214 – jeweils im II. Obergeschoss – sowie einen im I. Obergeschoss befindlichen Raum mit der Raumnummer 118 herauszugeben.
2. Im Übrigen bleibt das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unterbrochen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
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I.
Mit Mietvertrag vom 25. April 2001 mietete die F. H. KG, seinerzeit noch unter dem Namen H. GmbH und Co. KG firmierend, von T. F. Gewerberäume in einem Bürohaus. Das Mietverhältnis war auf mindestens zehn Jahre abgeschlossen. Nach Anordnung der Zwangsverwaltung über das Bürogrundstück kündigte der Kläger als Zwangsverwalter das Mietverhältnis wegen behaupteter Mietrückstände fristlos und erhob Klage auf Mietzahlung sowie Räumung und Herausgabe der Mieträume. Während das Landgericht der Klage stattgab, wies das Oberlandesgericht sie mit am 2. Juni 2006 verkündetem Urteil auf die Berufung der Beklagten als Mieterin hin ab. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Bereits am 9. Juni 2006 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen des T. F. (Vermieter) eröffnet worden; am 7. September 2007 folgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H. V. mbH. Diese war alleinige Kommanditistin der F. H. KG (Mieterin), deren einziger persönlich haftender Gesellschafter wiederum T. F. war.
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2009 hat der Kläger die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt. Er beruft sich auf ein Aussonderungsrecht hinsichtlich des Anspruchs auf Rückgabe der Mietsache.
II.
Der Rechtsstreit war gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 47 InsO nur insoweit aufzunehmen, als der Kläger die Herausgabe der im Tenor zu 1 dieses Beschlusses genannten Räume begehrt. Im Übrigen bleibt das Verfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen.
1. Das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision wurde gemäß § 240 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H. V. mbH am 7. September 2007 unterbrochen.
Mit dem zuvor eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des T. F. und damit mit dem Ausscheiden des einzigen Komplementärs hatte die H. V. mbH nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß §§ 161 Abs. 2, 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB als Kommanditistin der H. GmbH und Co. KG die Gesamtrechtsnachfolge übernommen (vgl. BGH Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 247/01 - ZIP 2004, 1047, 1048).
2. Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufnahme des - unterbrochenen - Verfahrens nur möglich, soweit die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse nach § 47 InsO betroffen ist. Ein solches Aussonderungsrecht besteht lediglich für die vom Kläger geltend gemachte Herausgabe der vermieteten Räume. Dabei lässt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des T. F. die Zwangsverwaltung durch den Kläger, der gemäß § 152 Abs. 1 ZVG als Zwangsverwalter die sich aus einer rechtsgrundlosen Nutzung der der Zwangsverwaltung unterliegenden Sache ergebenden Ansprüche zu verfolgen hat (vgl. BGH Urteil vom 14. Mai 1992 - IX ZR 241/91 - NJW 1992, 2487), unberührt, § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO.
a) Der auf Räumung und Herausgabe zielende Anspruch auf Rückgabe der Mietsache nach § 546 Abs. 1 BGB vermag nur insoweit ein Aussonderungsrecht zu begründen, als er sich seinem Inhalt nach mit dem Herausgabeanspruch des § 985 BGB deckt (vgl. BGH Urteil vom 5. Juli 2001 - IX ZR 327/99 - NJW 2001, 2966 ff.; zum Räumungsanspruch vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 125/06 - GuT 2009, 209, 212).
Der mietvertragliche Rückgabeanspruch reicht weiter als der Herausgabeanspruch des Eigentümers: Nach § 985 BGB hat der Besitzer dem Eigentümer den unmittelbaren Besitz an der Sache zu verschaffen, insbesondere den Zugang zu ermöglichen und die Wegnahme zu dulden.Davon ist die mietvertragliche Räumungspflicht zu unterscheiden. Sie hat grundsätzlich zum Inhalt, dass der Mieter bei Vertragsende den Mietgegenstand auch im vertragsgemäß geschuldeten Zustand zurückzugeben, ihn also notfalls herzustellen hat. Diese weitergehende Pflicht des Mieters beruht allein auf dem von ihm abgeschlossenen Vertrag.
b) Die Aussonderung beschränkt sich daher ihrem Umfang nach stets auf die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes am Grundstück. Ein (etwaiger) weitergehender Räumungsanspruch begründet demgegenüber allenfalls eine Insolvenzforderung (vgl.BGH Urteil vom 5. Juli 2001 - IX ZR 327/99 - NJW 2001, 2966 f.). Diesbezüglich kann der Kläger den Rechtsstreit nur nach § 180 Abs. 2 InsO aufnehmen, wenn die Forderung zuvor im Insolvenzverfahren angemeldet (§§ 174 ff. InsO) und ihr widersprochen wurde.
3. Dass das Aussonderungsrecht nur einen Teil der in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche erfasst, steht einer - teilweisen - Aufnahme des Rechtsstreits nicht entgegen.
a) Zwar hängen der aufgenommene und der weiterhin unterbrochene Verfahrensteil von derselben Vorfrage ab, nämlich ob die im Hinblick auf die von der Beklagten getätigten Investitionen getroffene Vereinbarung der Mietvertragsparteien eine Vorausverfügung im Sinne des § 1124 Abs. 2 BGB darstellt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine Teilentscheidung grundsätzlich nur dann ergehen, wenn sie von der Entscheidung über den verbleibenden Teil des Rechtsstreits in der Art unabhängig ist, dass die Gefahr einander widerstreitender Erkenntnisse in der Teil- und in der Schlussentscheidung nicht besteht (vgl. Senatsurteil vom 5. Juni 2002 - XII ZR 194/00 - FamRZ 2002, 1097; vgl. auch Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 301 Rdn. 7 - jeweils m.w.N.).
b) Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos.
aa) So hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Unterbrechung des Rechtsstreits wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen das Verfahren gegen die übrigen Streitgenossen nicht berührt, und zwar trotz der jeweils offen liegenden Gefahr einer abweichenden Entscheidung bei späterer Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens. In ständiger Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof hier die Möglichkeit bejaht, gemäß § 301 ZPO ein Teilurteil zu erlassen (vgl. BGH Urteil vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02 - NJW-RR 2003, 1002 f. m.w.N.). Denn eine Ausnahme ist im Falle der Unterbrechung des Verfahrens durch Insolvenz eines einfachen Streitgenossen regelmäßig gerechtfertigt, weil die Unterbrechung zu einer faktischen Trennung der Verfahren führt. Die Dauer der Unterbrechung ist in der Regel ungewiss. Sie endet, wenn das Verfahren nicht nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen wird, erst dann, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist. Dieses Verfahren kann sich in Einzelfällen viele Jahre lang hinziehen. Ob und gegebenenfalls wann eine Aufnahme erfolgt, ist in aller Regel nicht voraussehbar. Die übrigen Streitgenossen haben keine prozessuale Möglichkeit, die Aufnahme des Verfahrens und damit auch den Fortgang des Prozesses insgesamt zu bewirken. Daher wäre es mit deren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Unterbrechung des Verfahrens eine Entscheidung nur deshalb nachhaltig verzögern würde, weil die abstrakte Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht. Anders kann es zu beurteilen sein, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass das unterbrochene Verfahren alsbald fortgesetzt werden kann (vgl. BGH Urteil vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02 - NJW-RR 2003, 1002 f.).
Gleiches gilt bei der Verfahrensunterbrechung durch den Tod eines einfachen Streitgenossen (vgl. BGH Urteil vom 7. November 2006 - X ZR 149/04 - NJW 2007, 156, 157 f.).
bb) Die Ausnahmen von dem dargestellten Teilentscheidungsverbot sind aber nicht auf den Fall der faktischen Trennung der Verfahren mehrerer einfacher Streitgenossen beschränkt.
Jedenfalls auf Konstellationen der vorliegenden Art, in denen der Gläubiger seine prozessualen Ansprüche durch die Aufnahme des Rechtsstreits nach § 86 InsO nur teilweise weiter verfolgen kann, treffen die gleichen Erwägungen wie bei der Verfahrensunterbrechung wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen zu. Dem klagenden Gläubiger kann hier ebenfalls nicht zugemutet werden, den ungewissen Zeitpunkt der Verfahrensaufnahme nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften (§ 180 Abs. 2 InsO) oder der Beendigung des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Dem Aussonderungsberechtigten steht nämlich die Substanz des Gegenstandes zu. Folge der Aussonderung ist daher die haftungsrechtliche Trennung des Gegenstandes von der Insolvenzmasse. Ein Zuwarten wäre demgemäß mit der privilegierten Stellung eines zur Aussonderung Berechtigten nicht zu vereinbaren. Zudem bestünde für den Gläubiger die Gefahr einer Entwertung seines Aussonderungsrechts durch Handlungen des Insolvenzverwalters.
Anhaltspunkte dafür, dass das unterbrochene Verfahren alsbald fortgesetzt werden kann, sind vorliegend nicht ersichtlich.
III.
Soweit das Verfahren aufzunehmen ist, ist die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Namentlich ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Ergebnis eine unwirksame Vorausverfügung im Sinne des § 1124 Abs. 2 BGB verneint hat (vgl. BGH Urteil vom 25. April 2007 - VIII ZR 234/06 - NJW 2007, 2919).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Günter
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067396
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BGH
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10a. Zivilsenat
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20100610
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Xa ZR 3/07
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Urteil
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§ 633 BGB, § 635 BGB, § 4 VOL B
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vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 20. Dezember 2006, Az: 7 U 1361/01, Urteil vorgehend LG Gera, 30. Oktober 2001, Az: 3 HKO 466/98, Urteil
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DEU
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Werkvertrag: Verantwortlichkeit des Werkunternehmers für mangelhaftes Gesamtwerk bei Erbringung einzelner Leistungen durch den Auftraggeber
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Auf die Revision des Beklagten wird das am 20. Dezember 2006 verkündete Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena aufgehoben, soweit das Berufungsgericht den Beklagten verurteilt hat, an die Klägerin 71.437,94 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Die Anschlussrevision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Vertrag über die Errichtung einer Aufbereitungsanlage für ein Schotterwerk des Beklagten. Die Klägerin begehrt die Rückzahlung einer in Anspruch genommenen Gewährleistungsbürgschaft. Der Beklagte ist dem Anspruch entgegengetreten und hat widerklagend (weiteren) Schadensersatz begehrt.
Der frühere Geschäftsführer der nunmehr in Liquidation befindlichen Klägerin erbrachte im Auftrag des Beklagten zunächst persönlich Planungsleistungen für die Aufbereitungsanlage und führte die Ausschreibung durch. Anschließend schlossen die Parteien einen Vertrag über die Errichtung der Anlage zu einem Festpreis von 9.800.000 DM (5.010.660,44 EUR). Die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen wurden von den vom Beklagten zu erbringenden Leistungen im Leistungsverzeichnis abgegrenzt. In den Besonderen Vertragsbedingungen vereinbarten die Parteien für Maschinen und Anlagenteile eine Gewährleistungsfrist von zwölf Monaten oder 2.000 Betriebsstunden ab Inbetriebnahme. Dem Auftraggeber sollte bei Mängeln der Lieferung das Recht auf Nachbesserung sowie auf Ersatzleistung "unter Ausschluss weiterer Folgen" zustehen. Weiter war die Geltung der Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B) vereinbart.
Die Parteien errichteten die Anlage entsprechend den jeweils übernommenen Leistungsanteilen. Nach einem Probebetrieb wurde am 2. September 1997 ein Abnahmeprotokoll unterzeichnet, in dem der Beginn der Gewährleistungsfrist auf den 4. August 1997 festgelegt wurde. Der Beklagte beglich die Schlussrechnung vollständig. In der Folgezeit rügte er verschiedene Mängel, derentwegen er eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 486.450 DM (248.717,94 EUR) in Anspruch nahm. Die Klägerin hat die Rückzahlung dieses Betrags begehrt. Der Beklagte hat demgegenüber im Weg der Aufrechnung und Widerklage Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 1.150.608,99 DM geltend gemacht, und zwar Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 724.352 DM und Ausfallschäden auf Grund des zur Mängelbeseitigung erforderlichen Stillstands der Anlage in Höhe von 426.246,99 DM. Mit der Widerklage hat er zudem hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Klägerin zum Ersatz der Ausfallschäden verpflichtet ist.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage hinsichtlich des Hauptantrags stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin wurde der Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage und der Widerklage und unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an die Klägerin 71.437,94 EUR zu zahlen. Hiergegen richten sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin. Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit der Klage in Höhe eines Betrags von 71.437,94 EUR nebst Zinsen stattgegeben worden ist, und insoweit nach den Schlussanträgen des Beklagten in der Berufungsinstanz zu erkennen. Die Klägerin beantragt ebenfalls, nach ihren Schlussanträgen in der Berufungsinstanz zu erkennen, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Klägerin stehe gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in Höhe von 71.437,94 EUR zu, weil der Beklagte in dieser Höhe die Bürgschaft ohne rechtlichen Grund in Anspruch genommen habe. Dem Beklagten ständen Schadensersatzansprüche nur in Höhe von 177.280 EUR zu. Deshalb sei auch die Widerklage unbegründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien für die Beseitigung vorhandener Mängel im Sinn des § 633 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) 177.280 EUR aufzuwenden, die der Beklagte als Schadensersatz gemäß § 635 BGB a.F. verlangen könne. Zum einen seien die Konstruktionsteile der Anlage nicht mit einer Beschichtung in der vertraglich vereinbarten Schichtdicke versehen worden; die ersatzfähigen Kosten beliefen sich insoweit auf 77.900 EUR. Auf die Verneinung eines Mangels in dem von ihr vorgelegten Gutachten des Sachverständigen H. könne sich die Klägerin nicht berufen, weil das Zustandekommen eines Schiedsgutachtenvertrags nicht hinreichend dargetan sei. Weiterhin sei der Untergrund der Beschichtung im Ventilatorgehäuse mangelhaft, die Beseitigungskosten betragen 1.200 EUR. Für die mangelhaften Schraubverbindungen in den Silos seien 75.680 EUR aufzuwenden. Schließlich sei das Rohrleitungssystem der Entstaubungsanlage mangelhaft; die ersatzfähigen Mängelbeseitigungskosten beliefen sich insoweit auf 22.500 EUR. Der Schadensersatzanspruch sei auch nicht verjährt; die Verjährung sei jedenfalls vom 16. Dezember 1997 bis zum 28. August 1998 gehemmt gewesen, so dass bis zur Erhebung der Widerklage erst rund elf Monate verstrichen gewesen seien. Weitere Ansprüche ständen dem Beklagten nicht zu. Die durch den Stillstand zur Mängelbeseitigung verursachten Kosten seien nicht ersatzfähig. Das Landgericht habe einen hierauf gerichteten Anspruch des Beklagten durch die Abweisung seines (Hilfs-)Feststellungsantrags rechtskräftig aberkannt. Die gerügten Mängel der Trapezblecharbeiten im Dachbereich seien nicht nachgewiesen oder nicht ausreichend dargelegt. Einschütttrichter und die Brecherumgebung, deren Fehlerhaftigkeit der Beklagte geltend mache, hätten nicht zu den von der Klägerin geschuldeten Leistungen gehört. Die Klägerin habe auch keine Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt. Auch die vom Beklagten behaupteten Mängel der Bandrollenstation und der Abzugsrinne begründeten keinen Schadensersatzanspruch; die ihnen zugrunde liegenden Planungsfehler seien nicht von der Klägerin zu vertreten. Der Vortrag, die Siebmaschine sei unterdimensioniert, reiche zur Darlegung eines Ausführungsmangels nicht aus. Ansprüche wegen Rückzahlung des für die technische Dokumentation geleisteten Betrags seien jedenfalls verjährt.
II. Dies hält zwar den Angriffen der Anschlussrevision, nicht aber den Angriffen der Revision stand.
1. Revision
a) Stillstandskosten
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen notwendiger Stillstandszeiten stehe die Abweisung des hilfsweise zur Entscheidung gestellten Feststellungsantrags durch das Landgericht entgegen.
Entgegen seiner Auffassung ist das erstinstanzliche Urteil insoweit nicht in Teilrechtskraft erwachsen. Das Landgericht hat angenommen, der Hilfsantrag stehe unter der Bedingung, dass im Rahmen der Widerklage nicht über die Berechtigung von Stillstandszeiten entschieden werde. Diese Bedingung sei eingetreten, da die Zuerkennung der Widerklage darauf gestützt werde, dass die Beseitigung der Mängel der Oberflächenbeschichtung mindestens einen Betrag von 1.150.609 DM erfordere. Das vom Landgericht zugrunde gelegte Eventualverhältnis wirkte in der Berufungsinstanz fort, da die Zuerkennung der Widerklage ihrerseits nicht rechtskräftig geworden ist. Da das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten wegen der mangelhaften Beschichtung lediglich mit 177.280 EUR beziffert hat, war jedenfalls im Rahmen des in die Berufungsinstanz gelangten Zahlungsantrags der Widerklage erneut über den auf die Stillstandszeiten gestützten Anspruch des Beklagten zu entscheiden. Damit ist der Beklagte aber auch nicht gehindert, den Antrag auf Abweisung der Klage nunmehr in erster Linie auf die Stillstandszeiten zu stützen.
Der Senat kann nicht in der Sache entscheiden, da das Berufungsgericht zu Grund und Höhe eines solchen Anspruchs keine Feststellungen getroffen hat. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht mit der Frage befasst, ob Nr. 17 der Vertragsbedingungen, nach denen dem Beklagten bei Mängeln der Lieferung das Recht zur Nachbesserung sowie zur Ersatzleistung "unter Ausschluss weiterer Folgen" zustehen soll, zugunsten des Beklagten einer Inhaltskontrolle unterliegt und ob, falls dies - wie vom Landgericht angenommen - nicht der Fall sein sollte, nach dem Willen der Parteien ein Schadensersatzanspruch des Beklagten selbst dann ausgeschlossen sein sollte, wenn die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Mängelbeseitigung nicht nachkam. Bei seiner erneuten Befassung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass im Werkvertragsrecht der zu ersetzende Schaden bereits in der Mangelhaftigkeit des Werks liegt (vgl. BGHZ 59, 365, 366; BGH, Urt. v. 10.4.2003 - VII ZR 251/02; NJW-RR 2003, 878, 879). Zu seinem Ausgleich ist der Betrag zu leisten, der zur Herstellung eines mangelfreien Werks und zum Ausgleich eines dem Besteller entgangenen Gewinns erforderlich ist; Kosten, die durch einen hierzu erforderlichen Stillstand der Anlage ausgelöst werden, gehören nach der gesetzlichen Regelung zu dem zu berücksichtigenden Aufwand und fließen damit in die Berechnung des Schadensersatzanspruchs ein. Ob dies durch die vertragliche Abrede ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, wird in der wiedereröffneten Tatsacheninstanz zu prüfen sein.
b) Trapezblecharbeiten
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt: Der Beklagte stütze den wegen mangelhafter Trapezblecharbeiten im Dachbereich geltend gemachten Anspruch auf die Ausführungen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Hö. vom 31. August 2000. Die Ausführungen des Gutachters seien jedoch nicht verwertbar. Nach diesen ergebe sich zwar bei den Überlappungen der Längsstöße ein unzulässig hoher Abstand der Verbindungselemente. Der Sachverständige nehme hierzu jedoch Bezug auf ein Bild, das einen Ausschnitt einer Blechwand, nicht eines Dachs zeige. Schäden am Dach seien daher nicht bewiesen. Weitere Mängel seien nicht substantiiert dargetan, die Bezugnahme auf das Gutachten reiche angesichts der in sich widersprüchlichen Ausführungen des Gutachters nicht aus.
Dies rügt die Revision zu Recht als verfahrensfehlerhaft. Der Beklagte hat geltend gemacht, die Trapezblecharbeiten im Dachbereich wiesen diejenigen Mängel auf, die im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen bezeichnet sind. Wie das Berufungsgericht ausdrücklich erwähnt, nimmt der Sachverständige zudem für die Berechnung der Kosten auf das Angebot eines Dachdeckerbetriebs Bezug, in dem darauf hingewiesen wird, da die Verlegerichtlinien an der Wand nicht eingehalten worden seien, sei davon auszugehen, dass diese möglicherweise bei der Verlegung der Dachplatten ebenfalls nicht eingehalten worden seien. Wenn das Berufungsgericht gleichwohl Zweifel daran hatte, dass sich die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen (auch) auf das Dach bezogen oder ob der Sachverständige die Verhältnisse im Dachbereich überprüft hatte, musste es diesen dazu befragen und durfte den Beklagten nicht wegen der "Widersprüchlichkeit" des Gerichtsgutachtens als beweisfällig behandeln.
c) Einschütttrichter
Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Beklagten verneint, weil der Einschütttrichter zu den vom Beklagten selbst zu erbringenden Leistungen gehöre. Sein Einwand, die Klägerin habe Aufklärungs- und Beratungspflichten hinsichtlich der konstruktiven Gestaltung des Trichters verletzt, sei unsubstantiiert. Aus § 4 Nr. 3 VOB/L könne für eine konkrete Aufklärungspflicht nichts hergeleitet werden. Es sei weder ersichtlich, aufgrund welcher vertraglichen Verpflichtung Aufklärungspflichten der Klägerin in Betracht kämen, noch sei vorgetragen, bei Erteilung welcher konkreten Hinweise welche Schäden hätten vermieden werden können.
Damit hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht rügt, die Bedeutung der Prüfungs- und Hinweispflichten des Werkunternehmers verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Werk auch dann mangelhaft, wenn es eine vereinbarte Funktion nur deshalb nicht erfüllt, weil vom Besteller gelieferte Stoffe oder Bauteile oder Vorleistungen anderer Unternehmer, von denen die Funktionsfähigkeit des Werks abhängt, unzureichend sind. Der Unternehmer kann in diesen Fällen der Verantwortlichkeit für den Mangel seines Werks durch Erfüllung seiner Prüfungs- und Hinweispflichten entgehen, trägt insoweit jedoch die Darlegungs- und Beweislast (BGHZ 174, 110 Tz. 21 ff.). Der Rahmen der Prüfungs- und Hinweispflicht und ihre Grenzen ergeben sich aus dem Grundsatz der Zumutbarkeit, wie sie sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls darstellt (BGH, Urt. v. 23.10.1986 - VII ZR 48/85, BauR 1987, 79, 80). Was hiernach zu fordern ist, bestimmt sich in erster Linie durch das vom Unternehmer zu erwartende Fachwissen und durch alle Umstände, die für den Unternehmer bei hinreichend sorgfältiger Prüfung als bedeutsam erkennbar sind (BGHZ 174, 110 Tz. 24; BGH, Urt. v. 12.12.2001 - X ZR 192/00, BauR 2002, 945, 946). Ob die Klägerin insoweit ihren Hinweispflichten genügt hat, hat das Berufungsgericht nicht geprüft; mit der Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. Hö. , die Klägerin sei ihren Pflichten nicht nachgekommen, hat es sich nicht auseinandergesetzt.
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung der Klägerin war dies auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Einschütttrichter als vom Beklagten zu errichtender Anlagenteil außerhalb der Verantwortung der Klägerin als Werkunternehmer lag. Nach dem Vertrag war die Aufbereitungsanlage nicht von den Parteien gemeinsam oder jeweils teilweise, sondern von der Klägerin zu errichten. Dass bestimmte Leistungen, wie es im Vertrag heißt, "bauseits" zu erbringen waren, ändert nichts an der Verpflichtung der Klägerin, dem Beklagten ein funktionsfähiges Gesamtwerk zur Verfügung zu stellen.
d) Bandrollenstation
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, nach der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. Hö. und Prof. Dr. B. sei die Bandrollenstation des Gurtförderbandes durch zu große kinetische Energien infolge großer Brechgutkörnungen und einer Fallhöhe von ca. 3 m extrem belastet. Der Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. Hö., der Aufwand für den Einbau einer Fallstufe sei von der Klägerin zu tragen, sei jedoch nicht zuzustimmen. Die zu große Fallhöhe habe ihre Ursache in einem von der Klägerin nicht zu vertretenden Planungsfehler.
Mit dieser Begründung kann auch insoweit ein Anspruch des Beklagten nicht verneint werden. Ist die Bandrollenstation mangelhaft, hat die Klägerin nach dem Vorstehenden hierfür grundsätzlich auch dann einzustehen, wenn der Mangel auf einem Planungsfehler beruht. Ob die Kosten für den Einbau einer Fallstufe als "Sowieso-Kosten" ganz oder teilweise gleichwohl vom Beklagten zu tragen sind, kann der Senat mangels Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen.
e) Abzugsrinne/Bandaufgabekasten und Siebmaschine
Insoweit gelten die Ausführungen zu d entsprechend.
f) Technische Dokumentation
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung von 10.992,77 EUR verneint, die dieser - jedenfalls nach seinem Vortrag unter Vorbehalt der Rückforderung - für die Herausgabe technischer Unterlagen gezahlt hat. Es könne offenbleiben, ob die Klägerin überhaupt verpflichtet gewesen sei, die Unterlagen kostenlos herauszugeben. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, handle es sich um einen Mangel, hinsichtlich dessen die Klägerin erfolgreich die Einrede der Verjährung erhoben habe, da die Unterlagen nicht innerhalb der Gewährleistungsfrist angefordert worden seien. Für eine Hemmung der Verjährung habe der Beklagte nichts dargetan.
Auch dies hält der Nachprüfung nicht stand. Wenn der Beklagte, was das Berufungsgericht offengelassen hat und daher für die revisionsrechtliche Prüfung zu unterstellen ist, einen vertraglichen Anspruch auf Überlassung der technischen Dokumentation hatte, so handelte es sich um einen Erfüllungs- und nicht um einen Gewährleistungsanspruch (vgl. zur Aushändigung von Dokumentationsunterlagen zu einer EDV-Systemlösung: BGH, Urt. v. 3.11.1992 - X ZR 83/90, WM 1993, 561), der der vereinbarten Gewährleistungsfrist nicht unterlag.
2. Anschlussrevision
a) Oberflächenbeschichtung
(1) Die Annahme des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei kein Schiedsgutachtenvertrag zustande gekommen, hält den Angriffen der Anschlussrevision stand. Das Berufungsgericht hat angenommen, aus dem Inhalt der von der Klägerin vorgelegten Schreiben vom 24. März und 24. April 1997 lasse sich nicht auf eine wirksame Schiedsgutachtervereinbarung schließen. Das erstere Schreiben habe lediglich die Ankündigung der Klägerin zum Inhalt, dass "gemäß Vereinbarung … ein unabhängiger Gutachter" bestellt werde und die Kosten, soweit das Gutachten zu dem Ergebnis komme, dass die geforderten Schichtdicken von 100 μm erreicht würden, vom Beklagten zu tragen seien. Das zweite Schreiben enthalte lediglich die Aufforderung zur Kostenerstattung. Aus dem Umstand, dass der Beklagte dem nachgekommen sei, lasse sich nicht auf den Abschluss einer Schiedsgutachtenvereinbarung schließen.
Zwar muss das Fehlen einer ausdrücklichen Vorgabe, nach der die Feststellungen des Sachverständigen "verbindlich" sein sollen und einer gerichtlichen Überprüfung nur wegen offenbarer Unrichtigkeiten zugeführt werden können, einer Schiedsgutachtenabrede nicht notwendig entgegenstehen, maßgebend ist vielmehr die Auslegung der getroffenen Abrede im Einzelfall. Auch wenn das nachträgliche Verhalten der Parteien den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen kann, kann es Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten haben (BGH, Urt. v. 22. Juni 2005 - VIII ZR 214/04, NJW-RR 2005, 1323, 1324 Tz. 18). Dies hat das Berufungsgericht ersichtlich nicht verkannt. Aus den von der Anschlussrevision angeführten Gesichtspunkten ergibt sich jedenfalls nicht zwingend, dass ein Schiedsgutachtenvertrag zustande gekommen ist. Die Auslegung des Berufungsgerichts ist deshalb möglich und revisionsrechtlich hinzunehmen.
(2) Auch der Angriff der Anschlussrevision gegen die Bemessung der Anspruchshöhe bleibt ohne Erfolg. Der Sachverständige und ihm folgend das Berufungsgericht haben bei der Schadensbemessung berücksichtigt, dass der Beklagte die notwendigen Instandsetzungsarbeiten nicht selbst durchgeführt hat; ein Rechtsfehler tritt nicht hervor.
(1) (3) Die Verfahrensrügen der Anschlussrevision hat der Senat geprüft, aber nicht als durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO). Insbesondere war das Berufungsgericht, das sich mit den Bekundungen des Sachverständigen Dr. S., auch soweit dieser vom Gutachten Dr. B. abgewichen ist, eingehend auseinandergesetzt hat, nicht verpflichtet, sich ausdrücklich mit dem als qualifizierter Parteivortrag zu wertenden Gutachten H. in der Sache zu befassen. Die Auseinandersetzung mit den Bekundungen des Sachverständigen Dr. S. ist vielmehr in sich schlüssig und reichte auch sachlich zur Widerlegung der Ergebnisse des Gutachtens H. aus.
b) Beschichtung des Ventilatorgehäuses
Das Berufungsgericht hat insoweit, gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B., einen Mangel festgestellt, dessen Beseitigung einen Aufwand von 1.200 EUR erfordere. Die Rüge der Anschlussrevision, es habe sich nicht mit dem gegenteiligen Befund des Sachverständigen Prof. Dr. S. auseinandergesetzt, ist nicht begründet. Aus der von ihr in Bezug genommenen Aktenstelle (Bd. VII Bl. 955) ergibt sich lediglich, dass der Sachverständige Prof. Dr. S. Ausführungsmängel in der Form von Abweichungen von Materialdicke, Fehler in Schweißverbindungen, Fehlern in Schraubverbindungen nicht gefunden ("festgestellt") hat. Abblätterungen am Ventilatorgehäuse betrifft dies ersichtlich nicht.
c) Schraubenverbindungen in den Silos und Verschleißschutz des Rohrleitungssystems
Das Berufungsgericht hat, gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S., angenommen, die Klägerin habe die Schraubverbindungen nicht fachgerecht ausgeführt und das Rohrleitungssystem sei aufgrund seiner Verschleißanfälligkeit für den störungsarmen Betrieb einer Entstaubungsanlage von Hartsteinwerken nicht geeignet. Dabei hat es sich auch mit den gegenteiligen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. befasst. Die Anschlussrevision unternimmt den vergeblichen Versuch, die aufgrund sachverständiger Beratung getroffene tatrichterliche Würdigung, dass die gelockerten Verbindungen und die Verschleißerscheinungen auf von der Klägerin verwendete ungeeignete Sicherungen und Rohrkrümmer zurückzuführen sind, durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen, ohne einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen. Soweit sie als übergangen rügt, dass der Sachverständige Prof. Dr. S. eingeräumt habe, dass in einzelnen Silos Sicherungsmuttern (Palmuttern) vorhanden seien, weist die Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, dass es sich nach den Ausführungen im Gutachten um eine Nachrüstung des Beklagten handelt und insoweit ein Lösen der Verbindungen gerade nicht zu erkennen war.
d) Verjährung
Keinen Erfolg hat schließlich die Rüge der Anschlussrevision, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass die Schadensersatzansprüche des Beklagten verjährt seien, weil die Betriebsstundenzahl von 2.000 bei Ablauf der 12-Monats-Frist bereits überschritten gewesen sei.
Das Berufungsgericht hat dies für "angesichts der vorgelegten Tagesberichte" zu unsubstantiiert erachtet, da die Behauptung der Klägerin lediglich darauf beruhe, dass sie eine tägliche Betriebszeit von 10 Stunden seit dem 4. Juli 1997 zugrunde lege. Darüber hinaus habe die Klägerin die behaupteten Betriebsstunden nicht bewiesen.
Letzterem tritt die Anschlussrevision nicht entgegen. Sie macht lediglich geltend, die Klägerin stehe außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs und kenne die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während der Beklagte sie kenne und ihm ergänzende Angaben zuzumuten seien. Dies geht jedoch daran vorbei, dass das Berufungsgericht das Klagevorbringen angesichts der (vom Beklagten) vorgelegten Tagesberichte für unzureichend gehalten hat. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht zu dem Schluss hätte kommen müssen, dass der Klägerin auch in Auseinandersetzung hiermit ein weiterer Vortrag nicht möglich oder nicht zuzumuten war, zeigt die Anschlussrevision nicht auf.
Meier-Beck Keukenschrijver Gröning
Bacher Hoffmann
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 18. September 2009, Az: 11 A 10504/09, Urteil
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DEU
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Disziplinarrecht: Schweres Dienstvergehen im Sinne des § 13 Abs. 2 BDG; endgültiger Vertrauensverlust
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. September 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG) ist unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das der Beklagte aus dem Dienst entfernt worden ist, zurückgewiesen. Das Gericht hat festgestellt, dass der Beklagte an einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 24. Juni 2006 mit einem ihm seinerzeit unterstellten Mitarbeiter vereinbart hat, dieser werde beim Betreten der Dienststelle morgens gegen 6:00 Uhr das Arbeitszeiterfassungsgerät in unzulässiger Weise dadurch bedienen, dass er neben seiner eigenen auch die Zeiterfassungskarte des Beklagten vor die Leseeinrichtung des Gerätes halte und anschließend sowohl für sich als auch für den Beklagten die Taste "Kommen" betätige. Tatsächlich sei der Beklagte erst gegen 8:00 Uhr in der Dienststelle erschienen. Durch diese Täuschungshandlungen seien für den Beklagten Anwesenheitszeiten erfasst worden, in denen er in Wirklichkeit seinen Dienst noch nicht verrichtet habe. In gleicher Weise sei der Beklagte für diesen Mitarbeiter verfahren, der sich durch den Beklagten an diesen Tagen zu einem Zeitpunkt habe ausbuchen lassen, an dem er die Dienststelle längst verlassen gehabt habe. Dieses Fehlverhalten des Beklagten im Zeitraum vom 24. Juni 2006 bis zum 1. Juni 2007 stelle ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, durch das er das Vertrauen des Dienstherrn im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG endgültig verloren habe.
2. a) Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 69 BDG) sieht die Beschwerde in der Frage, ob "eine Arbeitszeitmanipulation stets als 'schweres Dienstvergehen' im Sinne des § 13 Abs. 2 BDG anzusehen" ist.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 69 BDG, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage nicht erfüllt.
Die Rechtssache hat die ihr von der Beschwerde zugeschriebene grundsätzliche Bedeutung deshalb nicht, weil in der Rechtsprechung geklärt ist, dass die Entscheidung, ob ein Beamter durch ein schweres Dienstvergehen im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt. Der endgültige Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3).
Hieraus folgt unmittelbar, dass die Annahme, ein bestimmtes Fehlverhalten eines Beamten - hier die Manipulation von Geräten zur Erfassung der Arbeitszeit - führe in jedem Fall ("stets") zur Anwendung des § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG, ausgeschlossen ist.
Davon abgesehen ist der in der Beschwerdebegründung zum Ausdruck kommende Vorwurf, das Berufungsgericht sei im Gegensatz zu anderen Oberverwaltungsgerichten davon ausgegangen, eine Manipulation eines Zeiterfassungsgerätes durch einen Beamten führe automatisch zur Annahme eines schweren Dienstvergehens im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG, unberechtigt. Vielmehr hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats die Umstände des konkreten Einzelfalls gewürdigt.
b) Als Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG rügt der Beklagte, dass das Berufungsgericht auch die Aussage der Zeugin K. zu seinen Lasten verwertet habe. Tatsächlich sei diese Aussage der Zeugin über eine von ihm getätigte Äußerung nicht verwertbar, weil nach wie vor nicht eindeutig geklärt sei, ob diese Äußerung vor oder nach der Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht erfolgt sei. Damit wird kein Verfahrensmangel bezeichnet.
Der Beklagte hat mit seiner Unterschrift bestätigt, die Niederschrift über seine am 9. Juli 2007 erfolgte Anhörung selbst gelesen und genehmigt zu haben. Gegenstand dieser Anhörung war auch der Themenbereich "Zeiterfassung". Nach dieser Niederschrift ist der Beklagte über seine Rechte im Disziplinarverfahren, insbesondere das Recht zur Aussageverweigerung, belehrt worden. Die vom Beklagten inhaltlich nicht bestrittene Aussage gegenüber der Zeugin K. ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst am 10. Januar 2008 erfolgt.
Ferner rügt der Beklagte unter dem Hinweis auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), das Berufungsgericht habe den Umstand, dass er unter einer erheblichen psychischen Belastung leide, verfahrensfehlerhaft nicht in die Abwägung nach § 13 Abs. 1 BDG eingestellt. Auch insoweit ist ein Verfahrensverstoß nicht festzustellen.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet unter anderem dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158> = Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 14 m.w.N.; Beschluss vom 18. Mai 1999 - BVerwG 7 B 11.99 - juris Rn. 4). Somit darf das Tatsachengericht insbesondere nicht wesentliche Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 m.w.N.).
In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht in diesem Sinne gegen § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen hat. Dem Berufungsgericht lagen keine Hinweise für die Annahme vor, die mit dem Disziplinarverfahren für den Beklagten verbundene psychische Belastung sei derart hoch, dass sie mit einem über das normale Maß hinausgehenden Gewicht in die nach § 13 BDG gebotene Abwägung der Gesamtumstände einzustellen sei. Das im Berufungsverfahren vom Beklagten vorgelegte Attest des behandelnden Facharztes vom 18. März 2009 behauptet lediglich die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Beklagten. Das vom Berufungsgericht zur Frage der Verhandlungsfähigkeit eingeholte amtsärztliche Gutachten vom 30. Juli 2009 lässt ebenfalls keine außerordentlichen psychischen Belastungen erkennen, die auf das anhängige Disziplinarverfahren zurückzuführen sind.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil das gerichtliche Verfahren kostenfrei ist (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 85 Abs. 11 BDG).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067748
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BGH
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3. Strafsenat
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20100519
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3 StR 56/10
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Urteil
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§ 232 Abs 1 S 1 StGB, § 232 Abs 4 Nr 1 StGB
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vorgehend LG Osnabrück, 10. September 2009, Az: 1 KLs 19/08 - 730 Js 19834/08, Urteil
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DEU
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Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung: Drohung mit dem Verlust der Wohnung als Drohung mit einem empfindlichen Übel
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Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Zuhälterei in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel, vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und ein Mobiltelefon eingezogen. Hiergegen richten sich die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten Tateinheit zwischen der Körperverletzung sowie der Freiheitsberaubung und den Delikten der Zuhälterei und des schweren Menschenhandels angenommen. Dies käme nur in Betracht, wenn der Angeklagte die Nebenklägerin körperlich misshandelt und in der Wohnung eingesperrt hätte, um sie dadurch zugleich zur (Wieder-)Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bringen (§ 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB) oder sie davon abzuhalten, die Prostitution aufzugeben (§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 3. Alt. StGB). Ein solcher Zusammenhang ist indes nicht festgestellt. Vielmehr hatte der Angeklagte die Nebenklägerin aus dem Bordell in L. abgeholt, um die erforderlichen Arbeitspapiere für sie zu besorgen. Beim Frühstück kam es in der Wohnung des Angeklagten zu einem Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte auf die Nebenklägerin einschlug. Zwar hat das Landgericht nicht klären können, was Gegenstand des Streits war. Ein Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung der Nebenklägerin liegt indes fern, nachdem diese bekundet hat, die körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten hätten ihre Ursache in dessen spontaner Eifersucht gehabt. Gleiches gilt für die Freiheitsberaubung, die der Angeklagte selbst damit erklärt hat, er habe in seiner Wut über diese Auseinandersetzung beim Verlassen der Wohnung die Türe versperrt.
b) Das Rechtsmittel führt auch (§ 301 StPO) zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten einen besonders schweren Menschenhandel nach § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB bejaht hat.
aa) Nach den Feststellungen war die Nebenklägerin nicht ausschließbar nach Deutschland gereist, um hier der Prostitution nachzugehen, und hatte diese Tätigkeit auch schon vor dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten andernorts ausgeübt. Der Angeklagte beherbergte und verpflegte sie. Auch war er in den Besitz ihres Passes gelangt. Ohne sein Zutun ging sie zuerst auf dem Straßenstrich der Prostitution nach, ehe sie sich auf Vermittlung des Angeklagten einen Abend lang in einem Bordell und später für etwa zwei Wochen in der "Villa ..." prostituierte. Sodann teilte sie dem Angeklagten mit, sie wolle der Prostitution nicht weiter nachgehen, sondern vielmehr eine dauerhafte Beziehung zu ihm eingehen oder nach Bulgarien zurückkehren. Der Angeklagte lehnte eine feste Beziehung zu der Nebenklägerin unter Hinweis auf seine Familie ab. Er erklärte ihr, wenn sie nach Bulgarien zurück wolle, müsse sie sich das Geld dafür selbst weiterhin durch Prostitution verdienen. Wenn sie diese aber nicht fortsetze, müsse sie seine Wohnung sofort verlassen. Ihm war dabei klar, dass die Nebenklägerin erhebliche Angst davor hatte, allein und mittellos auf der Straße zu stehen. Er wollte sie damit anhalten, der Prostitution - auch zu seinen Gunsten - weiter nachzugehen. Die Nebenklägerin übte daraufhin weiter die Prostitution aus.
bb) Diese Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Fortsetzung oder (Wieder-)Aufnahme der Prostitution gebracht hat. Ein derartiges empfindliches Übel droht der Täter nur dann an, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von einer Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren und von ihm in seiner konkreten Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält (BGHSt 31, 195, 201).
Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte nach diesem Maßstab mit seiner Ankündigung, die Nebenklägerin könne nicht länger bei ihm wohnen, wenn sie sich nicht weiter prostituiere, in Verbindung mit dem "Einbehalten des Passes" ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt hat. Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, beruhte dies allenfalls auf der Hilflosigkeit, die für die des Deutschen nicht mächtige sowie des Lesens und Schreibens "im wesentlichen" unkundige Nebenklägerin mit ihrem Aufenthalt in Deutschland verbunden war. Eine hierdurch bewirkte Willensbeugung wird indes in § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB gesondert unter Strafe gestellt, der sich mithin in derartigen Fällen als Privilegierung gegenüber § 232 Abs. 4 Satz 1 StGB darstellt. Eine Verurteilung des Angeklagten nach letztgenannter Vorschrift scheidet daher aus.
cc) Die Feststellungen belegen aber auch dessen Strafbarkeit nach § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht. Zwar war der Angeklagte im Besitz des Passes der Nebenklägerin. Das Landgericht hat aber nicht festgestellt, wie der Angeklagte in dessen Besitz gekommen ist; schon gar nicht steht fest, dass er den Pass einbehalten hat, um die Situation der Nebenklägerin als Ausländerin zu verschlechtern und sie in ihrer Fähigkeit, sich seinem Ansinnen zu widersetzen, zu schwächen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 232 Rdn. 10). Auch könnte die Prostitutionstätigkeit, der die Nebenklägerin vor dem Eintreffen beim Angeklagten unwiderlegt selbständig nachgegangen war, gegen eine ausländerspezifische Hilflosigkeit sprechen. Der Senat ist deshalb gehindert, den Schuldspruch abzuändern.
2. Die Revision des Angeklagten führt wegen der fehlerhaften Anwendung von § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB ebenfalls zur Aufhebung des Urteils.
3. Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:
a) Sofern der Angeklagte den Pass der Nebenklägerin von Anfang an mit dem Ziel einbehalten hat, die Nebenklägerin daran zu hindern, die Prostitution aufzugeben, läge auch in dem Zeitraum, in dem diese einen solchen Willen nicht gefasst hatte, sondern freiwillig der Prostitution nachgegangen war, ein Vergehen der Zuhälterei auch in der dritten Tatvariante des § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB (Maßnahmen treffen, die die Person davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben) vor.
b) Ob der Angeklagte im Hinblick auf die zuerst in der "Villa ..." und sodann in der "M.-Bar" ausgeübte Tätigkeit der Nebenklägerin eine oder mehrere Taten der Zuhälterei begangen hat, ist davon abhängig, ob die Nebenklägerin die Prostitution endgültig aufgegeben hatte, als sie sich nach der Rückkehr aus der "Villa ..." wieder beim Angeklagten aufhielt. Bei der Zuhälterei handelt es sich um ein Dauerdelikt, so dass mehrere, zeitlich gestreckte dirigierende Maßnahmen zum Nachteil einer Prostituierten rechtlich zu einer Tat zusammengefasst werden (BGHSt 39, 390). Dies ist aber anders, wenn die Prostituierte den Willen hat, ihre Tätigkeit zu beenden, und die dirigierende Zuhälterei erst wieder einsetzen kann, nachdem dieser Wille überwunden ist (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 170). Die bisherigen Feststellungen legen eine solche Zäsur, bei deren Vorliegen sodann in Bezug auf § 232 StGB von einer (Wieder-) Aufnahme der Prostitution und nicht von deren Fortsetzung auszugehen wäre, nicht nahe. Danach hatte der Angeklagte die Nebenklägerin aus der "Villa ..." abgeholt, weil deren Betreiber ihn darum gebeten hatte. Nicht ausschließbar mit dem Einverständnis der Nebenklägerin hatte der Angeklagte unmittelbar danach versucht, diese in einem anderen Bordell unterzubringen. Die Rückkehr in die Wohnung des Angeklagten diente erkennbar nicht dem Ziel, die Nebenklägerin zukünftig zu beherbergen und nicht mehr der Prostitution nachgehen zu lassen.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100067749
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BGH
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3. Strafsenat
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20100706
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3 StR 219/10
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Beschluss
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§ 46 StGB
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vorgehend LG Hildesheim, 4. März 2010, Az: 12 Ks 17 Js 26916/09, Urteil
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DEU
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Strafzumessung: Strafschärfende Berücksichtigung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 4. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über
a) die Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung sowie
b) die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls in drei Fällen und wegen Hehlerei zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zwar hat das Landgericht auch aus dem Umstand, dass er sich in der Hauptverhandlung erst eingelassen und eine Notwehrsituation behauptet hat, nachdem wesentliche Teile der Beweisaufnahme bereits durchgeführt worden waren, rechtsfehlerhaft (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 261 Rdn. 16) für den Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen (UA S. 24 f.). Der Senat kann jedoch im Hinblick auf die übrigen Teile der ausführlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung auf diesem Rechtsfehler beruht.
2. Die für die gefährliche Körperverletzung verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten kann jedoch nicht bestehen bleiben. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Gesamtstrafenausspruch.
Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minderschweren Falles und bei der konkreten Strafzumessung strafschärfend gewertet, der Angeklagte habe durch die wahrheitswidrige Behauptung, er sei vom Geschädigten grundlos mit einem Messer angegriffen worden und dessen Verletzungen seien bei seinen Abwehrbemühungen entstanden, diesen in unzulässiger Weise in Misskredit gebracht und damit die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil unter den gegebenen Umständen in einem solchen Verteidigungsverhalten weder eine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers noch eine rechtsfeindliche Gesinnung gesehen werden kann (BGH StV 1999, 536 f.).
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer Mayer
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Deutschland
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BMJV
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JURE100067750
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BGH
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3. Strafsenat
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20100624
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3 StR 90/10
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Urteil
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§ 266 Abs 1 StGB, § 6 Abs 1 S 1 StiftG ND, § 6 Abs 3 S 1 StiftG ND
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vorgehend LG Aurich, 13. Oktober 2009, Az: 121 Js 21832/08 - 11 KLs 6/09, Urteil
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DEU
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Untreue: Umschichtung eines Teils des baren Stiftungsvermögens in wertgleiche Sachmittel durch den Stiftungsvorstand
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Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 13. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in acht Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Er ist der Auffassung, sein Verhalten erfülle nicht den Tatbestand der Untreue. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einem zu geringen Schaden ausgegangen.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist als unbeschränkt eingelegt anzusehen. Eine Beschränkung auf den Strafausspruch, die sich aus der Revisionsbegründung ergeben könnte, wäre unwirksam, weil die von der Beschwerdeführerin erstrebte neue Entscheidung über die Schadenshöhe dazu führen kann, dass das Tatbestandsmerkmal (Vermögens-)Nachteil zu verneinen ist. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
I. Feststellungen und rechtliche Würdigung des Landgerichts
1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte alleiniger Vorstand der Stiftung "J. B." (im Folgenden: "J. B."), einer außeruniversitären öffentlichen und jedermann zugänglichen Bibliotheks- und Studieneinrichtung für den reformierten Protestantismus. Oberstes Organ der Stiftung ist das Kuratorium, das die Geschäftsführung des Vorstands überwacht und ihm gegebenenfalls Weisungen erteilt. Das Stiftungsvermögen bestand aus Grundstücken, Gebäuden, einem umfangreichen historischen Bibliotheksbestand mit Büchern, Archivalien, Bildern, Mobiliar und Inventar sowie Kapitalvermögen, das in Aktien und anderen, einem Kursrisiko unterliegenden Finanzprodukten angelegt war. Durch die Krise an den Börsen in Folge des Anschlags auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 hatte sich das Barvermögen der Stiftung bis Ende 2007 auf 3.417.794,30 € verringert.
Der Angeklagte war auch einzelvertretungsberechtigter Vorstand der Stiftung "L." in ..., deren Zweck die Förderung von Kunst, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Religion, insbesondere auch die Förderung der "J. B." war. Das Stiftungsvermögen setzte sich aus Sachwerten in Höhe von ca. 134.000 € sowie Bankguthaben von ca. 3.000 € zusammen.
Der Angeklagte, der die finanzielle Situation beider Stiftungen kannte, kaufte im Zeitraum vom 9. November 2005 bis 10. Januar 2008 in acht Fällen für die "J. B." Archive, Gemälde, Druckgraphik und Bücher für insgesamt 1.689.000 €. Vom Kuratorium, das jeweils vom Angeklagten informiert worden war, wurden gegen die Ankäufe und deren Bezahlung aus dem Stiftungskapital keine Einwände erhoben, obwohl die Mitglieder des Kuratoriums gleichzeitig über die Schwierigkeiten klagten, die laufende Arbeit der Stiftung wegen deren geringer finanzieller Ausstattung zu finanzieren. In drei Fällen übertrug der Angeklagte die "Rechte und Pflichten" aus den Kaufverträgen auf den "L.".
2. In seiner rechtlichen Würdigung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Angeklagte habe in acht Fällen die ihm eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der "J. B." zu verfügen, missbraucht, und dieser dadurch einen Schaden von insgesamt 59.794 € zugefügt. Er habe gegen seine Pflicht verstoßen, das Barvermögen der Stiftung, aus dessen Erträgen deren laufender Betrieb zu finanzieren gewesen sei, ungeschmälert zu erhalten. Zwar seien der "J. B." Sachwerte in Höhe des jeweils gezahlten Kaufpreises zugeflossen, so dass das Stiftungsvermögen insgesamt in seinem Bestand nicht nachteilig verändert worden sei. Jedoch habe der Angeklagte der Stiftung Liquidität in Höhe der Kaufpreise entzogen und damit deren laufenden Betrieb durch den Ausfall von Zinserträgen erheblich gefährdet. Der entstandene Schaden errechne sich aus einer entgangenen Verzinsung von 2 % des jeweiligen Kaufpreises, beginnend jeweils am Tag des Vertragsschlusses und endend am letzten Arbeitstag des Angeklagten. Eine teilweise Refinanzierung der Ankäufe durch die Stiftung "L." sei angesichts deren geringer liquider Mittel weder möglich noch zu erwarten gewesen. Von einer wirksamen Einwilligung des Kuratoriums habe der Angeklagte nicht ausgehen können, weil insoweit ein kollusives Zusammenwirken der Stiftungsorgane zum Nachteil des Stiftungsvermögens vorgelegen habe.
II. Gegen den Schuldspruch bestehen aus mehreren Gründen durchgreifende rechtliche Bedenken.
1. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die ihm eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der Stiftung zu verfügen und diese zu verpflichten, missbraucht hat (§ 266 Abs. 1 1. Alt. StGB).
a) Zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, dass dem Angeklagten durch Rechtsgeschäft die Pflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB übertragen worden war, als Vorstand bei der Verwaltung der "J. B." deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 266 Rdn. 48 Stiftungsvorstände). Denn nach § 2 des Vorstandsvertrages war er verpflichtet, sich bei allen Entscheidungen allein vom Wohl der Stiftung leiten zu lassen und bei der Geschäftsführung für deren wirtschaftliche, finanzielle und organisatorische Belange in bester Weise zu sorgen.
Da die Satzung der Stiftung, der zwischen der Stiftung und dem Angeklagten abgeschlossene Vorstandsvertrag vom 14. Februar 2001 und ergänzend das Niedersächsische Stiftungsgesetz für die Geschäftsführung nur allgemeine Richtlinien vorgaben, handelte es sich bei der Verwaltung der "J. B." grundsätzlich um eine Führungs- und Gestaltungsaufgabe, für die ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum bestand. Dies galt auch für die Entscheidungen über die Anlage des Stiftungsvermögens und den Ankauf von Gegenständen, weil insoweit eine zukunftsbezogene Gesamtabwägung von Chancen und Risiken zu treffen war. Deshalb kann eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht nur bejaht werden, wenn der Angeklagte zum Zeitpunkt der Entscheidungen über die acht Ankäufe die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, am Wohl der Stiftung orientiertes und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes Handeln bewegen muss, überschritt (vgl. BGHSt 50, 331, 336 m. w. N.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266 Rdn. 20; Fischer aaO § 266 Rdn. 63 ff.; Hof in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 8 Rdn. 290).
b) Nach diesen Maßstäben tragen die Feststellungen indes nicht die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe durch den Abschluss der acht Kaufverträge und die Bezahlung der Kaufpreise jeweils seine Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis missbraucht und dadurch die ihm gegenüber der "J. B." obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt. Dass die Ankäufe der Archive, Bücher, Gemälde und Druckgraphik dem Stiftungszweck gemäß § 3 der Satzung widersprachen, ist nicht festgestellt. Die vom Landgericht angenommene Verpflichtung des Angeklagten gegenüber der Stiftung, deren Geldvermögen zwingend als solches zu erhalten und eine Anlage in Sachmitteln zu unterlassen, ergibt sich weder aus § 2 des Vorstandsvertrages noch aus § 12 der Satzung oder dem Niedersächsischen Stiftungsgesetz. Zwar war er nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 des Niedersächsischen Stiftungsgesetzes verpflichtet, die Stiftung ordnungsgemäß zu verwalten und das Stiftungsvermögen in seinem Bestand ungeschmälert bestehen zu lassen. Diese Vorschrift beinhaltet jedoch keine Pflicht, das Stiftungsvermögen in seiner jeweiligen Zusammensetzung zu bewahren, sondern lediglich ein - in Einzelheiten umstrittenes - Werterhaltungsgebot (vgl. Hof aaO § 9 Rdn. 54 ff., 60 ff., 113 ff.; Kohnke, Die Pflichten des Stiftungsvorstands aus Bundes- und Landesrecht S. 18 ff.; Otto/Kuhli, Handbuch der Stiftungspraxis 2007, S. 65 ff.). Unter diesen Umständen stellt sich die Umschichtung eines Teils des Geldvermögens in wertgleiche Sachmittel als solche nicht als ein Missbrauch der Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis dar.
Soweit das Landgericht einen Missbrauch der Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis darin gesehen hat, dass der Angeklagte im Innenverhältnis gegenüber der Stiftung nicht berechtigt war, die acht Kaufverträge abzuschließen, weil nach Zahlung der Kaufpreise mangels ausreichender Erträge aus dem Kapitalvermögen deren laufender Betrieb gefährdet gewesen sein soll (vgl. zum Problem, Erträge aus dem Stiftungsvermögen zu erwirtschaften, Hof aaO Rdn. 89 ff.), handelt es sich um eine Wertung ohne ausreichende tatsächliche Grundlage in den Urteilsgründen. Ob die finanzielle Situation der "J. B." so angespannt war, dass die Zinserträge aus dem gesamten ungeschmälerten Geldvermögen für deren Funktionsfähigkeit unabdingbar waren und der Angeklagte deshalb ausnahmsweise die Ankäufe aus diesem vorrangigen Gesichtspunkt zwingend unterlassen musste, kann der Senat nicht überprüfen. Denn es fehlt an einer nachvollziehbaren Darstellung, welche Einnahmen der Stiftung durch Zinsen oder Zuwendungen und welche Ausgaben zu deren laufenden Betrieb entsprechend dem Stiftungszweck im Tatzeitraum zu erwarten waren. Insbesondere ist nicht dargelegt, wie sich das Vermögen der Stiftung im Einzelnen zusammensetzte und welcher Teil hiervon in den Ankauf von Sachmitteln umgeschichtet werden konnte, ohne deren Betrieb insgesamt zu gefährden. In diesem Zusammenhang hätte auch erörtert werden müssen, ob die Vorstellung des Angeklagten, die acht Ankäufe ganz oder teilweise durch den Verkauf entbehrlicher Gegenstände finanzieren zu können, auf einer vertretbaren Abwägung der Chancen und Risiken beruhte. Ohne diese Feststellungen ist es nicht nachvollziehbar, dass durch den festgestellten Zinsverlust von 59.794 € in einem Zeitraum von ca. drei Jahren angesichts eines Stiftungsvermögens von über 3.400.000 € Ende 2007 der Betrieb der "J. B." gefährdet gewesen sein soll.
2. Hinzu kommt, dass die Auffassung des Landgerichts, das vom Kuratorium erklärte Einverständnis mit dem Abschluss der Kaufverträge sei rechtlich ohne Bedeutung, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.
a) Da die Pflichtwidrigkeit des Handelns Merkmal des Missbrauchstatbestandes ist, schließt das Einverständnis des Inhabers des zu betreuenden Vermögens bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus (BGHSt 50, 331, 342 m. w. N.; Lenckner/Perron aaO § 266 Rdn. 21; Fischer aaO § 266 Rdn. 90 m. w. N.). Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten (vgl. BGHSt 9, 203, 216). Eine erklärte Einwilligung ist nur dann unwirksam, wenn sie gesetzwidrig oder erschlichen ist, auf sonstigen Willensmängeln beruht oder - wie bei der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz einer juristischen Person - ihrerseits pflichtwidrig ist (Lenckner/Perron aaO § 266 Rdn. 21 f.; Fischer aaO § 266 Rdn. 91 ff.).
b) Nach diesen Maßstäben war das Einverständnis des Kuratoriums in den Abschluss der Kaufverträge auf der Grundlage der Feststellungen nicht unwirksam. Das Kuratorium konnte grundsätzlich sein Einverständnis zu vermögensrelevanten Entscheidungen des Angeklagten erteilen, weil es gemäß § 10 der Satzung das oberstes Organ der "J. B." war, das die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen hatte. Nach den Urteilsgründen stimmte es den Kaufverträgen und deren Bezahlung aus dem Stiftungskapital in dem Wissen zu, dass sich daraus Schwierigkeiten für die Finanzierung der laufenden Stiftungsarbeit ergeben. Anhaltspunkte für Willensmängel der Mitglieder des Kuratoriums oder einen Verstoß gegen von ihnen zu beachtende Rechtsvorschriften fehlen. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Stiftung ist nicht festgestellt und angesichts der Höhe des Stiftungsvermögens eher fern liegend. Für die pauschal geäußerte Rechtsmeinung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit den Kuratoriumsmitgliedern kollusiv zum Nachteil des Stiftungsvermögens zusammengewirkt, fehlt es im Urteil an jeglicher Tatsachengrundlage.
3. Weiterhin tragen die Urteilsgründe einen durch die Ankäufe für die "J. B." eingetretenen Vermögensnachteil, insbesondere den festgestellten Zinsschaden von 59.794 €, nicht.
a) Da die Untreue ein Vermögensdelikt ist, schützt § 266 Abs. 1 StGB das zu betreuende Vermögen als Ganzes in seinem Wert, nicht aber die allgemeine Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers. Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach dem beanstandeten Rechtsgeschäft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BGHSt 43, 293, 297 f. und 47, 295, 301 f.; BGH NStZ 2001, 248, 251; Fischer aaO § 266 Rdn. 115). Beim Kauf tritt ein Vermögensnachteil regelmäßig nur ein, wenn die erworbene Sache weniger wert ist als der gezahlte Kaufpreis (vgl. Fischer aaO § 266 Rdn. 165). Bei wirtschaftlich ausgeglichenen Kaufverträgen können Gesichtspunkte eines individuellen Schadenseinschlags einen Vermögensnachteil nur in engen Ausnahmefällen begründen, etwa wenn der Vermögensinhaber durch deren Abschluss zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder nicht mehr über die Mittel verfügt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung aller seiner Verbindlichkeiten unerlässlich sind, und er hierdurch einen Vermögensnachteil erleidet (vgl. BGHSt 16, 321, 327 f.; Fischer aaO § 263 Rdn. 146 ff. m. w. N.).
b) Ein Vermögensschaden der Stiftung ist nach diesen Maßstäben nicht festgestellt. Da die vom Angeklagten gekauften Archive und Kunstgegenstände einen Wert in Höhe des jeweiligen Kaufpreises hatten, wurde das Stiftungsvermögen durch die Ankäufe insgesamt nicht verringert. Aus diesem Grunde kann der Schaden auch nicht mit entgangenen Anlagezinsen begründet werden. Die Urteilsgründe belegen auch einen Schaden nach den Grundsätzen über einen individuellen Schadenseinschlag nicht. Aus ihnen ergibt sich insbesondere nicht, dass die Stiftung als Folge der Ankäufe zu vermögensschädigenden Maßnahmen wie die Aufnahme eines Darlehens zu einem überhöhten Zinssatz oder den wirtschaftlich ungünstigen Verkauf eines Sachwertes genötigt wurde. Ein Nachteil für das Gesamtvermögen der Stiftung dadurch, dass nach der Wertung des Landgerichts die für den laufenden Betrieb der Stiftung unerlässlichen Geldmittel nicht mehr zur Verfügung gestanden haben sollen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit die Dispositionsfreiheit der Stiftungsorgane durch die Ankäufe beeinträchtigt worden ist, genügt dies für die Annahme eines Vermögensschadens nicht.
4. Die dargestellten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen sowohl aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft als auch der des Angeklagten. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils nicht nur zu Gunsten (§ 301 StPO) sondern auch zum Nachteil des Angeklagten, weil nicht völlig auszuschließen ist, dass in der neuen Verhandlung ein höherer Schaden als 59.794 € festgestellt wird.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Auf der Grundlage der bisher getroffenen und vom Senat aufgehobenen Feststellungen ist eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Untreue nicht erkennbar. Allerdings könnte in den Fällen III. 3., 4. und 6. der Urteilsgründe ein Vermögensnachteil für die "J. B." möglicherweise dadurch entstanden sein, dass der Angeklagte die Ankäufe mit Geld der Stiftung bezahlte und die "Rechte und Pflichten" aus den Kaufverträgen auf den "L." übertrug, obwohl dieser nicht über ausreichende Mittel zur Finanzierung verfügte. Selbst wenn ein Missbrauch der Verfügungs- und Verpflichtungsmacht sowie ein Vermögensnachteil in der neuen Verhandlung festgestellt werden sollte, ist sorgfältig zu prüfen, ob die Zustimmung der Mitglieder des Kuratoriums einer Verurteilung entgegensteht. Diese dürfte nur unbeachtlich sein, wenn sie auf Willensmängeln beruhte oder ihrerseits pflichtwidrig war, weil sie gegen zwingend zu beachtenden Rechtsvorschriften verstieß oder als Folge der Ankäufe die Existenz der Stiftung gefährdet war.
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